Gnade
f.
‘verzeihende Güte, Nachsicht, Schonung, herablassende Gunst, Strafnachlaß’,
in der christlichen Religion
‘Barmherzigkeit Gottes, Sündenvergebung’,
ahd.
gināda
‘göttliches Erbarmen, Gottes Hilfe, Wohlwollen, Gunst’
(8. Jh.),
mhd.
g(e)nāde
‘das Sichniederlassen, um auszuruhen, ruhige Lage, Glück(seligkeit), Gunst, Huld, Gottes Hilfe und Erbarmen’,
asächs.
(gi)nāða,
mnd.
genāde,
mnl.
ghenāde,
nl.
genade,
anord.
(aus dem
Asächs. oder
Mnd.)
nāð
‘Gnade, Frieden, Ruhe’
sind dehnstufige Feminina zu einem nur in
got.
niþan
‘helfen’
belegten Verb unbekannter Herkunft.
Eine Verbindung zu
aind.
nā́thatē
‘sucht Hilfe, fleht’
und
griech.
oninánai
(
ὀνινάναι)
‘nützen, helfen’
ist zweifelhaft.
Als Ausgangsbedeutung für das Verb wird
‘sich in Ruhelage begeben, sich niederlassen, um auszuruhen’
und für das Substantiv entsprechend
‘Ruhe, ruhiges Leben, Friede, Glück’
angenommen
(vgl.
spätmhd.
diu sunne gēt ze genāden
‘die Sonne geht unter, begibt sich zur Ruhe’).
Gnade
im Sinne von
‘huldvolles Zugeneigtsein’
wird in der süddeutschen Mission Übersetzungswort für
kirchenlat.
grātia
und auf das Verhältnis Gottes zu den Menschen bezogen.
Die als Zusatz bei Herrschertiteln erscheinende Formel
von Gottes Gnaden
ist die seit dem 13. Jh. geläufige Übersetzung von
lat.
grātiā deī,
griech.
cháriti theū́
(
χάριτι θεοῦ),
zurückgehend auf
Paulus
(1. Kor. 15, 10),
der sein Apostelamt auf der Gnade Gottes aufbaut.
Sie wird von
Karl dem Großen
dem weltlichen Herrschertitel hinzugefügt.
Die Anrede
Euer Gnaden,
mhd.
iuwer gnāde,
daneben
Ihr(e),
Ihro Gnaden
(16. Jh.)
an fürstliche oder hochgestellte Personen entwickelt sich unter Einwirkung von
spätlat.
tua
bzw.
vestra clēmentia.
Ferner vgl. Redewendungen wie
Gnade geht vor Recht,
mhd.
gnāde gēt vür daʒ reht;
sich auf Gnade und Ungnade ergeben
‘sich bedingungslos ausliefern’
(15. Jh.);
die Gnade haben (‘geruhen’),
etw. zu tun
(18. Jh.);
zu Gnaden halten
‘gnädig sein’
(18. Jh.);
Gnade ergehen lassen
‘Nachsicht üben’
(19. Jh.).
begnaden
Vb.
‘eine Gnade zuteil werden lassen, mit hohen Gaben beschenken’,
mhd.
begnāden
‘Gnade erweisen, ein Privileg erteilen, Almosen geben’;
dazu
begnadet
Part.adj.
‘hochbegabt, genial’,
eigentlich
‘durch Gnade mit besonderen Gaben beschenkt’,
vgl.
ein begabter vnd begnadter Mensch
(17. Jh.).
begnadigen
Vb.
‘Strafnachlaß, Straferlaß gewähren, Gnade erweisen, beschenken’
(16. Jh.),
spätmhd.
begnādigen,
begnedigen
‘mit einer Gnade versehen, begaben, beschenken’;
mit Umlaut
(
begnädigen)
noch im 18. Jh.
Als Part.adj.
begnadigt
im Sinne von
begnadet
(s. oben)
vereinzelt bis ins 19. Jh.
gnädig
Adj.
‘Gnade übend, gewährend, barmherzig, gütig, nachsichtig, freundlich’,
ahd.
ginādīg
‘wohlwollend, liebreich, barmherzig, mild, geneigt’
(8. Jh.),
mhd.
genædec;
zunächst
(seit ahd. Zeit)
vornehmlich Attribut Gottes.
Dann häufig (14. Jh.) in der Anrede adliger,
später
(18. Jh.)
auch bürgerlicher Personen,
vgl.
gnädiger Herr,
gnädige Frau,
gnädiges Fräulein,
auch substantiviert
die Gnädige,
meine Gnädigste
(18. Jh.).
Gnadenbrot
n.
‘aus Barmherzigkeit, Dankbarkeit für geleistete Dienste im Alter gewährter Unterhalt’
(18. Jh.).
Gnadenfrist
f.
‘aus Gnade gewährte Zeit der Schonung, Zeit der Strafaussetzung, letzte Frist’
(um 1800),
zuvor im religiösen Sinne
‘Zeit der Gnade für die Seele vor dem Jüngsten Gericht’
(um 1600).
gnadenreich
Adj.
‘voller Gnade, huldreich, gesegnet’,
mhd.
genādenrīche,
aus der genitivischen Verbindung
mhd.
der genāden rīche.
Gnadenstoß
m.
‘Stoß, Stich zur Beendigung der Todesqual (eines verwundeten Tieres)’,
anfänglich
‘vom Henker ausgeführter Todesstoß ins Genick oder Herz des Verurteilten, um ihm die Qualen der nachfolgenden Räderung zu ersparen’
(um 1700);
vgl.
mhd.
genādenstōʒ
‘Anstoß der göttlichen Gnade’.