Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Groteske, die

Grammatik Substantiv (Femininum) · Genitiv Singular: Groteske · Nominativ Plural: Grotesken
Aussprache  [gʀoˈtɛskə]
Worttrennung Gro-tes-ke
Grundformgrotesk
Wortbildung  mit ›Groteske‹ als Erstglied: Groteskfilm  ·  mit ›Groteske‹ als Letztglied: Filmgroteske
Herkunft aus gleichbedeutend grotesquefrz < gleichbedeutend grottescaital
Duden, GWDS, 1999 und DWDS

Bedeutungen

1.
Kunstwissenschaft fantastisch gestaltete Darstellung von Tier- und Pflanzenmotiven in der Ornamentik der Renaissance und der Antike
Beispiele:
Im Dekor herrscht reiche Ornamentik auf allen Gefäßteilen, es umrahmt als Laub‑ und Bandelwerk kleine Grotesken, Jagdmotive und Chinoiserien. [Olbrich, Harald (Hg.): Lexikon der Kunst. Berlin: Directmedia Publ. 2001 [1994], S. 30878]
Dargestellt sind innerhalb einer reichen Ornamentik aus Beschlag‑ und Rollwerk sowie Grotesken seitlich die Symbole der Evangelisten in Tondi und in der Mitte vier eher zierliche Engel mit Lorbeerkränzen. [Dresdner Neueste Nachrichten, 18.03.2021]
Groteske (ital. grotta »Höhle«, grottesco »wild«, »phantastisch«), 1. neuzeitl., in ganz Europa gebräuchl. flächenfüllendes Ornament, dessen Name schon in der Renaissance geprägt wurde, nachdem sich um 1480 Künstler in das von Bauschutt bedeckte Goldene Haus des Nero wie in »Grotten« eingegraben und dort die gemalte und stuckierte Wanddekoration röm. Innenräume wiederentdeckt hatten. [Olbrich, Harald (Hg.): Lexikon der Kunst. Berlin: Directmedia Publ. 2001 [1991], S. 11349]
Das Bandelwerk auf dem größeren Glas ist bereits voll ausgeprägt; sechs mit Putten geschmückte Felder des Glases werden von dem neuen Ornament umrankt, das aus dünnen Bändern, kleinen Ranken, Kalligraphenschnörkeln und Grotesken besteht. [Schade, Günter: Deutsches Glas. Leipzig: Koehler & Amelang 1968, S. 76]
Grotesken (ital.), die aus Tier‑, Pflanzen‑ und andern Formen phantastisch zusammengesetzten Verzierungen, ursprünglich auf den Trümmern der antiken Thermen und Gräber (Grotten), seit 16. Jahrh. in der Dekorationsmalerei verwendet[…]. [Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, Berlin: Directmedia Publ. 2001 [1906], S. 28734]
2.
Kunst, Literatur Darstellung einer verzerrten Wirklichkeit, die auf paradox erscheinende Weise Grauenvolles, Missgestaltetes mit komischen Zügen verbindet
Mit diesem Ausdruck wird sowohl ein vom Künstler bewusst eingesetztes, gegen bestimmte gesellschaftliche, literarische usw. Normen gerichtetes Stilmittel als auch ein künstlerisches bzw. literarisches Genre bzw. ein einzelnes Werk bezeichnet.DWDS
Kollokationen:
mit Adjektivattribut: eine tragikomische, bitterböse, grelle, überdrehte Groteske
als Akkusativobjekt: eine Groteske schreiben, inszenieren
als Genitivattribut: die Mittel der Groteske
Beispiele:
Auf den ersten Blick ist Steven Soderberghs [Spielfilm] »Liberace« eine Groteske, manchmal sympathisch bizarr und manchmal recht schaurig. [Süddeutsche Zeitung, 04.10.2013]
Der Wille zur Groteske bricht immer wieder durch bei dem Autor, als eine dritte Ebene neben der philosophischen und der prosaischen. [Süddeutsche Zeitung, 16.03.2021]
Ich könnte es [ein Buch] mir eher als Theaterstück vorstellen, aber wer weiß: Vielleicht, wenn man vom klassischen Realismus weg in die Groteske geht, wogegen ich gar nichts hätte. Es könnte auch ein Horrorfilm sein. Das ganze Buch ist ein Albtraum. [Die Welt, 01.02.2020]
Gängige Stilmittel der Satire sind […] die Ironie und der Sarkasmus (seltener die Groteske), die Hyperbel und der Euphemismus ebenso wie Paradoxien. Oft werden Figuren auch parodiert, das Genre gewechselt und bekannte Versatzstücke auf unkonventionelle Weise montiert. [Satire and how it works, 28.12.2011, aufgerufen am 01.09.2020]
Was hier am meisten faszinierte, waren die clownesken Einlagen, die Auftritte der Akrobaten, die Grotesken und Buffoszenen – alles Elemente aus der Spieltradition des Volkstheaters. [Schlögel, Karl: Petersburg. München Wien: Carl Hanser 2002, S. 472]
Elfriede Jelinek zeichnet in ihrer Groteske »Lust« keine positiven Bilder, weder von Männern noch von Frauen, weder von der Sexualität noch von der Gesellschaft. [konkret, 2000 [1989]]
übertragen unfreiwillig lächerliche, absurde SituationDWDS
Beispiele:
Klubpräsident Aurelio De Laurentiis erwägt auch einen Gang vor die ordentliche Justiz. […] Wie immer mischt sich auch die Politik wieder mächtig ein, parteiisch hüben wie drüben. Und über allem hängt die Frage, ob es nicht gescheiter wäre, das Drama zu beenden, bevor es zur Groteske verkommt. [Süddeutsche Zeitung, 16.10.2020]
Was unsere Gesundheitsminister und ‑behörden derzeit in Sachen Astrazeneca‑Serum den Bürgern zumuten, ist an Groteske nicht mehr zu überbieten. Man kann nur noch von einem unrühmlichen Kasperltheater und einem Hintergehen der älteren Bevölkerung sprechen. [Münchner Merkur, 08.04.2021]
»Wir erleben eine himmelschreiende Groteske«, sagt der Gießener Antisemitismusforscher […]. »Wir hören seit Jahren Erklärungen gegen Antisemitismus, die richtig und wichtig sind. Und zeitgleich haben wir seit Jahren fehlendes Handeln.« [Die Welt, 31.10.2019]
Ab Donnerstag werden in Hamburg zwei Straßen für ältere Fahrzeuge gesperrt. Dann erreicht eine umweltpolitische Groteske ihren Höhepunkt. Sie ist das Ergebnis von Konzeptlosigkeit in Berlin und Brüssel [Überschrift] [Die Welt, 29.05.2018]
Dass SPD und Union nichts Besseres zu tun haben, als ihren jeweiligen Mann als Kommissionspräsidenten zu installieren, ist angesichts der Umstände eine Groteske. [Der Standard, 26.05.2014]
Unter allen Teilaufgaben der Geschichte geht uns hier am meisten diejenige an, die sich selbst Geschichte der Philosophie nennt. Sie steht in großem Ansehen, und sie existiert sogar. Aber die Unmöglichkeit, zu historischem Wissen zu gelangen, steigert sich in dieser Disziplin zu einer Groteske; nur daß die Forscher, die gerade jetzt wieder gepriesen werden und Preise verteilen, das Organ für Auffassung der Groteske in ihren eigenen Bemühungen verloren haben. [Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1910], S. 25831]
3.
ins Verzerrte gesteigerter, karikierend übertreibender Ausdruckstanz
Beispiele:
Als nächstes folgt Sonja Romeis Tanztheater mit einem Ausschnitt aus ihrer noch in Arbeit befindlichen Groteske »Familie Müll«. [Berliner Zeitung, 09.01.1997]
Das Stuttgarter Theaterhaus brummt – auch bei der größten Sommerhitze flattern die langen Regenbogenfahnen des Colours‑Festivals im Wind, das Publikum strömt und feiert bisher jede Aufführung, ob Tanztheater, Cirque Nouveau oder getanzte Groteske. [Reutlinger General-Anzeiger, 09.07.2015]
Er stellte sich als Pianist ausschließlich in den Dienst der Neuen Musik; als Komponist pflegte er in seiner ersten Schaffensperiode (bis 1930) die Groteske und die modernen Tanzformen und experimentierte mit Vierteltonmusik. [Brockhaus-Riemann-Musiklexikon. Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1989], S. 9486]
Dies ermöglicht es dem beneidenswert großen Ensemble, vom reinen klassischen Idiom bis zu den verschiedensten Arten des Charaktertanzes und der Groteske die vielseitigsten Ausdrucksmittel anzuwenden und ausgeprägte menschliche Charaktere im Tanz zu gestalten. [Neues Deutschland, 15.09.1962]
Die Neigung zur Groteske spricht aus einigen »Phantastischen Tänzen«, besonders aus einer Polka, in denen der überschäumende Humor dieses faszinierenden Künstlers eigenwillig lacht. [Neues Deutschland, 06.04.1949]

letzte Änderung:

Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)

Etymologie

Groteske · grotesk
Groteske f. künstlerische, besonders literarische Form, deren komische Wirkung auf phantastisch -verzerrender Darstellung der Wirklichkeit beruht. Das Substantiv ist zunächst allein in der bildenden Kunst (vom frühen 17. Jh. bis zur Mitte des 18. Jhs.) als terminologische Bezeichnung für ein aus Pflanzenteilen, Tieren und Menschengesichtern zusammengefügtes verschnörkeltes Wandornament üblich; es geht in dieser Verwendung über frz. grotesque f. (16. Jh.) zurück auf gleichbed. ital. grottesca, substantiviertes Femininum eines von ital. grotta ‘Grotte, Höhle, Wall’ (s. Grotte) abgeleiteten Adjektivs ital. grottesco ‘nach Art der Grottenbilder, seltsam, wunderlich’. Solche Malereien werden nämlich Ende des 15. Jhs. in verschütteten (und daher höhlenähnlichen) Räumen antiker römischer Thermen und Paläste entdeckt und von Renaissancekünstlern nachgeahmt. Jünger als das Substantiv ist im Dt. grotesk Adj. ‘wunderlich, absonderlich, durch Verzerrungen oder Übertreibungen lächerlich wirkend’ (Anfang 18. Jh. bis zur Jahrhundertmitte gleichfalls nur terminologisch), nach frz. grotesque ‘lächerlich, wunderlich, närrisch’ (17. Jh.); vgl. aber grubengrotteschisch ‘seltsam gestaltet’ schon bei Fischart 1575 als wohl unmittelbar an ital. grottesco anschließende Gelegenheitsbildung.

Typische Verbindungen zu ›Groteske‹ (berechnet)

Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›Groteske‹.

Zitationshilfe
„Groteske“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Groteske>.

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