leiden
Vb.
‘von körperlichem oder seelischem Schmerz gequält werden’,
mit Akkusativ
‘etw. ausstehen müssen, ertragen, dulden, zulassen’,
daher auch
(bereits
frühnhd.)
jmdn., etw. (nicht) leiden können;
ahd.
līdan
‘ertragen, erdulden’
(
Otfrid,
9. Jh.,
doch zuvor wohl schon
gilīdan
‘mit jmdm. dulden’
für
spätlat.
compatī,
8. Jh. in St. Gallen),
mhd.
līden
‘ertragen, erdulden’
(vereinzelt
‘dulden’
ohne Akkusativobjekt),
mnd.
mnl.
līden,
nl.
lijden,
afries.
lītha,
schwed.
lida,
dän.
lide
‘ertragen, dulden’.
Das
gemeingerm. Verb bedeutet ursprünglich
‘sich fortbewegen, gehen, vergehen’,
so
got.
-leiþan
(in Präfixbildungen),
anord.
līða
(auch
‘dahingehen, sterben’;
daneben spät ein schwaches Verb
anord.
līða
‘leiden, dulden’,
unter
mnd. Einfluß),
asächs.
līðan,
aengl.
līþan;
Reste des alten Gebrauchs sind gleichfalls
ahd.
līdan
im Sinne von
‘fahren, vergehen’
(8. Jh.,
meist in präfigierten Formen;
hierzu wohl bereits
langobard.
līd in laib
‘geh ins Erbe!’,
7. Jh.),
mhd.
mnd.
mnl.
līden
‘gehen, vorübergehen’,
nl.
geleden
Part. Prät.
‘vergangen, verflossen’,
ferner
schwed.
lida,
dän.
lide
‘fortschreiten, vergehen’
(von der Zeit);
s. auch
leiten.
Der im
Ahd. zuerst nachzuweisende Bedeutungswandel
setzt sich offenbar von Süden
(
alem.,
rheinfrk.)
nach Norden durch,
erreicht um 1300 die Küste
und findet vom
Nd. aus Eingang ins
Nl.,
Fries. und in die nord. Sprachen.
Diese semantische Entwicklung,
die sich ebenso bei der später bezeugten Präfixbildung
erleiden
Vb.
‘etw. ertragen müssen, erdulden, durch etw. Schaden nehmen’
vollzieht
(
ahd.
irlīdan
‘durchlaufen, bis zu Ende gehen, erreichen, fertigbringen’,
9. Jh.,
‘durchstehen, erdulden’,
um 1000,
mhd.
erlīden
‘bis zu Ende gehen, bestehen, erleben, ertragen’;
vgl.
got.
usleiþan
‘weggehen, vergehen’),
beruht vielleicht auf Einfluß der unter
Leid
(s. d.)
dargestellten Wortgruppe,
die jedoch etymologisch von
leiden
zu trennen ist.
Da für
germ.
*līþan
sichere Verwandte außerhalb des Germ. fehlen,
bleibt sein Ursprung trotz mehrfacher Herleitungsversuche fraglich.
Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit
toch. AB
lit-
‘fortgehen’,
awest.
raēθ-
‘sterben’,
außerdem wird auf
griech.
ló͞itē
(
λοίτη)
‘Grab’,
loité͞uein
(
λοιτεύειν)
‘begraben’
hingewiesen;
dann wäre eine gemeinsame Wurzel
ie.
*leit(h)-
‘gehen, fortgehen, sterben’
anzunehmen.
Leiden
n.
‘anhaltende Krankheit’,
auch allgemeiner
‘Qual, Pein’,
heute vor allem
‘seelischer Schmerz’,
mhd.
līden
‘Leiden Trübsal, Plage’;
substantivierter Infinitiv des starken Verbs
mhd.
līden
‘ertragen, dulden’
(s. oben),
der sich im
Nhd. zunehmend verselbständigt
(seit dem 18. Jh. wird dazu ein Plural gebildet),
wohl begünstigt durch den biblischen Gebrauch;
vgl.
das Leiden Christi
(häufig als Schwur- und Beteuerungsformel
beim Leiden Gottes,
Christi).
Leidenschaft
f.
‘intensive, das gesamte Verhalten bestimmende und vom Verstand nur schwer zu steuernde emotionale Reaktion’,
namentlich
‘heftige Zuneigung zu einer Person, ausgeprägter Hang zu bestimmten Tätigkeiten oder Dingen’,
Mitte des 17. Jhs. aufkommendes,
jedoch erst im 18. Jh. geläufiges Übersetzungswort für
frz.
passion,
auch für
frz.
passibilité
(dieses eigentlich
‘Leidens-, Empfindungsfähigkeit’,
vgl.
lat.
passio
‘Leiden’,
spätlat.
‘Empfindsamkeit’,
spätlat.
passibilitās
‘Leidensfähigkeit’);
Ableitung mit dem Kompositionssuffix
-schaft
(s. d.)
vom substantivierten Infinitiv
Leiden
(wie
Wissenschaft,
s. d.);
dazu
leidenschaftlich
Adj.
‘von Leidenschaft getrieben, überaus heftig, von starker Zuneigung, großer Begeisterung erfüllt’
(18. Jh.).
leidlich
Adj.
‘gerade noch zu dulden, erträglich, halbwegs gut’
(15. Jh.),
spätmhd.
līdelich
‘leidend, für körperliche Leiden empfänglich, geduldig’
(zu
mhd.
līden
‘ertragen, dulden’).