Rationalisierung, die
GrammatikSubstantiv (Femininum) · Genitiv Singular: Rationalisierung · Nominativ Plural: Rationalisierungen
Aussprache [ʀaʦi̯onaliˈziːʀʊŋ]
Worttrennung Ra-ti-ona-li-sie-rung · Ra-tio-na-li-sie-rung
Wortzerlegung rationalisieren -ung
Wortbildung
mit ›Rationalisierung‹ als Erstglied:
Rationalisierungsdruck
· Rationalisierungseffekt · Rationalisierungsfachmann · Rationalisierungsinvestition · Rationalisierungsmaßnahme · Rationalisierungspotential · Rationalisierungspotenzial · Rationalisierungsprozess · Rationalisierungsschutz · Rationalisierungsvorhaben · Rationalisierungsvorschlag
· mit ›Rationalisierung‹ als Letztglied: Arbeitsrationalisierung
· mit ›Rationalisierung‹ als Letztglied: Arbeitsrationalisierung
Bedeutungsübersicht
- 1. [besonders Wirtschaft] organisatorische Änderung in betrieblichen oder behördlichen Abläufen (besonders Mechanisierung, Automatisierung, Zusammenfassung) zur Steigerung der Produktivität oder Senkung von Kosten
- 2. [Psychologie] an andere oder sich selbst gerichtete Rechtfertigung von
(emotional begründeten) Handlungen oder Haltungen durch (vorgeschobene) rationale Begründungen; Einordnung von (als bedrohlich wahrgenommenen) Phänomenen in
einen rational erfassbaren Zusammenhang
- ● [allgemeiner, besonders Philosophie] geistige Erfassung und Einordnung eines Phänomens mit vernunftmäßigen Kategorien
eWDG und ZDL
Bedeutungen
1.
besonders Wirtschaft organisatorische Änderung in betrieblichen oder behördlichen Abläufen (besonders Mechanisierung, Automatisierung, Zusammenfassung) zur Steigerung der Produktivität oder Senkung von Kosten
Kollokationen:
mit Adjektivattribut: die innerbetriebliche, durchgreifende, fortschreitende, forcierte, konsequente, versäumte Rationalisierung
mit Genitivattribut: die Rationalisierung der Produktionsprozesse, Arbeitsabläufe, der Fertigung, Büroarbeit
hat Präpositionalgruppe/-objekt: die Rationalisierung in der Fertigung, Logistik, Verwaltung, Produktion, in Betrieben
als Akkusativobjekt: die Rationalisierung vorantreiben, erzwingen, beschleunigen, durchführen, fördern
in Koordination: Rationalisierung und Automatisierung, Automation, Intensivierung, Modernisierung, Umstrukturierung, Mechanisierung; Rationalisierungen und Personalabbau, Kosteneinsparungen, Produktivitätssteigerungen
in Präpositionalgruppe/-objekt: Kostensenkungen durch Rationalisierungen; [etw.] durch Rationalisierung auffangen, freisetzen
Beispiele:
durch die Rationalisierung verloren viele Arbeiter ihren ArbeitsplatzWDG
Ein interessanter Fall sind Güter und vor allem Dienstleistungen,
die sich trotz Globalisierung und Rationalisierung
nicht verbilligt haben. [Die Welt, 31.12.2020]
In normalen Zeiten dominieren die Rationalisierer. Puffer werden
immer weiter reduziert. In Krisen werden die Kosten dieser
Rationalisierung dann deutlich. […] Ist die Krise vorbei, dauert es nur wenige
Monate, bis die ersten Expertenberatungsfirmen und politischen Stiftungen
sich mit der Forderung nach dem Abbau von Fettpolstern profilieren und ihre
Unterstützung bei der Rationalisierung von
Unternehmen, Verwaltungen und Krankenhäusern anbieten. [Süddeutsche Zeitung, 23.03.2020]
Die Einführung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sollte
[…] vor allem öffentlichen Zwecken
dienen[…]; zudem erhoffte man sich davon Effizienzgewinne,
etwa durch eine Rationalisierung der
Geschäftsverwaltung. [Neue Zürcher Zeitung, 18.06.2021]
[…] am Steuer sitzen und selber fahren, ist eine
der letzten nicht entfremdeten Tätigkeiten, die im Zuge von Automatisierung
und Rationalisierung übriggeblieben sind. [Die Welt, 02.11.2020]
Auf dem Chart an der Wand […] steht
der Dreiklang der Intensivierung in der Landwirtschaft: »1.) Wertschöpfung,
2.) Wachstum, 3.) Rationalisierung«. [Süddeutsche Zeitung, 04.04.2020]
Wie die Konkurrenz um den Markt die
Rationalisierung der privatwirtschaftlichen
Betriebe erzwang, so erzwang bei uns und in dem China der Teilstaatenzeit
die Konkurrenz um die politische Macht die
Rationalisierung der staatlichen Wirtschaft und
Wirtschaftspolitik. [Weber, Max: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. In: Weber, Marianne (Hg.): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. I. Tübingen: Mohr 1920 [1916–1919], S. 348]
2.
Psychologie an andere oder sich selbst gerichtete Rechtfertigung von (emotional begründeten) Handlungen oder Haltungen durch (vorgeschobene) rationale Begründungen; Einordnung von (als bedrohlich wahrgenommenen) Phänomenen in einen rational erfassbaren Zusammenhang
Kollokationen:
mit Adjektivattribut: eine nachträgliche Rationalisierung
mit Genitivattribut: die Rationalisierung der Lebenswelt, des Weltbildes
als Genitivattribut: die Paradoxie, das Muster der Rationalisierung
Beispiele:
Wenn uns starke Gefühle und Antriebe überkommen, fangen wir […] gerne an, uns selbst zu betrügen. Gerade intelligente Menschen neigen dann zur Rationalisierung: Sie finden plausibel klingende Argumente, den vermeintlichen Traummann oder die Traumfrau gegen Freunde zu verteidigen und auch vor sich selbst. [Welt am Sonntag, 09.08.2020]
In einer Welt, deren »Lesbarkeit« zunehmend schwindet und in der für
den Einzelnen das Gefühl der eigenen Ohnmacht stärker wird, flüchten sich
Menschen zunehmend in fantasievolle
Rationalisierungen und Verschwörungstheorien, um
das Chaos der Welt zu ordnen: »Eine falsche, dafür aber klare und bestimmte
Vorstellung wird in der Welt stets wirksamer sein als ein richtiger, jedoch
verwickelter Gedankengang.« [Die Welt, 12.09.2020]
Aber was, wenn die himmlische Gerechtigkeit nur eine
Rationalisierung, also eine moralische
Rechtfertigung dafür ist, sadistische Befriedigung angesichts der ewigen
Qualen von anderen Menschen zu empfinden? [Neue Zürcher Zeitung, 27.08.2019]
Wovor ich bei dieser Geschichte am meisten erstaunt bin, ist, dass
ich – obschon schon tausend Mal gesehen – noch immer erstaunt darüber bin,
dass »Anhänger«, deren »Gurus« so offensichtlich widerlegt wurden, immer
eine passende Rationalisierung finden, um mit dieser
Dissonanz umzugehen. [Maria Divine Mercy: Die »Seherin« ist eine PR-Fachfrau, 09.02.2015, aufgerufen am 18.09.2020]
Wenn uns etwas Negatives widerfährt, beginnt das »psychologische
Immunsystem«, die Lage mit Rationalisierungen und
Schönfärberei zu verbrämen. [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2003]
Alle Theologie ist intellektuelle
Rationalisierung religiösen Heilsbesitzes. [Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Weber, Marianne (Hg.): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr 1922 [1919], S. 552]
●
allgemeiner, besonders Philosophie geistige Erfassung und Einordnung eines Phänomens mit vernunftmäßigen Kategorien
Beispiele:
Hier regt sich in der Weigerung, auf die naturrechtliche
Rationalisierung einzugehen, der alte Glaube
an den Willensgott, der die Mächte einsetzt nach Belieben. [Troeltsch, Ernst: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. Tübingen: Mohr 1912, S. 168]
Dabei ist das Sprechen über Sexualität, also ihre
Rationalisierung, selbst schon Grund des
Problems. Denn wie über die erklärtermaßen »natürlichste Sache der Welt«
reden, wenn Natur als »das Andere« aufgefasst wird, um davon abgrenzend
Kultur zu behaupten? [Der Tagesspiegel, 10.02.2021]
Auch die Großen im Reich des Geistes erleiden als Sterbliche
bloß das Schicksal der Vielen. So wurde der Analytiker
wissenschaftlicher Rationalisierung und moderner
»Entzauberung« der Welt [Max Weber] mit
seinem Tod selbst zur Projektionsfläche irrationaler Wünsche nach
Sinndeutung endlichen Lebens. [Süddeutsche Zeitung, 18.06.2020]
Die Ethik ist keine normative Wissenschaft. Sie zerfällt in
Pflichten‑, Tugend‑ und Güterlehre und betont die
Rationalisierung und Harmonisierung der Natur
durch das menschliche Handeln im geschichtlichen Prozesse. [Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. In: Bertram, Mathias (Hg.): Geschichte der Philosophie. Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1912], S. 21511]
Es gibt kein rationales Handeln ohne kausale Rationalisierung des als Objekt und Mittel der Beeinflussung in Betracht gezogenen Ausschnittes aus der Wirklichkeit, d. h. ohne dessen Einordnung in einen Komplex von Erfahrungsregeln, welche aussagen, welcher Erfolg eines bestimmten Sich‑Verhaltens zu erwarten steht. [Weber, Max: Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie. In: Weber, Marianne (Hg.): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr 1922 [1903–1906], S. 127]
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Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)
Etymologie
Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)
Ratio · rational · irrational · Rationalismus · Rationalist · rationalistisch · rationell · rationalisieren · Rationalisierung
Ratio f. ‘Vernunft, (Be)rechnung, Rechenschaft’, gelehrte Übernahme (16. Jh.) von lat. ratio (Genitiv ratiōnis) ‘Rechnung, Berechnung, Rechenschaft, Denken, Denkvermögen, Vernunft, Grund, Maß, Gesetzmäßigkeit, Ordnung, Methode, Prinzip’, einer Bildung zu lat. ratus ‘berechnet, durch Rechnung bestimmt’, Part.adj. zu lat. rērī ‘meinen, glauben, urteilen, dafürhalten’. rational Adj. ‘von der Vernunft ausgehend, vernünftig, zweckmäßig, logisch, begründet’ (1. Hälfte 16. Jh.), entlehnt aus lat. ratiōnālis ‘vernünftig, vernunftgemäß, mit Vernunft begabt, schließend, folgernd, berechenbar’, eigentlich ‘zu den Rechnungen gehörig’, seit den 20er Jahren des 20. Jhs. auch in bezug auf Wirtschaftlichkeit, Effektivität, Zweckmäßigkeit im Sinne von ‘vernünftig organisiert, angeordnet, planvoll’; abgeleitet von lat. ratio (s. oben). irrational Adj. ‘mit dem Verstand nicht faßbar, vernunftwidrig, unvernünftig’, in der Mathematik ‘nicht als endliche oder periodische Dezimalzahl darstellbar’, entlehnt (18. Jh.) aus lat. irratiōnālis ‘unvernünftig’ (mit assimiliertem negierenden in-2, s. d.). Rationalismus m. in der Philosophie eine erkenntnistheoretische Richtung, die die menschliche Vernunft und das begriffliche Denken (Ratio) als Hauptquelle der Erkenntnis ansieht und die Erfahrung, die Sinneserkenntnis unterschätzt oder leugnet, gelehrte nlat. Bildung (Anfang 18. Jh., zunächst auch Rationalism). Rationalist m. ‘Anhänger, Vertreter des Rationalismus’ (1. Hälfte 18. Jh.), dann verallgemeinert ‘wer dem Verstand gegenüber Gefühlen den Vorrang gibt, Verstandesmensch’ (2. Hälfte 19. Jh.). rationalistisch Adj. ‘den Rationalismus betreffend, das Vernunftmäßige betonend, rein begrifflich’ (1. Hälfte 19. Jh.). rationell Adj. ‘zweckmäßig, auf größte Wirtschaftlichkeit berechnet, effektiv’, entlehnt (Ende 18. Jh.) aus frz. rationnel ‘vernünftig’ (lat. ratiōnālis), vom 18. bis ins 20. Jh. gleichbed. mit rational (s. oben) im Sinne von ‘vernünftig, vernunftgemäß’, dann auch ‘theoretisch, systematisch, wissenschaftlich’. Durch häufige Anwendung auf ökonomische Zusammenhänge im 19. Jh. weiterentwickelt zu ‘zweckmäßig, wirtschaftlich, effektiv’, seit den 30er Jahren des 20. Jhs. besonders ‘haushälterisch, sparsam’. rationalisieren Vb. ‘rationalistisch denken, dem Rationalismus gemäß handeln’ (2. Hälfte 19. Jh.), ‘Arbeitsprozesse zur Erzielung größerer Effektivität zweckmäßiger, wirtschaftlicher gestalten’ (1. Hälfte 20. Jh.), wohl unter Einfluß von frz. rationaliser ‘vernunftgemäß gestalten’ abgeleitet von rational (s. oben). Rationalisierung f. ‘vernunftgemäßes Handeln’ (Mitte 19. Jh.), ‘effektive Gestaltung des Reproduktionsprozesses unter den vorhandenen Produktionsbedingungen’ (1. Hälfte 20. Jh.).
Bedeutungsverwandte Ausdrücke
Assoziationen |
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Assoziationen |
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Psychologie
Selbstrechtfertigung ●
Rationalisierung fachspr., psychologisch
Typische Verbindungen zu ›Rationalisierung‹ (berechnet)
Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›Rationalisierung‹.
Arbeitsprozeß
Arbeitsvorgang
Automation
Automatisierung
Bedarfsdeckung
Intellektualisierung
Intensivierung
Kapazitätserweiterung
Komplexitätssteigerung
Kostensenkung
Lebensführung
Lebenswelt
Leistungssteigerung
Mechanisierung
Modernisierung
Outsourcing
Produktionsprozeß
Produktivitätssteigerung
Rationierung
Standardisierung
Sublimierung
Systematisierung
Technisierung
Typisierung
Verdinglichung
durchgreifend
fordistisch
fortschreitend
innerbetrieblich
material
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