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Sitte, die

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GrammatikSubstantiv (Femininum) · Genitiv Singular: Sitte · Nominativ Plural: Sitten
Aussprache 
Worttrennung Sit-te
formal verwandt mitgesittet
eWDG

Bedeutungen

1.
auf Tradition und Gewohnheit beruhende, in einer bestimmten sozialen Gruppe, Gemeinschaft übliche und für den einzelnen oft als verbindlich geltende menschliche Verhaltensform, Verhaltensregel, Gepflogenheit, Brauch
Beispiele:
eine alte, gute, schöne, von den Vätern ererbte Sitte
raue, wilde Sitten
umgangssprachlich, scherzhafthier herrschen strenge Sitten!
umgangssprachlich, spöttischdas sind ja ganz neue Sitten!
die Sitten und Gebräuche eines Volkes
die Sitte will es, verlangt, dass …
eine Sitte achten, einhalten, verletzen
sich der (starren) Sitte fügen, unterwerfen
mit einer Sitte brechen
er war nach der herrschenden Sitte (= Mode) seiner Zeit gekleidet
sprichwörtlichandere Länder, andere Sitten
etw. ist Sitteetw. ist üblich
Beispiele:
das ist bei uns (nicht) Sitte
's ist mal bei mir so Sitte [ J. StraußFledermausII]
2.
zum Bereich der Moral gehörende Verhaltensregeln und Verhaltensweisen mit unterschiedlichem Klassencharakter
a)
Gesamtheit moralischer Werte und Regeln, Sittlichkeit, Gesittung
Beispiele:
die gute Sitte, Anstand und Sitte (be)wahren, verletzen
auf (Anstand und) Sitte halten, sehen
die strenge Sitte ist die Basis des Imperiums [ Feuchtw.Tag54]
Grammatik: Singular selten
Beispiele:
die guten Sitten beobachten, einhalten, pflegen
gegen alle guten Sitten verstoßen
eine Lockerung, der Verfall der Sitten
b)
durch moralische Werte und Regeln bedingte Verhaltensweisen, Benehmen, Umgangsformen, Manieren
Grammatik: nur im Plural
Beispiele:
ein Mensch von, mit guten, schlechten, sonderbaren Sitten
bei Tisch hielt sie auf kulturvolle Sitten
sprichwörtlichschlechte Beispiele verderben gute Sitten
c)
veraltet Anstand, Sittsamkeit
Grammatik: nur im Singular
Beispiele:
jmd. hat (keine) Sitte
er war um ihre gute Sitte (= Tugend) besorgt
sie war still und ihre Bewegungen voll Sitte [ G. KellerGr. Heinrich4,221]
3.
veraltet Synonym zu Sittenpolizei
Grammatik: nur im Singular
Beispiele:
bei der Sitte sein
jmdn. unter Sitte stellen (= jmdn. unter die Aufsicht der Sittenpolizei stellen)
Denn man stellt einen Lehrer nicht an, dessen Schwester in der gleichen Stadt unter Sitte ist [ G. Hauptm.4,188]
Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)

Etymologie

Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)
Sitte · Unsitte · sittlich · Sittlichkeit · unsittlich · sittsam · Sittenlehre
Sitte f. ‘Brauch, Gewohnheit, (moralischer) Anstand’, ahd. situ (8. Jh.), mhd. site ‘Art und Weise, wie man lebt und handelt, Volksart, -brauch, Gewohnheit, Beschaffenheit, Anstand’ (ursprünglich m., durch häufigen pluralischen Gebrauch bereits spätmhd. f.), asächs. sidu, mnd. sēde, sedde, mnl. sēde, nl. zede, afries. side, aengl. sidu, anord. siðr, schwed. sed, got. sidus (germ. *sedu- m.). Herkunft nicht geklärt. Die übliche Herleitung vergleicht aind. svadhā́ ‘Eigenheit, Eigenkraft, Charakter, gewohnte Art, Gewohnheit’, griech. éthos (ἔθος, aus *ϝέθος, ie. *su̯édhos) ‘Gewohnheit, Brauch, Übung’, lat. sodālis ‘Genosse, Kamerad, Gefährte, Mitglied einer Gemeinschaft’ und geht von ie. *su̯ē̌dh- aus, in dem eine Bildung zum Pronominalstamm ie. *seu̯e- (s. sich) gesehen wird. Dagegen erklärt Wissmann in: Münchener Studien zur Sprachwiss. 6 (1955) 129 das stammhafte i in aengl. sidu und anord. siðr für alt (also nicht aus e hervorgegangen). Aus dem gleichen Grunde lehnt Trier Lehm (1951) 41 die oben vorgetragene Etymologie (also auch die Verbindung mit griech. éthos) ab und schließt die germ. Formen von Sitte an die unter Saite und Seil (s. d.) behandelten Substantive an, so daß Sitte (im Ablaut zu Saite stehend) als ‘Verbindendes, Bindung’ gedeutet werden kann. – Unsitte f. ‘Anstand und Benehmen Zuwiderlaufendes’, ahd. unsitu (9. Jh.), mhd. unsite ‘üble Gewohnheit, Aufgebrachtheit, Zorn, unfeines oder grobes Benehmen’. sittlich Adj. ‘der Sitte, Moral entsprechend, moralisch’ (15. Jh.), ahd. situlīh (um 800), mhd. sitelich ‘dem Brauch gemäß, ruhig, milde, bescheiden, anständig’. Sittlichkeit f. ‘Wohlanständigkeit, Moral’ (Anfang 16. Jh.). unsittlich Adj. ‘unanständig, anstößig, unmoralisch’, ahd. unsitulīh (um 800), mhd. unsitelich ‘ungehörig, unziemlich, unpassend’. sittsam Adj. ‘brav, ehrbar, geziemend’ (15. Jh.), ahd. situsam ‘passend, geeignet’ (8. Jh.). Sittenlehre f. ‘Lehre von den Sitten, der Moral und Ethik, Moralphilosophie’ (17. Jh.).

Bedeutungsverwandte Ausdrücke

Oberbegriffe
  • handlungsleitende Norm(en)
Assoziationen

Brauch · Gepflogenheit · Konvention · Sitte · Usus  ●  Spielregel(n) ugs., fig. · Usance fachspr. · Usanz fachspr., schweiz.
Oberbegriffe
  • handlungsleitende Norm(en)
  • gesellschaftliche Norm · soziale Norm · soziales Skript
Assoziationen

Sittendezernat · Sittenpolizei  ●  (die) Sitte ugs.
Oberbegriffe
  • Ordnungshüter · Polizei  ●  Bullen derb · Bullerei derb · Das Auge des Gesetzes ugs. · Freund und Helfer ugs. · Herren in Grün ugs. · Polente ugs. · Polypen derb, beleidigend · Trachtengruppe ugs. · weiße Mäuse (50er Jahre) ugs.

Typische Verbindungen zu ›Sitte‹ (berechnet)

Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›Sitte‹.

Verwendungsbeispiele für ›Sitte‹

maschinell ausgesucht aus den DWDS-Korpora

In solchen Ländern ist wenig Raum für die Ausbildung verfeinerter Sitten. [Ball, Hugo: Vom Universalstaat. In: Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka, Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1918], S. 1173]
Nur einige wenige Hütten aus ältester Zeit hatten nach orientalischer Sitte keine Fenster gegen die Straße zu. [Werfel, Franz: Die Vierzig Tage des Musa Dagh I, Stockholm: Bermann – Fischer 1947 [1933], S. 46]
Selbst sehr einleuchtende kulturfremde Sitten erweisen sich bei genauerem Nachsehen doch als unverständlich. [Gehlen, Arnold: Urmensch und Spätkultur, Bonn: Athenäum 1956, S. 91]
Dann wäre diese gegenwärtige Sitte geträumte Geschichte wie unsere Sprache. [Heimpel, Hermann: Der Mensch in seiner Gegenwart. In: ders., Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1957 [1951], S. 16]
Jahrhunderte vergingen, bis schließlich die Technik über die alten Sitten obsiegte und die handschriftliche Verbreitung von Texten, weil sie schwerer lesbar waren, sozial inakzeptabel wurde. [C’t, 2000, Nr. 12]
Zitationshilfe
„Sitte“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Sitte>.

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