Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Stalinismus, der

Grammatik Substantiv (Maskulinum) · Genitiv Singular: Stalinismus · Nominativ Plural: Stalinismen · wird meist im Singular verwendet
Aussprache  [ʃtaliˈnɪsmʊs]
Worttrennung Sta-li-nis-mus
Wortzerlegung StalinEigenname -ismus
DWDS-Vollartikel

Bedeutungen

1.
historisch, häufig abwertend Herrschaftsform sozialistischer Staaten in der Mitte des 20. Jahrhunderts (insbesondere während der Herrschaft Josef Stalins in der Sowjetunion als prägendem Abschnitt der Geschichte vor allem ost- und mitteleuropäischer Staaten), die bei plakativem Bezug auf die Lehren von Marx, Engels und Stalin durch Personenkult, totalitäre Machtausübung, auf die Vernichtung ihrer tatsächlichen oder angeblichen Gegner zielende Repressalien usw. gekennzeichnet war
Kollokationen:
hat Präpositionalgruppe/-objekt: Stalinismus in der Sowjetunion, in der DDR
in Präpositionalgruppe/-objekt: Abrechnung mit dem, Abkehr vom, Absage an den, Rückfall in den, Bruch mit dem Stalinismus
als Akkusativobjekt: den Stalinismus kritisieren, erleben
als Genitivattribut: Verbrechen, Bastion, Terror, Verfolgte, Opfer des Stalinismus
in Koordination: Nationalsozialismus, Faschismus, Marxismus, Maoismus und Stalinismus
mit Adjektivattribut: der finsterste, totalitäre, reinste, bürokratische Stalinismus
Beispiele:
Der zweite Faktor, der den Stalinismus und die ganze stalinistische Epoche bestimmte, war für [den Journalisten Gerd] Ruge die Verwurzelung von Stalins Staat und Herrschaft in der zaristischen Tradition von Autoritarismus, Gewalt und Willkür, die dem Diktator als »Sprungbrett« dienten. [Süddeutsche Zeitung, 31.08.2020]
Zu Beginn widmete sich die Gruppierung [Memorial] vor allem der historischen Erforschung des sowjetischen Gewaltregimes, insbesondere des Stalinismus mit seinen Millionen von Opfern. [Neue Zürcher Zeitung, 14.10.2014]
Die Hervorhebung einer Führer‑Persönlichkeit, deren Unfehlbarkeit zum pseudoreligiösen Dogma wird, und deren Allmacht eine Überwachung und Kontrolle aller durch alle zur Folge hat, sind Merkmale, die dem Totalitarismus qua definitionem innewohnen und die Nationalsozialismus und Stalinismus in der praktischen Anwendung perfektioniert haben. [Müller, Christoph: Macht Herrschaft Gewalt? Eine vergleichende Analyse des Herrschaftsbegriffs bei Max Weber und Hannah Arendt. Hamburg: Bachelor + Master Publishing 2014, S. 8]
Als der Stalinismus in Russland blühte, wurden dessen Gegner gern für geisteskrank erklärt. Nur Verrückte, hieß es, wären nicht in der Lage, die phänomenalen Erfolge des Sowjetsystems zu erkennen. [Der Tagesspiegel, 30.03.2011]
In den Blütentraum vom Sozialismus brach der Alptraum des Stalinismus. [Herbst, Andreas [u. a.]: Lexikon der Organisationen und Institutionen. In: Enzyklopädie der DDR. Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1994], S. 8536]
Stalin‑Biograph Dmitri Wolkogonow unternahm den Versuch einer Kurzcharakterisierung des Stalinismus als »pervertierte Theorie und Praxis des Sozialismus, die die Gewalt als universelles Mittel für die Realisierung politischer und sozialer Ziele ansehe«, als »absolute Diktatur der Politik über die Ökonomie, über das soziale und geistige Leben, über die Kultur«, als »Evolution der Diktatur des Proletariats zunächst zur Diktatur der Partei und schließlich zur Diktatur eines einzelnen«. [Berliner Zeitung, 24.03.1990]
2.
Ausprägung des Marxismus-Leninismus in der Zeit des Stalinismus (1)
Kollokationen:
in Koordination: Stalinismus und Bolschewismus, Marxismus-Leninismus, Kommunismus, Sozialismus
Beispiele:
Tausende meiner Genossen sind im Laufe der Geschichte von Anhängern von autoritären Strömungen des Marxismus (Leninismus, Stalinismus, Maoismus) verfolgt, eingesperrt, verletzt, gefoltert oder ermordet worden. [Über DEN Feminismus, 16.06.2014, aufgerufen am 01.09.2020]
Der Idealismus, so die Hoffnung der Revolutionäre, trägt die Gesellschaft weiter und lässt über die Opfer, welche der Wandel unweigerlich fordert, hinwegsehen. Der Marxismus und später auch der Leninismus und Stalinismus boten sich schon bald als erfolgversprechende Theorien an. [Zeit Geschichte, 28.02.2012]
Unter dem Datum des 19. März 1937 erscheint die Enzyklika »Divini Redemptoris« (»Des göttlichen Erlösers«), die keinen Zweifel daran läßt, daß der Vatikan die Sowjet‑Ideologie, ob Bolschewismus oder Kommunismus, Stalinismus, Leninismus oder Marxismus geheißen, scharf verurteilt. [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.08.1994]
Wird der Stalinismus als eine falsche Theorie und Praxis kritisiert, so strebt doch eine solche Kritik gleichzeitig eine Rechtfertigung des marxistischen Denkens an, in dessen Mitte die Kritik der politischen Ökonomie steht. [Die Zeit, 07.05.1965]
Bei allseitiger Betrachtung der Frage kann man, wenn man schon unbedingt von »Stalinismus« sprechen will, nur sagen, daß »Stalinismus« vor allem Kommunismus, Marxismus‑Leninismus bedeutet. Das ist seine Hauptseite. [Archiv der Gegenwart, 2001 [1957]]
[…] was Lenin und Stalin aus seiner [Marx’] Lehre gemacht haben, ist doch etwas anderes, wenngleich die Möglichkeit der Weiterentwicklung Marxens zum Leninismus und Stalinismus zu denken gibt, allerdings nicht nur für Marx, sondern auch für Hegel. [Hirschberger, Johannes: Geschichte der Philosophie, Bd. 2: Neuzeit und Gegenwart. In: Bertram, Mathias (Hg.) Geschichte der Philosophie, Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1952], S. 10598]
3.
selten, abwertend für den Stalinismus (1) und seine Vertreter typische Haltung (2), Idee (1), Äußerung o. Ä.
Beispiele:
Aber da ist ja dieser Stalinismus in der Birne, der nur schwarz und nicht weiss kennt. Da wird höchstens ein offenes und ehrliches Zubewegen auf den Anderen als Verrat »an der Sache« gewertet. [Weißes Dinner, schwarzes Dinner, 20.07.2014, aufgerufen am 01.09.2020]
Für die Euro‑Gegner [unter den schwedischen Sozialdemokraten] ist das Verbot [des Engagements gegen die Währungsunion] nichts anderes als ein Maulkorb, und die EU‑Parlamentarierin Maj Britt Theorin bezeichnete das Verhalten der Parteileitung gar als Stalinismus. [Neue Zürcher Zeitung, 05.05.2003]
In Friedrich Dieckmanns Aufsatz über Ernst Bloch ist vom »Leben im Widerspruch« die Rede. Nicht alle Widersprüche werden beim Namen genannt, und nur ganz schüchtern wird an die beinharten Stalinismen des antibürgerlichen Renegaten gerührt. [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.03.1999]
Alle Absurditäten hat Brigitte Reimann Tag für Tag festgehalten. Da hetzt das 11. Plenum das Kaninchen des Manfred Bieler zu Tode und der Autor Kuba »rülpst Stalinismen«. [Der Tagesspiegel, 24.04.1998]
kunstgeschichtliche Epoche und Erscheinung in der Zeit des Stalinismus (1)
Grammatik: Plural ungebräuchlich
Beispiele:
Wir gehen in die Pekinger Kunstgalerie. Ein Gebäude der fünfziger Jahre, Stalinismus mit chinesischen Zutaten in Form aufgeschwungener Dachkanten. [Die Zeit, 25.08.1989]
Unter dem Moto »Weg mit dem Stalinismus, her mit dem Barock!« will er [der Bühnenbildner] die Fassade des fast 100jährigen Hauses (das erste moderne Theatergebäude Berlins)mit einer Darstellung der Fassade des historischen Hohenzollernschlosses verkleiden. [Bild, 20.05.2005]
Unter den Architekten der Moderne galt Moskau in den 20er Jahren als ein Ort der Verheißung: Noch heute begeistern sich Kunsthistoriker über die kühnen Entwürfe der Avantgarde. Die Bauten des Stalinismus, die neoklassizistischen Monumentalbauten, die seit Mitte der 30er Jahre errichtet wurden, erscheinen demgegenüber als ein Bruch mit diesen verheissungsvollen Anfängen. [Berliner Zeitung, 06.12.2003]
Erst hatte es Kempinski auf den Bau abgesehen: der grandiose Bau aus der Frühzeit des Stalinismus [das »Haus an der Moskwa« in Moskau] als postsowjetisches Luxushotel! Dazu ist es nicht gekommen. Dafür kreist nun seit kurzem der Mercedes‑Stern auf dem Dach. [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.01.2003]
Darf man die Bauten des Stalinismus unterschiedlos jenen der Konstruktivisten gleichordnen? [Der Tagesspiegel, 09.03.2001]

letzte Änderung:

Thesaurus

Synonymgruppe
Bolschewismus · Maoismus · Marxismus-Leninismus · Sozialismus · Stalinismus  ●  Kommunismus  Hauptform
Oberbegriffe
Unterbegriffe
  • Realsozialismus · real existierender Sozialismus · realer Sozialismus
  • Frühsozialismus · utopischer Sozialismus
Assoziationen

Typische Verbindungen zu ›Stalinismus‹ (berechnet)

Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›Stalinismus‹.

Zitationshilfe
„Stalinismus“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Stalinismus>.

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