ziehen
Vb.
‘mit Kraft zu sich her oder hinter sich her bewegen, zerren, zu ganzer Länge ausdehnen, aufziehen, züchten, sich fortbewegen’,
reflexiv
‘sich dehnen, in die Länge erstrecken’;
zusammen mit einem Substantiv dient
ziehen
häufig zur Umschreibung eines Verbalbegriffs,
vgl.
in Zweifel ziehen
‘bezweifeln’
(16. Jh.),
Lehren ziehen
‘lernen’
(18. Jh.);
ahd.
ziohan
(8. Jh.),
mhd.
ziehen,
asächs.
tiohan,
mnd.
tēn,
tīen,
mnl.
tīen,
afries.
tiā,
aengl.
tēon,
anord.
(nur Part. Prät.)
toginn
‘gezogen’,
got.
tiuhan
‘führen’
(
germ.
*teuhan).
Außergerm. vergleichen sich
griech.
dadýssesthai
(
δαδύσσεσθαι)
‘zerrissen werden’,
dé͞ukein
(
δεύκειν)
‘denken, nachdenken, Sorge tragen’,
lat.
dūcere
‘ziehen, schleppen, führen, leiten’,
mkymr.
dygaf
(aus
*dukami)
‘bringe’.
Zugrunde liegt
ie.
*deuk-
‘ziehen’.
Dazu gehören aus dem
germ. Sprachbereich die unter
Zaum,
Zeug,
Zeuge,
zögern,
Zögling,
Zucht,
zucken,
zücken,
Zug,
Zügel
behandelten Wörter sowie auch
Herzog
(eigentlich
‘Heerführer’,
s. d.).
Zum Part. Prät.
gezogen
in der Bedeutung
‘erzogen’
gehört
ungezogen
Adj.
‘unartig, ungehorsam’,
ahd.
ungizogan
‘noch nicht erzogen, unbändig’
(8. Jh.),
mhd.
ungezogen
‘ohne gehörige Bildung, unartig, zuchtlos’.
–
abziehen
Vb.
‘durch Ziehen entfernen, herunterziehen, wegnehmen, weggehen, vermindern, subtrahieren’,
ahd.
abaziohan
(9. Jh.),
mhd.
abeziehen;
Abzug
m.
‘Vorgang, Ergebnis des Abziehens, Weggang, abgezogener Betrag, Vorrichtung zum Ableiten’,
mhd.
abezuc;
abzüglich
Präp.
(besonders in der Kaufmannssprache)
‘mit Abzug von, abgerechnet’
(19. Jh.),
vgl. schon
(
md.)
abezogelich
(15. Jh.).
anziehen
Vb.
‘an sich heranziehen, straff ziehen, Kleidung anlegen’,
mhd.
aneziehen,
auch
‘anklagen, beschuldigen’
(eigentlich
‘etw. als Beweis heranziehen’);
Anzug
m.
‘Vorwurf, Beschuldigung, Anmarsch, Ankunft’
(15. Jh.),
im Anzuge sein
‘im Anmarsch sein, bevorstehen, beginnen’
(16. Jh.),
‘Kleidung’
(Ende 16. Jh.,
geläufig seit 18. Jh.),
dann speziell
‘Jacke und Hose’,
spätmhd.
anzuc
‘Anzug (im Schachspiel)’;
anzüglich
Adj.
‘auf Unangenehmes, Peinliches anspielend, ungehörig, zweideutig’
(16. Jh.),
vgl.
anzügliche und schimpfliche Wort
(17. Jh.),
zu
frühnhd.
anzug
‘Vorwurf, Beschuldigung’
(s. oben);
daneben auch im Sinne von
‘anziehend’
(Anfang 16. Jh.,
noch bei
Goethe).
aufziehen
Vb.
‘durch Ziehen öffnen, in die Höhe ziehen, großziehen, erziehen, eine Feder spannen, ins Werk setzen, necken’,
ahd.
ūfziohan
‘emporziehen’
(um 1000),
mhd.
ūfziehen
‘sich erheben, in die Höhe ziehen, emporheben, auf-, erziehen, fördern, pflegen’;
Aufzug
m.
‘Vorrichtung zum Hochziehen, Hochfahren’,
dann
(ab 17. Jh.)
‘Aufmarsch, Festzug, Prozession’,
mhd.
ūfzuc
‘Vorrichtung zum In-die-Höhe- Ziehen, Aufschub, Anziehung, Einfluß’;
Aufzug
im Sinne von
‘Aufmachung’
(17. Jh.)
ist eigentlich
‘die Art und Weise, wie man vor anderen aufzieht’,
dann eingeschränkt auf
‘Kleidung’;
die Bedeutung
‘Schauspielakt’
(seit 17. Jh.)
stammt aus dem feierlichen Auftritt der Schauspieler zu Beginn eines Aktes.
ausziehen
Vb.
‘herausziehen, in die Länge ziehen, auseinanderziehen, ablegen, aus-, entkleiden, ausplündern, einen Auszug machen, exzerpieren, wegziehen, wegmarschieren, die Wohnung aufgeben’,
ahd.
ūʒziohan
(9. Jh.),
mhd.
ūʒziehen
‘aus-, herausziehen, sich entfernen, in den Krieg ziehen, entkleiden, ausnehmen, befreien’;
Auszug
m.
‘das Ausziehen, Abmarsch, Auswanderung, Teilabschrift, Exzerpt, Extrakt’,
mhd.
ūʒzuc
‘Auszug, Einwand, Widerrede, Ausflucht, Ausnahme’.
beziehen
Vb.
‘auf, über etw. ziehen, (be)spannen, regelmäßig erhalten, in einen bestimmten Zusammenhang bringen’,
reflexiv
‘sich berufen auf, verweisen auf’,
ahd.
biziohan
‘festbinden, über-, zusammenziehen, zusammenfügen, wegnehmen’
(8. Jh.),
mhd.
beziehen
‘zu etw. kommen, erreichen, überziehen, ein Kleid besetzen, füttern, an sich nehmen, einziehen’;
Beziehung
f.
‘Verbindung, innerer Zusammenhang, wechselseitiges Verhältnis, Bezug(nahme), Anspielung, Hinsicht’
(17. Jh.);
beziehungsweise
Konj.
‘oder vielmehr, genauer gesagt, im anderen Fall’
(Mitte 18. Jh.),
älter
beziehlicher Weise
(17. Jh.);
Bezug
m.
‘Bezugnahme, Hinsicht, Beziehung, das Beziehen (von Waren), Überzug’
(Anfang 18. Jh.;
Einzelbeleg
schweiz. 1483);
vgl.
ahd.
bizog
‘Decke’
(Hs. 11./12. Jh.),
mhd.
bezoc
‘Unterfutter’;
bezüglich
Adj.
‘sich auf etw. beziehend’
(vereinzelt 16. Jh.,
häufig seit Ende 18. Jh.);
auch Präp.
(19. Jh.).
erziehen
Vb.
‘jmdn., besonders ein Kind, geistig und charakterlich formen, seine Neigungen und Fähigkeiten entfalten’,
ahd.
irziohan
‘ziehen, aufziehen, erziehen’
(8. Jh.),
mhd.
erziehen,
eigentlich
‘herausziehen’;
die Bedeutung des Verbs steht seit ahd. Zeit
unter dem Einfluß von
lat.
ēducāre
‘auf-, großziehen, ernähren, erziehen’;
Erzieher
m.
(17. Jh.,
vereinzelt
15. Jh.),
Erziehung
f.
(um 1500).
nachziehen
Vb.
‘hinter sich herziehen, fester anziehen, nachzeichnen, verstärken, nachfolgen’,
ahd.
nāhziohan
(um 1000),
mhd.
nāchziehen;
Nachzügler
m.
‘wer verspätet eintrifft, Nachkömmling’,
zuerst (1792) bei
Goethe
im Sinne von
‘hinter dem Heere zurückbleibender Soldat, Marodeur’,
gebildet zu heute nicht mehr gebräuchlichem
Nachzug
‘Nachhut eines Heeres’.
überziehen
Vb.
(in trennbarer Verbindung)
‘ein Kleidungsstück über den Körper ziehen, (über etw. anderes) anziehen’
(17. Jh.);
vgl. die Wendung
jmdm. eins, ein paar überziehen
‘jmdm. einen Hieb, Hiebe versetzen, jmdn. schlagen’
(um 1600);
(in untrennbarer Verbindung)
‘mit einem Überzug versehen, bedecken, bespannen’,
auch
mit Krieg überziehen
‘zum Kriegsschauplatz machen’,
das Konto überziehen
‘mehr abheben, als auf dem Konto steht’;
ahd.
ubarziohan
‘verziehen’
(Hs. 12. Jh.),
mhd.
überziehen
‘über etw. ziehen, an sich ziehen, gewinnen, bedecken, überfallen, besetzen, übertreffen’;
Überzieher
m.
‘leichter Herrenmantel’
(Mitte 19. Jh.),
früher
‘Überziehrock der Männerkleidung’
(18. Jh.);
Überzug
m.
‘auswechselbare Hülle, Bezug, dünne Decke, Schicht, Auflage’,
auch
frühnhd.
überzog
‘Überfall, feindlicher Angriff’
(15. Jh.),
ahd.
ubarzug
‘Kleidungsstück’
(Hs. 13. Jh.).
umziehen
Vb.
(trennbar)
‘in eine andere Wohnung ziehen, den Wohnsitz wechseln, ein anderes Kleid, einen anderen Anzug anziehen, die Kleidung wechseln’
(18. Jh.),
älter
‘herum-, umherziehen, -schweifen, -wandern’
(Anfang 16. Jh.),
(untrennbar)
‘sich um … herumbewegen, ziehend umkreisen, mit etw. rings umgeben, bedecken’,
reflexiv
‘sich bewölken, beziehen’,
mhd.
umbeziehen
‘umgeben, -zingeln, überfallen, herumziehen’;
Umzug
m.
‘das Umherziehen, (feierlicher) Aufzug, Festzug’
(Anfang 16. Jh.),
‘Wohnungswechsel’
(19. Jh.).
verziehen
Vb.
‘durch Ziehen in eine vom Normalen, Üblichen abweichende Form bringen, verzerren, die Wohnung, den Wohnort wechseln, falsch, nicht in der richtigen Weise erziehen, verwöhnen, zu dicht stehende junge Pflanzen herausziehen, vereinzeln’,
reflexiv
‘allmählich weiterziehen und verschwinden, sich (unauffällig) entfernen’,
ahd.
firziohan
‘wegnehmen, entziehen, falsch erziehen’
(8. Jh.),
mhd.
verziehen
‘auseinanderziehen, herausziehen, entfernen, hinziehen, aufschieben, verzögern’;
Verzug
m.
‘Verzögerung, Rückstand im Erfüllen einer Verpflichtung’,
mhd.
verzuc,
verzoc,
auch
‘Einspruch, Einwand’.
vollziehen
Vb.
‘in die Tat umsetzen, ausführen, vollstrecken’,
reflexiv
(seit 19. Jh.)
‘vor sich gehen, geschehen, ablaufen’,
ahd.
fol(l)aziohan
‘unterstützen helfen, vollenden’
(8. Jh.),
mhd.
vol(le)ziehen
‘vollständig ziehen, ausführen, unterstützen, gemäß verfahren, genügen, befriedigen’,
eigentlich
‘etw. bis zum Ende, zum Ziele ziehen’;
Vollzug
m.
‘Verwirklichung, Ausführung, Vollstreckung’,
mhd.
volzuc.
vorziehen
Vb.
‘nach vorn ziehen, hervorziehen, vor etw. ziehen, bevorzugen, lieber mögen, für später Vorgesehenes auf einen früheren Zeitpunkt legen, zuerst in Angriff nehmen’,
ahd.
furiziohan
‘hervorziehen, vorbringen, etw., jmdn. vorziehen’
(10. Jh.),
mhd.
vür-,
vorziehen
(
frühnhd.
für-,
vorziehen)
‘vorführen (Pferd), darlegen, anführen, geltend machen, vorenthalten’;
Vorzug
m.
‘Vergünstigung, Vorteil, Vorrang, Vorrecht’,
mhd.
vürzuc,
vürzoc
(
frühnhd.
Für-,
Vorzug);
auch im Sinne von
‘wertvolle, vortreffliche Eigenschaft, Vorzüglichkeit, gute Seite’
(seit 17. Jh.);
vorzüglich
Adj.
‘hervorragend, ausgezeichnet, vortrefflich’
(18. Jh.).
zuziehen
Vb.
‘durch Heranziehen schließen, zusammenziehen, festziehen, herbeirufen, von auswärts an den hiesigen Ort ziehen’,
sich etw. zuziehen
(z. B. etw. Übles, eine Krankheit,
18. Jh.),
ahd.
zuoziohan
‘anziehen, (die Bogensehne) spannen’
(um 1000),
mhd.
zuoziehen
‘zuziehen, zufügen, schließen, entgegenziehen, jmdm. zusetzen’;
zuzüglich
Präp.
(besonders in der Kaufmannssprache)
‘hinzukommend, hinzuzurechnen’
(20. Jh.),
wohl nach
abzüglich
(s. oben)
gebildet.