Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

fürnehm, adj.

fürnehm adj.,
s. das adj. vornehm. ahd. noch kein furinâmi, aber mhd. vürnæme, fürnæme, in mitteld. quellen vornæme, vornême, d. i. unser heute schriftdeutsches vornehm (s. d.). zusammengesetzt aus dem adv. für und dem mhd. nur in zusammengesetzten adjectiven als letztes wort stehenden næme, das aber ahd. als selbständiges adj. in dem sinne vongenehmerscheint, freilich spärlich genug, denn es findet sich nur O. I, 9, 20 und N. ps. 81, 1, in welcher letzten stelle der comp. gesetzt ist. goth. nêms dagegen kann wieder nur in einer zusammensetzung nachgewiesen werden, nemlich in andanêms, angenehm, wolgefällig, gnädig, von andniman (s. angenehm). fürnehm, bei Dasypodius, Serranus fürnem, bei Frisius, Maaler fürnäm, doch bei dem letzten im superl. fürnembst, bei Henisch fürnemm, fürnem, lebt noch mundartlich, z. b. bair., wetterauisch u. s. w., fort. schriftdeutsch dagegen scheint, nach Stieler 1364, der vornem und nur nebenbei fürnem in der fürnemste herr hat, bereits in der zweiten hälfte des 17. jh. vornehm vorherschend. doch verzeichnet noch im 18. jh. Dentzler 118ᵇ nur fürnemm, fürnem, und Kirsch zieht, indem er bei vornehm auf fürnehm kurz verweist, offenbar dieses vor. Rädlein und Weismann führen fürnehm wie vornehm an, und Steinbach 2, 134 setzt eben so wol das eine als das andere, jedoch bei Nieremberger wiegt vornehm vor, und Hederich (1753), der sp. 991 fürnehm oder vornehm hat, verweist zwar bei vornehm sp. 2542 auf fürnehm, fügt aber die bemerkung bei: schreib aber doch auch lieber vornehm, dafern du vor und für nicht allerdings mit vielen für eins ansehen wilst. damit stimmt auch der sonst immer Kirsch nachtretende Matthiä, wenn er in der ersten auflage seines lexicons (1748) 2, 152ᵃ unter fürnehm die form vornäm als richtiger bezeichnet, was er auch in der dritten auflage (1761) 2, 160ᵇ, in der er vornehm schreibt, beibehält, doch gleich zu anfange des artikels „fürnehm, vornehm“ setzt. Weber deutsch-lat. universalwb. 319 verweist bei fürnehm ohne weiteres auf vornehm. Heinrich Braun in seinem deutsch-orthographischen wb. 105ᵇ bezeichnet jenes als falsch, und Heynatz antibarb. 1, 435 verwirft es geradezu. überhaupt führen in den beiden letzten jahrzehnten des 18. jh., wie schon vor der mitte desselben Frisch 2, 13ᵇ und später Adelung, fürnehm gar nicht mehr an, und schriftsteller setzen es, wie unten die beiden stellen von Schiller (aus Wallensteins lager) zeigen, fast nur noch in volksmäsziger rede. als schriftdeutsch gültig wird in und seit jenen jahrzehnten allein vornehm angesehen. Bedeutungen:
1)
sich voraus nehmend, verwegen.
ob ich euch gern zu hilfe kem,
man sprech (würde sprechen), ich wer selbs also furnem,
die fursten wurden mir gehasz.
fastnachtsp. 548, 32.
2)
vor anderen oder anderem ansehnlich, vorzüglich, ausgezeichnet, hauptsächlich. furnemer oder meisterlicher, autenticus. voc. theut. v. 1482 i 6ᵇ, in demselben sinne aber in einem vocab. v. j. 1419 fürgenæm (s. Schmeller 2, 693). der fusz beneidet och das herz nit, welches gar ein fürnemer ampt hat weder er. Keisersberg pred. (Straszb. 1508) 110ᵃ; ich. wil den bogen Elam zubrechen, jre furnemeste gewalt. Jer. 49, 35, in der vulgata summam fortitudinem eorum; und hilet jn fur seinen furnemesten freund. 1 Macc. 11, 27; es war der furnemesten schriftgelerten einer Eleasar. 2 Macc. 6, 18; dis ist das furnemest und gröste gebot. Matth. 22, 38; das furnemest gebot fur allen geboten ist das. Marc. 12, 29, vgl. v. 28; die furnemen artikel. Melanchthon an Albrecht ep. 7; dieses soll das furnemist end und ziel seyn loblicher regierung. dessen anrichtung der lat. schul b 1ᵃ; wie wol nu die gemelten ursachen die furnemisten sind. b 2ᵃ; diser punct ist stracks wider den fürnembsten und haupt grund des Luthers und aller lutrischen. Eck christenl. underricht 14ᵇ; es seind vier fürnemme wind. Frank weltbuch 3ᵃ; die euphonia, das ist des lauts wolstand und lieblicheyt, die diser ding fürnämste meisterin und lererin ist, soll hie auch gelten. Ickelsamer gramm. C 5ᵇ; die fürnembsten nomina. Mich. Neander bedenken 20ᵇ;
dann er (es ist Jesus gemeint) ein gar fürnemmer man
der uns und andren helffen kan.
Funckelin Lazarus B 1ᵃ;
er war der weisest und fürnemmest auff das kriegen. buch d. liebe 281, 1; fürneme, glaubwirdige, bewerthe scribenten, scriptores classici, autores. Henisch 1302, 50; ein fürnehmer gelehrter mann. Olearius pers. rosenthal 4, 4 u. 7, 19, an der ersten stelle in der ausg. von 1775 erklärend geändert in ein angesehener gelehrter; o tod wie bitter bist du einem reichen menschen? das ist das fürnehmst, mit welchem sich die übelgewunnene reichthum peinigen. Schuppius 699; der furnehmste sinn, das gesicht. Butschky Patmos 392; es ist meine fürnehmste sorge, nihil mihi antiquius aut prius. Kirsch (1723) 2, 125ᵃ. noch bair. ein fürnehmer ochs, brantwein, rock u. s. w., ein vortrefflicher. Schmeller 1, 693. in der Zips fürnæm, fie'næm, schön. Schröer nachtr. 27ᵃ.
3)
äuszeres ansehen habend, ansehen und würde habend, das was ansehen und würde gibt habend. so volksmäszig:
spreizen sich, werfen sich in die brust,
thun als wenn sie zu fürnehm wären,
mit dem bauer ein glas zu leeren.
Schiller 320ᵃ.
insbesondere: an rang oder stand hoch angesehen, von rang oder stand hochstehend. und Asarja der priester, der fürnemest im hause Zadok. 2 chron. 31, 10; und die zal der fürnemesten veter unter den starcken kriegern war zwey tausent und sechs hundert. 26, 12; Michael der furnemesten fursten einer. Dan. 10, 13; und nam der furnemesten leute kinder zu geisel. 1 Macc. 9, 53; der furnemesten weiber nicht wenig. apostelgesch. 17, 4, in der vulgata mulieres nobiles; mit den heubtleuten und furnemesten menner der stad. 25, 23. orchestra, die brüge oder platz mitten im schawhausz, theatro, auff welchem die fürnemesten herren und rathsleüt ihre sitze hatten und auff welchem auch die spilleüt jre geberden und übung triben. Dasypodius 163ᶜ und danach mit einigen unwesentlichen abweichungen Serranus dict. r 1ᵃ, der fürnembsten schreibt. principalis, das dem fürsten zu gehört, fürnem, fürstlich. Serranus dict. t 7ᵃ.
bey Jove dem fürnembsten gott.
Spreng Ilias (1610) 91ᵇ;
wann fürnehme und frembde leut ihn besucht haben. Schuppius 149; die fürnembste in patria beförderen und haben ihren anhang. 548; fürnehme herrenheuser. Butschky Patm. 424, wo fürnehme zu herren gehört. führnehmste stadt, hauptstadt. Rädlein 313ᵃ. früh nhd. wird fürnehmer auch als ehrenwort in dem titel eines rathsmitgliedes, eines bürgermeisters gesetzt:
ihr edln weisen und fürnemen (anrede an Roms rathsherrn),
eurm ampt und stand will gezemen
auff gmeine statt (stadt) zu geben acht.
Ayrer 1, 78ᶜ.
später in dem titel eines kaufmannes, eines groszhändlers (Stieler 1364), noch in der zweiten hälfte des 18. jh. eines fürstlichen fechtmeisters, eines kauf- oder handelsmannes. s. die adjective vornehm und wohlfürnehm.
4)
äuszeres ansehen zeigend, würde und ansehen zeigend, das was würde und ansehen eigen ist an sich habend. so bei Schiller 324ᵃ (Wallenst. lager 7) in volksmäszig gehaltenem ausdrucke:
mit dem helm da und wehrgehäng
schlieszt er sich an eine würdige meng,
musz ein fürnehmer geist jetzt in ihn fahren.
insbesondere: hohen rang oder stand im äuszern zeigend, sich hohes ansehen gebend, das was hohem ansehen eigen ist an sich habend. fürnehmes leben, fürstliches brod. volksmäszig als überschrift eines abschnittes in Auerbachs frau professorin.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 4 (1871), Bd. IV,I,I (1878), Sp. 774, Z. 36.

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Zitationshilfe
„furnem“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/f%C3%BCrnem>.

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