Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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fürsitz, m.

fürsitz, m.,
s. vorsitz.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 4 (1871), Bd. IV,I,I (1878), Sp. 825, Z. 74.

vorsitz, m.

vorsitz, m.,

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erst nhd., zu vorsitzen, vielleicht unter dem einflusse von praesidium (ztschr. f. dt. wortf. 4, 132), s. aber unter vorsitzen vor 1, gebildet: primae der fürnemest theil oder ort, der vorzug oder vorsitz Calepinus dict. XI ling. (1598) 1152ᵇ; vorsitz, m., das oben ansitzen Hulsius-Ravellus (1616) 390ᵃ; praesidium der vorsitz Corvinus fons lat. (1646) 761; vorsitz, praegressio, praerogativa, vulgo praecedentia Stieler 2037; presidenza, primo seggio Kramer t.-ital. dict. 2 (1702) 826ᵇ; primus accubitus Dentzler clavis ling. lat. (1716) 338ᵃ; prior locus Steinbach 2, 584; vorsitz am tisch, locus primus oder prior sedes; vorsitz in einer disputation, praesidium, Frisch 2, 282ᵃ; Adelung; Campe.
1)
zur bezeichnung von rang und ehrung bei der anweisung der sitzplätze bei tisch oder einer versammlung irgend welcher art; besserer sitz, als ein anderer, hat oder prägnant der beste, vornehmste sitz: προεδρία prima sedes, vorsitz Frischlin (1586) 230ᵃ; Fryburg und Solothurn gaben diser loblichen und freyen statt platz und den vorsitz Stumpf Schweizerchron. (1606) 715ᵇ. vorsitz, 'der zustand, da man oben an sitzt oder dem range nach über andern sitzt' Krünitz öcon. encycl. 231, 450; welcher aber von einem verräther oder tyrannen rach nimbt, wirt auch von jederman mit dem vorsitz verehret Xylander Polybius (1574) 106; da doch hiebevor zween geistliche väter in einer kirche nur desz vorsitzes halber ein ... blutbad angestellet Grimmelshausen Simpl. 344 ndr.; bey dieser mahlzeit hatte Thusznelde, umb wegen des vorsitzes alle schwierigkeit zu verhüten, ... eine bundte reye zu machen anlasz gegeben Lohenstein Armin. (1689) 2, 127ᵃ; obenan sitzt der herr von Rand mit seiner fräulein nichte ... dem kann man schon den vorsitz lassen Meisl theatr. quodlibet (1820) 1, 122; auch den vorsitz und vortrunk (erkenne ich deinem geschlechte zu) Freytag (1886) 9, 241; der gesandte des herzogs von Troppau und Jägerndorf ... (forderte) den vorsitz vor dem Teschener rath Arnold verh. d. schles. fürsten u. stände 5, 344 Palm;
nie beim fest den vorsitz nehme,
dasz nicht, kömmt ein gröszrer jetzt,
dich der wirth vor ihm beschäme
Brentano (1852) 1, 397.
freier: das redlin füren den vorsitz, vorlauff, oder das primat haben Seb. Franck sprüchw. (1541) 1, 161ᵇ; vorsitz — nachsitz: da man in einem kreyse herum stünde und ohne vor- oder nachsitz den vortrag thäte Chr. Weise polit. redner (1677) 930.
2)
gewöhnlich aber im entwickelten nhd. von der stelle innerhalb einer beratenden, richtenden oder sonst irgendwie verhandelnden versammlung, von der aus die verhandlung geleitet wird. wenn das wort von hier aus auf versammlungen anderer art, z. b. gesellige, angewandt wird, so kann natürlich auch damit die vorstellung des ersten, des ehrenplatzes sich verbinden.im allgemeinen ist zum gebrauch zu beachten, dasz der eigentliche sinn ganz verblassen kann.
a)
in welchen (konzilien) dem christweltlichen oberhaupt in alle weg der vorsitz von rechts wegen und alten herkommen gebühret Dannhawer katech.-milch (1657) 3, 158; da er ihm nemlich den vorsitz bey dem fürstentage anvertrauete Lohenstein George Wilhelms lobschrifft (1679) j 5; der vorsitz über die gerichte in Nürnberg Nicolai reise (1783) 1, 207; der ihm im vorsitz des ordens folgte, Siegmund Betulius Gervinus gesch. d. dt. dicht. (1853) 3, 295; (während ich) dem grafen Roon den vorsitz im staatsministerium abgetreten hatte Bismarck ged. u. erinn. 2, 179 volksausg.;
kraft den gegnern entgegen und in der versammlung den vorsitz
Herder 26, 179 S.
b)
häufig ist die verbindung unter dem vorsitz, wobei an stelle des eigentlichen sinnes die vorstellung der leitung einer verhandlung getreten ist: unter jemandes vorsitze disputieren Adelung; den unedlen gab er eilf andre bürger unter dem vorsize eines edelmanns zu richtern Haller Alfred (1773) 49; unter dem vorsitze eines von beiden theilen erwählten ... obmanns Möser (1842) 3, 277; gericht, das unter dem vorsitz Apolls und Minerverns zu Athen von den furien über ihn gehalten wurde Schiller 6, 252 G.; versammlungen der tribus ... unter regelmäszigem vorsitz, sicher aber nicht des consuls Niebuhr röm. gesch. (1811) 1, 403; das vorparlament unter des braven Mittermaiers vorsitz A. Ruge briefw. u. tageb. (1886) 2, 41; zu diesen unter dem vorsitz des königs gehaltenen berathungen Bismarck ged. u. erinn. 2, 54 volksausg.;
nur ausgesetzt hat er der sach entscheidung
auf einen reichstag unter seinem vorsitz
Rückert (1867) 10, 84.
übertragen auf eine zusammenkunft, gesellschaft anderer art: diese gesundheit wurd unter dem vorsitz des herrn v. W. — geblasen Hippel lebensl. (1778) 1, 513.
c)
unter den verbalen wendungen sind einige durch häufigen gebrauch fest geworden.
α)
den vorsitz übernehmen: ihres geistlichen charakters halber hielt es der nuntius für angemessen den vorsitz in derselben (versammlung) zu übernehmen Ranke (1867) 4, 25; ungewöhnlich: R., den vorsitz nehmend, forderte die streitenden parteien auf, ihre sache zu führen Fontane ges. romane u. nov. (1890) 7, 29.
β)
häufig den vorsitz haben: in disem synodo hat Sigfrid ertzbischoff zu Meyntz den vorsitz Stumpf Schweizerchron. (1606) 329ᵃ; der weiseste ... hatte den vorsitz und die leitung Haller Usong (1771) 123; der schreyer hat oft den vorsiz darin (in einem gericht) Klopstock gelehrtenrep. (1774) 90; der regierende schultheisz hat den vorsitz im kleinen und im gesammten rath grafen zu Stolberg (1820) 6, 208; wenn der könig nicht persönlich den vorsitz hatte J. Grimm kl. schr. 1, 11;
einen rath
der landesverwaltung, dessen vorsitz hat
Diego, mein bruder
Rückert (1867) 10, 524.
freier: bey diesen prächtigen spielen ..., wo die damen den vorsitz hatten Adelung magaz. für d. dt. spr. (1783) 2, 4, 67.
γ)
in der häufigen wendung den vorsitz führen ist das verblassen der eigentlichen bedeutung von vorsitz besonders deutlich: ein herzog hatte damals in friedenszeiten landtage zu halten, den vorsitz darauf zu führen d. neueste aus d. anm. gelehrs. (1751) 3, 679; (rat,) worin der bevollmächtigte minister des kaisers den vorsitz führte G. Forster (1843) 3, 191; wir hoffen, mylord, ihr werdet in diesem ausschusz den vorsitz führen Raupach dram. w. ernster gattung (1835) 16, 97; ihre (der stadt Thorn) bürgermeister führten den vorsitz im gemeinsamen rath der städte Freytag (1886) 11, 4.
δ)
vorsitz führen auf zusammenkünfte anderer art bezogen: nun fiel das gespräch auf das zwiefache hochzeitsfest; frau W. führte dabei den vorsitz Pfeffel pros. versuche (1810) 4, 89; (kaffee,) bei dem Hedda den vorsitz führte Spielhagen (1877) 3, 33. — so kann den vorsitz führen überhaupt den sinn der leitung, führung haben: daran seyd ihr selbst schuld, indem ihr den vorsiz bey dem kampf nicht besser füret Heilmann gesch. d. pelop. krieges (1760) 356; die zwölf sonnen, die über die zwölf monate den vorsitz führen G. Forster (1843) 9, 317; freilich aber führten daselbst (in Athen) auch nicht, wie bei uns, die weiber den vorsitz Schopenhauer 4, 427 Gr.
ε)
wenn auf verbände bezogen, ist die meinung, dasz der verband durch einen vertreter den vorsitz führt: Nassau, ein neufürstliches haus erhielt ... den vorsitz in dem fürstenrathe des Rheinbundes Treitschke hist. u. polit. aufsätze (1886) 1, 152; dasz in diesem ausschusse Preuszen den vorsitz führt Bismarck polit. reden 4, 228.
3)
vorsitz in übertragener, ganz verblaszter bedeutung im sinne von vorrang, vorzug; es kann natürlich auch die erste stelle, die gebietende gemeint sein, übergehend in die bedeutung 2, s. z. b. unten den beleg aus Klinger.
a)
in geschäftlicher vorstellung: priorität, vorgang, vorsitz, vorzug 'kommt mehrentheils in den concurssachen vor, wann viele creditores miteinander streiten, welcher vor dem andern solle bezahlet werden' Sperander (1727) 507; vgl. vorsitzgerechtigkeit unter 5.
b)
in allgemeiner anwendung, in älterer sprache häufig, dann aber veraltend: würde sie (die deutsche sprache) kurtzkünftig allen fremden sprachen an mänge, zier löblicher schrifften den vorsitz abdringen Birken fortsetz. d. Pegnitzschäferey (1645) ):( 3ᵃ; enträumest du der freundschafft über der liebe den vorsitz? Lohenstein Armin. (1689) 2, 24ᵇ; vgl. 2, 8ᵇ; der himmel zeugte durch den vorsitz der sonne ..., dasz auch auff der erde ... müsse ... über die geringern ein haupt seyn 1, 1083ᵃ; (das bier) dem weine ... gerne den vorsitz vergonnet Abr. a s. Clara etwas f. alle (1699) 1, 630; zu glauben, dasz die gerechtigkeit nicht den vorsitz bey der austheilung des glückes habe Klinger (1809) 3, 6;
der vorsitz ist den läusen für flöhen wol erlaubt,
die, wie die flöh im busen nicht wohnen, nur ums haupt
Logau sinnged. 201, 79 E.;
glückselge stadt!
die ihr gethürmtes haupt bis durch die wolken strecket,
in aller welt den vorsitz hat
Lohenstein Ibrahim sultan (1680) s. 3;
dein recht macht Wien zum vorsitz aller welt
H. v. Hoffmannswaldau u. a. Deutschen ged. (1697) 3, 280;
gesundheit! vor allen gaben ...
nimmst du mit recht den vorsitz ein
Ebert episteln u. verm. ged. (1789) 237.
4)
platz jemandem gegenüber: to vorsitt sitten, dem ehrenplatze des brautpaares beim hochzeitsessen gegenüber; platz des pastors und des küsters Mensing schlesw.-holst. wb. 5, 479.
5)
als erstes glied in zusammensetzungen:
vorsitzehre f.,
praeferantia, seu potius praerogativa sessionis Stieler 360. —
vorsitzgerechtigkeit f.,
in besonderer juristischer anwendung: praelatio unius ex liberis in successione bonorum individuorum Haym t. jurist. lex. (1738) 1286; vgl. oben 3 a; quod imprimis in silva Hercynia, auffen Schwartzwald, observatur, daselbst der jüngste sohn, vel in defectu filiorum die ältiste tochter die vorsitzgerechtigkeit hat Speidel notabilia (1634) 253. —
vorsitzstreit m.,
contentio ob praecedentiam Schottel t. haubtspr. (1663) 449;
vorsitzstreitigkeit f.
in gleichem sinne 705; vorsitzstreit Stieler 2209; beide wörter bei Campe.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 10 (1938), Bd. XII,II (1951), Sp. 1584, Z. 70.

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„fürsitz“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/f%C3%BCrsitz>.

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