Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

fürwahr

fürwahr
in wahrheit, wahrlich, in der that, profecto. ein betheuernd oder doch bekräftigend gesetztes adv., das erst mhd. auftritt, wo es vür wâr und vür wâre lautet, von welchen jenes erste aus der praep. vür mit dem ohne endung gesetzten acc. sg. neutr. des adj. wâr, nhd. wahr, gebildet ist, das letzte aus demselben vür mit dem accusativ des von diesem adj. abgeleiteten ahd. weiblichen subst. wâra, wahrheit, das in ähnlichen adverbialen verbindungen, wie in wâru, in wâra, in wahrheit, zi wâru, zu wahrheit d. i. auf wahrheit, vorkommt und mhd., wo es aber auszer diesen verbindungen mit den praepositionen vür, in und ze, ahd. zi, nicht erhalten blieb, wâre lauten musz. beide hiernach verschieden entstandene betheuernde verbindungen, die mit dem adj. gebildete vür wâr, für wâr, mitteld. vorwâr (Jeroschin 4491), und die mit dem subst. vür wâre, für wâre, mitteld. vorwâre (Jeroschin 9722 und s. Pfeiffer s. 312), flossen in unserm nhd. fürwahr zusammen. für, mhd. vür, hat hier die unter diesem worte I A 4) b) β) oben spalte 625—626 gegebene bedeutung, und jene mhd. vür wâr, vür wâre stehn elliptisch, etwa statt ich spriche vür wâr oder vür wâre, ëʒ ist vür wâr oder vür wâre geseit, ëʒ sî vür wâr oder vür wâre geseit, ëʒ ist vür wâr oder vür wâre gejëhen, ëʒ ist vür wâr oder vür wâre erkant, welche vollständigen redensarten sich aus stellen erschlieszen lassen, in denen vür wâr, vür wâre zu einem verbum gesetzt sind:
durch dorne und durch gedrenge
sô vuor ich allen dën tac,
daʒ ich vür wâr wol sprëchen mac
daʒ ich sô grôʒ arbeit
nie von ungeverte erleit.
Iwein 270;
wan ich sagt ëʒ vür die wârheit:
wand ëʒ was mir vür wâr geseit.
2980;
ouch sî iu daʒ vür wâr geseit.
6997;
diu buoch sagent uns vür wâr,
ein tac sî dâ tûsent jâr.
Vridanc 4, 7;
mir ist niht für wâr gesagt
wie vërr dâ zwischen wære.
Parz. 792, 14;
man muose ouch mir für wâr dâ jëhn
daʒ nie schœner mannes bilde wart.
497, 28;
daʒ nie von rîters hant geschach
mir grœʒer nôt, für wâr ichʒ weiʒ,
dan von iu, sprach dër von Kanvoleiʒ.
749, 13;
daʒ wiʒʒet sicherlich für wâr.
Heinrichs Tristan 2448;
daʒ ër in alsô hêt erslagen:
daʒ wil ich iu fur wâre sagen.
Wigalois bei Benecke 2001, bei Pfeiffer 55, 17 für wâr.
sieh hierzu auch die oben sp. 627 angeführten mhd. stellen. in diesen und allen hier geht vür wâr von der bedeutungals wahraus und schlägt in die vonwahrhaftig“, in so fern dieses bekräftigend und betheuernd gebraucht wird, über; eben so würde vür wâre in solcher stellung von der bedeutungals wahrheitausgehn und in die des bekräftigenden und betheuerndenin wahrheitüberschlagen. zur bekräftigung und betheuerung aber in dem sinne von: in wahrheit, wahrhlich, in der that, treten als verkürzungen jener redensarten die wie einschaltungen erscheinenden bloszen vür wâr, vür wâre erst recht hervor:
vereitet ist daʒ vëlt, verhouwen ist dër walt:
wan dan daʒ waʒʒer fliuʒet als ëʒ wîlent flôʒ,
für wâr ich wânde mîn unglücke wurde grôʒ.
Walther 124, 12;
wær ich gewësen vür wâr
bî dëm brunnen zëhen jâr,
ichn begüʒʒe in nimer mê.
Iwein 675;
done was sîn alter vür wâr
niuwan ahtzëhen jâr.
6353;
mîn leu vert mit mir durch daʒ jâr:
ich ënheiʒ in vür wâr
niemer von mir gân
und sihe in gërne bî mir stân.
6702;
ëʒ ist nu ime dritten jâr,
daʒ ër sun und wîp verlôs vür wâr.
Parz. 66, 8;
si sante im mêr dennoch für wâr,
daʒ niemen möhte vergëlten.
519, 24.
mitteld. mit vor statt für:
ein bilde aldâ vorwâre
stûnt ûf dëm altâre.
Jeroschin 9815;
ouch in dëm sëlbin jâre
als ich hôrte vorwâre,
zu Mergenburg (Marienburg) ër Gêrhart
dës dûtschin ordins brûdir wart.
19551.
s. Pfeiffers Jeroschin s. 312 und vorwahr. verstärkt steht dann der ausdruck noch mit beigefügtem âne liegen, ohne lügen (infinitiv), und âne lügene, mitteld. âne logene, ohne lüge:
disiu âventiure,
diu ist scharpf und ungehiure
für wâr und âne liegen.
hêrre, in kan niht triegen.
Parz. 557, 28.
daʒ man iemer mêre
wunder dâ von sagen mach
unz an dën jungisten tach
âne logene fur wâr.
Eneide 348, 1 in der Müncher und Heidelberger hs., bei Ettmüller vor wâr.
wie aber mhd. vür guot sich zu verguot abschwächt, so auch vür wâr zu verwâr:
verwâr die kërzen truogen
mit zuhten und mit fuogen
rîter und juncfrouwen.
Heinrichs Tristan 2551.
s. verwahr. nhd. ist fürwahr beliebter ausdruck geblieben: fürwar, utique, presto i. e. provero, procerto, quinetiam. voc. theut. 1482 i 8ᵃ. furwar du bist ein verborgen gott, du gott Israel der heiland. Jes. 45, 15; furwar er trug unser kranckheit und lud auff sich unser schmertzen. 53, 4; das weis ich aber furwar, wer gott dienet, der wird nach der anfechtung getröst. Tob. 3, 22; da aber der heubtman sahe, was da (bei dem verscheiden Jesu) geschach, preiset er gott und sprach: furwar, dieser ist ein fromer mensch gewesen. Luc. 23, 47;
si sprach: mein mann thet ubel schelten.
die alt fraw sprach: bey dreiszig jaren
hab ich kein fluch von meim erfaren,
fürwar, wolan, ist all sein schwern.
fluchen thut er seim hauszgsind wehrn.
H. Sachs I (1590), 335ᵇ;
ich sagt: ach nein fürwar.
II (1591). 2, 42ᵇ;
für war, es ist zu leiden pöse,
dasz er sein gekose
mit Fridraunen hat.
fastnachtsp. 453, 11;
fürwar mein gut gesell, ich hab nicht viel zehrpfennig. Wickram rollwagenb. 37ᵇ; mag auch ein mensch auf erden leben, der in allem allen recht thu unnd gefalle? fürwar keiner. Kirchhof wendunmut 226ᵃ. scilicet ita res est, fürwar, gewüsszlich, im ist also. Frisius (1556) 1186ᵇ und danach Maaler 151ᵇ. als Laureta zu Reinharten kam, sprach sie: wisset ihr nicht zu weisen, wo ich den ritter finde? fürwar, sprach Reinhart, ich glaube ihn doch nicht auffgestanden seyn. buch d. liebe 241, 2. fürwar sagen in gleichem sinne mit bekräfftigen s. Henisch 1314, 5.
als wann allein du ordnung helst,
wir andern nicht: fürwar du fehlst,
bist auch noch nicht der oberst Hans.
weist nicht, dasz niemalen kan haben
ein land von ihm selbst jede gaben:
India gibt ebenholtz fürwar,
ausz Saba kompt der weyrauch dar.
dann wie der apostel von der frombkeit redet: sie haben ein gestalt der frombkeit, aber dessen tugend verlaugnen sie. also fürwar werden etliche gefunden, welche stattlich bossen treiben, aber gar nicht verständiger seyn. 742 (eine seite, auf der das wort sich dreimal findet);
ich hab aufs wenigste gethan, was mir gebührt,
und es an meinem fleisz fürwahr nicht lassen fehlen.
Brockes bethl. kinderm. (1742) 4, 32;
nein, ich weis, fürwahr ich weis,
Heraklit behält den preis.
Gottsched ged. 2, 214;
fürwahr der kranke bebet
vor grausern träumen nicht.
Kretschmann klage Ringulphs 67;
dreyhunderttausend rheinsche gulden
sind auch fürwahr kein katzensprung!
Burmann fab. 152;
stund und tag und woch und jahr
fliehn wie augenblicke,
lustig, lustig, denn fürwahr
keiner kehrt zurücke!
dessen auswahl 128;
fürwahr ich thäte selbst, wenn ich Cytheren hätte,
was Phöbus jetzo thut — er geht mit ihr zu bette.
Kästner bei Gotter ged. 1, 37, anders und ohne fürwahr Kästner verm. schr. (1773) 2, 263;
all dieser prunk, all dieser tand, ...
sie sind fürwahr nicht éines kusses,
den du mir damals gabest, werth.
Gotter 1, 20;
die schönen sind fürwahr geplagt
in tiefen und auf höhen.
87;
dein saubrer bub und du dürft euch
fürwahr gewaltig brüsten:
es ist ein wahrer heldenstreich
ein weib zu überlisten.
Blumauer Aeneis 1, 141;
fürwahr es sind die augen einer todten,
die eine liebende hand nicht schlosz.
Göthe 12, 218;
aber ihr brauchtet wohl auch nur wenig zeit zur entschlieszung?
denn mich dünket fürwahr, ihm ist so schwer nicht zu folgen.
40, 326;
ja, des vaters spott hat tief mich getroffen: nicht, weil ich
stolz und empfindlich bin, wie es wohl der magd nicht geziemet,
sondern weil mir fürwahr im herzen die neigung sich regte
gegen den jüngling, der heut mir als ein erretter erschienen.
329;
fürwahr sie sitzt so treulich und herzlich da (in dem bild). Göthe in Bettine briefw. 2, 132;
sprecht Ihr im traum?
fürwahr! man wird ihn höflich noch drum bitten,
die reichste erbin in Europa zu beglücken
mit seiner hand.
Schiller 349ᵇ (d. Picc. 3, 8);
fürwahr! dér ruhm war wohlfeil zu erlangen.
428ᵇ (M. St. 3, 4);
läg ich in meiner stillen gruft! fürwahr!
ich bin des lebens und des herrschens müd.
437ᵇ (4, 9);
ihr wagtet euch bis in des tigers höhle? ...
fürwahr das glück war eurer kühnheit hold.
528ᵃ (Tell 2, 2);
in zeiten allgemeiner drangsal ist
fürwahr der könig der bedrängteste,
auf den sich jeder wirft in seiner noth.
Uhland Ludwig 283;
eine arme dienstmagd bin ich zwar,
doch will ich nur trocken rinden fürwahr!
elsäss. volkslied, in August Stöbers elsäss. volsbüchlein s. 88.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 4 (1871), Bd. IV,I,I (1878), Sp. 927, Z. 39.

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Zitationshilfe
„furwahr“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/f%C3%BCrwahr>.

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