Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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forchtsam

forchtsam,
pavidus: o die kinder singen oft, wie einer durch ein finsteren wald, mit forchtsamer freud und freudiger forcht, das eine innerlich, das ander euszerlich. Garg. 73ᵇ.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 8 (1860), Bd. III (1862), Sp. 1889, Z. 28.

furchtsam, adj.

furchtsam, adj.
1)
so aussehend dasz es in furcht setzt, beschaffen oder geeignet in furcht zu setzen, gefürchtet. ahd. noch nicht nachgewiesen, aber mhd. wird vorhtsam, vorhtesam, das bereits im 12. jh. erscheint, geläufig. s. Ben. 3, 385.
ër was ein forhtsamer (= gefürchteter) man:
dës was im slëht undertân
rômisch lant und rômisch mark.
Dietrichs ahnen 2499.
nhd. e. f. g. sol das bedencken, das gott in der gantzen schrifft keinen heidnischen könig noch fürsten je hat lassen loben, so weit und lang die welt gestanden, sondern allzeit mehr straffen lassen, das ist ein gros furchtsam bild allen oberherrn. Luther 1, 499ᵇ (ausleg. des magnificat); darumb wehe allen denen, die sich nicht fürchten, und jre sünde nicht fülen, und sicher einher gehen, gegen dem furchtsamen gericht gottes, für welchem doch kein gut werck gnugsam sein kan. 3, 2ᵃ; ein verweser der ... frembden thieren furchtsam seye, zu verordnen. Kirchhof wendunmuth 63; diesemnach solten so vil traurige ausbrüche alle machiavellische schrifften den regimentspersonen verleiden, furchtsam und abscheulich machen. Butschky Patmos 525, vgl. meuchellistig;
das lager, wo ihr ruht, sey wie ein stilles Gosen,
an eurem himmel steh kein furchtsamer comet.
mitten in der nacht an einem wüsten und furchtsamen orthe. Plesse 1, 17; dasz ich mich zu meiner Leen in ihr bette des nachts begab, hierzu reizte mich ein des nachts bald unter meinem bette, bald über demselben, bald anderwärts in meiner kammer entstehendes furchtsames pochen. Leipziger avanturier 58. häufig erhielt sich bis ins 18. jh. auch die dem mhd. gemäsze form forchtsam, und selbst noch 1745 bei Ludwig sp. 676 findet sich furchtsam oder forchtsam verzeichnet. ich (spricht der löwe) was meniglichen forchtsam und hatten mich alle thier in sorgen, und allein an mich gedenckend erschrack jedermann. Steinhöwel (1555) 32ᵇ; do hiesz der keiser dry forchtsame reder machen und die waren mit schnydenden scharsachen, die solten do iren lybe allen durch schnyden. in einem (Seb. Brant beigelegten) passional 2, 66; auszwendig was Simon Gerasenus, ein rädlin furer eines neüwen auffruͦrs, denen inn der statt eben so forchtsam als die Rhömer. Frank chron. 37ᵇ; alles so forchtsam gestalt (gestaltet), das (dasz) es erschrocklich ist anzuͦsehen. weltbuch 198ᵇ;
auch ward jhr (der zu einer bärin werdenden Callisto) süsz lautende stimm
verwandelt, gantz forchtsam und grimm.
H. Sachs IV. 3, 100ᵈ;
verachten all menschen gemein
weil sie alln leuten forchtsam sein.
Waldis päpst. reich M ijᵃ (2, 5);
ach, wolt ihr den geist thun beschwern,
last mich zuvor von hinnen kehrn,
dann er ist gar zu forchtsam mir.
J. Ayrer schöne Sidea 434ᵇ;
eine forchtsame, sehr miszliche und gefehrliche, auch betrugliche zeit. Thurneisser magna alchymia 1, 105; daher wuchsen die bäume dick ineinander und ward so finster und forchtsam, dasz auch die priester ein entsetzen darab hetten. ang. weisheit lustgarten 7. vgl. nachher bei dem adv. die stelle aus dem buch der liebe 228, 4. noch tirol. forchtsam, furchtbar. Schöpf 147. bair. forchtsam und förchtsam. Schmeller 1, 560.
2)
für furcht empfänglich, der furcht leicht hingegeben, von furcht befangen, eigen seiende furcht ausdrückend. eine bedeutung die erst aus der zeit des überganges des mhd. in das nhd. nachzuweisen ist, aus der die in Tübingen befindliche, 1425 geschriebene handschrift eines mitteldeutschen vocabularius ex quo enthält: anxius, vorhtsam, bange. s. Mones anzeiger 6, 218, 94. forchtsamer oder voller forcht, timorosus. voc. theut. v. 1482 i 1ᵇ; vorchtsamer, fretus .i. (= i. e.) timidus vel pavidus. mm 1ᵇ. forchtsam, timidus, timorosus u. s. w. voc. incip. teuton. e 8ᵃ. pavidus, forchtsam. vocab. gemma- gemmarum von 1505 s iijᵇ. „pavidusundtimidus“, forchtsam. Dasypodius 174ᵇ u. 246ᵃ. Serranus dict. r 7ᵇ. bb 1ᵃ. pusillanimis, micropsychus, kleynmuͤtig i. e. furchtsam, verzagt. Alberus dict. ss 4ᵃ; superstitiosus, furchtsam, da keyn forcht ist, der all zu forchtsam ist in seinem aberglauben. ss iijᵇ. forchtsamm. Henisch 1173 und 1297, der, wie auch später Stieler 588 bei furchtsam, nur diese bedeutung hat; eben so kennen nur sie im 18. jh. Steinbach 1, 530 und Frisch 1, 308ᵃ. sie scheint demnach schriftdeutsch im 17. jh. nach und nach allein noch gegolten zu haben. jr kleingleubigen, warumb seid jr so furchtsam? Matth. 8, 26; wie seid jr so furchtsam? Marc. 4, 40. oder ist das wort in beiden stellen adv.? furchtsamme schiffleuth, fuhrleuth, vectores timidi. Henisch 1294, 27;
bisz heimmlich, furchtsamm, halt dich schlecht,
disz hab dir von einem weisen knecht.
34;
ihr mustet weiter fort, gott weisz mit was für grauen,
und euer furchtsams heyl der strengen see vertrauen.
was die matrosen sprachen,
das war für uns ein ach! wie furchtsams wort.
das todte schiff liegt nun vor uns ertruncken.
104;
ein unglück drohet uns, doch was? solt ichs nicht wissen.
sei furchtsam, wo du bist, doch fürchte selbst Melissen.
Dusch verm. werke 129;
da lauschen furchtsame nymphen,
nur halb durchs junge gesträuche bedeckt!
Uz (1768) 1, 8;
mir läuft ein schauer übern ganzen leib —
bin doch ein thöricht furchtsam weib!
Göthe 12, 142;
erst das podagra, die folge seiner eignen sünden, hat ihn etwas mürb oder vielmehr nur zum furchtsamen hasenfusz gemacht. J. M. Miller K. v. Burgheim 1, 154; nach meiner furchtsamen meinung ist mehr sein (Lessings) mensch ein actives genie als sein philosoph. J. Paul vorsch. der ästhetik 1, 64. bildlich:
wie lieblich flistert dort im hayn
der schlanken espen furchtsam laub
am ufer.
E. Chr. v. Kleist neue ged. (1758) 59.
Henisch hat vorzugsweise die alte form forchtsam: forchtsamm. 1173 u. 1297. forchtsam hertz, cor pavidum. 1173, 48, vgl. 1294, 21. forchsamme (lies forchtsamme) schamheit, pudor timidus 51; ein weibischer, feiger und forchtsammer sinn. 1294, 24. o glück, wie störcklich hilffestu den kecken und den forchtsamen bistu wider zäm (s. widerzäme). Wirsung Cal. (1520) G 1ᵇ; ey du hast geleich die forchtsamen an uns funden! O ijᵇ. auch hier noch in dem angegebenen sinne, wie in dem vorigen, tirol. forchtsam (Schöpf 147) und eben so bair. forchtsam und förchtsam (Schmeller a. a. o.). Sprichwörter und sprichwörtliche redensarten: forchtsamer dann ein haasz. Henisch 1173, 36, vgl. 1294, 50, bei Stieler 588 er ist furchtsamer als ein hase. des furchtsamen brust ist mit einem hasenbalg gefüttert. Lehmann, s. Wander 1, 1281, 13. dem furchtsamen rauschen alle blätter. Simrock nr. 2929. der furchtsame sieht überall gespenster. Wander 1, 1281, 10. die forchtsamme haben kein rast. Henisch 1294, 36. der furchtsam förcht sich wie ein grindiger kopff vor der laug. Lehmann, s. Wander 1, 1281, 4. den forchtsammen hülfft das glück nicht. Henisch 1297, 58, bei Stieler 588 und Steinbach 1, 530 furchtsame haben kein glück zu gewarten. ein forchtsammer trägt sein gemüeth inn den geberden desz angesichts. Henisch 1294, 11. furchtsame hunde bellen am meisten. Stieler a. a. o. und Steinbach 1, 531.
3)
wofür zu fürchtend. das wort drückt also von etwas aus, dasz für dasselbe zu fürchten ist.
für reuberey fürcht sich ein wandersman,
weil er weisz, das er forchtsams treget:
hergegen gar wol sicher reysen kan,
der läer (= leer) geht und die sorg ableget.
ang. weish. lustgarte 373.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 3 (1869), Bd. IV,I,I (1878), Sp. 709, Z. 78.

furchtsam, adv.

furchtsam, adv.
vom vorigen adj., doch läszt sich oft nicht erkennen, ob dieses oder jenes gemeint sei.
1)
in der bei dem adj. unter 1) angegebenen bedeutung.
2)
in der bei dem adj. unter 2) angegebenen bedeutung:
so oft der schäfer mit ihr sprach,
so schlug sie erst die augen nieder,
und denn erhob sie nur dieselben furchtsam wieder.
Rost schäfererz. 15. schäferged. 20;
er blieb ganz traurig stehn
und sah mich furchtsam an, als wenn er fragen wollte:
ob er denn Silvien nun gar verlieren sollte?
schäferged. 132;
von banger ahndung schlug sein furchtsam liebend herz.
Uz (1768) 2, 201;
er scheint zu furchtsam, nur die augen aufzuschlagen.
Wieland Oberon 11, 52.
furchtsam machen, von furcht befangen machen, der furcht hingegeben machen: und sie (die Assyrer) rieffen mit lauter stimme auff jüdisch zum volck zu Jerusalem, das auff den mauren war, sie furchtsam zu machen und zu erschrecken, das sie die stad gewünnen. 2 chron. 32, 18; denn sie alle wolten uns furchtsam machen und gedachten, sie sollen die hand abthun vom geschefft. Neh. 6, 9. ein kind durch erzählung von gespenstergeschichten furchtsam machen. auch noch die form forchtsam kommt hier vor: forchsamm (lies forchtsamm) machen, jemands erschröcken, forcht einjagen, territare, terrere, perterrere, metum adferre. Henisch 1173, 42.
o blindheit, zittern, furcht und schrecken,
drinn die gottlosen allzeit stecken,
macht sie forchtsam ein rauschend blat.
Mauricius die weisen a. d. Morgenland B 6ᵇ.
übergetragen auf einen gegenstand, bei, an oder auf dem furcht erfüllt, diese mag von demselben oder sonst woher veranlaszt sein:
und also foltert dich kein bellendes gewissen,
das die tyrannen plagt, wenn um die mitternacht
ein schwärmendes gespenst ihr lager furchtsam macht.
Zweifelhaft, ob die erste oder die zweite bedeutung gemeint sei, scheint das wort zu stehn in folgenden stellen: sol man den göttern jhr opffer auffsagen, das jnen verheissen worden ist, das ist unbillich, sol man die schlachten (opfern), die uns von jhnen geschenckt sind (nemlich die todt geglaubten, aber lebendig wiedergefundenen kinder), ist sorgfeltig und forchtsam. buch der liebe 228, 4;
der abgewandte moon
zoog seine hörner ein, wie furchtsam, anzuseehen,
was bey der bösen nacht euch würde bald gescheehen.
doch darf hier die zweite bedeutung als die richtige angenommen werden.
3)
der pflicht und rücksicht gemäsz gegenüber dem höheren sich bezeigend: die fraw oder iunckfraw, die er nemen wil, sey hübsch züchtig, schamig, vorchtsam, gehorsam. Albr. v. Eybe 16ᵃ.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 3 (1869), Bd. IV,I,I (1878), Sp. 711, Z. 60.

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Zitationshilfe
„furchtsam“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/furchtsam>.

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