Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

gereite, gereit, f., n.

gereite, gereit, f. n.,

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und in zusammensetzung heimgereite, heimgeraide, heingereide, heingerede, heingereth, umgedeutet in haingeraide und gereut. heim- hat hier dieselbe bedeutung wie in heimgarten, heimgericht, heimgeding (s. garten II, 2, e, γ sp. 1395 fg.), das dorf, goth. haims; die abschwächung in hein ist die gleiche wie in mhd. Heimrîch, Heinrich. gereite gehört zu dem sp. 3625 nr. 4, c erwähnten stamme (goth. garaidjan, anordnen, garaids, angeordnet, bestimmt) und bedeutet wol ursprünglich 'der festgesetzte, abgegrenzte raum, bezirk' wie in hofgereit, f., area ad usum praedii ac domus parata Haltaus 940 (s. hofreite und vgl. ahd. hreiti-huoba, colonia Schm.² 2, 172), heimgereite also 'der dem gemeinwesen zugehörige bezirk' im gegensatz zum eigen, zum privatbesitz der bauern und des adels. das wort ist bezeugt aus dem Elsasz, der Rheinpfalz, dem Rheingau, Rheinhessen und Unterfranken und weist auf die zeiten der ersten germanischen besiedelung und auftheilung des landes; so waren die wälder des Waskenwaldes und der Hardt von Straszburg bis Dürkheim in 16 geraiden oder bezirke getheilt (darunter eine ober-, eine mittelheimgeraide und mehrere Hardtgeraiden), an deren jeder mehrere gemeinden, eine genossenschaft bildend, gemeinsamen antheil hatten, s. Schöpflin Alsatia illustr. 1, 653 fg., Bodmann rheingauische alterthümer 439 fg. und Riehl land und leute⁶ 185: „positiv sprach sich das social-politische sonderthum aus in dem höchst merkwürdigen uralten markverein der rheingauischen heimgeraide. im ursprünglichen geiste dieses markvereins sind alle landesinsassen als eine grosze familie gedacht. die heimgeraide bildete das gemeinsame eigenthum dieser familie, die almende des landes. 'wald, weide, wasser, weg und steg' sind die nutzungen, auf welche jeder Rheingauer ein angeborenes recht hatte, aber nur im sinne der gütergemeinschaft, denn keiner durfte sich von diesen stücken etwas zum privatbesitz aneignen.
1)
die mehreren gemeinden gemeinsame waldung und weide, holzmark: plenum jus utendi lignis in silva hemgereite. weisth. 1, 767 (Landau, von 1291, Schöpflin Als. dipl. nr. 774 gibt in derselben urk. heingereite); missehelle umbe den walt, der do heiszet heingereite. Mone ztschr. 8, 142 (Landau von 1295, nach abschrift des 14. jh., die heimgeraidte weisth. 1, 767 nach jüngerer abschrift); die von Godramstein, von Sibeltingen (und andern zwölf benannten orten), die do recht hant in die heingereit (heimgeraydt weisth.). ebenda; die pfluger und die wagener in der heingereiden (heimgeraidte weisth.), e sie hauwen, so sollen sie sweren zu den heilgen, daʒ sie des holtzes nieman geben zu kaufe uszer der marke. ebenda, gemeint ist das von Adelung erwähnte 'Landauer gereut, welches sechzehen meilen im umfange begreift'; welcher holz ausz der gereiden entfrembt, der soll derselbigen, alsbalt man es innen wirt, gänzlichen entraupt sein. weisth. 6, 116, 5 (Maikammer bei Edenkoben, von 1577); als weit die gereid gehet. ebenda 10; welcher in den pfindigen wälten mit einem karch oder wagen in oder auszerhalb der gereiden weilet und bürkenreif oder reifstangen firen thete. 417, 16, vgl. 25; das vieh zu Gleiszweiler wurd den nehsten vom dorf uf die gereiden getrieben, so weit man dieselben erreichen kan, gleich andern gereidengenossen. 5, 572 (von 1 68); gemein gereth. 1, 640 (Kirburg im Westerwald, von 1461); geraide, nach der aussprache des volkes 'geräth' intelligenzblatt des k. b. Rheinkreises 1827 s. 243; mainfränk. die heinried (der form nach wie mainfränk. hofrit weisth. 6, 9): wann es were, das man buwet uf der heinried oder uf der gemeinde. weisth. 6, 7, 13 (Amorbach, von 1395); alle lantsidelhuser die uf den heinrieden stende. 6, 9; wer es, dasz imancz sesz uf der heinride zu Merschenhart. ebenda.
2)
die markgenossenschaft, welche die nutzung der gemeinen waldung und weide hat: rusticos de Gotramestein et Nuʒdorf et eorum complices, qui vulgari nomine heingereide appellantur. Würdtwein nov. subs. dipl. 12, 173 (v. 1256); item sie wisen auch, das ein bischof zu Spiere soll sin ein schirmer uber den walt, und hat recht mit eim wagen usz dem slosz zu Kirwiler brennholtz in demselben walde zu holen; und was der gereiden verbotten ist, das ist ime auch verbotten. weisth. 1, 772 (Edenkoben, 14. jahrh.); zwüschen den gemeinern des schlosz zu Madenburg off eine site, und der heingereide der dörffer Ulwesheim off die ander site als von des walds der heingereide wegen von holtzhauwens wegen. Scherz 642 (von 1426); es sollen auch die förster bei ihren aiden verpunden sein, wen sie ein feuer uf der gereiden wäldern sehen ufgehn, dasz sie vleisz ankehren, damit kein schad davon entstehe. 6, 416, 4 (Maikammer, von 1577); wan die förster einen frembden auf der gereiden finden, da ist die halbe ainung ihn und die ander halb der gereiden; und wovon die gereit stehet (absteht), sollen die knecht auch davon stehn. ebenda 7; wir wysen, die marck vur ein recht haimgerede; wess sie zu rade worden und gebot mechten, fugete iʒ en nit, sie mochtens minnern oder merern. weisth. 1, 512 (Bibrau bei Offenbach, von 1385); unser (des pfalzgrafen Ruprecht) dorf Virdenheim (Fürdenheim), daʒ unser friheymgerede ist. Mone zeitschrift 6, 432 (von 1367).
3)
das aus markgenossen gebildete gericht, sowie die gerichtsbarkeit und das recht der heimgereite, auch der gerichtsbezirk derselben: fürther weist man gemeine leuth (zweier dörfer) als solche gemeinschaft zu halten ein gemeine (gemeinsame) pfarr, ein gemeine tauff, ein gemein pfarner, ein gemein klöckner, ein gemein schützen, ein gemein hirt jenseit und dieser seit, ein heingeregt (sic). item fürter spricht der fauth (vogt) wieder die scheffen, das sie ausgehen mit den zwei gemeinden und das sie mit recht erkennen alle, die sich des heingereths gebrauchen und in dem heingereth sitzen oder wonnen, und nit hie seint an diesen ungebotten dingtag. weisth. 4, 570, 6 (Walluff und Neuendorf im Rheingau, von 1304, abschrift des 16. jahrh.); auch weisen wir, wer do in plicht ist, der soll hude hie syne, und soll sin heingereide suchen (als scheffe besuchen). 1, 493 (Geinsheim, gegenüber Oppenheim, von 1455); jus vero, quod dicitur heinreita, cum convicinis suis observare tenentur (mönche, welche güter in der gemarkung Nuszbaum, amt Bretten, gekauft haben). Mone zeitschr. 1, 486 (vom j. 1273); das heingerede soll der gemein zustehen und so ferne sie das ufrichtig halten und solchs zu rechter zit inbringen. weisth. 5, 267, 17 (Melbach in der Wetterau, von 1475); di bues des heinegereds umb beschedigung greben (vorher gemein fridengreben), zeunen und andern, das zu der gemeine vestigung gehört, ist 8 β. 5, 267, 19; die inwohner der gereiden. 6, 418, 23; die merckere wyseten auch, daʒ .. nymand keinen besundern eigen hirten han solte, sunder menglich vor einen gemeinen hirten driben in yglichem heyngerede, da er dann ingesessen ist. 4, 534, 2 (Dieburg bei Darmstadt, von 1452).
4)
in zusammensetzungen:
gereidengenosz
oder geraider ( Adelung), m. theilhaber an der heimgereide weisth. 6, 418, 25. 419, 28 u. öfter.
gereidenschultheisz m.
dorfschulze innerhalb der heimgereide 419, 26. —
gereidenspruch m.
rechtspruch des gerichts der heimgereide 415. —
gereidenstuhl m.
sitz oder ort dieses gerichts: diesz ist der gereidenspruch der vier dörfer Meinkammer, Kirrweiler, St. Martin und Diedesfeld, den sie alle jahr sprechen an dem eschermitwoch uf dem gereidenstuel von alter hero darzue verordnet, es were dan dasz man ungewitters oder kälte halben nicht verpleiben möchte, so soll derselbe zu Meinkammer gehalten werden. ebenda.mit umdeutung auf gereut führt Adelung noch an: gereutordnung, f., forstordnung; gereuteinnehmer, m., einnehmer der gefälle; gereutschlusz, m., beschlusz des forstgerichts.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 8 (1891), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 3626, Z. 19.

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Zitationshilfe
„gereidengenosz“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gereidengenosz>.

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