Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)
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gesüchte, n.
gesüchte, n.,
in der heutigen sprache nur noch den mundarten des südwestens angehörend; die ältere sprache entwickelt etwa seit dem 12. jahrh. collectivbildungen zu sucht und verbalsubstantive zu siechen, die von den mundarten des nordens und südens her in die schriftsprache übergreifen.
I)
formen und geschlecht.
1)
vereinzelt begegnet deutliche collectivbildung zu dem in der althochdeutschen, mittelhochdeutschen und neueren zeit viel verwendeten femininum sucht (s. d.) mit dem geschlechte des fem.:
auch mittelniederl. ist gesuht als fem. zu belegen. 2, 1663. dagegen weist auf andere form und anderes geschlecht schon das passional hin:
derselbe genetiv findet sich mehrmals auch in dem bair. arzneibuch sitzb. Wiener akad. 42. 147, 2 u. 3. ausgesprochenes neutrum begegnet schon in den 'altdeutschen beispielen' ( xxxi, 7):
als neutrum ist unser wort auch aus dem Gothaer arzneibuch bei 2, 86 belegt: gesuchte.
dîe brünne er muos ab ziehen
mit den wurzen sin verbant
diu suht begunde in vliehen .....
gar trûreclîch began sî barn
und sprach bistu alsô vervarn
in dinen jungen jâren
nu bistu doch gesühte vrî
swaz doch dîr geschehen sî.
Eckenlied (heldenbuch 5) 176, 10.
nu la daz sîn, ez vuget wol
daz si gesuhtes wese vol
wand sie geneiget mite wirt.
passional 297, 28 Köpke.
ez lac ein esel under einem schopf
dem was vil wê an sînem kopf
da kam der wolf mære
und frâgte waz im wære
ode wâ in swære aller meist
'swar du den fuoz leist
dar ziuhet allez mîn gesühte.
zeitschr. d. alterth. 7, 364.
2)
die formen weisen auch hier schwanken zwischen vollem auslaut und apocope, und für die ältere zeit auch zwischen umgelauteter und unumgelauteter form auf: daz gesuhte neben daz gesüht in bair. arzneibuch; die oberdeutschen mundarten bevorzugen apocope. vgl. 116; die form gesüchte, die im idiot. raur. 202ᵃ anführt, wird von Basler mundart 152ᵃ als pluralform gekennzeichnet, vgl. aber bei Gotthelf den singul. gᵃsüchti; für den plural führt Spreng als Baslerisch gesüchter an, das auch (a. a. o.) belegt.
II)
bedeutung. das neutrum läszt nach form und bildung auf ein verbalsubstantiv schlieszen, das femininum auf eine collectivbildung zu dem viel verbreiteten substantiv; die bedeutung scheint mehr an die letztere anzuknüpfen, um so mehr, als das verbum aus seinem bedeutungsinhalt kein nomen actionis entwickeln konnte.
1)
nur vereinzelt sind die belege, in denen ganz allgemein der zustand des krankseins, der gegensatz zu gesund, gesundheit zum ausdruck kommt:
Sisinnus ein Römer was bobest nuwent 20 tage .. dirre hette gros gesühte unde siechtagen. do von starp er zuͦhant. Königshofensche chron. (text B) d. städtechron. 9, 537 anm. 15. wenn 140 gesuchte ganz allgemein mit morbus identificiert, so geht er wie 2, 266 von einer zu weit gefaszten deutung der benützten belegstelle aus: unter dem podagram verstehen wir auch das gsücht anderer glieder. spiegel der gesundheit 30ᵃ. vgl. konfektbuch (1571) 229: podagram und gesücht der glieder.
nu erledige dine chnehte
von allem unrehte
von geistlicher unzuhte
von scaden unt von gisuhte.
litanei, fundgr. 2, 229, 35.
durch unser ungezuhte
bestet uns manec gesuhte.
spec. eccles. 146 Kelle;
2)
es ist unverkennbar, dasz das compositum gesucht auch in der allgemeinsten bedeutung schon eine verengerung des begriffes von morbus erlitten hat, wie sie ähnlich auch beim simplex nachzuweisen ist: febris continua = ein suht. voc. opt. 41; in ansehung der suchten, so verdeutschte er (Seiffert) den fremden ausdruck 'chronische krankheiten'. Campe in Mercur 1803 21, 193. das unbestimmte, nicht leicht faszbare der chronischen krankheit ist noch heute ein merkmal der bedeutung von gesücht, vgl.g'sücht, n., ein allgemein verbreitetes, epidemisches, aber ungefährliches unwohlsein, man sagt 'es gôt a gsücht um'. Vonbun bei 5, 482. auf derselben grundlage bauen sich nun auch die folgenden verwendungen auf, bei denen der sitz dieses unwohlseins die bedeutung beeinfluszt.
a)
die seltenere verwendung knüpft an das haupt an:
swâ dû daz strîchest umbe daz houbet, dâ muoz das gesuchte fliehen. bair. arzneibuch (Pfeiffer) 146, 26; die valcken leident manigerlay sucht, die ich hie beschreiben will .. die erst sucht des valcken ist an dem kopf .. und choment die gesücht gewonlich von den bösen tempff, die usz dem magen übersich in den kopff steigent. 22.
tanz ist iu unmære
singen iuch verdriezet
wan iu daz houbet diuzet
vom gesühte als ein herhorn.
schilderung des alters in der warnung (13. jh.) 2193, zschr. f. d. alt. 1, 438 ff.;
b)
viel entwicklungsfähiger für die bedeutung des wortes sind andere träger der krankheit, die gelenke der extremitäten, die als träger des rheumatischen flusses galten.
α)
die ältesten belege hiefür entstammen der thierarznei: wann dem falken die pain geswollen sind, das ist ain zaichen, das er das gesuchte darinn hat. 26; ist es sach, das der habich das gesüchte in dem glaichen hat. ebenda 40; hat das vederspil das gesücht in den flügeln, so soll man das krautt, das da heiszet gundelres, sieden in wasser. 56; wann aber das vederspiel das gesücht in den füszen hat, .. so soll man es ätzen mit pocksflaisch. 57.
β)
in den vocabularien tritt gesücht in dieser bedeutung frühzeitig auf, und meist wird es hier nach ort und stelle differenziert:
gesucht artesis (Stuttgarter exemplar) 9ᵃ; fuͦosz gesucht podagra. ebenda 113ᵈ, hand gesücht chiragra 27ᵃ. neben vuozgesüchte und hantgesüchte tritt in einem onomasticon latino germ. des 15. jh. noch hüffegesüchte = sciatica auf. Schmeller² 2, 219. ebenso chiragra, das zipperlein ader gesicht in henden. voc. rer. prompt. (Leipzig 1517) 121ᵇ; gesücht, zipperle, morbus articularis, ehiragra. Dasypodius F b; gesüchte (das) morbus articularis, gesüchte oder kranckheit der gleichen (gelenke) wo die seygind, als das zipperle in den henden, in den füszen das podagra genant, artuum dolor 177ᵇ. ähnlich auch durch die wörterbücher des 17. jh. bis (1700) 149.
γ)
in der litteratur des 15. auf das 16. jh. zeigt gesüchte, auch ohne weitere benennung, die eben festgestellte bedeutung eines rheumatischen schmerzes; es vertritt die uns heute geläufige verwendung des wortes 'gicht': und derselb techan was lamm worden von gesicht und also truͦgen inn sine knecht in ainem sessel herab in den hoff. U. v. Richental chron. des Konstanzer conzils (litt. ver. 158) 24; an sant Mathis tag (1418) do rait unszer herr der küng Sigismund den Rin abhin und maint gen Basel zu ritende .. er wart ye wendig und rait an dem andern tag gen Costentz und lait sich da nider und lag ettwe mengen tag. und maint man, er hett das gesücht. ebenda 137. dieselbe notiz bei 2, 94ᵇ (dann er hat ein gesucht an eim bein, die uberröte genant); über füllen den magen mit grober speisz bringet krankheit der gelych (besser gelidt zu lesen?) als das gesucht und syn gelychen. regimen sanitatis 398 Ehrle; darumb macht es gesucht in den glidern. ebenda 404; so dir gott gibt kranckheyt dyns lybs, do hestu daz grimmen do das febre do daz gesücht, dasz du nit weyst wo du bliben solt, was denn der wüttenden we sind. bilgersch. 211ᶜ. bei Luther fehlt das wort gänzlich, wie es überhaupt der eigentlichen schriftsprache entfremdet wird.
δ)
dagegen fand das wort einen anhalt in der medizinischen litteratur, die zu ende des 16. und anfang des 17. jh. namentlich im südwestlichen Deutschland aufblühte. hier zeigt sich einerseits, dasz in mundart und schriftsprache concurrenten erwachsen sind, andererseits werden durch den stoff bedeutungsverschiebungen und verengerungen begünstigt.
1)
so lindert sich das reiszen der selbigen (glider) welchen gebresten etliche das lauffend vergicht, andere kalte gesucht, und aber andere, als die leut in Tyrol und am Bodensee, das geschosz heiszen. beschreib. influent. wirk. aller erdgewächse (1578) 109; nun wissend von disem tartarischen liquore, daz er vil kranckheiten macht die man gesücht heist, flüsz und dergleichen nach der art der länder: auch das tropffen, den marckschwinen, und vil dergleichen. Paracelsus schriften (Basel 1589) 1, 180.
2)
kaltgesücht, wird ausser bei Thurneisser auch sonst viel angeführt, vgl. von wasserbädern (1579) 7, vor allem Tabernaemontanus im 'neuen wasserschatz': sie kommen zu hülff dem kalten gesücht der glieder. 481 u. a.
3)
die parallele zwischen gesücht und flusz, als welcher ja der rheumatismus aufgefaszt wurde (vgl. theil 3, 1856), gibt anlasz zu übertragungen: ist auch zum weissen gesicht der weiber gut. Tabernaemontanus 'neu arzneibuch' (1588) 318.
4)
gesücht ohne weitere benennung wird bei Tabernaemontanus bald dem podagra (wasserschatz 21) bald dem zipperlein entgegen gesetzt, hier tritt es für die 'heftigen schmerzen der hüft' ein, vgl. kräuterbuch (spätere auflage Basel 1738) 1, 385. ähnlich musz wol auch aufgefaszt werden: vertreibt die gliedsucht, podagra, lähme der glieder, das gsicht, reiszen unnd laufen in schenckeln und andern gliedern, deszgleichen den krampff. neu wasserschatz 300.
5)
allgemeiner scheint Paracelsus den begriff von gesücht zu fassen, das auch er häufig verwendet: mancherlei species (kranckheiten) die doch alle uff teutsch gesücht genent werden. wundarznei (1618) 202; und demselbigen glied wirdt sein gut blut entzogen, und das bösz an die stadt gesetzt, darausz dann folget ein new kranckheit zun gesüchten oder offen schäden. oper. (1616) 1, 721ᵃ.
6)
auch die spätere entwicklung neigte wieder dem allgemeineren begriff rheumatischer schmerz zu, so schon in der anschaulichen beschreibung bei Coler: gesüchte legen sich biszweilen in die schuldern, arm, schenckel und gantze bein und in andere glieder, die machen, daz einem in den schuldern, arm, schenckeln etc. die glieder zwar an jm selber nicht wehe thun, es reiszet einem drinnen, aber wenn man sie reget und beweget, so thun sie einem gar innerlich unter dem
fleische wehe. die glieder schwellen einem nicht, seynd einem auch nicht roth und man kan nichts sonderlichs an jhnen mercken, dann nur daz sie einem wehe thun, wann man sie brauchen will. der gemeine mann nennets ein gesüchte. öconomia rur. et domest. II 2. buch (1695) cap. 56. und in derselben bedeutung noch heute in der Schweiz: es kam mir in den arm fast wie ein g'süchti. Uli der knecht cap. 24 (1850 dafür krampf) vgl. sp. 4287.
ε)
in dieser allgemeineren bedeutung tritt das wort auch in die thierheilkunde über: welchem pferd das gesucht in den fuͦsz kompt und hinckt also daran. Albrecht roszarznei (Frankfurt a. M. 1570) 95; wann ein rosz ein gesüchte in der huf beinen oder knien hätte. a. a. o. I 10, 65.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 12 (1897), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4286, Z. 53.
gesüchte, fem.
gesüchte, fem.,
niederdeutsche form zu geseufze (vgl. sp. 4086), mndl. gesucht 2, 1721. ostfriesisch gesüchte vgl. 1, 621.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 12 (1897), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4289, Z. 14.
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Zitationshilfe
„gesuchte“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/ges%C3%BCchte>.
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