Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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gesigen, gesihen, adj.

gesigen, gesihen, adj.
part. zu seihen (s. d.), durchgeseiht, geläutert: gesigen, durchgesigen, colatus Maaler 175ᵃ; nim gesigen roshonig, 24 lot. H. Braunschweig chir. (1497) 75ᵃ; seihe es durch, das gesihene koche gar sanft. Tabernaemontanus 1439.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1895), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4107, Z. 29.

sehen, starkes verb.

sehen, starkes verb.,
gemeingermanisch, got. saihwan, altn. sjá, ags. séon, altfries. sia, alts. ahd. sehan, mhd. sehen; engl. to see, nld. zien, dän. see, schwed. se. verglichen wird lat. sequi, griech. ἕπεσθαι, sehen, ist 'mit den augen folgen'. die entwicklung der nhd. flexion bietet keine besonderheiten (vgl. Kehrein gr. 1, 243 § 355); Maaler 340ᶜ schreibt sähen neben sehen 369ᵇ; die 1. pers. sing. praes. ind. mit richtigem i hielt sich lange: ich sich Maaler 373ᵃ; das ich dich mit gesundtheit wieder sich. Wickram rollw. 139, 29 Kurz;
erst sich ich wol, was mir gebricht.
H. Sachs fastn. sp. 1, 136, 110 neudruck;
so siehe ich euch nun nicht mehr? H. J. von Braunschweig 131; zudem sihe ich euch auch vor kein scherer-gesindel an. Simpl. 2, 204, 26 Kurz;
ich seh' (früher sieh) die innre welt.
Haller ged. 140 (1753);
ich sage, wann ich an dir merke (früher siehe im reim auf mühe).
165.
erhaltung des gutturalen spiranten: du sichst, er sicht Maaler 373ᵇ; du siehest, vulgo sichst, er siehet, vulgo sichst Stieler 2021; sichstu, sagt der pfaff. Wickram rollwagenb. 85, 17 Kurz;
got sicht on allen orten
des hertzen glauben an.
bergr. 4 neudruck;
secht was ein für grausame lästerung. Fischart bienenk. 188ᵃ. perf. sach s. unten. imper. siehe, sieh; ungewöhnlich sehe; es wirkt hier mhd. sê, ecce (got. sai) ein, das man als imperativ zu sehen empfindet und daher mit einem plural versieht, s. oben 9, sp. 2769; sihe sehe; wie fliegt der daher. Fischart Garg. 118ᵇ; sehe, wie fein schickt sichs. 146ᵇ; schluck, sehe schlick. Hulsius dict. (1616) 285ᵃ; hebe deine augen auff, und sehe. Meyfart himml. Jerusalem (1627) 1, 80; sehe nur nach. Göthe 11, 106; sehe zu. J. Paul uns. loge 2, 16;
seh' die bäume hinter bäumen.
Göthe 12, 204;
weib, hier sehe deinen sohn,
und du deine mutter sehe.
Brentano ges. schriften 1, 139.
perf. ich sah oder ich sahe Schottel 596; ich sahe, vulgo sach, du sahest, vulgo sachst, er sahe, vulgo sach; conj. ich sähe, vulgo säch, du sähest, vulgo sächst, er sähe, vulgo säch Stieler 2021; sahe noch bei Frisch 2, 256ᵃ, Adelung und Campe; und gott sahe das es gut war. 1 Mos. 1, 10; der alte sahe seinem gast an der miene an, dasz er ihn nur mittelmäszig verstand. Wieland 6, 106 (g. spiegel); Richelieu sahe die grösze der gefahr in der zukunft voraus. Schiller 4, 95;
ich sahe mir yun grüner aue
viel manches röslein stan.
bergr. 9 neudruck;
als Philipps sohn dem tode nahe,
sein göttlich blut entlauffen sahe.
Haller ged. (1753) 10;
er sahe sie, und nahm die schöne hand.
E. v. Kleist 1, 95 (1760);
keinen der Danaer sahe man jetzo
thränenlos.
Voss Od. 24, 61;
die anmuth,
die er sahe.
Rückert (1882) 5, 60.
vgl. oben unter rosenschwelle. die mundartliche flexion zeigt manche besonderheiten und alterthümliche züge (z. b. spuren der nachwirkung des grammatischen wechsels im plural ind., dem conj. und part. des perfectums): i sich, du sichst (du sigst), er sicht; du sègst, er sègt; i si, du sist, er sit; inf. sêgng, sêchn; perf. i sach, daneben schwach: sêchet. part. gsêgng, gsêchn; mittelfränk. gsâwn Schm. 2, 244; 1. p. pr. ind. sîch; inf. sêchn, sêgn; perf. sêchet, sâch, part. gsêchn, gsêgn. Schöpf 666; präs. ind.: siege, siechst, sigt, sege, segt, segn. inf. segn. part. gesegt. conj. perf. säge. Zingerle 50ᵃ; präs. ind. sige, sigest, siget, segen, seget, segent; inf. segen; perf. ich sagt, bar sagten; conj.: segte, sögte; part. gasegt, gasigt cimbr. wb. 230ᵃ; ich sich, inf. segn Castelli 255; inf. sän; perf. sâk, sâchen; jesä̂n Jecht 90ᵇ; perf. sach Frischbier 2, 242ᵃ; nd. seën; du sust, he sut. imper. sü; ik sag, ik sêg, plur. wi segen; part. sên brem. wb. 4, 732; du süst, he sütt. Schütze 4, 89; 1. p. s. präs. sê; perf. sä, sêg, sagg Danneil 191ᵇ; inf. seien; präs. seie, süst, sü̂t, pl. seiet; imp. (sich) sü̂, pl. seiet; präs. sach, pl. seigen; conj. seige, seigde; part. eseien Schambach 189ᵃ; inf. saihen, präs. saihe, sühs, süht, pl. saihet, imp. süh, saiht, perf. saͦg, pl. sæ̊gen, part. saihen Weoste 222ᵇ; vgl. noch Stürenburg 243ᵃ. ten Doornkaat Koolman 3, 173ᵇ. Frommanns zeitschr. 2, 113. 552, 66. 3, 209, 73. 417, 381. 5, 140, I, 6. zeitschr. f. d. alt. 10, 135.
1)
entwicklung der bedeutung.
a)
in eigentlicher bedeutung das wahrnehmen mit den augen oder auch die kraft des sehens bezeichnend, in letzterem sinne ohne object, gewöhnlich mit näheren bestimmungen: ich kann nicht mehr sehen, wie ich früher sah; ohne brille nicht sehen können; die katzen sehen bei nacht; gut, schlecht, weit (fern sehen in gleichem sinne Hiob 39, 29) sehen; er sieht so weit als die nase reicht; in älterer sprache: ubel sehen, caecultare Maaler 340ᶜ; übel sehen Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 737ᵇ; wol sehen, scharf sehen, ò sehen können. 737ᵃ; er sieht so scharf als ein fränkischer reiter, der sah durch neun kittel, wo geld steckte. Wander sprichw.-lex. 4, 510, 241; die blosze kraft des sehens wird oft im gebrauch des participiums gemeint, so in Luthers bibelübersetzung: eines weis ich wohl, das ich blind war, und bin nu sehend. Joh. 9, 25; (Paulus) war drey tage nicht sehend. apostelgesch. 9, 9; und ward wieder sehend. 9, 18; der herr machet die blinden sehend. ps. 146, 8;
(wenn du) mit dem trunkenen
dich sehend in den abgrund stürzen muszt.
Schiller jungfr. von Orl. 3, 6;
(mit sehenden augen, s. etwas weiter unten). infin. häufig mit hören verbunden, in der wendung sehen und hören vergeht einem: die postillons fuhren, dasz einem sehen und hören verging. Göthe 27, 32;
je mehr ich hört' und sah, verging mir sehn und hören.
7, 103.
substantiv.: sehen bezeichnet in älterer sprache geradezu das sehvermögen, vgl. Lexer mhd. handwb. 2, 851: (wie unser gesicht: vergach da offenlich .. ir sechen in irem slaf. Stretl. chron. 56, 19 Bächtold); dat seien drügt dek all, du hast schon schwache augen. Schambach 189ᵃ; doppelt sehen, gestörte sehkraft bezeichnend, bei der die gegenstände doppelt erscheinen; hellsehen, übernatürliches sehvermögen, sehen von dingen, die nicht mehr im bereich des auges liegen, aber bei Frisch 2, 256ᵇ hell-sehend, claro visu praeditus. das auge als subject: vier augen sehen besser als zwei; meine augen sehen nicht so weit; selig sind ewer augen, das sie sehen, und ewr ohren, das sie hören. Matth. 13, 16; da Isaac alt war worden, das seine augen tunckel worden zu sehen. 1 Mos. 27, 1; ein hörend ohr und sehend auge, die machet beides der herr. spr. 20, 12; seine augen sehen ferne. Hiob 39, 29;
die augen sahen nimmer klar.
E. Alberus fabeln 10, 76 neudruck.
häufige wendung mit sehenden augen: mit sehenden augen, sehen sie nicht. Matth. 13, 13; mit sehenden augen bin ich alles schönen inne geworden. Bettina briefw. 1, 219;
ich was mit sehenden ougen blint.
Walther 123, 35;
du machst mich jungen helden
mit sehnden augen blind.
wunderh. 1, 167 Boxberger.
die brille als subject: ein ketzerisch helle stechbrill, die in die weite sieht. Fischart bienenk. 186ᵃ. mit poetischer kühnheit übertragen:
die orakel sehen und treffen ein.
Schiller braut von Messina 2376.
ohne dasz ein directes object hinzutritt, kann die bedeutung des verbums sich verengen und modificieren, in dem sinne, dasz die beziehung zu den gegenständen des sehens deutlicher hervortritt: selig sind, die nicht sehen, und doch gleuben. Joh. 20, 29; der knabe auff der warte hub seine augen auff und sahe, und sihe, ein gros volck kam. 2 Sam. 13, 34; ich sahe, und sihe, da war kein mensch. Jer. 4, 25; der kan sehn, schweigen und hören, hat ofte ruh erkohren. Schottel 1130ᵃ; wer nicht will sehen und glauben, der mag fühlen. 1142ᵇ; sehen geht für hören sagen. Franck sprichw. 2, 94ᵇ; seen geet vör't seggen. Dähnert 420ᵃ; was hilfft das sehen ohne genieszen. Frisch 2, 256ᵇ;
besonders aber laszt genug geschehn!
man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
Göthe 12, 11;
besonders für die anwendung des vermögens im bestimmten falle: er aber sprach zu jnen, wie viel brot habt jr? gehet hin und sehet. Marc. 6, 38;
ach seh' sie nur! ach schau' sie nur!
Göthe 12, 149;
sie stand, ging hin und wieder, sah und besah. 17, 221; von hier aus erklärt sich der gebrauch des imp. (s. unten 2). sehe ich recht, so kommt dort der erwartete; du hast falsch gesehen, er war es nicht. fremder für uns: wie, sehen sie doch besser! ich dachte, sie kennten ihn. Schiller räuber 4, 2. lasz sehen. richtungsbezeichnung: nicht rechts, nicht links sehen (auch übertragen, consequent ein ziel im auge behalten); vorwärts, rückwärts sehen; hierher gehören die wendungen mit präpositionen, z. b. in die höhe, nach den wolken, über den zaun, aus dem fenster sehen u. s. w., für die unter 2, a und h belege gegeben werden. richtung der sehkraft auf ein bestimmtes object (paradox: das sieht ein blinder), wahrnehmen eines gegenstandes: das tageslicht sehen; ich sehe den baum, oder eines zustandes oder vorganges: ich sehe, dasz die blume welk ist; ich sehe den stein fallen; ich sehe, dasz die gestalt sich bewegt; ich sehe nichts, er sieht alles; nicht die hand vor den augen, keinen stich sehen; man musz es sehen, ums zu glauben; wer das nicht gesehen hat, hat nichts gesehen. vil sehen, wenig sagen, das gehört zu guten tagen. Henisch 1440, 19; wir haben seinen sternen gesehen im morgenland. Matth. 2, 2. indem sich die vorstellung des absichtlichen hinzugesellt, nimmt sehen den sinn von besehen, beschauen an (doch auch im gegensatze zu betrachten, z. b.: weil die besten statuen in einem schuppen von brettern, wie die heringe gepackt, standen, und zu sehen, aber nicht zu betrachten waren. Lessing 11, 264): die sternen sehen, contemplare le stelle Kramer deutsch-ital. dict. 2, 737ᶜ (vgl. unser sternseher); als ihn bald darauf der graf holen liesz, um den platz zu sehen, wo das theater aufgerichtet werden sollte. Göthe 18, 262. eine comedie oder schauspiel sehen (es sich ansehen). Kramer 2, 737ᶜ; etwas zu sehen bekommen, hier giebt es was zu sehen u. ähnl.
um das rhinoceros zu sehn
... beschlosz ich auszugehn.
Gellert 1, 142 (1775).
erkennen:
gewissen friunt, versuochtiu swert, sol man ze nœten sehen.
Walther 31, 2;
fein gold sicht man in fewers prob.
es sieht den thewern ring am finger jhr die dam,
als den, den Brunel jhr einst in Albracca nahm
Dietrich v. Werder Ariost 11, 3, 7.
die vorstellung des erfahrens und kennen lernens tritt hervor: er hat London und Paris gesehen;
ich hân lande vil gesehen.
Walther 56, 30;
nach dem, wenn ich daselbs gewesen bin, mus ich auch Rom sehen. apostelgesch. 19, 21; ein reichssoldat, der nie den feind gesehen hat. Klinger 11, 148, besonders in übertragener anwendung ist diese bedeutungsentwicklung erkennbar. einen sehen kann in verengtem sinne heiszen besuchen oder als besuch bei sich sehen: mich verlanget dich zu sehen. 2 Tim. 1, 4; nur in unser haus ward er nicht eingeführt, weil mein vater niemand mehr zu sehen pflegte. Göthe 19, 328. ältere sprache:
do enbôt er sîner swester   daʒ er se wolde sehen.
Nibel. 342, 1.
negative wendungen: ich kann das nicht sehen, hoc oculi mei ferre non possunt Steinbach 2, 560; einen vor seinen augen nicht sehen können, vultum alicujus non pati posse. ebenda; die beiden können sich nicht sehen, können sich nicht ausstehen. dagegen: einen gern sähen oder vast lieben. Maaler 340ᶜ; wer was lieb hat, der sihets gern, unnd gehet darnach. Henisch 1513, 38; sahe auch, das Isaac sein vater nicht gern sahe die töchter Canaan. 1 Mos. 28, 8; freier: ich sihe in lieber dann got. Franck sprichw. (1541) 2, 74ᵇ; ich sehe jhn lieber den meine augen. Schottel 1120ᵃ. bei unpersönlichem object verblaszt leicht die sinnliche vorstellung, vgl. unten 1, b. vom künstlerischen sehen: er versteht zu sehen (die gegenstände in ihrer malerischen eigenart aufzufassen); in besondrer wendung: ein bild ist gut gesehen (übertragung von dem gegenstande auf die darstellung); wenn sie (eine künstlerarbeit) gut gesehen, gedacht und fertig ist. Göthe 22, 219. inneres object:
wan daʒ sie swinde blicke   an ir viende sach.
Nib. 1687, 4.
b)
freiere anwendung in der bedeutung geistigen wahrnehmens, des erkennens, einsehens erklärt sich leicht von der thätigkeit des wichtigsten sinnes aus: eigentlich sähen und bei jm selbs verston, accipere oculis et animo Maaler 340ᶜ; lasz sähen wʒ du verheiszen habist; wär wölte nit sähen, cui enim non appareret. ebenda; sehen und erkennen was uns nutz unnd guͦt ist; in gemuͤt sehen, das ist betrachten. 369ᵇ; ich sich mer hoffnung dann ich wil; wie ich dann sich und verston. 373ᵃ; wie man sicht, wie es offenbar ist. 373ᵇ; zuekünftige dinge, eine gefahr sehen. Stieler 2021; das unglück deutlich sehen. Steinbach 2, 559; ich musz sehen, das man mich verachtet; ich will die sache geendiget sehen. Adelung; ich sehe aber ein ander gesetz in meinen gliedern. Röm. 7, 23; da aber Jhesus jre gedanken sahe. Matth. 9, 4;
dô daʒ ingesinde   sînen willen sach.
Nib. 1973, 2;
ich sahe leben,
wo sie nur tod.
Schiller don Carlos 4, 21;
ich sehe nicht warum du fragst.
Göthe 12, 72.
ich sehe aus seinem schweigen, dasz er den briefwechsel abbrechen will. die sinnliche vorstellung kann stark einwirken: ich will den sehen, der mich im talent des liebens übertrifft. Göthe 17, 188; diese furchtsamen bedenklichkeiten des ministers widerlegte die weiter sehende klugheit des helden. Schiller 8, 151. in ähnlicher anwendung: hell, klar, deutlich, recht, falsch sehen;
sie hat ganz recht gesehn — so ist's und stimmt
vollkommen zu den übrigen berichten.
Schiller Piccolom. 2, 5.
er sieht alles schwarz (mit melancholischer voreingenommenheit), du siehst alles schwarz; gegensatz: alles in rosigem lichte sehen; genau gesehen: genau gesehen gilt auch in der bildenden kunst das wort schule nur von den anfängen. Göthe 23, 271; vgl. auch die verwendung von gern, ungern, lieber sehen: ich sehe es ungern, dasz du mit ihm verkehrst;
dagegen sehn wir leidlich gern,
dasz alle studiosi nah und fern
uns wenigstens einmal die wochen
kommen untern absaz gekrochen.
Göthe Urfaust 285.
sehen wie ansehen, auffassen:
wenn er es sieht wie wir, so gibt er nach.
Göthe 9, 173.
in anderen wendungen verblaszt wieder die sinnliche vorstellung, besonders wenn sie an sich flüchtig sind wie sich, siehst du, sehn sie mal, wie ich sehe, soviel ich sehe, ich sehe wohl u. ähnl. nun sehen sie — da schlägt's eben zwölfe. Göthe 15, 6. wir wollen sehen, allein oder mit näherer angabe durch einen fragesatz, heiszt 'wir wollen abwarten'. A. ich glaube er läszt uns im stich. B. wir wollen sehen; negierend: nein, da ist keine gewalt auf erden, die sie zwingen könnte. präsident. das wollen wir sehen. Gotter 3, 91 (1802); mit folgendem satze: wir wollen sehen wer ihm etwas thut. Göthe 8, 204; wir wollen sehen kann geradezu für 'vielleicht' gebraucht werden. andere wendungen: wir werden ja sehen; du wirst schon sehen; redensart: du sollst mal sehen, sagt der blinde. versuchen, prüfen, sorgen, suchen: wir wollen sehen, was er kann, ob die brücke hält; sehen sie, dasz sie ihn hierherbringen; er mag sehen, wie er zurecht kommt; ich will sehen was ich thun kann, wo ich geld auftreibe u. ähnl.;
si sehe, daʒs innen sich bewar ...
daʒs an den siten iht irre var.
Walther 121, 6;
de wyle he sus de honre sochte,
sach ick, dat ick en hoͤnen mochte.
Reinke de vos 1566;
die elefanten auch und andre thiere sehen
dasz ihren jungen nicht was leides kan geschehen.
Opitz 4, 295;
eines schickt sich nicht für alle!
sehe jeder wie er's treibe,
sehe jeder wo er bleibe,
und wer steht, dasz er nicht falle!
Göthe 1, 72;
das er sehe, wie er sie nennet. 1 Mos. 2, 19; sehet, wo er ist, das ich hin sende und las jn holen. 2 kön. 6, 13; so sehet, welcher der beste und der geschicktest sey. 10, 3; er siehet, wie er ihm ein kleblebichen anhanget und ihn beschimpffet. pers. rosenthal 4, 1. in wendungen mit präpositionen tritt der sinn des versuchens, sorgens oder auch des achtens hervor: er sieht auf gute behandlung, sich zu deinen worten, zum rechten sehen u. s. w., vgl. unten 2. sehen c. acc. im sinne von erfahren, erleben, genieszen, erleiden, besonders in gehobener sprache: wer leben will und gute tage sehen. 1 Petri 3, 10; das auch einer weder tag noch nacht den schlaff sihet mit seinen augen. pred. 8, 16; (er) wird nicht sehen den zukünfftigen trost. Jer. 17, 6; so jemand mein wort wird halten, der wird den tod nicht sehen ewiglich. Joh. 8, 51; Abraham ewer vater ward fro, das er meinen tag sehen solt. 56;
lasz uns, o got, von deiner hand,
zu meiner sehlen ruhm, und meiner feinden schand,
zugleich gnad und straff sehen.
Weckherlin ged. 19 (1648);
dan dein gericht gerecht der warheit nach gerichtet,
zu sehen sehnet mich.
264;
auch wir,
ich und dein vater, sahen schöne tage.
Schiller Wallensteins tod 3, 3.
in gewöhnlicher rede: er hat bessere tage gesehen, ist herunter gekommen. nicht lebendes sieht, nimmt wahr: dieser kleine raum sollte den ursprung und das wachsthum des menschengeschlechts sehen. Göthe 24, 204;
Akarnanien sah sich mit bächen durchflochten.
Ramler 1, 21 (1800).
belebung in poetischer sprache: seine blitzen leuchten auff den erdboden, das erdreich sihet und erschrickt. ps. 97, 4; das meer sahe und flohe. 114, 3; die berge sahen dich, und jnen ward bange. Hab. 4, 10.
c)
das auge ist der spiegel der seele, das wichtigste mittel des ausdrucks, so erklären sich wendungen wie: der schalk sieht ihm aus dem auge; der tod siehet ihm aus den augen. Steinbach 2, 560; der zorn und die verzweiflung sieht beiden aus den augen. Lessing 1, 268; freier: ein solches bild nun wird desto angenehmer, als ein gewisser ernst ... durch eine freundliche behandlung würdig hindurch sieht. Göthe 43, 412. in anderen wendungen ist die person oder persönlich gedachtes das subject, der ausdruck des blickes wird durch adverbien oder vergleichende zusätze bezeichnet. die neuere sprache ist hier weniger beweglich, wie aus den angeführten belegen hervorgeht; sauer sehen, scheel sehen sind gebräuchliche wendungen, anderes gehört nur der gehobenen sprache an; wenn drein hinzugefügt wird, ist der gebrauch weniger beschränkt (finster, muthig drein sehen u. ähnl.); vom ausdruck des blickes aus leitet sich her die beziehung auf das aussehen überhaupt, damit ergiebt sich die übertragung auf unbelebtes von selbst (der himmel sieht blau; es sieht, als wollte es regnen); hier ist die neuere sprache ganz verkümmert, nur gleich, ähnlich sehen gehört hierher, sie wendet aussehen an, wo früher das sinnlichere sehen gebraucht wurde (ausdruck: du siehst wild, aussehen; du siehst bleich, beides bei Göthe); scheutzlich sehen. Dasypodius; hönlich sähen, nit frölich seyn. Maaler 340ᶜ; jämmerlich gesehen ist gnug gebetet. Henisch 1388ᵃ; als wenig wir gleich sehen, so wenig sind wir gleich gesinnet. Schottel 1124ᵇ; es siehet wie milch. Stieler 2022; saur sehen, dreinsehen, schäl sehen; der gläntzende messing sihet schier wie gold, sihet dem gold gleich; das gold sihet schöner als das silber; eine farbe, welche grünlicht sahe. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 738ᵇᶜ; er siehet ihm gleiche, ähnlich. Steinbach 2, 560; Adelung bemerkt, diese fügung (abgesehen von gleich, ähnlich sehen) sei nur in der 'vertraulichen sprechart, besonders in Meiszen' üblich. vgl. dagegen unten die zahlreichen belege aus dichtern seiner zeit. mundartlich, sowohl hoch- wie niederd. ist die construction besonders in redensarten lebendig, vgl. unten. zu den belegen aus älterer sprache s. Schmeller 2, 245. mhd. wb. 2, 2, 272ᵃ;
se seen alze de duͦvel uth der hellen.
Reinke de vos 5874;
der würt der sach gantz krumme.
Wickram rollw. 97, 7 Kurz;
du sichst, sam seystu halber todt.
H. Sachs fastn. sp. 2, 42, 133 neudruck;
wie sichst so schmal?
43, 143;
wie sichst du also leichnam sawr.
4, 125, 10;
(er) zoh ein zwickbart bey dem maul,
der war einr eln lang, oder drey,
und sah als käm er ausz Türkey.
E. Alberus fabeln 16, 18 neudruck;
ihr angesichtgen war und sahe gleicher maszen,
wie sich der himmel pflegt, im frühling', anzulassen.
Dietrich v. d. Werder Ariost 11, 65, 2;
(er) siht zwar wie ein biedermann, gibet aber so nur schein.
Logau 2, 196, 2;
ich kenn' auch einen bauer,
der solte zu dem thun nicht sehen allzusauer.
P. Fleming ged. 134 (1666);
wie häszlich sahst du doch, du nun so reine seele?
196;
heut' ursachst du, du liebe,
dasz wir so sehen trübe.
330;
ihr vater tritt voran, sieht wie ein tygerthier.
Rist poet. lustg. F 5;
dasz neid, betrug und mord, dasz wüste tyranney,
nicht sauer sehens werth und lauter kurtzweil sey.
Rachel 43;
die nymphen stehn in angst und sehnen,
und sehn zwar schön doch jämmerlich.
wie wenn ein dickes feld viel blumen-arten zieht,
worauf sieht eine schön, die andre schöner sieht.
380;
die andre sieht nicht schön,
wird wenig im vermögen haben.
Gellert 1, 209;
sieht diesz kind meinem kinde gleich.
Lessing 1, 72;
seht nicht mit eins so finster.
Nathan 2, 5;
ich wüszte nicht, warum ich traurig sehen sollte.
Wieland 4, 208 (Amadis 9, 16);
ihr mädchenkenner, sprecht!
sieht mein portrait schief, oder sieht es recht.
Göckingk ged. 2, 194 (1781);
doch fallt mir — sieh nicht sauer — manches ein.
232;
wenn er zornig ist, so milde,
wenn er seufzt, so freundlich sehn.
lieder zweier lieb. (1779) 33;
es sieht mit deiner bitte gar gefährlich,
Göthe 2, 212;
kleid' eine säule.
sie sieht wie ein fräule.
242;
barbaren hatten versucht
sich götter zu machen;
allein sie sahen verflucht,
garstiger als drachen.
3, 262;
und ihr seht drein,
als solltet ihr in den hörsaal hinein.
12, 141;
so sieht's in meinem busen nächtig.
12, 192;
(du) muszt dich glücklich halten,
wenn er nur freundlich sieht.
7, 5;
ach, ich bin im paradiese,
wenn dein auge freundlich sieht.
10, 255;
du siehst so ernst, geliebter.
2, 5;
ihr, jungfer, seht so blasz?
Shakesp. Othello 5, 1;
das mag ich nicht,
denn das sieht wie ein gedicht.
Rückert (1882) 3, 55;
er ging so ernst, er sah so schlicht,
wie seiner joppe graues tuch.
Keller 9, 176;
er sihet als ein ochs der dem fleischhawer entrunnen ist, als ein gestochen kalb, als wolt er grind schweren, als wolt er die leut fressen: der saur unnd so ernstlich sihet, dasz ein milch von seinem gesicht ersawren solt. Franck sprichw. 2, 62ᵃ; sehen als sei man vom grab oder tod aufferstanden, er sihet als hab man jm ghen himel geleut, als sei er drei tag am galgen, oder im rauch gehangen: der keinem menschen vor hunger unnd kummer gleich sihet. 95ᵃ; er sihet eim biderman gleich. 66ᵃ; sehen als ein wald voller teufel. 35ᵇ; a sitt wî de koatze wänns dunnert, wî nain tâge räänwâtr. Wander sprichw.-lex. 4, 508, 185; vgl. 206 ff. 217 ff.; das sihet jm gleich, als ein schneck eim jagdhund, der teufel gott. 191. 192 (aus Franck); es sihet, als wolte er newe götter verkündigen. apostelgesch. 17, 18; wenn jr fastet, solt jr nicht sawr sehen. Matth. 6, 16; asz, und sahe nicht so trawrig. 1 Sam. 1, 18; wie schön wirst du sehen. Jer. 22, 23; gleich wie der regenbogen sihet in den wolcken. Hesek. 1, 28; es sihet nicht, als sei es bewert, das die seelen im fegfewer, auszer dem stand sind des verdiensts. Luther 1, 545ᵃ; wes ist die schuld, das es jtzt in allen stedten so dünne sihet von geschickten leuten. 2, 473ᵇ; je lenger mans ansihet, je schrecklicher es sihet. 3, 532ᵇ; alles das blaw sihet. 4, 67ᵃ; und sihet, als habe S. Johannes aus Hesekiel, genommen. 5, 3ᵃ; da sihet das land wüst und öde. 468ᵃ; wenn die sonne, mond, und der gantze himel sawr und finster sihet. 530ᵇ; er sahe, wie ein todten bilde. 6, 10ᵃ; daher sihets, als wolt Mahmet sich selbs gotte zum gesellen und gleichen setzen. 3, 32ᵃ; sonst siehets, als halten wir nicht nichts von den todten. briefe 5, 251; da jne der ammiral also scheuszlich und heszlich sehen sahe. Fierrabras D 5; darumb das er (ein affe) eim menschen am gleichsten sihet. Franck weltb. 149ᵃ; welchs nit ungleich rotem wachs oder bluͦt mit erden vermischt, sihet. 184ᵇ; weltzet sich allenthalben in den federn, dasz er sahe wie ein hanffbutz. Frey gartenges. 5 (1556); könig Saul geht ein .. sieht düsterlich. Sachs 4, 1, 7ᵃ (1578); wann er todfärbig sicht. Fischart Garg. 13; sehe wie sichst, wie ein kätzlin, das nieszen will. 93ᵇ; dasz es sahe als wenn man den meyer von Londen einsetzet. 157ᵇ; dasz sie wie ein alter Silvanus zur fasznacht sahen. 217ᵇ; als dann so kommen die leuth herwider, die da sehen werden, wie die, die gestorben sind. Paracelsus opera (1616) 1, 6 C; wie die flunder rundt sihet. 348 C; hat die leich so unmenschlich, heszlich und greszlich gesehen, dasz sich jedermann dafür entsetzet und gefürchtet hat. Schaller theol. heroldt (1604) 14; was ists nun, dasz du so sauer siehest? pers. baumg. 2, 24; dasz es sahe, als solte ein lustig panquet gehalten werden. Simpl. 1, 21, 1 Kurz; da es nun sahe, als ob diese reuter .. gantz unsinnig worden wären. 47, 1; es sieht gleichwol prächtig, wenn mann in ein haus kömmt, und solche schöne thiere herumb lauffen sieht. Weise erzn. 167 neudruck; sah er vornehm oder nicht? sah er traurig? Gellert 4, 405 (1775); warum siehst du so finster, mein sohn Kain? Klopstock 11, 164; was trug ich, wie sah ich (später geändert: sah ich aus), als ich ihnen zuerst gefiel? Lessing Em. Gal. 2, 7; die rinder dieses landes sehen nicht so wild wie die schweizerischen. Stolberg 6, 327; ihr seht so blasz. Schiller räuber 1, 1; so sah er, als er ins sechszehnte jahr gieng. 2, 2; er sieht so geheimniszvoll. 4, 2; sieh freundlich und gut. Klinger 1, 18; ich bitte euch, seht nicht so ernst und düster. 46; sieh nicht so schrecklich. 55; sieh nicht so bleich, wie ein nachtgeist. 64; das pferd sieht scheu. 77; Suleima sah ernster als je. 4, 140; doch du siehst durstig, Piedro. theater 3, 322; du siehst wild. Göthe 10, 178; ihr seht blasz, gnädige frau. 8, 63; sie sahen wie aus einer andern nation, ja wie aus einer andern welt. 24, 306; die maulbeerbäume sehen, wegen mangel an feuchtigkeit, nicht fröhlich auf dieser höhe. 27, 52; du siehst nicht ganz frei, Adelbert. 42, 279; du siehst auch wie ein gespenst. 57, 193; du siehst bleich. Vischer auch einer 1, 225; wie siehts in Frankfurt. Mörike 2, 16; besondere wendung: und doch sieht er so sehr in unser geschlecht. Wieland 10, 120 (grazien 6); eure habichtsnase sieht freilich in eine alte familie. Göthe 57, 211. schon hier tritt die vorstellung des nach bestimmter richtung gewendeten blickes hervor, während daneben der begriff des aussehens wirksam ist. richtung des blicks allein z. b. in folgender stelle: wie Job da hin sihet unnd sich mercken laszt, cap. xxviij (dahin deutet, zielt). Franck weltbuch 181ᵇ. vgl. Kramer 2, 738ᵃ, unten 2, h unter auf; Graff 6, 110. 111. auch unbelebtes wird sehend gedacht: die zehen sehen aus den schuhen hervor;
wo das kloster aus der mitte
düstrer linden sah.
Schiller 11, 238.
eigenthümlich:
gleich wie der weinstock auch durch schneiden eher siehet (augen bekommt).
Opitz 4, 403 (1690).
besonders ist es der fall, wenn ein gerichtet sein als hinsehen aufgefaszt wird, wobei die eigentliche sinnliche vorstellung lebhafter oder verblaszt sein kann: meine fenster sehen auf die gasse. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 738ᵇ; zu dem hohen berge Pisga, der gegen die wüste siehet. 4 Mos. 21, 20; wie der thurm auf Libanon, der gegen Damascon sihet. hohel. 7, 4; ein fenster, das jenem pavillon gegenüber sah. Schiller 4, 214; auf einem felsen, der an dem abhange des hügels ins thal sieht. Göthe 16, 178; zimmer, die in den hof sahen. 25, 48; sieht er (der tempel) über viel land in weite ferne, aber nur ein eckchen meer (beachtenswert ist die verbindung mit dem acc.);
komm, liebe Daja, wieder an das fenster,
das auf die palmen sieht.
Lessing Nathan 3, 3.
der eigentlichen bedeutung sich nähernd:
nach dem fenster noch das bleiche
stille antlitz sah.
Schiller 11, 239.
d)
in älterer sprache wird gesehen werden (unter einflusz von videri?) gebraucht im sinne von 'angesehen werden, scheinen': er wil dapffer hefftig gesehen sein. Keisersberg narrensch. 36ᶜ; (Carlstadt) wil doch gesehen sein, der allerhöhest geist. Luther 3, 37ᵇ; etlich wollen bering und frölich gesehen sein. ebenda; dʒ die fürsten .. nit weniger dann ein schilt und hand der armen, gsehen sein wöllen. Franck weltb. 155ᵇ; dʒ er nit gesehen wurd, er hetts der herrschafft und reichs halb gethon. 190ᵇ;
(er) wil gesehen seyn, er sey ein solcher mann,
der auch aus groszer trew vor frembden nutzen ringet.
Rist poet. lustg. D.
hochg'sêchn, stolz Schöpf 666. Lexer 230; nd. gheseen, angesehen, quelle im brem. wb. nachtr. 295.
e)
vereinzeltes: nichts sehen, die monatliche reinigung nicht haben. Schmidt 216.
2)
weitere bemerkungen, besonders über die formen des gebrauchs.
a)
steht kein object bei sehen, so bezeichnet das verbum das vermögen, die thätigkeit im allgemeinen oder einen besondern fall des sehens (vgl. oben 1, a), das object ist aus dem zusammenhange zu entnehmen. sehen im ersten sinne, mit dat. commodi: sintemal das auge nicht allein jme selbs, sondern auch den füszen und den henden sihet. Gretter erkl. d. ep. Pauli an die Römer (1566) 697; so mit präpositionen oder richtungsadverbien (vgl. auch unten 2, h); hin, her, hinauf, herauf, hinab, herab, vorwärts, zurück sehen u. s. w.:
dû sihst bî mir hin und über mich.
Walther 50, 22;
sich her, waʒ ist under disem huote.
Parz. 37, 36;
sie sach dar, und er sach her.
29, 8;
herabsehen, despicere Dasypodius; besonders mit dem nebensinne des verachtenden: du hast nicht das recht, auf ihn herabzusehen; her sehen in besonderer wendung: das sîcht mer nit darnaͦch hêr, das sieht mir nicht so aus. Schöpf 666; niemand .. kund das buch auffthun und drein sehen (jetzt hinein). offenb. 5, 3; beispiele für wendungen mit präpositionen oder präpositionen in verbindung mit ortsadverbien; die neuere sprache sagt er sieht über mich weg (über mich oben bei Walther), vor sich hin, resp. er sieht sich vor, die ältere er sieht für sich (vgl. vorsicht, vorsehung); veraltet ist unter sich, hinter sich sehen; hinder sich sehen, respicere, respectare; under sich sehen, dejicere oculos in terram; ob sich sehen, subspicere Dasypodius; sihe nicht hinder dich. 1 Mos. 19, 17; wenn du merckest, das sie frech umb sich siehet. Sir. 26, 24; las deine augen stracks fur sich sehen, und deine augenlied richtig fur dir hin sehen. sprüche 4, 25; die seer krancken sehen uber sich, als wolten jnen die augen brechen. zu Jes. 38, 14 (7, 519 Bindseil); ich sehe wieder frey um mich. Lessing 1, 584 (Minna v. Barnhelm 5, 2);
der knappe hinder sich dô sach.
Parz. 349, 17;
er sach nindart umb sich.
fastn. sp. 418, 22;
(ich) sehe unter sie, aber da ist kein ratgeber. Jes. 41, 28; die mutter Sissera sahe zum fenster hinaus. richt. 5, 28; sieh zum fenster hinaus; vom fenster aus sah ich unter die menge, in das gewühl; zur erde sehen. das object ist aus dem zusammenhange zu entnehmen: ich sehe, er kommt;
du siehst! ein hund, und kein gespenst ist da.
Göthe 12, 63;
du trägst hier einen ring an deiner hand,
der stein ist gut, lasz sehn.
Grillparzer 8, 182:
der schlusz ist, wie man sieht, voreilig; siehst du, sehn sie werden in ähnlicher weise verwendet: sigst as, daͦ haͦst as. Castelli 255; siegst, hat de fink g'sagt und hat ön spaz'n d'augng ausg'hackt. Wander sprichw.-lex. 4, 505, 99. den imperativ verstärkend: siste sich. Weinhold 89ᵇ;
komm her! wir äuszern unsre klage
in liebevollen, traurig-heitern tönen.
siehst du, es geht!
Göthe 2, 5;
nd. sät he, versteit he. Schütze 4, 90; 'hast du nicht gesehen' wird gebraucht, wenn grosze schnelligkeit bezeichnet werden soll: das ging — hast du nicht gesehen — da war er schon um die ecke; bewillkommnungsformel, wenn man einen bekannten anspricht, mit dem man lange nicht zusammenkam: nd. lang nig geseen un dog nog gekennt. Schütze 4, 90 (vgl. Wander sprichw. lex. 4, 503, 59); wie? achtzehn jahre nicht mehr gesehn, und noch — Schiller räuber 4, 2.
b)
das object, auf das die wahrnehmung sich richtet, steht im accusativ: ein unbescheidener kopf, der einen rauch gesehen hat, weisz aber nicht, wo es brennt. Luther briefe 2, 423; der bucklicht sihet seinen buckel nit, aber wohl des andern seinen. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 737ᶜ;
die nacht die war so finster,
dasz man kein stich mehr sah.
wunderhorn 2, 67 Boxberger;
und rosz und reiter sah ich niemals wieder.
Schiller Wallensteins tod 2, 3;
zusätze können die stellung, lage des subjects oder des objects näher bestimmen: ich sahe den zug vom wartthurme; sahe ich dich nicht im garten bey jm? Joh. 18, 26; oder der zusatz geht auf beide: ich sah ihn auf der strasze; redensart: aber dasz sie auch allezeit buhlerisch, unbeständig und treulos sind, das — das hat den teufel gesehen! (das ist das schlimme). Lessing 2, 479; dat. für accusativ: bisz ich die ehre habe ihnen zu sehen. Göthe briefe 1, 4 Weim. ausgabe. die ältere sprache setzt das object auch in den gen., sobald sehen den sinn von achten, beachten, berücksichtigen annimmt:
mênes ni sâhun,
wities thie wam-skađon.
Heliand 741;
thes sih, thaʒ thu es waltes.
Otfrid 4, 37, 13;
hüten:
thie thes grabes sahun.
5, 4, 34;
thaʒ wib, thaʒ thero duro sah.
4, 18, 6.
diese fügung ist schon früh ausgestorben. beachte noch wendungen wie etwas zu sehen bekommen. Kramer deutsch-it. dict. 2, 737ᶜ; es giebt hier was zu sehen. ebenda; es ist da vielerlei zu sehen.
nicht auf der erden
ist ihr bild und ihr gleichnisz zu sehn.
Schiller braut von Mess. 266;
es ist nichts dahinter
zu sehn (im übertragenen sinne, bei der maszregel liegt keine versteckte absicht vor).
Piccol. 2, 7.
yeder man zuͦ sähen werden, offentlich vor yederman umbhingon. Maaler 340ᵈ; viel schöne stätte .., die unter tausenden kaum einem .. ins gesicht kommen oder zu sehen werden. Simpl. 2, 148, 23 Kurz; wurden wir nicht einmal mehr zu sehen. 97, 27.
c)
seine lust an etwas sehen u. ähnl.: seinen jammer an etwas sehen. Adelung; sie aber schawen und sehen jre lust an mir. ps. 22, 18; darumb das seine seele geerbeitet hat, wird er seine lust sehen, und die fülle haben. Jes. 53, 11; besonders gebräuchlich ist sein wunder, sein blaues (s. th. 2, 82): wunder sehen; das ich mein wunder und jamer an euch gesehen. Luther 5, 77ᵃ; sehet doch alle euren plauten wunder. Simpl. 2, 140, 19 Kurz;
der himmel sieht sich lust, so bald wir uns vertragen.
besondere wendung; acc. der wirkung:
der schäferinn musz man die lieb in's herze sehen.
Gleim 3, 47.
d)
reflexiver gebrauch; wie einfaches sehen:
sie sicht sîch hin, sie sicht sich umb,
sie meint sie wär alleine.
Uhland volksl.² 195.
gewöhnlicher objectsaccusativ: da glaubt der alte gewisz sich selbst gesehen zu haben. Göthe 18, 318;
schon einmal sah ich mich vor diesen fahnen.
Schiller Piccolom. 1, 2.
verbindungen mit prädicativen zusätzen s. unter e. anders sich müde, sich satt, sich stumpf, zum narren sehen, wobei sehen die blosze thätigkeit bezeichnet: das auge sihet sich nimmer satt. pred. 178;
hat er sich satt an eurer pracht gesehen.
Göckingk 2, 176 (1781);
an tapeten, kanapeen,
schildereyn, trümeaux und vasen
können tanten sich und basen
stundenlang nicht müde sehn.
Gotter 1, 50.
sich ist dativ: sich die augen aus dem kopfe sehn; in besonderer wendung: ich sah mir erst recht ihr bild in's herz. Klinger 1, 416.
e)
von sehen ist neben dem accus. noch ein inf. abhängig: so sie mih sahen hangen in cruce. Notker ps. 21, 8; statt gesehen im umschriebenen perfectum steht in solchen wendungen meist in neuerer sprache sehen (vgl. ich hab ihn singen hören, laufen lassen); doch findet sich auch gesehen, s. die belege; kaum steht sehen, wenn haben fehlt (dasz ich ihn sterben gesehn, nicht sehn);
nu maht thu sean thia suarton hell
ginon gradaga.
alts. gen. 2;
saehe ich die megde an der strâʒe den bal
werfen.
Walther 39, 4;
id gheschach up eynen pynxstedach,
dat men de wolde unde velde sach
grone staen myt loff unde gras.
Reinke de vos 2;
all ding jr zuͦ euch fallen secht.
kein dichter hatte sie noch mit aufgelöstem gürtel
am stillen Peneus tanzen gesehn.
Wieland 10, 18 (grazien 1);
wanderer, kommst du nach Sparta, gieb kunde dorten, du habest
uns hier liegen gesehn, wie das gesetz es befahl.
Schiller 11, 79;
da sah ich Hectors geistesbild
im traumgesichte mir erscheinen.
6, 359;
ja! ja! es ist richtig,
ich seh es kommen.
Piccolom. 2, 7;
ihr habt sie unter euch in freudger kraft
aufwachsen sehen.
braut von Messina 23;
doch als mit cither und flasche
nach diesen felsigen höhn
ich an dem heitersten tage
mein liebchen ich steigen gesehn.
Göthe 1, 164;
da sie jn sahen auff dem meer wandeln. Marc. 6, 49; wenn jr sehet den sudwind wehen. Luc. 12, 55; so, wie du uns hast leben gesehen. Wieland 6, 110 (g. spiegel) 1, 4; dasz man zu eben der zeit allerley fürchterliche gespenster .. im hain umher fahren gesehen. 20, 100 (Abder. 4, 10); (wenn ich) so was noch gekrönt werden sehe. Lucian 3, 264 (1788); ich habe degen blinken gesehen. Schiller räuber 3, 2; gerne hätte Karl diese zuneigung der nation auf seinen sohn Philipp forterben gesehen. Schiller 7, 56; blitze, die wir schon lange am horizonte leuchten gesehen. Göthe 16, 34; personen .., die wir so eben in dem gröszten prunk vorbeiziehen gesehn. 24, 309; er habe mit verdrusz das frühjahr wieder aufgrünen gesehn. 26, 212; einige .. hatten die bedeutenden männer reden hören, handeln sehen. 20, 206; baum .., den ich nur in unsern glashäusern überwintern gesehen. 58, 107. von dem infinit. kann wieder ein accus. abhängen: die ihn lieber eine jede andre (rolle) spielen gesehen hätten als die rolle eines königs. Wieland 6, 47 (g. spiegel 1, 1); quelle .., woraus ich diesen morgen die kleine nymfe wasser schöpfen gesehen hatte. 32, 140 (Agathon 3, 1); ich hab' ihn gesehen die stiefel am bach abwaschen. Hebel 2, 182;
ein affe sah ein paar geschickte knaben
im bret einmal die dame ziehn.
Gellert 1, 148 (1775).
accus. nur bei dem von sehen abhängigem infinitiv: zur selben zeit sahe ich in Juda kelter tretten auff den sabbath. Neh. 13, 15;
thô sâhun sie thâr ên hrêo dragan.
Hel. 2180;
dô si jæmerlîch ir kint sach tœten.
der affe lächelte, dasz er sich fragen sah.
Gellert 1, 148 (1775);
wie manche grosze aufzüge auf dem schauplatze der welt hat man nicht in allen zeiten mit Hans Wurst .. aufführen gesehen. Wieland 3, 62 (Agathon 12, 1); der verfasser des gutachtens betheuerte, dasz er auf seinen reisen .. froschkeulen essen gesehen und selbst gegessen habe. 20, 273 (Abder. 5, 7). infinitiv allein: ein neidischer sihet nicht gern essen. Sir. 14, 10. bei wendungen mit dem acc. und infin. kann zweideutigkeit entstehen, je nachdem man den acc. zu sehen oder dem davon abhängenden infin. bezieht, vgl. z. b. ich habe ihn taufen sehen ( Adelung). zu dem von sehen abhängigen objecte treten prädicative bestimmungen: ich hoffte ihn noch lebend zu sehen; ich sehe dich geneigt, entschlossen; wenn haben wir dich hungerig gesehen? Matth. 25, 37; sahen sie kolen geleget. Joh. 21, 9; man sahe an jnen die zungen zerteilet. apostelgesch. 2, 3; ich habe ihn nie so fröhlich gesehen. oder wenn du noch eine grausamere mutter weiszt, so sieh sie gedoppelt in mir. Lessing 2, 30 (Sara Sampson 2, 7); wenn er sich allein sah. Göthe 26, 209; ferner sah ich hier im freien manchen seltenen baum emporgewachsen. 58, 107; sah sich .. zur mooshütte geleitet. 17, 4;
ein weib von zärtlichem gemüth,
das unverhofft sich so gefangen sieht.
Wieland 10, 235 (Aurora u. Cefalus);
dasz ich niemals dich, die ich so liebe, mit diesen
augen geschlagen seh'.
Bürger 193ᵇ;
o! sich geliebt zu sehn,
welche seligkeit!
Ramler 1, 28 (1800);
ich sehe dich gegürtet und gerüstet.
Schiller W. Tell 2, 1;
so scheint es mir, ich sehe
Elysium auf dieser zauberfläche
gebildet.
Göthe 9, 123;
passivisch: auch will es nicht leer gesehen seyn, sondern ganz voll menschen (ein amphitheater). Göthe 27, 59; neben dem accus. und seinem zusatze steht noch ein infinitiv:
kaum sieht er sich umarmt von seinem Brutus küssen.
Wieland 40, 165 (die natur der dinge 3, 417).
die ältere sprache vermag einen adjectivischen zusatz zu flectieren:
er sach in bluotes rôten.
Nib. 947, 1;
gleich zu achten sind wendungen wie: ich sah ihn noch auf; ich sehe ihn in noth, im begriff abzureisen u. ähnl.:
es scheint, ihr habt in solchen nöthen
euch nie gesehn.
Wieland 17, 196 (Idris u. Zenide 3, 120);
so ruhig hell! so froh beredt! ich wünschte
sie immer so zu sehn, und niemals anders.
Schiller Piccolom. 3, 4.
statt des adjectivs oder participiums kann ein substantiv im acc. stehen, diese ausdrucksweise gehört der gehobenen rede an: wenn haben wir dich einen gast gesehen? Matth. 25, 38; jezt also sahen sich die Seeländer und Antwerper von dem ganzen theil des dammes meister. Schiller 9, 71;
(das schlosz) wovon, nach einem vorrecht von allen ihresgleichen,
sich Leoparde bereits die höchste gebieterin sieht.
Wieland 4, 90 (Amadis 4, 9);
sah
sich schon gekrönt, und unumschränkten meister
der ganzen welt der elementengeister.
17, 217 (Idris u. Zenide 4, 12);
(als ich) mich einen fremdling sah in diesem kreise.
Schiller Piccolom. 3, 4;
erd' und himmel! eine solche
sollt' ich nicht mein eigen sehn?
Bürger 75ᵃ.
statt des acc. steht besonders bei reflexivem verbum bisweilen der nom.: sie sehen mich ein raub der wellen. Lessing 2, 126 (Em. Galotti 1, 6);
Alasnam, der sich unbeschränkter herrscher sah.
Platen 333ᵇ.
häufig dagegen sind wendungen wie: ich sehe ihn schon als gefeierten künstler; auf die gegenwart bezogen:
und jezt sehen wir uns als knechte
unterthan diesem fremden geschlechte.
Schiller braut von Messina 210.
der älteren sprache eigenthümlich ist die hinzufügung von sein, verb. zum adj. oder participium, hierzu stellen sich wendungen mit dem acc. und inf., wie sie in neuerer sprache nicht mehr möglich sind: wir sehen offt die hailigen menner ertzurnet sein worden. Melanchthon anw. in die heil. schrift deutsch von Spalatinus (Augsb. 1523) 7; damit du aber sehest, dir den jüngling an allen dingen gleich seyn. buch d. liebe 238ᵈ; also sihe ich wol .. mich nicht bey einem krancken, sondern bey einem heyrat sein. 241ᵈ; auch hab ich jhn etwan gesehen so grosz sein. Würtz pract. d. wundarzn. (1612) 34; wann er einen ledigen gesellen sahe muthwillig seyn. Zinkgref apophth. 2, 9 (1639);
daʒ ich nâch dem willen mîn
dich sihe sô wol gehôrsam sîn.
Barl. u. Josaph. 154, 12;
so dasz man diesen todt sieht offenbahr zu sein
zu gleich bey freund und feindt.
Opitz 4, 306 (1690);
durch lehrer die man doch gesehn entblöst zu sein
von jrrgend einer macht.
335;
o so seh ich dein gesicht trübe, blasz, nasz, kräncklich seyn.
Logau 2, 45, 70.
f)
wendungen mit lassen: seine weisheit, seine kunst, seine tapferkeit, seinen unverstand sehen lassen; den schalck recht sehen lassen; es lassen sich in ihm herrliche gaben sehen. Kramer dict. (1702) 2, 737ᵇ; etwas für geld sehen lassen; er läszt sich den ganzen tag nicht sehen, kommt nicht zum vorschein; er kann sich sehen lassen prägnant: als maler, mit seiner malerei kann er sich sehen lassen, er darf sich damit zeigen, darf sich rühmen, oft ironisch gebraucht; sich sehen lassen, sich mit prahlerischer absicht zeigen. Campe (vgl. unten die stelle aus Schoch und Wallensteins lager); lasz sehen, ob es stimmt (dabei kann wie bei siehe die singularische bedeutung völlig verblassen). Adelung meint, man müsse sagen lasz mich es sehen, nicht lasz mir es sehen, indessen ist der dativ in solchen fällen im 18. jh. nicht selten; das er sehen liesz den herrlichen reichthum seines königreiches. Esther 1, 4; ich wil meine kunst auch sehen lassen. Hiob 32, 10; halt, las sehen, ob Elias kome und jm helffe. Matth. 27, 49; werde ich gnade finden fur dem herrn, so wird er mich widerholen, und wird mich sie sehen lassen, und sein haus. 2 Sam. 15, 23; und lies sich sehen unter jnen vierzig tage lang. apostelgesch. 1, 3; wollet jhr euch für andern sehen lassen (durch gröszeren aufwand), so habt ihr auch desto mehr ehre davon. Schoch studentenleben 65 Fabricius (3, 8); nicht ein jeglicher, der auszer gefahr sich kan sehen lassen, wird zur zeit der noth sich männlich halten. pers. rosenth. 7, 18; lasz dich nimmer unter meiner bande sehen! Schiller räuber 2, 3; der graf .. liesz dabei ungemeine kenntnisse jeder kunst sehen. Göthe 18, 263; Jarno und der Abbé hatten sich nicht wieder sehen lassen. 20, 131;
wenn er lest seinen ernst sehen,
so fürcht sich einer vor seim zahn.
J. Ayrer 3, 1754, 34 Keller;
von ewrer kindheit an hat sich bald der verstand
in euch, o groszer printz, recht götlich sehen lassen.
Weckherlin widmung vor den weltlichen gedichten (1648);
drauf läszt er sich dem volke sehn.
Gellert 1, 9 (1775);
was ihr kleid, gebläht vom losen nest
und bis ans knie geschürzt, dem jüngling sehen läszt.
Wieland 10, 238 (Aurora u. Cefalus);
die regimenter wollten sich sehen lassen,
thäten sich angreifen über vermögen.
Schiller Wallensteins lager 11;
nur schlecht gesindel läszt sich sehn.
Tell 3, 3;
wo man's so nach und nach den leuten sehen läszt.
Göthe 12, 149;
sehen machen:
ich will dîch machen sehn, warumb ichs nehm mit mir.
Dietr. v. d. Werder Ariost 11, 31, 3.
g)
von sehen ist ein nebensatz abhängig (vgl. Graff 6, 111); wahrnehmen: sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben. Joh. 19, 37; sahe, das sich der himel auffthat. Marc. 1, 10; ich wand mich und sahe, wie es unter der sonnen zugehet. pred. 9, 11; ich sihe, dasz dich Reinhard ob allen andern liebet. buch d. liebe 236ᵇ. nordd. siehste, wie de bist, häufig verblaszt als ausruf eines staunenden:
ich sieh, das wir unrecht sein gangen.
fastn. sp. 283, 9;
ich sehe, was ich seh.   ich hab' es längst
gefürchtet.
Schiller jungfr. von Orleans 4, 3.
ungewöhnlich ist der conj. im nebensatze nach dasz:
du siehst, wie ungeschickt
in diesem augenblick ich sey, mit meinem herrn
zu reden.
Göthe 9, 214.
der abhängige satz wird ohne conjunction angefügt: ich sihe, die zeit erfordert, euch mit einem mann zu versehen. buch der liebe 238ᵈ;
wan ich sihe wol, sî sint wilde.
Iwein 500.
in erfahrung bringen, prüfen, nachsehen, achten: ich will sehen, ob die thür verschlossen ist; er mag sehen, wo der zimmermann das loch gelassen hat, sich aus dem zimmer, dem hause scheren. abwartend erfahren: auff das er sehe, wo es hinaus wolte. Matth. 26, 58; halt, las sehen, ob Elias kome und jm helffe. 27, 49; sorgen, zusehen, trachten: er mag sehen, wie er damit zu stande kommt; sieh, ob du ihm eins versetzen kannst. vgl. oben 1, b:
seht waʒ man mir êren biete.
Walther 56, 21.
ein jeder sihet wie er glück hat. Franck sprichw. (1541) 2, 144ᵇ.
h)
bemerkungen zu den verbindungen mit präpositionen und ortsadverbien (vgl. oben 2, a): an, in gewöhnlicher anwendung die stelle bezeichnend, wo etwas wahr genommen wird: ich sehe einen flecken an deinem rock; übertragen: was man am anderen sihet, dasz musz man selber auch gewärtig sein. Henisch 1594, 62; was sihest du an ihr als eitelkeit? Kramer deutsch-it. dict. (1702) 2, 737ᶜ; gewöhnlich wird mit an zugefügt, was den grund, die veranlassung einer wahrnehmung, der erkenntnis bildet: an seinem schweigen sah ich, dasz er mich verstanden hatte; (sie) sehen an den wercken nicht, wer der meister ist. weish. 13, 1; an der farb sehen, dasz einer krank. Frisch 2, 256ᵃ; seh' ich nicht an der zerstörten gestalt dieser lieben, an deinen verweinten augen, deiner blässe des kummers, an dem todten stillschweigen eurer freunde, dasz ihr so elend seyd. Göthe 10, 59. veraltet ist an einen sehen, ihn ansehen (vgl. Graff 6, 110):
an Herzeloyden er dô sach.
Parz. 96, 23.
frei: an Christum siehet diser psalmus. Notker ps. 59, 2; vgl. unter auf am ende, gegen. auf: auf einen, etwas sehen, den blick auf etwas wenden: darauf sehen, figere oculos in aliqua re, observare aliquid attente. Frisch 2, 257ᵃ; auf ein mägtchen sehen, figere oculos in puella. Steinbach 2, 560; ein jeder sihet auf dich. Kramer deutschital. dict. (1702), 2, 738ᵃ;
die sâhen nû alle ûf in
und geviengen manlîchen sin.
Iwein 3721.
ein ieder sihet uff den andern und keiner uff sich selbst. Lehmann bei Wander 4, 502, 23. gewöhnlich in dem sinne, dasz man auf etwas achtet, sich um etwas kümmert, es berücksichtigt, nach etwas sein verhalten einrichtet, sich darum sorgt, im hinblick darauf hofft, strebt, arbeitet, in mannigfachen nüancierungen: auff etwas sehen, exemplum sumere de aliquo. Dasypodius; auff sein nutz sähen, und underston seinen nutz zeschaffen. Maaler 340ᶜ; wie die augen der knechte, auff die hende jrer herrn sehen. wie die augen der magd, auff die hende jrer frawen. also sehen unser augen auff den herrn unsern gott, bis er uns gnedig werde. ps. 123, 2; (andern leuten auf die hände sehen müssen .., cioè vivere della loro gratia ò alla loro discretione. Kramer deutsch - ital. dict. (1702) 2, 738ᵃ; vgl. in die hände sehen unter in. anders: jemanden auf die finger sehen); uns, die wir nicht sehen auff das sichtbare, sondern auff das unsichtbare. 2 Cor. 4, 18; sihe auff dich selbs, das du nicht auch versuchet werdest. Gal. 6, 1; sihe auff das ampt, das du empfangen hast. Col. 4, 17; da (beim handel) heiszts, der erst der beste, und jglicher sehe auff seine schantz, ein ander habe was er kan. Luther 4, 407ᵃ; auff welchen (den pabst) sie (die kath. kirche) auch mehr, als auff den herrn Christum sihet. Heilbrunner von der Augsb. confession widerw. censur (1598) 115; die reimen der ersten strophe sind auch zue schrencken auff vielerley art, die folgenden strophen aber mussen wegen der music ... auff die erste sehen (sich nach ihr richten). Opitz poet. 46 neudruck; ich sehe nicht drauf, er sihet auf kein geld; auf sich sehen (auf sich halten); auf die drohworte des abgesandten ist nicht gesehen worden (man hat sich nicht drum gekümmert). Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 737ᶜ. 738ᵃ. 739ᵇ; wer auf das kleine sieht, bekommt auch das grosze. Frisch 2, 256ᵃ; auf den ausgang, gute gelegenheit, auf gemeinen nutzen sehen. Steinbach 2, 560; er sieht auf vermögen (bei einer zu wählenden gattin), mehr auf tugend als schönheit. ebenda; ich sehe auf pünctlichkeit, verlange sie von meinen untergebenen;
auff dein gleichen merck und sich,
dj findestu bey frummen dick,
den hencker schlaiffen an dem strick.
Schwartzenberg (1535) 138ᵃ;
sichst du auff straff und lon dabey.
158ᵇ;
ich hab ein gscheft zu richten aus,
liebn herrn, secht auch mit auf mein haus (kümmert
euch drum, wie es in abwesenheit des herrn drin zugeht).
Rebhun Susanna 1, 2 (schauspiele aus dem 16. jahrh. 1, 38);
ein krieger ist vergnüget,
dasz er von einem mahl' aus andern so viel krieget
als er benöthigt ist. was hilfft ihm land und gut?
die feigen sehn auff disz.
P. Fleming ged. (1666) 110.
einem aufs maul sehen (sich nach seiner sprache richten): man mus nicht die buchstaben in der lateinischen sprachen fragen, wie man sol deutsch reden, wie diese esel thun, sondern man mus die mutter im hause, die kinder auf der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und denselbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen. Luther 5, 442ᵃ. jemanden auf die finger sehen, scharf achten, was er macht, misztrauisch beobachten, um schaden zu verhüten: einem auf die finger sehen, observare aliquem ut furem Frisch 2, 256ᵃ; in ähnlicher anwendung: auf die schanze sehen: der baur hat sehr diebische nägel an den fingern, und ist nicht bäurisch, sondern doctorisch gnug, das seine zu suchen, wo man nicht fleiszig drauf siehet; demselben musz man scharf auf die schanze sehen. Luther briefe 5, 731. auf etwas sehen, auf etwas hinweisen, hinzielen: diese rede sihet auf was anders. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 738ᵃ. vgl. Franck weltbuch 181ᵇ oben unter 1, c und oben an am ende, unten gegen. aus: aus dem fenster sehen; denn zur selbigen zeit, werden die tauben hören die wort des buchs und die augen der blinden werden aus dem tunckel und finsternis sehen. Jes. 29, 18. redensart: er sieht dem kaiser aus dem land (schielt). Frommanns zeitschr. 5, 31, 12. aus den augen sehen: er sieht so träumerisch aus den augen; der schalk sieht ihm aus dem auge; er kann nicht aus den augen sehen (z. b. vor schläfrigkeit); aus den augen eines andern etwas sehen, mit der auffassung eines andern etwas betrachten: dies mehr (als blosze neugier) .. würde nicht sehr schmeichelhaft für sie sein, wenn er aus meinen augen sehe. Wieland 39, 92 (Menander und Glycerion 30); anders: nun sehen sie aus andern augen, nun haben sie eine weit bessere gestalt. Adelung. zu sehen im übertragenen sinne tritt aus und knüpft das an, woher die erkenntnis, die einsicht genommen wird: aus wölchem man leychtlich sieht und offenbar ist. Maaler 373ᵇ; ich sehe aus seinem briefe, dasz er kommt, aus deinem verstummen, dasz du dich schuldig fühlst; ich sehe es daraus, dasz du mir nicht geschrieben hast. wie daraus wird in älterer sprache daher gebraucht: man siehet auch die ursache solcher beschwerlichkeit (seekrankheit) daher, weil es nicht bald zu anfang der schiffarth ... sondern offt erst nach etlichen tagen ... einem ankompt. Olearius pers. reisebeschr. 1, 2 (4ᵃ). durch: durch ein loch, durchs fenster, durch die brille, das fernrohr sehen; man sah durch eine lange zimmerflucht; sihe, er stehet hinder unser wand, und sihet durchs fenster, und gucket durchs gitter. hohel. 2, 9; scherzhaft von einem scharfsichtigen, häufig auch ironisch: er sieht durch ein eichenes brett, durch neun thüren, durch einen zaunpfahl. Wander sprichw.-lex. 4, 510; schön:
welt ir wiʒʒen waʒ diu ougen sîn,
dâ mit ich sihe dur elliu lant?
eʒ sint die gedanke des herzen mîn:
dâ mite sihe ich dur mûre und ouch dur want.
Walther 99, 27.
in der bekannten stelle 1 Cor. 13, 12 schlieszt sich Luther eng an den griech. text (βλέπομεν ἄρτι δι' ἐσόπτρου): wir sehen jetzt durch einen spiegel in einem tunckeln wort; ja das sah ich, durch den spiegel sah ichs mit diesen meinen augen. Schiller räuber 4, 2. sehr häufig ist die wendung jemandem durch die finger sehen, nachsicht mit einem haben, absichtlich nicht bemerken, was ein anderer verfehlt, wer durch die finger sieht, sieht absichtlich nicht genau; durch die finger sehen, connivere Dasypodius; durch die finger sehen mit jemand, connivere con uno, haver connivenza, indulgenza con uno. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 738ᵃ (hier wird die wendung anders aufgefaszt): Borchardt sprichw. redensarten belegt auch durch die hend sehen, nicht kennen wollen; der brillenmacher klagt, dasz seine waare nicht mehr geschätzt wird:
dat kumpt van dingen, de nu schein,
dat me so wol kan dor de finger sehen.
mnd. fastnachtsp. 51 (vgl. nd. korrespondenzbl. 11, 57);
wer durch die fynger sehen kan
und loszt syn frow eym andern man,
do lacht die katz die müsz suͦsz an.
Brant narrensch. 33 überschrift;
das man villycht saget von mir,
ich schmuckt die warheit hinder thür
und leit den finger uff den mundt,
ouch durch die finger sehen kundt.
Murner narrenbeschw. 13, 12 neudruck;
das xix laster ist, lasen hingon soliche ding die da nit sind zuͦ verachten und allso durch die finger sehen. Keisersberg seelenpar. vorr.; wan nu diszer bund nit were und gott nit barmhertziglich durch die finger sehe. Luther 2, 731 Weim. ausg.; das gott und wir euch solch bösz vorkeret gewonheit tzu lassen und durch die finger sehen. 7, 635; das er solchem teglichen fall unnd geprechlickeyt durch die finger sicht (in neuerer sprache nicht möglich). 9, 240; Heli, welcher seinem sohn durch die finger sahe. Höniger narrensch. (1574) 21ᵇ. für s. vor. gegen: das fenster sieht gegen osten; was stehet jr, und sehet gen himmel? apostelgesch. 1, 11; es kan keiner zugleich gen himmel und erden sehen. Schottel 1124ᵇ; ahd. sihet gagen iro, erit opposita (affirmatio). Graff 6, 110; vgl.an, auf. in: in die weyte sehen, prospicere. Maaler 340ᶜ; einem ins gesicht sehen, ein ding ins gesicht sehen wollen, man kan keinem ins hertz sehen. Kramer deutsch-it. dict. (1702) 2, 738ᵇ; in den spiegel sehen. Steinbach 2, 560; in die luft, in die höhe sehen; in's buch sehen; in die karten (scil. der mitspieler) sehen; e segt än de plaͦnzegôrten, än de schiele wänkel, er schielt. Frommanns ztschr. 5, 31, 12; in die zukunft sehen u. s. w.;
ir müeʒet in die liute sehen, welt ir erkennen wol.
Walther 35, 33;
mancher sihet weit hinausz insz feld,
und doch für sich ubern steinlin felt.
Petri der teutschen weiszh. (1605) 2, Nn 5ᵇ;
sehen sie nur recht
in jene ecke, ob sie hinter'm schirm
vielleicht versteckt —
Schiller Piccol. 3, 3;
das sie auch in die lufft ... nicht gern sahen. weish. 17, 9; berg und tal zittern, wenn er heimsucht, solt er denn in dein hertz nicht sehen. Sir. 16, 18; dein vater, der in das verborgen sihet. Matth. 6, 4; hebet ewre augen auff, und sehet in das feld. Joh. 4, 35; sihe in dein haus, darnach darausz. Franck sprichw. 2, 120ᵇ; der gefahr, dem tode ins gesicht, ins auge sehen u. ähnl., vgl. unten unter: (sofern wir) der warheit in disem artikel recht ins angesicht sehend. Zwingli bei Wackernagel leseb. 3, 270, 5; männer such' ich, die dem tod ins gesicht sehen. Schiller räuber 3, 2. in die hände sehen, wie oben auf die hände sehen unter auf: es ist besser, das deine kinder dein bedürffen, denn das du jnen müssest in die hende sehen. Sir. 33, 22; ins maul sehen in ähnlicher anwendung, sich nach der rede jemandes richten: darumb bleib unverworren, behalt deine güter, und sihe den kindern nicht ins maul. Luther 4, 522ᵇ. anders: 20 kerls .. so einem ins maul sehen undt alle bissen zehlen. Elis. Charl. v. Orleans briefe 1, 120 Menzel. einem in die karte (gewöhnlicher karten) sehen, met. spiare i suoi segreti. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 738ᵇ; er vermiszt sich, der vorsehung in die karten zu sehen; ins spiel sehen: sihe in dein eygen spil, kart ausz deiner hand wilt du gewinnen. Franck sprichw. 2, 120ᵃ. in eine sache sehen, in sie einzudringen, sie zu ergründen suchen (vgl. einsehen, n., einsicht): für jeden, der nur einigermaszen in die sache hätte sehen wollen. Göthe 54, 305; auf grund solchen eindringens wirken: da mag e. ch. f. g. nach hoher vernunfft, wol erwegen, was jrrsal und ketzerey, da erspringen wird, wenn man nicht anders in die sach sihet. Luther 1, 161ᵃ. ähnlich drein sehen (von gott): herr allmechtiger gott, erbarm dich unser und sihe drein, und erschreck alle völcker. Sir. 36, 1;
das ganze Deutschland soll es sein!
o gott vom himmel sieh darein,
und gieb uns rechten deutschen muth,
dasz wir es lieben treu und gut.
Arndt ged. (1860) 235.
von wendungen, bei denen in mit dem dativ gebraucht wird, bemerke: etwas in anderm, rosigen, trüben, schiefen lichte sehen (vgl. die stelle aus Wieland unter von); ich sehe in ihm den eigentlichen anstifter; sieh in mir eine neue Medea. Lessing 2, 30 (Sara Sampson 1, 7). mit: ich hab es mit eignen augen gesehen; ich hab ihn mit keinem auge gesehen; sieh es erst mit meinen augen; mit schälben augen sähen, schälb und entzwerch sähen. Maaler 340ᶜ; sein angesicht wird verhüllet werden, das er mit keinem auge das land sehe. Hes. 12, 12; mit einem auge gibt er, und mit sieben augen sihet er, was er dafur kriege. Sir. 20, 14;
ich sach mit mînen ougen
mann unde wîbe tougen.
Walther 9, 16:
anders: hiemit wird abermahl gesehen (hiemit wird wiederum angezeigt, bezug genommen auf das), was ich droben von des meccanischen tempels - decke gesaget habe. pers. rosenth. 7, 9 anmerkung. nach, in gewöhnlichem sinne, die richtung bezeichnend:
er sach nâch einem bilde   an des küenen gewant.
Nib. 921, 4;
er sah spähend nach dem waldrande, das fenster sieht nach der gasse; nach einem hinsehen und ähnl. nach der stadt sehen, ad urbem respicere Steinbach 2, 560; mit der nebenvorstellung des interessiertseins: da sahen die kinder gottes nach den töchtern der menschen, wie sie schön waren. 1 Mos. 6, 2; sprich nicht, der herr sihet nach mir nicht, wer fragt im himel nach mir? Sirach 16, 15. so entwickelt sich leicht eine prägnante anwendung (vgl.zu): sehen nach etwas, videre ne res aliquid detrimenti capiat; einem kind nach dem kopf sehen, videre ne pediculi augeantur; ne scabies caput corripiat; nach dem essen sehen, cibi coquendi curam habere. Frisch 2, 256ᵃ; nach einem krancken sehen. Kramer deutsch - ital. dict. (1702) 2, 738ᵃ; ich musz einmal nach dem rechten sehen, sehen, ob alles in ordnung ist, ordnungsgemäsz vor sich geht; nun sehe Pharao nach einem verstendigen und weisen man, den er uber Egyptenland setze. 1 Mos. 41, 33; er soll bereit seyn, soll nach den pferden sehen (dasz sie gefüttert und zum ritt fertig sind). Göthe 8, 10;
weil Joseph nun nach leichen-tüchern siehet,
hat sich der mann um specerey bemühet.
A. Gryphius (1698) 2, 235.
vertraut ist uns die anwendung dieser verbindung nach etwas sehen, sich umthun, sich kümmern um etwas, wenn sehen dabei stärkeren sinnlichen gehalt hat (nach dem feuer sehen u. ä.), fremder klingt sie uns, wenn die eigentliche bedeutung von sehen verblaszt: es sehe jederman nach einem ehrlichen auszkommen, so darf er niemand zum kreutze kriechen. Creidius nuptialia oder hochzeitspredigten. um, jemandem um etwas sehen, für jemanden nach etwas suchen: dasz ich jr umb ein frommen man sehe. Bocc. 106. unter, einem unter die augen sehen, in älterer sprache soviel als ins gesicht sehen:
mir ist von ir geschehen,
daʒ ich disen sumer allen meiden muoʒ
vast under dougen sehen.
Walther 75, 3 (vgl. dô ich dich gesach reht under ougen. 101, 9);
sein kurtze wort, man musz ihn recht under die augen sehen, szo sein sie reich und grosz. Luther 14, 177 Weim. ausgabe; so man diesem gesetz recht unter die augen sihet. Gretter ep. Pauli an die Römer (1566) 204;
(der) unverwirrt von furcht, ihm (dem übel) unter augen sieht.
Uz 252 Sauer.
vgl. unser der gefahr, dem tode ins gesicht, ins auge sehen. von; etwas von einer bestimmten seite, der richtigen, falschen sehen; dasz er die trauergebräuche ... in keinem andern als lächerlichen lichte, und von keiner andern als der schiefsten seite sehen konnte. Wieland Lucian 5, 202 (1789);
von dieser seite sah ich's nie.
Schiller Wallensteins tod 1, 7.
von einem etwas sehen: was ich bisher von ihm gesehen habe (verhalten, leistungen), gefällt mir nicht;
was soll ich anders lernen hy,
dann ich von mein gespylen syh.
Schwartzenberg (1535) 140ᵃ.
vor, für: es ist alles vergessen, wenn mans nicht alle stunde für der nasen sihet. Luther 5, 530ᵇ; einen vor augen, vor seinen augen, vor sich sehen. Kramer deutsch - ital. dict. (1702) 2, 738ᵇ; den tod vor augen sehen; vor sich sehen, das ins auge fassen, was vor einem liegt und darnach sein verhalten einrichten, nicht blindlings vorwärts gehen, meist in freierer anwendung in älterer sprache (vgl. sich vorsehen): unde dar umbe seht für iuch an fremeden sünden und ouch an eigenen sünden. Berth. v. Regensburg 1, 218, 19; ich thu das meine, ein ieglicher sehe fur sich. Luther briefe 2, 56; sihe fur dich, trew ist miszlich. Agricola sprichw. (1534) 15. mit vor wird das angeknüpft, was das sehen hindert: für nebel etc. nicht sehen können. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 738ᵇ; als ich aber fur klarheit dieses liechtes nicht sehen kund. apostelgesch. 22, 11; man sieht vor lauter licht keinen schatten, vor lauter hellung keinen körper, den wald nicht vor bäumen; die menschheit nicht vor menschen. Göthe 53, 74. zu: zu einem sehen, in älterer sprache, den blick auf ihn richten (vgl. Graff 6, 111);
dô sâhen zuo ein ander   die küenen rittere gemeit.
Nibel. 804, 4;
seht (sô helfe iu got)
ze disem biurischen man,
wie wol er sîne rede kan.
Hartmann Greg. 952;
meine augen sehen stets zu dem herrn. ps. 25, 15; warum sihestu denn zu den verechtern? Hab. 1, 13; zu etwas sehen (vgl.nach), sich nach etwas umthun, sehen wie es steht, sorgen, dasz etwas in ordnung kommt u. ähnl.; ich musz einmal zum rechten sehen;
dar to wyl ik myt groteme vlyd
alle tyd to yuweme lyve seen.
Reinke de vos 6411;
jetzt verkert sich vil mancher stant,
das musz entgelten leut und lant,
man sech denn basz zun sachen.
Gödeke-Tittmann liederb. 261;
eilends trugen sie ihn zu beth, und sahen ihm zu den wunden. junker Harnisch 77 (1669); wir sollten nur zu unserm eignen .. wagen ernstlich sehen, damit wir nicht etwa stecken blieben. Göthe 30, 251; Götz, sey unser hauptmann, oder sieh zu deinem schlosz und deiner haut (hüte dich, dasz dein schlosz und haut nicht in gefahr kommen). 8, 141; sieh zu deinen worten, nimm dich in acht mit deiner rede, bedenke, was du sagen willst;
du sollst mir zahlen für ihn! da, sieh zu deinen ohren.
Wieland 22, 23 (Oberon 1, 45).
i)
imperativ; siehe klingt uns biblisch, pastoral und feierlich (doch bei verweisungen — siehe bd. 3, 112 — braucht man gewöhnlich diese längere form); auch hinweisendes sieh gehört mehr der gehobenen sprache an (doch verwendet man es gern arguierend: sieh ich mein es so gut mit dir). dagegen sehr gebräuchlich sind in der umgangssprache siehmal, sehn sie, sehn sie mal. sehn sie, ich hab's ihnen gleich gesagt. nu sehn sie mal, siehmal kann bezeichnen, dasz etwas überraschend ist, anders kommt als man dachte: sieh mal (auch nu sieh mal an), das ist ja ein netter bruder. in gleichem sinne braucht man sieh so in Norddeutschland (mit langgedehnter aussprache), vgl. Woeste 236ᵃ; aber auch, wenn etwas recht oder gut, fertig oder genug ist: siso! nu is't gôd. ten Doornkaat Koolman 3, 188ᵃ, vgl. Frommanns zeitschrift 3, 260, 25. sich also ist der handel. Maaler 373ᵃ; siehe, da bin ich; siehe, da hastu es; siehe, da ist er. Stieler 2022; siehe, ein neuer schwarm; sieh wir menschen werden böse. Steinbach 2, 560. für die epideiktische anwendung von siehe in Luthers bibelübersetzung mögen einige beispiele genügen: und sihe, eine stimme aus den wolcken sprach. Matth. 17, 5; sihe, jtzt habt jr seine gotteslesterung gehört. 26, 65; sihe, ich verkündige euch grosze freude. Luc. 2, 10; sihe, ewer lohn ist gros im himel. 6, 23; nu jr es (das wort gottes) von euch stoszet, .. sihe, so wenden wir uns zu den heiden. apostelgesch. 13, 46; weil ich sorgte, er möchte noch endlich schnellen, sihe so drehete ich mich aus. Simpl. 3, 20, 5 Kurz; feierlich: ich taumelte bebend auf, und siehe da war mirs, als säh ich aufflammen den ganzen horizont in feuriger lohe. Schiller räuber 5, 1;
sîch, nû hab ich dich gelêret
des ich selbe leider nie gepflac.
Walther 92, 3;
sih, wie ist es noch so gemait (das wams).
fastn. sp. 584, 8;
er zählt die häupter seiner lieben
und sieh! ihm fehlt kein theures haupt.
Schiller 11, 312;
sieh, mir wird so wohl,
warm geht das herz mir auf bei eurem anblick.
Tell 1, 4;
willst du immer weiter schweifen?
sieh, das gute liegt so nah.
Göthe 1, 74;
du denkst es kaum und sieh! das lied ist fertig.
2, 5;
betracht' sie genauer
und siehe so melden
im busen der helden
sich wandelnde schauer
und ernste gefühle.
3, 70;
sieh da, sieh her, sieh hin und ähnl.: sich da die antwort auff all dein schreyben. Maaler 373ᵃ; siehe da! der saubere vogel. Kramer deutsch-ital. dict. (1702) 2, 739ᵃ; da sich, nimb war, hab acht. Maaler; und sie werden zu euch sagen, sihe hie, sihe da. Luc. 17, 23; seh da meinen blassen, meinen rundtraber. Fischart Garg. 134ᵃ;
se hin, trink ain guten Pernhart.
fastn. sp. 432, 10;
sieh da! sieh da, Timotheus,
die kraniche des Ibycus.
Schiller 11, 245;
ich stand und wartete, und siehe da! er kam nicht. Adelung. sich her braucht man im westerwäldischen nach Schmidt 218, wenn man etwas verblümt zu verstehen gibt: das kind macht dir schmeicheleyen, sich her, du sollst ihm ein stück kuchen geben; scheines halber: er drückte mir die hand, sich her, er wäre fremd. nd. ei sü ins, man sehe einmal. brem. wb. 4, 732; sü dat sü, ausruf der verwunderung. Dähnert 420ᵃ; ebenso sü mal an. Schütze 4, 90; ssi-daͦ, dort, ssi-dai, der da, ssi-dat, das da, jenes da, ssi-düt, dies hier Woeste 236ᵃ; eigenthümliche nd. anwendung: ik hebbe'r nig sü-dat vor kregen (nicht das geringste, man schnalzt dabei mit den fingern); even so veel as sü-dat. brem. wb. nachtr. 295; ich frage nicht sieh das darnach. Siegfried von Lindenberg 4, 184 (1784); ich sehe da, meiner seel! nicht sieh das zu bewundern. 185. plural des imper.: sehet, ich habe euch macht gegeben, zu tretten auff schlangen und scorpion. Luc. 10, 19; sehet, wir gehen hin auff gen Jerusalem. 18, 31; sehet, welch ein mensch. Joh. 19, 5; sehet, mit wie viel worten hab ich euch geschrieben mit eigner hand. Gal. 6, 11; sehet da, ich hab euch gegeben allerley kraut. 1 Mos. 1, 29; secht hin, bin ich nicht tod. Fischart Garg. 85ᵃ; secht, secht, hat man mich nicht wol underwisen. 162ᵃ; secht da, ich wett. 259ᵇ:
seht! seht! so musz man sparsam seyn.
Lessing 1, 82;
seht all' daher, ei, ei! da schaut einmal. Spiesz 232.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 1 (1899), Bd. X,I (1905), Sp. 129, Z. 11.

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Zitationshilfe
„gesihen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gesihen>.

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