Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

gesinnung, f.

gesinnung, f.

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in der heutigen anwendung ziemlich neuen ursprungs; aber schon mnd. gesinnunge, das ansinnen, begehren, als ableitung vom verb. gesinnen nr. 3.
1)
die besinnung, das bewusztsein, vgl. gesinn:
dasz mir glei d' gsinnung ganz vergeht.
K. Stieler habts a schneid 90.
2)
die art wie jemand gesinnt ist, sowol im einzelnen falle wie als charaktereigenschaft, vgl. das verb. gesinnen 6 und das subst. gesinnen 3: der könig hat schon seine gesinnung hierüber blicken lassen. Göthe 57, 154; seine gesinnung ändern. Adelung;
doch meinen abscheu, meine innerste
gesinnung hab ich tief versteckt.
Schiller XII, 187 (Picc. 5, 1);
die eine oder die andere gesinnung als angeborne beschaffenheit von natur haben. Kant 6, 184; wo aber eine gesinnung aus dem vollen geht, da hat sie auf ihre weise immer recht. Tieck 13, 344;
haltet am glauben fest, und fest an dieser gesinnung.
Göthe 40, 242;
die heiligen schriften,
die uns der menschen geschick enthüllen und ihre gesinnung.
237;
der adel der gesinnung. A. W. Schlegel 11, 208; edle, grosze, niedrige, gemeine, schlechte gesinnung; von deren guter gesinnung sie die innigste lebhafteste sympathie erwartet. Engel 7, 285; das fröhliche herz in befolgung seiner pflicht ist ein zeichen der ächtheit tugendhafter gesinnung. Kant 6, 182; die sittliche gesinnung jemandes untergraben; der glaube sollte ersetzen, was der moralischen gesinnung und dem handeln abgehe. Schlosser weltg. 4, 427; christliche gesinnung. Freytag werke 12, 112; die politische, liberale, aristokratische gesinnung; die deutsche gesinnung der Rheinländer. schlechthin gesinnung für gute, tüchtige gesinnung:
und belebst als wahrer dichter
schaf- und säuisches gelichter
mit gesinnung wie mit sinn.
Göthe 2, 168;
im plural, auch in bezug auf eine einzelne person: die gesinnungen eines mannes, der die welt kennt. Lessing 3, 244 (von 1751); seine wahren gesinnungen gegen das jetzt regierende haus verrathen. 305; alle zeilen (in Gellerts briefen) sind mit dem süszesten gefühle, mit den rühmlichsten gesinnungen belebt. 159; im roman sollen vorzüglich gesinnungen und begebenheiten vorgestellt werden, im drama charaktere und thaten. Göthe 19, 181 fg. (W. Meisters lehrj. 5, 7); sie glich meinem vater an gestalt und gesinnungen. 20, 47; wäre nicht ihr bloszer namenszug schon ein zeuge ihrer glücklich veränderten gesinnungen? 14, 169; ich fühle deine gesinnungen. ebenda; (der einsame Jerusalem) lebte sich und seinen gesinnungen. 26, 156; sein vertrauen auf den andern quillt aus der redlichkeit seiner eigenen gesinnungen. Schiller X, 434; vortheilhafte gesinnungen gegen jemanden haben oder hegen. Adelung; brüstet euch nicht mit erhabenen gesinnungen. Börne 3, 181; hekatomben schöner gesinnungen. Hamann 4, 253; schnöde und feindliche gesinnungen. 7, 61.
3)
die äuszerungen der gesinnung, sentiments: von den ausdrücken (in Klopstocks Messias), von den beschreibungen, von den eingestreuten gesinnungen. Lessing 3, 310; ich habe die gekrönte rede des herrn Rousseau gelesen. ich finde sehr viel erhabne gesinnungen darinne. 295; die kräftige derbe, vielleicht in kleinigkeiten zu genau nachgebildete volkssprache (in Göthes Götz und Werther) gab allen seinen bildern und gesinnungen eine so sprechende wahrheit. Rüdiger zuwachs 5, 140.
4)
zusammensetzungen in der bedeutung nr. 2, insbesondere in kirchlicher und politischer beziehung:
gesinnungsgenosse m.
gesinnungskraft f.
blätter f. lit. unterhaltung 1846 s. 978ᵃ. —
gesinnungskreis m.:
das deserted village von Goldsmith muszte jederman auf jener bildungsstufe, in jenem gesinnungskreise, höchlich zusagen. Göthe 26, 157. —
gesinnungslos adj.
ohne feste, ohne jede gesinnung; dazu die gesinnungslosigkeit: bei der herrschenden schwäche und gesinnungslosigkeit. Schlosser weltg. 4, 274; die politische gesinnungslosigkeit. Keller Seldwyla 1, 161. —
gesinnungsmache f.
politische gesinnungsmacherei. allg. zeit. 1866 sp. 4918ᵃ, aus Berlin.
gesinnungspoet m.:
die gedichte meiner Parnassgenossen, der heutigen gesinnungspoeten. H. Heine (1862) 9, 35. —
gesinnungsreinheit f.
Jen. lit.-zeit. 1845 s. 300. —
gesinnungstreue f.:
seine gesinnungstreue wird das werk halten und fördern. —
gesinnungstüchtig adj.
Devrient schausp. 3, 421; dazu die gesinnungstüchtigkeit: einen übergang suchen von der schurkischen gesinnungslosigkeit eines Ohm und der schuftigen gesinnungstüchtigkeit eines Gödsche zu dem ministerium Manteuffel. Leipz. zeit. 6. dec. 1849. —
gesinnungstugend f.:
zu dem hohen urbilde von gesinnungstugend, wie Jesus, hatte sich Mohammed niemals erhoben. Hannov. mag. 1846 s. 418. —
gesinnungsverwandte m.
Keller Seldwyla 2, 98. —
gesinnungsvoll adj.
voll guter gesinnung: ich liebe eine gesinnungsvolle opposition. worte Friedrich Wilhelms IV bei Büchmann geflüg. worte 395. —
gesinnungswechsel m.:
diese gesellschaft hatte sich (hundert jahre) durch mancherlei orts- und gesinnungswechsel immer mit anstand erhalten. Göthe 29, 223.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1895), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4121, Z. 61.

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Zitationshilfe
„gesinnungstuchtig“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gesinnungst%C3%BCchtig>.

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