Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

gestade, n.

gestade, n.
litus, ripa, portus.
1)
herkunft und formen.
a)
gestade, mhd. gestat, ist verstärkung des starkflect. neutr. stat, stad (Schm.² 2, 732), das mhd. neben dem masc., sowol dem starkflect. stat, stad, ahd. stad, goth. staþs, ags. stäđ, alts. stađ, als dem schwachflect. stade, ahd. stado, nhd. der staden (Alberus dict. Yy 4ᵃ), auftritt. staden und gestad sind die oberd. wörter für das eigentlich md. und nd. ufer, daher das Basl. neue test. von 1523 Luthers ufer durch gestad erklärt, andrerseits in Nord- und Mitteldeutschland gestade nur in gehobener sprache gebraucht wird. sie sind aus demselben stamme gebildet wie stehn, ahd. mhd. stân, und statt, stadt, stadel; die grundbedeutung ist entweder 'das feststehende (land)' im gegensatz zum unstäten gewässer, oder 'ort, wo schiffe stehen und anlanden können', s. nr. 2, b.
b)
ein überrest aus älterer zeit ist die schreibung gestat, gestatt: gestat des mörs, gstat der wasser. Pinicianus prompt. (1516) K 8ᵈ; ain merschwein füert in (Arion) unverseret an das gestat. Aventin. 4, 276, 31 Lexer;
und liegen unten am gestat.
J. Ayrer keiser Ottnit 211ᵃ;
das gestatt des mörs. Schaidenreiszer Odyss. 7ᵇ, gestadt ebenda;
(die fischer) thetten dem gestatt zunahen,
stiegen ans land.
H. Sachs 4, 1, 124ᵇ;
(die wasser) soltn jr gstatt nicht ubergehn.
5, 175ᵃ u. ö.;
an dem kühlen gestatt des wassers. Lazarillo de Tormes 82; das meer .. würft denselben (unflat) auff das gestatt hinausz. Simplic. alb. briefsteller (1725) 10; noch östr. das gestatt Höfer wb. 1, 291. Loritza 50ᵃ. über die alterthümelnde form gastatt Simpl. 2, 281 sieh ge I, 2, e, β sp. 1604.
c)
durch einflusz des schwachflect. stade, staden bildeten sich die schwachen formen des gestaden Zorn Worms. chr. 244, zuͦ dem gestaden Keisersberg schiff 25ᵇ, am gestaden der see Petrarca 108ᵃ. Garg. 179ᵇ, am gestatten Aventin. 1, 262, 32. 4, 373, 3. 452, 26 L.; sogar im nom. und acc. das gestatten, gestaden: von Lechsgemünd herab ist etwan das gestatten der Thonau hoch und holzig. Aventin. 4, 690, 18. 691, 2 Lexer; die wind schlagen mich hieher an das gestaden. Petrarca 222ᵃ;
das wärt hinauff das gantz gestaden.
Fischart gl. schiff 149;
und als masc.: der ander gestaden (des Granicus). Boner Plutarch (1555) 2, 6ᵃ; den ganzen meer-gestaden under seinen gewalt bringen. 7ᵃ. ein rest der schwachen form ist der heutige nom. sing. gestade, zuerst nachweisbar bei Stieler: meerufer, alias gestade 1373. vgl. das fem. gestätten.
d)
der plur., früher die gestad Dasyp. E 6ᶜ, gestatt H. Sachs 5, 260ᶜ, jetzt die gestade (schon bei Harsdörffer frauenz.-gespr. 6, 95), weist daneben die schwache form die gestanden Zach. Müntzer Livius (1584) A 3ᵃ und die seltene form gestäder auf Meurer jag- u. forstrecht (1582) 61ᵃ, wie das unter a erwähnte neutr. stat den plur. stedir, steder.
2)
bedeutung.
a)
das ufer, namentlich an gröszeren gewässern.
α)
die küste des meeres: mhd.
ein grôʒ schef sach er stân wol
geheft zuͦ den gestaden.
H. v. Neustadt Apollon. 2270;
wenne daʒ mer .. daʒ ûfer oder daʒ gestat beswært mit seinen ünden. Megenberg 172, 2; das gestad am meer. de Lapi vocabularius (Bologna 1479) f 2ᵃ; also beschicht auch dick, dasz das gestad zuͦ einem mer wirt. Keisersberg baum d. seligkeit 7ᵃ; das lecke schiff versinkt hart am gestade. Schiller II, 352;
wie wann die woge des lautaufrauschenden meeres
hoch am gestade zerscheitert.
Bürger 197ᵃ (Ilias 2, 210);
in der nähe der stadt
oder am fernen gestade.
Göthe 9, 62 (Iph. 4, 1).
β)
das ufer eines sees: gestad eines sees Dasyp. E 6ᶜ. Gesner fischb. 198ᵃ;
es lächelt der see, er ladet zum bade,
der knabe schlief ein am grünen gestade.
Schiller XIV, 271 (Tell 1, 1);
hier an des sees unwirthlichem gestade.
324 (2, 2);
das ufer eines stromes oder flusses: mhd.
daʒ enhalp an dem gestade hielt
ein (feindlicher) man.
Ottokar reimchr. 71266 Seemüller;
nhd. das teil der brucken, das der Kölner gestad berüret. Ringmann Cäsar 60ᵃ; an das gestad des Reins. 10ᵇ;
an dem gestad der wasser Babylon.
Weckherlin 293 (ps. 137, 1);
zur selbigen zeit sei der flusz auszer seinem gewöhnlichen gestad auszgetreten gewesen.
Harnisch (1669) 289;
und zu eines stroms gestaden
kam ich.
Schiller XI, 381.
γ)
sogar das ufer eines bachs oder quells:
die dritt (reuse) leg an des bachs gestatt.
H. Sachs 5, 404ᶜ;
das gestad, bort eines brunnens Maaler 175ᵈ;
an klarer queln gestâd.
Melissus ps. A 2ᵃ;
ein wehendes blumenvolles gestade (des quellbachs).
Klopstock Mess. 11, 387.
δ)
der küstenstrich eines landes: zuͦ dem gestaden des gelobten lands. Keisersberg schiff d. p. 25ᵇ; die Castiglianer sollen bei 700 meilen dem gestaden (Neuguineas) nachgesetzet haben, aber zu keinem end kommen mögen. S. Münster cosm. b. 9, c. 35;
der neuen welt gestade
erschien im morgenstrahl.
Lingg ged. 2, 62;
der schroffe uferrand eines thals: dann hob sie ein sanft aufgewundner weg auf das hohe gestade dieses thals. J. Paul uns. loge 2, 30; östr. das gestatt, ein hochstehendes, abschüssiges land oder ufer Loritza 50ᵃ.
ε)
bildlich: ôn den möchten wir nit kommen zuͦ dem gestaden der seligkait. Keisersberg schiff d. p. 36ᵃ;
und wär es auch ans äuszerste gestad
des äthers, wo die welt ans unding grenzt.
Wieland 17, 285 (Idris 5, 89).
b)
landungsplatz, lat. statio: gestatt, portus voc. 1482 m 3ᵇ; gestad, schifflände Denzler 132ᵃ. Aler 926ᵃ, vgl. das ahd. neutr. stedi, portus nebst dem verb. stedjan, anlanden; Beckenriedt, ist ein gstad und schifflende des oberen sees. Stumpf chr. 2, 193ᵇ (7, 3); die acht frantzösischen galleen am gestad Massilia. Reiszner Frundsberg (1572) 80ᵃ; gestatt, aufgeschütteter oder aufgemauerter platz an dem ufer des meeres oder eines stroms, lände, werf Kramer hoch- nidert. wb. 2, 96ᵃ, wie stad, stade, staden Frisch 2, 314ᵇ. Adelung und das fem. gestätten, s. d.; bildlich, der hafen als zuflucht: zuͦ gottes namen zuͦflucht haben gleich als zuͦ dem aller sichersten gestatt. Melanchthon hauptartikel d. h. schrift 30.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1895), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4175, Z. 57.

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Zitationshilfe
„gestade“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gestade>.

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