Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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gestern, adv.

gestern, adv.
heri.
I.
Herkunft und formen.
1)
wort und begriff sind indogermanisch, lat. heri, here gestern (mit locativem i, r für s), hesternus gestrig, griech. χθές, ἐχθές gestern (mit stützendem θ), χθεσινός, χθιζός, χθιζινός gestrig, sanskr. hyás gestern, hyástanas gestrig.
2)
in den germanischen sprachen entspricht altn. gær, í gær, gestern, schwed. i gaͦr, i gaͦrdag, dän. i gaar, norw. gaar, gjaar, gjær; und als weiterbildung mit ableitendem ter goth. gistra- (in gistradagis αὔριον, s. unten II, 1), ags. gistran däg, altengl. gisturday, engl. yesterday, aber schott. yesday Motherby 217, nordengl. schott. yestreen gestern abend.
3)
im deutschen erscheint das wort als adverbial gewordenes substantiv
a)
in der form eines dat. sing.: ahd. kestre und in zusammensetzung êgestra, êgestere, êgestir, mhd. meist gester, nhd. gester Duez (1664) 195ᵇ. Stieler 634:
gester tet ich mein dienst aufsagen.
fastn. sp. 565, 20;
ach das du mir nit kamest gester.
H. Folz bei Haupt 8, 514;
gester ze abent. Bocc. 598, 35 Keller; gester des tags. Baumann quellen 2, 45;
wir giengen gester nach mittag.
Birck Susanna c 4ᵃ;
wann gester ist sein (des rossdiebes) zeit gleich ausz.
H. Sachs 4, 3, 27ᵃ. 3, 1, 173ᵈ. 5, 213ᶜ;
ich hab gester die spitz abgebissen. Garg. 99ᵃ; sie hat gester in meiner abwesenheit auff einen balcken steigen wollen. Simpl. 4, 63, 28 Kurz; noch tirol. schweiz. gester Schöpf 188. schweiz. id. 2, 488. Seiler 134ᵃ, elsäsz. gestere, gestre Frommann 5, 115, 17, cimbr. gester, in den sette communi gõstär, gõstar, gester, erzgeb. gestr uͦmd (abend) Göpfert 24.
b)
in der form eines dat. plur.: ahd. gesteron, gesteren, gestren, kestirn, mhd. gesteren, gestern, gestren (pred. 69, 4 Wackern.), gesterne (Apollonius 53, 29 Schröder), nhd. gesteren, pridie Dief. 459ᵃ, gestren Keisersberg postill 1, 20ᵃ, gestern allgemein, auch cimbr. lusern. gestarn.
c)
mit auslautendem -t, zugesetzt wie im alem. eistert, öppert, êndert.
α)
gestert Dief. 459ᵃ. Dasypod. E 6ᵈ (auch vorgestert). Alberus dict. BB 1ᵃ. Henisch 1575. Stieler 634: so hait der phaltzgrave ettliche tage zu Forchheim gelegen und ist gestert dausz geritten. Janssen reichscorr. 2, 184. 196 (von 1461); gestert was sy zuͦ fuͦsz einher (herein) gegangen von Bethania. Keisersberg schiff d. penit. 96ᵃ; gestertt hab ich e. k. m. geschrieben. urk. Max. 158; gestert montags Baumann quellen 2, 298; Christus heut, gestert und in ewigkait. S. Frank guldin arch (1539) 99ᵇ; wasz jm heut und gestert miszfelt. ebenda; der mich gestert wolt ertödt han. Morgant 85, 25. 87, 34 Bachmann;
ich bin heut, wie ich gestert war.
H. Sachs 5, 244ᵃ. 218ᶜ. 226ᶜ. 4, 1, 10ᵈ, 17ᵈ u. o.;
gestert abend. Drummer winternächte (1666) 1; noch wetterauisch gestert, ebenso tirol. schweiz. elsäsz. Schöpf 188. schweiz. id. 2, 488. Seiler 134ᵃ. Frommann 5, 115, 17.
β)
gesternt, gestirnt: als ir unsern herren gesternt geantwort habt. Janssen reichscorr. 1, 350. 352 (von 1426); wissit, das mins herren von Mencze gnade und min herre von Brandenburg uff gestirnt samsztaig her gein Reigenspurg wole kommen sint. 367 (von 1429).
d)
wol eine kürzung ist das alem. gest Frommann 5, 115, 17. schweiz. id. 2, 488, schwäb. gerst Schmid 229 (s. unten 5): elsäsz.
gest' simmerr fische gange.
Frommann 5, 113, 17 (aus Hagenau);
mer henn noch aa ze reche
for gest un vorgest.
pfingstmontag 38.
4)
in Niederdeutschland allgemein gistern Dähnert 152ᵇ. Danneil 64ᵇ. Woeste 80ᵃ. Strodtmann 73; gött. zuweilen gistert Schambach 64ᵃ, vgl. oben 3, c, α; auch in den früheren schriften Luthers begegnet nicht selten die form gistern, z. b. ausleg. d. ep. u. ev. des advents (1522) A 4ᵇ, die ander ep. Petri (1524) i 3ᵇ, postill (1528) 19ᵇ; ich bin ein man, der nicht beredt ist, von gistern und ehrgistern (ehegistern). 2 Mos. 4, 10 var.; das sie ziegel brennen, wie gistern und ehegistern. 5, 7. 8 var.; mnd. gisteren, gisterne, gistern Dief. 275ᶜ, van gisteren 276ᵇ (niederrhein. gl. d. 13. jh.), ghisteren, ghesteren gemma gemm. (Köln 1495) K 3ᶜ, altclev. gysteren Teuthonista 108ᵃ, mnl. ghister, ghisteren Kilian, nnl. gister, gisteren, ostfries. güster, güstern ten Doornkaat Koolman 1, 709ᵇ, westfries. helgol. jîster, nordfries. auf Föhr und Amrum jistar Johansen 78.
5)
beachtenswert ist das eindringen des r aus der zweiten in die stammsilbe: ags. gyrstan, gyrsta, georstan meist verbunden mit däg oder niht, altengl. yerstene-night, engl. yersten Stratmann 681ᵇ; saterländ. jêrsten, jerssene, wangeroog. júrsen, ostfries. früher jurssen Stürenburg 99ᵇ, nordfries. in Moringer mundart ánjörsne Bendsen 336; schwäb. gerst, gerstern, gerstig, gestern Schmid 229, gerstern schreibt Schubarts frau bei Strausz 1, 434. 445.
II.
Bedeutung und gebrauch.
1)
das indogerm. grundwort hat offenbar die bedeutung 'den andern tag von heute aus' gehabt, denn sanskr. hyás bedeutet sowol 'gestern' als 'morgen', altn. gær, gör, í gör neben 'gestern' zuweilen auch 'morgen': í dag eđa gör (heute oder morgen) Landn., nú eđa í gör Hamđismál 31; goth. gistradagis αὔριον 'morgen' Matth. 6, 30 statt du maúrgina 1 Cor. 15, 32; ahd. êgestra, êgestere, êrgestere, êgestir, êgesteren, êgestern wird durch lat. perendie 'übermorgen' glossiert Graff 4, 273. Schade² 1, 330ᵇ.
2)
den tag vor heute, am vorhergegangenen tage: mhd.
diu nâchhuot was gestern mîn.
Parz. 673, 23;
des uns gestern wart gemût.
Herbort troj. kr. 15697;
nhd. gestern, heri voc. 1482 m 4ᵃ. voc. inc. teut. i 5ᵃ. Maaler 176ᶜ; tausent jar sind fur dir, wie ein tag der gestern vergangen ist. ps. 90, 4; gestern wars an mir, heute ists an dir. Sirach 38, 23;
und gott ist heut, wer gestern mensch noch war.
Schiller V, 2, 191 (don Carlos 1, 9);
denn wer gestern und heut in diesen tagen gelebt hat,
hat schon jahre gelebt.
Göthe 40, 287;
in verbindung mit präpositionen und adverbien:
sagt ihr,
dasz ich .. meine heftigkeit von gestern
ihr reuevoll abbitte.
Schiller XII, 568 (M. Stuart 5, 8);
von gestern her, pristinus Schönsleder V 4ᵇ; von gestren über 9 tag. Keisersberg postill 1, 20ᵃ; seit gestern, bis gestern;
ich habe der zeit ihr geheimnisz geraubt,
von gestern zu gestern zurück sie geschraubt.
Chamisso 3, 102;
und man die sune uff gestern dinstag uffenberlich uszgeruffen. Janssen reichscorr. 1, 300 (von 1416);
was geschehen sei gestern den tag.
Weinhold weihn. 241;
gestern zu abende, hesterna die Dief. 276ᵇ; gestern zu abend, gestern zu nacht, gestern zu morgen Henisch 1575; gestern frühe Stieler 635; gestern früh, gestern abends, nächten Rädlein 377ᵃ; gestern morgends Stieler 2375; gestern abend, gestern mittag, gestern morgen Adelung, zusammengezogen gesterabend Simpl. 2, 200, 11 Kurz; vergegenwärtigte mir den spaziergang von gestern abend. Göthe 25, 356; den er gestern nacht so reichlich beschenkt hatte. 17, 171;
ich sah dich gestern nacht mit deiner ersten
gemahlin, reich geputzt, zu tische sitzen.
Schiller XII, 376 (Wallenst. tod 5, 3);
den frischen eindruck, die lebendige erinnerung hervorhebend: die kleinsten umstände dieses zufalls stehen mir noch vor augen, als hätte er sich gestern ereignet. Göthe 19, 165; alle (familienglieder auf dem bilde) frisch und lebendig wie von gestern, ja von heute, und doch waren sie schon alle vorübergangen. 26, 288.
3)
in weiterer bedeutung, zur bezeichnung der jüngsten vergangenheit, nuper, nuperrime Kraft lat. wb. 1, 1056ᵇ: doch ich besorge es nicht erst seit gestern, dasz .. Lessing 12, 281; wir sind von gestern her und wissen nichts, unser leben ist ein schatten auff erden. Hiob 8, 9; ich, ein geschöpf von gestern her, der ich vor kurzem nicht war. Gellert 7, 167; nach genannter bibelstelle zur hervorhebung der unerfahrenheit, des unbedeutenden und alltäglichen angewendet: dasz irgend ein mensch von gestern her durch speculation oder durch eine reiche heirath ein groszer mann geworden. Wieland Horaz br. 1, 107;
männer von gestern, die wir das vergangne
.. zu boden sprechen.
Freiligrath ges. dicht. (1877) 5, 196;
'sei deinen worten lob und ehre,
wir sehn dasz du ein erfahrner bist.'
sieht aus als wenn es von gestern wäre,
weil es von heut ist.
Göthe 3, 274;
mit negation, um das gegentheil, die erfahrenheit hervorzuheben: osnabr. he is nich van gistern, er ist nicht dumm, nicht unerfahren Strodtmann 73; zeigen, dasz er nicht erst seit gestern mit den gegenständen bekannt ist. Lessing 8, 1;
er, der nicht erst seit gestern
die welt bereiste, verstand den wink der schönen schwestern.
Wieland 5, 8 (n. Amadis 12, 15).
4)
biblisch, von lange vergangener zeit: Jacob sach an das angesicht Labans, und sihe, es was nit gegen jm wie gestern und vorgestern. Züricher bibel 1530 17ᵃ, 1 Mos. 31, 2, es war nicht gegen jm wie gestern und ehegestern Luther; daher gestern und ehegestern, antehac, semper, inde usque a pueritia Stieler 635; ich bin ein mann, der nit beredt ist von gestern und vorgestern. Züricher bibel 2 Mos. 4, 10; Jhesus Christus gestern und heute und derselbe auch in ewigkeit. Luther Hebr. 13, 8, die vergangenheit von je her ausdrückend; die grube ist von gestern her (seit lange) zugericht. Jes. 30, 33; jeder sagt, die vergangenheit gebe die rechte lehre der zukunft; aber fehlts denn dem menschen an vergangenheit? kommen wir nicht alle von gestern her (haben wir nicht eine vergangenheit und erfahrung hinter uns)? jeder hatte vergangenheit genug in sich, um eine reine zukunft auszubilden. J. Paul friedenpr. 37.
5)
als substantiv.
a)
der nächstvergangene tag: der heutig tag ist des gestern iunger, ein tag lert den andern. S. Frank spr. 1, 44ᵃ, falls des gestern hier nicht adjectivisch gemeint ist wie altclev. gysteren hesternus Teuthonista 108ᵃ; die mutter wurde ihr heute für das opfernde worthaltende gestern durch vertrauende liebe dankbar. J. Paul Titan 3, 118.
b)
der vergangene tag überhaupt:
davon ich auch gesagt itzt schon vor dreien gestern.
P. Fleming 467 Lappenberg;
er ist dahin, wo viel tausent gestern sind, diem supremum obiit Stieler 635; viel tausent gestern sind vorbeigegangen. anh. (kurze lehrschrift) 240;
und alle unsre gestern haben narren
zum modervollen grabe hingeleuchtet.
Schiller XIII, 149 (Macb. 5, 6).
c)
allgemein, die vergangenheit:
liegt dir gestern klar und offen,
wirkst du heute kräftig frei.
Göthe 4, 337;
wer in dem gestern heute sah,
dem geht das heute nicht allzu nah.
ebenda;
ein selig heute für ein schrecklich gestern.
13, 313 (Epimen. 2, 9);
es ist ein gestern worden, unerhört!
das heut', wo du im grünen schmuck gepranget.
Chamisso 3, 157;
kinder des tages, .. dasz das morgen mit dem gleichen rechte sie negirt, wie sie das gestern vernichteten. Görres Teutschland 49; sein heute nach dem model seines gestern zu prägen. Rückert mak. 2, 242;
wer du immer seist, o mensch, du bist das kind
deines heut allein, nicht deines gestern.
1, 201.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1895), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4229, Z. 5.

gesterne, n.

gesterne, n.,
s. gestirn.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1895), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4231, Z. 52.

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Zitationshilfe
„gesterne“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gesterne>.

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