Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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gestrichen, adj.

gestrichen, adj.
part. zu streichen (s. d.).
1)
vom masz, glattgestrichen, im gegensatz einerseits zu gehauft, andererseits zu knapp Schm.² 2, 806: und ime lieberen (liefern) von dem malder 8 sommern gehauft, oder 12 gestrichen. Mone zeitschr. 18, 64 (Sponheim, von 1488); alle gefäsz (Polyphems) waren gestrichen vol mit butter und käsen. Schaidenreiszer Odyss. 37ᵃ;
so schenck das gschirr gestrichen vol.
Scheidt Grob. G 3ᵃ, v. 1734 neudr.;
noch heute gestrichenes masz.
2)
schles. einem gestrichen sein, angenehm, lieb, willkommen Wander spr. 1, 1633 aus Neisse.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1895), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4256, Z. 54.

streichen, vb.

streichen, vb.,
meare, ire; demulcere, linere.
ursprung und form.
1)
nur im wgerm. bezeugtes starkes vb.: ahd. strīhhan, mhd. strīchen; mnd. mnl. strīken, nnl. strijken; afries. -strika (nur in ofstrika 'abreiszen', upstrīka 'aufstreichen'), nfries. strīk(e); ags. strican, nengl. to strike. doch hat das zugehörige nomen strich ˂ *striki- sein gegenstück in got. striks und ags. gestric, n., 'aufruhr' seine formale entsprechung in an. strik, n., 'art (gestreiften?) kleiderstoffs, art kopfbedeckung für frauen'. vgl. auch streich. auszergerm. ist die wurzelform streig- durch lat. stringere 'schnüren, streifen, waffe ziehen', striga 'strich, schwaden, zeltreihe, längsfurche', strigilis 'schabeisen', apreusz. strigli 'distel', aksl. strigǫ strišti 'scheren' = russ. strigu, stričь usw. neben streig- stehendes streug- (s. o. strauchen) weist auf eine grundwurzel ster- hin, die in verschiedener weise erweitert ist, s. Persson beitr. z. idg. wortforschung 2, 866 f.; Walde-Pokorny 2, 637; Walde-Hofmann 2, 603 ff.; Trautmann baltoslav. wb. 289.
2)
neben dem ablautenden verbum erscheint zu dessen o-stufe im westgermanischen ein deverbatives ō-verbum, ahd. streihhōn, ags. strācian. beide verba waren dem sinne nach ursprünglich in der weise geschieden, dasz das schwache verbum als diminuierende iterative bildung in der bedeutung 'streicheln' zum starken verbum stand, vgl. ags. grāpian, ahd. greifon 'palpare': grifan sowie Wissmann nomina postverbalia (1932) 15 f. und 28. das abgeleitete ahd. streihhōn steht für demulcere, (mit der hand) wiederholt leise streicheln (Graff 6, 743): demulcet chît streichôt, also man dûot temo man zartôt Notker 1, 1, 76 Piper, doch scheint weniger das iterative als vielmehr das diminuierende bedeutungsmoment des leisen, zärtlichen ausschlaggebend für die wortwahl gewesen zu sein, denn es heiszt: crus in uenis manu commoueat id est striche (13. jh.) ahd. gl. 4, 414, 26 St.-S. dieser unterschied ist mhd. im wesentlichen noch vorhanden, vgl.:
er greif gefügeliche dar.
unde streicht' ez (daz hundelīn) mit handen
Gottfried v. Straszburg Tristan u. Isolde 15885;
sin brack Fürst an im uf spranc:
mit der hend er im den danc
bot mit straichen jægerlich
Johann v. Würzburg Wilh. v. Österreich 5905 Regel.
doch in einigen verwendungen tritt bereits eine vermischung des starken und schwachen verbums ein. so steht der schwachen bildung
gestreichet als ein velkelîn,
dem sîn gevider ebene lît
Konrad v. Würzburg troj. krieg 7538 Keller,
eine starke gegenüber: sîn gevider begunde ez strîchen bei Schmidt terminol. d. dt. falknerei (1909) 67. neben einem schwachen streichen
si was an ir gelâze
ûfreht und offenbære,
gelîch dem spärwære,
gestreichet alse ein papegân
Gottfried v. Straszburg Tristan 10999 B.,
steht starkes strîchen:
wol gestrichen und gekleit
mit der aller besten wât,
die ir iegelîcher hât
oder beide formen im wortspiel:
so koͤmet dorther ein snoͤder schrancz,
gestreichet und gestrichen
minnereden I 7, 205 Matthaei.
einerseits
wildes balges hâr lît nider
schône geslihtet und gestreichet
Hugo v. Trimberg d. renner 12087 Ehrismann,
andrerseits
da streich manc ritter wol sîn hâr
Wolfram v. Eschenbach Parzival 776, 6 L.
vereinzeltes
in sol mit slegen streichen
also min swæriu stange
Ulrich v. Türheim Rennewart 21 608,
gegen sonst allgemein strîchen in dieser bedeutung. mit dem eintritt der diphtongierung von î ˃ ei werden die präsensformen beider verben gleichlautend, und das schwache verbum geht allmählich unter. seine bedeutung wird gelegentlich vom starken verbum übernommen, allgemein aber setzt sich hier die iterative neubildung streicheln (s. d.) durch. (das ags. stracian dagegen lebt weiter in engl. to stroke.) im nhd. nur noch selten schwache formen: offt wann ich das (pferd) usz dem stall gezogen, hab ich es gestreicht und geliebelt auch etwa uff sein köpflin geküsset (1521) Hutten op. 4 (1860) 652 Böcking; doch scheint als streichte eine zarte hand seine kalten wangen Fouqué zauberring (1816) 1, 228 kaum eine fortsetzung des alten schwachen verbums, sondern vielmehr eine neubildung zu sein (vgl. Paul dt. gramm. 2, 206). — bis in die heutige zeit lebendig bleibt lediglich ein schwaches nd. streken 'pflügen, eggen' (bei mnd. streken, streiken streicheln, haare streichen, kämmen, vgl. Schiller-Lübben 4, 430 sowie mnl. streken Verwijs-Verdam 7, 2284); streken das land zum erstenmal pflügen Strodtmann Osnabrück (1756) 232; streken den acker stürzen, oder mit weitläuftigen furchen pflügen, um ihn, ehe er zur saat gepflügt wird, mürbe zu machen und vom unkraut zu reinigen brem.-ns. wb. 4 (1770) 1066; seicht pflügen, so dasz die stoppeln in die erde kommen Woeste westf. 258ᵇ; flach pflügen Mensing schlesw.-holst. 4, 882; striäken zum ersten mal pflügen Frederking Hahlen b. Minden 30. diese nd. bedeutung fand vereinzelt eingang in die wbb., wobei die nd. form ins hd. übertragen wurde: in der landwirtschaft einiger gegenden ist streichen, nieders. streken, zum ersten mahle pflügen Adelung 4 (1780) 815; Campe 4, 704; Weber allg. terminol. öcon. lex. (1838) 573ᵇ. — als eine späte schwache neubildung zum subst. streich, m., ist dagegen ein streichen, streechen 'prahlen, erzählen, streiche berichten' (zu streich B 3 e 'prahlerei') in den md. maa. anzusehen; vgl. streechen prahlen; der streecht ja wieder emal; das will'ch dr gleich emal drstreeche Müller-Fraureuth 2, 573ᵃ; streichen, (d)erstreichen erzählen, auseinandersetzen Hertel Thür. 237; Weise Altenburg 118.
3)
das mhd. bildet strîchen auch als vb. der fortbewegung in der vergangenheit gelegentlich mit haben:
er hâte gestrichen sêre
Heinrich v. d. Türlin crône 17542 lit. ver.;
si heten allen den tac
dem here gestrichen nâch
Rabenschlacht 366, 2 Martin;
weitere beispiele s. bei H. Paul abh. d. bayer. akad. (1905) 195, der daraus schlieszen zu dürfen glaubt, dasz die transitive verwendung von strîchen das ursprüngliche sei. doch intransitives und transitives streichen sind in der überlieferung gleichmäszig bezeugt, eine entwicklung auseinander ist nicht erkennbar.
4)
mundartlich nur geringe abweichungen von der schriftsprache. das nd. zeigt in strīken nichtdiphthongierte formen und unverschobenes k, vgl. Schiller-Lübben 4, 435; Doornkaat Koolman 3, 337; Mensing schlesw.-holst. 4, 889; Flemes plattdt. wb. 107; Fromme-Alpers Hohenbostel 82; Furcht wb. d. spr. d. Alten Landes 25; wb. d. Elberf. ma. 158ᵇ; Woeste westf. 258ᵇ; Frederking Hahlen 31; Böning Oldenburg 109ᵇ; am Rhein und alem. undiphthongiertes strīchen Hönig Köln 177ᵃ; Waldbrühl Rhingscher klaaf 211; Heinzerling-Reuter Siegerl. wb. 248ᵇ; Rovenhagen Aachen 142; Schmidt Straszburg 106ᵃ; Martin-Lienhart 2, 625; schweiz. id. 11, 1984.
5)
im frühen nhd. zeigt die 3. pers. sg. des prät. noch verschiedentlich die form streich, vgl. Albrecht v. Eyb spiegel d. sitten (1511) R 2ᵃ; Wickram w. 8, 199 Bolte; J. Frey gartenges. 90 lit. ver.; Luther bücher u. schr. (1561) 6, 88ᵇ; buch d. liebe (1587) 98ᵈ. eine vereinzelte gerundete form streüch bei Montanus schwankbücher 473 lit. ver.
bedeutung und gebrauch. schon die frühesten belege zeigen zwei bedeutungsstränge, 'meare, ire' und 'linere, demulcere', die sich formal als intransitiv und transitiv gegenüberstehen. die gemeinsame grundbedeutung bezeichnet eine kontinuierliche, sich strichähnlich dahinziehende bewegung, und zwar entweder eine fortbewegung aus eigener (natürlicher) kraft (intransitiv) oder eine unter fortlaufender berührung vollzogene bewegung auf bzw. über eine oberfläche (transitiv). intransitives und transitives streichen sind in der überlieferung teils nebeneinander vollkommen ausgebildet, teils auf grund des gemeinsamen bedeutungsmomentes der bewegung früh miteinander vermischt und verschmolzen worden. vgl. auch das parallele an. striuka, das genau so wie streichen die bedeutungen 'ire' und 'linere' vereinigt.
A.
streichen als verbum der fortbewegung.
1)
zur bezeichnung einer stetigen, zielstrebigen fortbewegung; in frühen zeugnissen besonders für ein scharfes, rasches dahineilen, während mit beginnendem nhd. neutraler gebrauch, der auch die gemessene bewegung erfaszt (s. bes. unten 2), üblich wird (vgl. auch an. striūka 'schnell gehen, sich fortmachen', norw. strjuka auch 'fortlaufen, entfliehen' und die ähnliche entwicklung bei laufen teil 6, sp. 316ff.).
a)
von menschen (zu fusz, pferd oder wagen).
α)
in scharfem lauf oder pausenloser reise eine strecke zurücklegen, eilen; in frühdeutscher literatur als gebräuchlicher terminus für den eiligen lauf der boten:
er hiez si (die boten) widir ze Jacob strichen
genesis u. exodus 63, 26 D.;
(vgl. noch: di boten strichen in daz lant Rolandslied 159 Wesle; die boten für strichen mit den mæren Nibelungenlied 1715 Bartsch; boten kômen gestrichen Ottokar reimchron. 8278 Seem.; da strichen poten über lant Havich d. Kellner St. Stephans leben 1744; 5105 McClean; daz er boten hieze strîchen Alexiuslegende 382 in: Eis legende u. mystik 271). in allgemeiner verwendung:
si îlten unde strichen heim
Ottokar reimchron. 8183;
mit heren manicvalten
kam er gestrichen und gerant
unz an Armeniam daz lant
ebda 19 155;
mîn er Tristant
ein garzûn sitzen vant
der hête gestrichen vaste
des tages und was durch raste
gesezzen zu der linden
Heinrich v. Freiberg Tristan 1161 Bernt;
vnd alle man von Israel, die sich auff dem gebirge Ephraim verkrochen hatten, da sie höreten, das die philister flohen, strichen hinder jnen her im streit 1. Sam. 14, 22;
solt wol daheym das essn versaumen,
nun ich wil icz dest fester streichen,
ob ich das frümal möcht erschleichen
Hans Sachs 17, 175 lit. ver.
seltener in neuerer zeit:
ich seh dich, held Eugen, den schweisz und blut bedeckt,
durch die getrennten glieder streichen:
du winkst, gebeutst und feuerst an
Gottsched ged. (1751) 1, 19;
hei strickt wat hei kann er läuft so schnell als möglich Mi Mecklenburg 88. der durchmessene raum, die strecke steht im akkus. des raumes bzw. maszes:
ich hete manege mîle
des tages dar gestrichen
Wolfram v. Eschenbach Parzival 491, 25 Lachm.;
mit marwen füezen ungeschuoch
streich er walt unde bruoch
Hartmann v. Aue Gregorius 2768;
dô was si manic mîle
gestrichen und geriuschet
Konrad v. Würzburg trojan. krieg 11 155;
der bot strich weidlich hin sein strassen
Hans Sachs 9, 464 lit. ver.
β)
auf jemanden in feindlicher absicht losgehen, im zweikampf gegeneinander (mit waffen) anrennen (meist in der fügung zusammenstreichen): also zoch auch der romisch künig in seinem kempfharnisch und seinem aufgesetzten spies in die schranken, und als balt die trümetter aufbliesen, strichen si mit den spieszen zusamen Wilwolt v. Schaumburg 157 lit. ver.;
(die knaben) führten auch jhre spiesz darneben
als ob es kostet leib vnd leben,
gegen einander trutziglich,
jedoch ausz schertz ohn alle stich.
an einem andern ort deszgleichen
theten sie auff einander streichen (ineunt cursus 5, 583)
Spreng Äneis (1610) 97a;
auf bestimmte zeit und ort finden sich diese viere (zum duell) und streichen so bald ohne fernern wortwechsel zusammen Harsdörffer frauenz.-gesprächsp. 7 (1647) 415. vgl. bes. mhd.:
si liezen dar strîchen
mit verhancten zoumen diu marc
Ulrich v. Zatzikhoven Lanzelet 4468 Hahn;
diu ros sî nâmen mit den sporn
und liezen zsamme strîchen
Hartmann v. Aue Erec 9083 H.; ähnlich 765.
der mhd. ausdruck (diu ros) strîchen lân 'eilig reiten', bes. 'gegeneinander, auf einander zu reiten' ist so geläufig (vgl. Benecke anm. zu Iwein 5311), dasz ein subjektwechsel 'pferd' statt 'reiter' eintreten kann:
von Munsalvæsche waren sie,
beidiu ors, diu alsus hie
liezen nâher strîchen
ûfen poinder hurteclîchen
Wolfram v. Eschenbach Parzival 679, 25 Lachm.
γ)
seinen weg, seine strasze ziehen, reisen:
mirst vil unnôt daz ich durch handelunge iht verre strîche
... ain hirtte durch den tau
mit sinem vich gestrichen kan
Göttweiger Trojanerkrieg 1374 Koppitz;
buͦb, stosz uns disz stück brod in dtäschen
und schütt uns disen weyn in dfläschen.
so haben wirs morgens auff der straasz,
so mögen wir dann streychen dest basz
(1548) Manuel d. weinspiel 1524 ndr.;
viam carpere dahin streichen, sein straass faren Frisius dict. (1556) 194ᵃ; machten uns auff unnd strichen auff Leyptzig zuͤ (1558) Lindener katzipori 146 lit. ver.; unser reisz betreffend, kommen wir von Sanct Sebastian bei Nantes, und seind vor etlich wochen auch zu Niclausz Port inn lotringischen Lorraine gewesen, und wollen jetz allgemach heim streichen Fischart Garg. 411 ndr.; giengen da betteln, haben kleinen sand in eim secklein, und in jhren ruckkörben getragen, und damit zum land hinaus gestrichen M. Quad teut. nation herligkeit (1609) 86; den 9ten und 10ten julius bin ich von Frankfurt an, Darmstadt vorbey, ... nach Mannheim gestrichen Gleim briefw. 1, 420 Körte; übermorgen in der nacht brechen wir heimlich auf, und streichen weiter Heinse s. w. 4, 363 Sch.;
mein schmied, wo streichst du her,
dasz deine schuh so staubig
A. v. Arnim s. w. (1853) 14, 74.
b)
streichen als ausdruck der fortbewegung fast jeder tierart. auch hier oft für den raschen lauf der tiere, dochzumal in jüngeren belegenvielfach von anderen mit streichen verbundenen vorstellungen beeinfluszt (im einzelnen s. u.).
α)
für die fortbewegung des wildes (bes. in der fachsprache des jägers): bey tag so ruwend sy (die hasen) ... bey nacht aber streychend sy auff die weid Herold-Forer Gesners thierb. (1563) 69ᵃ; weiters soltu auch hierbei wissen, das die königlin (kaninchen) des fuchs nicht anderst dan die schaf des wolffs förchten, vnd solches ist die vrsach, warum sie zu dem das sie von natur wild sint, nicht anders thun, dann streichen vnd lauffen, so offt sie auss jren schlupffen ausskommen Sebiz feldbau (1579) 537; weil es ... dem schachmatten stubensitzer bequemer ist, einen breternen hirsch zu schieszen, als einen, der durch die wälder streicht Heinse s. w. 4, 16 Sch.; gefleckte hirsche ... strichen damals freundlicher noch zu mir herbey maler Müller w. (1811) 1, 20; es streicht was durchs revier J. V. v. Scheffel ges. w. (1907) 1, 176; bald aber heilten dem hirsch die wunden, er strich seine alten schliche und äszte dem mann kraut und wurzeln ab br. Grimm dt. sagen (1891) 2, 109; wölfe ... die wenige schritt vor uns über den weg strichen Arndt s. w. (1892) 1, 159; wo Suso, der hund, ... schon von der kette los war und frei um den hof strich Th. Mann Faustus (1948) 423.
β)
von schneller gangart des pferdes:
wann es (das pferd) auf jeder schul ist abgericht, und leicht,
reitzt man es oft bergab, so dass es stärker streicht,
in dem es fället fort
Harsdörffer frauenz.-gesprächsp. 5 (1645) Pp 4ᵃ;
so streicht mit schnellem lauf und freygelasznem zügel
das angespornte pferd frisch über berg und hügel
König ged. (1745) 47;
ei, mein hengstchen,
ei, mein brauner,
wohin streichst du?
wohin schnaubst du?
wohin wirst du mich tragen?
Herder 25, 187 S.;
und fingen an mit verhängtem zaum davon zu streichen Regis Rabelais (1832) 1, 134;
die dame sich auf den renner schwang,
der renner von hinnen strich
Strachwitz ged. (1891) 97.
γ)
fliegen; anfangs 'sich rasch fliegend fortbewegen':
(der hahn) qvam gerant
vnde hiez si (die henne) wider zv der want
strichen vil schiere
Reinhart fuchs 61 Schröbler.
in jüngeren literarischen verwendungen soll streichen bes. der vorstellung eines ruhigen, aber zügigen, mitunter segelnden oder gleitenden fliegens ausdruck geben: wunderbare vögel ... die strichen fort durchs gantze land Stumpf Schweizerchron. (1606) 498ᵃ;
... ich seh im abend die luft ein wetter tragen;
die schwalbe streichet tiefer, den regen anzusagen
Dusch verm. w. (1754) 59;
tief um das schilfgras streichen
die erdschwalb und der spatz
Hagedorn poet. w. (1769) 2, 213;
schwäne rudern leis hinunter
an des baches grünem rand,
und fasane streichen munter
durch das frische wiesenland
Hoffmann v. Fallersleben ges. schr. (1890) 1, 100;
wenn ein vogel durch die luft strich, suchte er ihre augen auf ihn hinzulenken Stifter s. w. 3 (1911) 97; wilder kreischten die möwen, gleich silbernen blitzen strichen sie hin und her Sperl Budiwoj (1927) 541. allgemein 'fliegen', vor allem in der fachsprache des jägers ('vom federwild gesagt' Kehrein weidmannsspr. [1871] 286) undin neuerer zeitdes ornithologen (s. u.): ich han gesehen in (den falken) schnelle vor mir gestrichen d. minne falkner 47 lit. ver.; weindrosseln ... streichen im nebel hart über der erden Fleming vollk. jäger (1719) 145. in der speziellen bedeutung des abfliegens von einem standort (vgl. abgestrichen heiszt es, wenn sie [die raubvögel] vom horste weg- und abfliegen Döbel jägerpractica [1754] 1, 75; s. abstreichen teil 1, sp. 133):
manch vogel strich vom lager mit geschwirr
A. v. Droste-Hülshoff ges. schr. (1878) 2, 111.
vom periodischen flug der zugvögel im herbst und im frühjahr, mit dem nebensinn 'in gesellschaft, in schwärmen ziehen'; 'bes. ... von denjenigen vögeln, welche gegen den herbst in wärmere länder ziehen und im frühlinge wieder kommen' (Adelung 4 [1780] 813):
wenn dann die boum risent
und berg und tal grisent,
daz tuot die vögelin strichen
und heide und ouwe blichen
meister Altswert 70 lit. ver.;
mit bewegung schaute er den in die ferne streichenden wildenten nach Scheffel ges. w. (1907) 1, 171;
ringsum die epheuranken schleichen,
zugvögel durch die fenster streichen
Uhland ged. (1898) 1, 222.
doch unterscheidet die fachsprache der ornithologie zug, wanderschaft und streichen und versteht 'unter streichen ... eine wanderschaft in engeren grenzen, hervorgerufen durch den wunsch, einen früheren wohnsitz gegen einen anderen umzutauschen, von einer gewissen, gerade jetzt in fülle sich findenden nahrung vorteil zu ziehen' (Brehm tierl. 4, 32 P.-L.; vgl. strich, strichvogel); — also nicht eine gegend völlig verlassen, sondern nur den standort nach witterungs- und nahrungsverhältnissen wechseln. diese moderne verwendung ist bereits in älterem gebrauche vorgebildet und bezeichnet dortnoch ohne begriffliche festlegungdas auffällige umherziehen der vögel (meist in schwärmen, vgl. die lerchen streichen alaudae toto agmine volant Aler dict. [1727] 2, 1850ᵇ): der froembd falck wirt im herbstmonat, in dem so er streycht, gefangen R. Heuszlin Gesners vogelb. (1557) 154; der lerch streichet in einer landtsart viel häufiger als in der andern Aitinger jagd- u. weidbüchlein (1681) 118; zu ende dieses monats streichen die schnepfen auch gern auf denen wiesen, wo viele kuͤhfladen liegen, in denselben finden sie gleichfalls etwas zu ihrer nahrung allg. haushalt.-lex. (1749) 1, g 1ᵈ; itzo streichen auch die sperlinge, und sind oft etliche hundert auf einem platze beysammen ebda 1, g 2ᵃ. vom fliegen oder der flugähnlichen fortbewegung 'mancher insekten, wie z. b. der libellen oder wasserjungfern, wenn sie in scharen nach einer richtung fliegen oder ziehen, also streichen, das strelchen der heuschrecken, das ziehen derselben, nämlich der wander-heuschrecke (gryllus migratorius), die in ganzen schwärmen streicht' Krünitz öcon.-techn. encycl. 175 (1840) 555;
und die leuchtgewürme streichen
A. v. Arnim trösteinsamk. 17 Pfaff.
vgl. auch: (er) hatte die fledermäuse um seinen hut streichen lassen H. Mann d. blaue engel (1950) 232. für die gedachte flugähnliche fortbewegung übermenschlicher wesen: seht hie ... einen mit aussgespanten flügeln dahin streichenden liebgott theatrum amoris (1626) 144; indem strich die holdselige (fee) Almida durch die luft Tieck schr. (1828) 9, 147.
δ)
fortbewegung im wasser; von fischen (auch hier oft kollektivisch 'in menge, in schwärmen ziehen'; vgl. schon: volucres celi et pisces maris qui perambulant semitas maris kefugele unde merefischa diê alle mêreuuega durstrîchent Notker 2, 22 Piper):
die vische sind lîht ûz dem bach
gestrichen ûf die saete
liedersaal 3, 219, 78;
der schwerdtfisch ist jm seer verhasst,
treybt jn an andere ort zu streychen
Herold-Forer Gesners thierb. (1563) 3, 59;
es streichen und schleichen, in teichen, die schuppichten fische
S. v. Birken forts. d. Pegnitzschäferey (1645) 35;
ja man musz sich wundern, was von dem fische encrazicholus, welches eine gattung von kleinem hering ist, geschrieben wird. denn er pflegt in so starcker compagnie durch das meer zu streichen Chr. Weise polit. redner (1677) 140; der fisch schwebt und wiegt sich ... und schieszt hinunter und fährt hinauf, und streicht und steuret Herder 22, 80 S. allgemein von schwimmenden tieren:
es suche jedes thier und liebe seines gleichen,
was in den wäldern geht, in wassern pflegt zu streichen,
und was in lüfften flieht
Neukirch anfangsgr. z. teut. poesie (1724) 753;
dort striche der tiefsinnige schwan unter dem rauschenden fall springenden wassers briefe d. neueste lit. betr. 20 (1764) 86;
sähst wohl in der grüne
gestillter meere streichende delphine
Göthe I 15, 1, 71 W.
2)
zur bezeichnung einer teils unsteten, teils gemächlichen fortbewegung (mit beginnendem nhd. vorherrschend).
a)
vagabundierend umherziehen; uagari vmbschweiffen, hin vnd wider lauffen, ... allenthalben vmbhin streychen Frisius dict. (1556) 1343ᵇ (vgl. landstreicher teil 6, sp. 144): zemerckhen ist, daz die starcken vnd streychenden petler ... zum almosen nit soͤllen zuͦegelassen ... werden Berthold v. Chiemsee tewtsche theol. 608 R.; du wisz aber gewisz, dasz dero keiner hunger oder mangel leidt, die sich in bettel begeben, demselben nachkommen unnd durch alle land streichen mögen, sie bringen jhn mehr dann gnueg auss Seb. Franck sprüchw. (1541) 2, 77ᵃ; solche leute legen sich aus mangel guter geschäffte auf böse und unnütze, sie streichen den gantzen tag hin und her, wie die schwalben und wissen nicht warum Chr. v. Ryssel seelenfrieden (1685) 648;
mutterauge wurde roth,
thränenfeucht die welke hand,
nun ich mit dem harfenspiel
streiche bettelnd durch das land
Jul. Mosen s. w. (1863) 1, 186;
sech remheᵃr schdrichᵉ sich umher treiben, sich unnütz machen Heinzerling-Reuter Siegerl. wb. 248ᵇ; de hund stricht treibt sich herum Böning Oldenburg 109ᵇ. streichend 'ohne wohnsitz, heimatlos umherziehend' (gegensatz wohnhaft) als terminus früher rechtssprache: item ob ain schedlich person zu Ramatschachen auf unsern grunten und güetern behaurt oder begriffen wurd streichund oder wonhaft (15. jh.) österr. weist. 6, 164; ob ain frembter streichenter dieb oder übeltötter auf unssern grünten kombt und wierdt er dann verhofft oder ergriffen (16. jh.) ebda 6, 264; ob ain straichender dieb oder andere person im aigen zu Zwölfaxing gespüert wüerte dem der richter nachtrachtet (1569) ebda 7, 433; so ain thäter der unter ainem landman gesessen, was entfrembt, und bey im gefunden wierdet, der solle sambt denselben endfrembden guet, und ain streihender thaeter, mit allem dem, so er bei im hat, und wie er mit gürtel umbfangen ist, dem landrichter uberantwort werden kärndt. landgerichtsordn. de 1578 fol. 21 u. 35 bei Haltaus 1756. ähnlich in freier verwendung neuerer sprache: wir streichen zwar, aber wir sind comödiantinnen Lichtenberg erkl. d. Hog. kupferst. (1794) 1, 13;
scheu in des gebürges klüften
barg der troglodyte sich,
der nomade liesz die triften
wüste liegen, wo er strich
Schiller 11, 292 G.
eine gegend durchstreifen und unsicher machen: die rotten, buͦben vnnd schwermer, spricht er, so hin vnnd wider in lander jrr lauffen vnnd streichen Joh. Nas eins und hundert (1567) 3, 163ᵇ; und hielte (der kapitän) alle nächte starcke und fleissige wache, damit wir von den Arabern nicht überfallen werden möchten, welche an denselben orten zu lande und zu wasser streichen Troilo orient. reisebeschr. (1676) 592; frisch hinaus, da wo wir hingehören! ins feld, wo ... der soldat ... in fürchterlicher freiheit wie ein hagelwetter durch wiese, feld und wald verderbend streicht Göthe I 8, 282 W.
b)
auf etwas aus sein und verstohlen oder forschend umherstreifen:
die gassen ward er uff und ab offt streiche,
das sah die fraw, yr liebe wart sich mere
Montanus schwankbücher 533 lit. ver.;
es streichen verdächtige haufen durch den wald — fräulein Liddy ist in Schallbrunn, — ich fürchte, ich fürchte, dasz ein anschlag gegen sie im werke ist Grabbe w. 1, 460 Bl.; wie ein schatzgräber um die stelle streicht, an der er beute vermutet A. Supper holunderduft (1910) 154; waren sie nicht anwesend, so muszte man fürchten, dasz sie, wie viele andere, um das weisze haus am meere strichen, wo er wohnte, um ihn zu sehen oder seinen schritt zu vernehmen oder nur am gefühl seiner nähe sich zu berauschen Ric. Huch kampf um Rom (1925) 103; schtreichn auf heimlichen wegen herumgehen Überfelder kärnt. 227. übertragen:
sus mois ein hertze gain uit sinen eigen
und sich zu liebes wille neigen.
is mois hem selbe auch ontlichen
und alle tzyt nach liebe strichen,
is si zu vreuden of zu noden
mhd. minnereden II 32, 180 Thiele.
verbunden mit dem nebensinn der unentschlossenheit:
zum willkomm' tappt ihr dann nach allen siebensachen
um die ein andrer viele jahre streicht
Göthe I 14, 95 W.
c)
sich fortbewegen, streifen, mit dem nebensinn des lautlosen und zuweilen geisterhaften: sie streichen aus einem zimmer in das andere, wie ein geist Petrasch s. lustsp. (1765) 2, 106;
der hohlen nacht furchtbare schatten streichen
rings durch die straszen
Schiller 6, 364 G.;
durch die nacht strichen die langen gestalten dahin nach den sammelplätzen H. Laube ges. schr. (1875) 8, 220; hinter ihr im hause strichen ein paar scheue katzen durch die dunklen räume Storm s. w. (1899) 1, 223; haustüren öffnen sich hier und da, eine gestalt, in einen mantel gehüllt, streicht an mir vorüber W. Raabe s. w. II 2, 159. ähnlich in bildlichen verwendungen: fahle, unheimliche schatten strichen je zuweilen durch die uns aufgethane lichtwelt Immermann w. 18, 45 Hempel;
ich seh's an allen zeichen,
dasz meine sonn' erwacht.
die schatten furchtsam streichen
durch die erregte nacht;
sie faszt des lichtes schauern,
vor dem nicht schatten dauern
Rückert ges. poet. w. (1867) 1, 465.
d)
umherstreifen, streifzugartig wandern oder reisen:
ihr (Zigeuner) gleichet nicht den reichen,
die prächtig durch die fremde streichen
Hagedorn poet. w. (1769) 3, 64;
welche lust, bey angenehmen sommertagen über die hügel fahren — durch schattenwälder streichen — durchs gebüsch eichhörnchen jagen und vogelnester ausnehmen Bräker s. schr. (1789) 1, 26; nachdem ich so berühmt geworden war, strich ich durch die ganze welt Immermann w. 1, 15 Hempel; durch wald und feld streichen Arndt s. w. (1892) 1, 58; in dieser absicht strichen wir durch felder und gebüsche und sammelten eine menge schätzbarer pflanzen J. G. Forster s. schr. (1843) 2, 145; solche gedanken brütend, strich ich umher des nachts, und ohne dasz ich daran dachte, führten mich alle wege auf Aennelis grab J. Gotthelf ges. schr. 1 (1856) 216; (er) strich mit einer tüchtigen baumwurzel oder einem besenstiel in der hand durch feld und wald G. Keller ges. w. (1889) 4, 17. vom pirschgang des jägers: und strichen mit jhrem weidwerck allenthalben durch die wäld Grasser schatzkammer (1610) 228;
du magst mit jägern deines gleichen
nach wilde durch die wälder streichen
Schwabe belust. (1741) 1, 523;
der vater ging nun zu dem jäger, der oft durch felder, wälder und fluren strich und alle dinge derselben kennen muszte Stifter s. w. 5, 1 (1908) 303. auch im sinne von 'sich ergehen, wandeln':
die richter unversunnen
sahen sie tegelichen
dort in dem garten strichen
buch Daniel 7452 Hübner;
du nimmst ein leichtes kleid, das nicht des goldes pracht,
nein, das dein eigner leib so schön als kostbar macht,
und streichst mit munterkeit durch deines gartens gänge
Schwabe belust. (1741) 1, 129;
sehr beschäftigt bin ich eben heute hier, um noch etwas von der ... schönen zeit zu genieszen und durch schon halb welkende wälder zu streichen (1815) Beethoven s. br. 2, 290 Kal.; entschlossen sich auch die beiden grafen, noch einen spaziergang zu machen. sie strichen durchs dorf und kamen bald darauf am andern ende desselben an einen garten Eichendorff s. w. (1864) 2, 67; als wir beide ... in erwartung des vier-uhr-zuges müszig hin und her um die alten mauern strichen Mörike w. 1, 195 Göschen; den warmen morgen benützte ich zum ausgehen, strich durch die anlagen und machte zuletzt besorgungen im städtchen (1890) G. Freytag br. a. s. gattin (1912) 493.
e)
bei manchen tieren deren umherschweifen während der brunstzeit und besonders die begattung; auch reflexiv (catulire de canibus lauffen, sich streichen marem appetere Corvinus fons lat. [1646] 140; vgl. laufen teil 6, sp. 320 und [sich] belaufen teil 1, sp. 1438): wann sie sich streichen, lauffen die wölffe dem weiblein nach, wie die hunde Hohberg adliges landleben (1682) 2, 643ᵇ; streichen heiszt bei einer hündin so viel als läufig sein Behlen forst- u. jagdkde (1840) 6, 206. bei fischen das aufsuchen der laichplätze: also auch die fohren, so ihr zeit hie ist, streicht sie den see auf gegen di einflusz desz Rheins (ca. 1660) fischbüchlein 144. für die begattung selbst: man glaubt, dasz sie (die wölfe) biszweilen mit den hunden streichen, daher eine andere art hunde erfolget Hohberg adliges land- u. feldleben (1682) 2, 643ᵇ; sich streichen, oder sich beziehen heiszet, wenn sich ein paar hitzig gewordene hunde zusammen belaufen, um junge zu machen Heppe aufr. lehrprinz (1751) 354; streichen von hunden, sich begatten Knothe schl. (1888) 520. das laichen der fische: et cum ipsis jam instat quod geleych suum emittant, tunc masculus et femina colla sua invicem conjungunt et strichet, et ita ambo incalescunt st. Hildegardis (hs. d. 15. jhs.) bei Migne patrologia Latina 197, 1273; man pfleget die streichkarpffen nicht in grosse sondern in kleine teichlein zu setzen bisz sie gestrichen haben (ca. 1660) fischbüchlein 110; in demselben (see) nahren sich die fische, und haben, wie man sagt, ihre brut darinn, oder, teutscher zu reden, streichen sie sich darinn Valvasor hertzogth. Crain (1689) 1, 652; geschiehet es dasz die karpffen im streichen faul und träge sein, so bedienet man sich des artificii, und reibt ihnen pfeffer und saltz in die genitalia Bresl. slg. v. natur- u. medic. gesch. (1717) 3, 189; die erfahrung lehret, dasz, wenn diese art (d. karausche) mit der letztern zusammen gesetzet ist, sie sich, bey erlangter gnugsamen grösse, mit den karpffen zu vermischen und zu streichen pflege Göchhausen notabilia venatoris (1741) 346; ihre (der karauschen) laich- und streichzeit ist gemeiniglich im mai und juni und streichen sie schon, wenn sie auch nur zwei jahr alt sein Heppe jagdlust (1784) 3, 293. die letztere bedeutung verliert sich in neuerer sprache und wird durch andere verben wie läufig sein, hitzig sein Kehrein waidmannsspr. (1871) 286, decken, belegen Dombrowski dt. waidmannsspr. (1939) 228, bei fischen durch laichen ersetzt.
f)
'ziellos schweben, gaukeln' mit der besonderen nuance des leisen, spielerischen (poetisch):
zehl alles laub mit welchem je
die wälder uns erfreuet;
und alles gras das spat und früh
die zeit hat abgemeyet:
auch noch die stäublein allzumal
die in der sonnen streichen,
so wirst du doch noch nicht die zahl
der ewigkeit erreichen
A. Silesius heilige seelenlust 230 ndr.;
es ist dem stein ein rätselhaftes zeichen
tief eingegraben in sein glühend blut,
er ist mit einem herzen zu vergleichen,
in dem das bild der unbekannten ruht,
man sieht um jenen tausend funken streichen,
um dieses woget eine lichte flut
Novalis schr. 4, 85 Minor;
es regte sich kein hauch am heissen tag,
nur leise strich ein weisser schmetterling;
doch ob auch kaum die luft sein flügelschlag
bewegte, sie empfand es und verging
Hebbel s. w. 6, 230 Werner.
3)
zur bezeichnung der fortbewegung von einem ausgangspunkt; oft mit unbestimmter richtungweisender ortsbestimmung oder reflexiv.
a)
davonziehen, weggehen:
do Kain erhorte war ez got cherte
ze der ubil wart er bleich, uil balde er danne streich
genesis u. exodus 25, 3 Diemer;
strichen wirt er von dannen
vrolich mit sinen mannen
buch Daniel 7245 Hübner;
sît daz Achilles hât gewant
ze strîte sîn gemüete gar,
sô wil ich mit im eteswar
nû strîchen unde kêren,
dur daz ich im gemêren
sîn heil und sîne wünne
Konrad v. Würzburg troj. krieg 13 605 lit. ver.;
das jst Ismaels teil, ein flasschen mit wasser, die jm Abraham an hals hieng und lies jn streichen Luther 32, 452 W.
α)
'sich davonmachen, sich packen' (oft imperativisch): abite huy auf, hebend euch daruon, streychend hinweg Frisius dict. (1556) 5ᵃ; aut bibat, aut abeat thuͤye wie andere oder streyche daruon ebda 155ᵃ:
mit unsiten sî zir sprach
und hiez si enwec strîchen
Hartmann v. Aue Iwein 1975 Benecke;
uz! strichet balde in gotes haz!
Gottfried v. Straszburg Tristan 14 575 R.;
aber spricht unser her:
...
nun wol hin in die hellesot!
...
nun strichent mir ab den ougen,
won üwer wil ich hüt verlǒgen
schausp. d. mittelalters 1, 294 Mone;
wenn will ein böser bub aus deinem hause weichen,
so halt ihn ja nicht auff, lass ihn nur immer streichen
Olearius pers. Rosenthal (1696) 37;
ich will nichts mit dir, und jetzt streiche dich, rathe ich dir J. Gotthelf ges. schr. (1855) 3, 99; der lump, der Napolion, het si g'striche Seiler Basel 281.
β)
streichen lassen in bildlichem und übertragenem gebrauche; eine eigenschaft, gemütsbewegung u. dgl. aufgeben:
lat von uch, sprach er, strichen
allen vorchtlichen sin,
wand ich uwer helfer bin,
an dem ir wol sit behut
passional, legenden d. 13. jhs. 48 Köpke;
laz von dir sorge strichen
umme die geschribne wort
buch Daniel 4588 Hübner;
sie lasse künfftig ja
die grosse boszheit streichen
Chr. Weise d. grün. jugend überfl. ged. 46 ndr.
etwas dahingehen lassen, dulden: magnificus: ... was meynt ihr wol, würde zu letzt geschehen, wenn man solche sachen so überhin streichen liesse Schoch com. v. stud. leben (1668) 162; was in den Niederlanden geschehen, hat man so hin müssen streichen lassen Leibniz dt. schr. (1838) 1, 223. in bildlichem wortspiel 'etwas fahren lassen, darauf verzichten': ich wollte dieser kleinen epigrammetsvögel einen ganzen spiesz machen, aber drei waldhörner kündigten eine nahe jagd an, und ich muszte die fettsten Leipziger lerchen und sinngedichte streichen lassen Brentano ges. schr. (1852) 5, 350.
γ)
redensartlich, im sinne von 'einen davonziehen lassen'; einen wind streichen lassen, flatulieren; einen (furtz) streichen lassen (Kramer t.-ital. 2 [1702] 1001ᵇ; Ludwig t.-engl. [1716] 1891): da ein mal ein truncken pfaff im bette seine completen bettet, und im gebet speiet er, und lies einen grossen bombart streichen (1545) Luther 54, 406 W.; dessen allen dennoch ungeacht, beklagter N. sich gelüsten lassen, bey nächtlicher weile vor klägers hause vorbey zu gehen, und einen grossen abscheulichen wind, salva reverentia streichen zu lassen Chr. Weise drei ärgsten erzn. 200 ndr.; was ist es? sagte mein lehrmeister, ich antwortete, du hast einen streichen lassen Grimmelshausen Simplic. (1669) 1, 28; da es nun gar zu lang wären wolte, kehrete sich die frau herum, reckte den hindern zum bett heraus, und liesse einen streichen Widmann Fausts leb. 144 Keller; item sie lässet auch zuweilen ein und andern streichen, dasz also kein scham mehr bei ihr ist Thomasius allerh. gem. philos. u. jur. händel (1725) 3, 363. bis heute in der umgangssprache und in den mundarten.
b)
sich (heimlich) davonmachen, sich verziehen, auch ausreiszen (oft reflexiv): corripere se repente sich bhend daruon schwencken oder machen, flux daruon streychen Frisius dict. (1556) 338ᵃ; (als) er im garten das ankommende volck gemercket, ist er davon gestrichen Rivander festchron. (1591) 20ᵃ; andere aber heimlicherweis darvon streichen, weib und kinder sitzen lassen (1617) Schmoller Straszb. tucher- u. weberzunft (1879) 244; Timoska wird ... zwar ... in hafft genommen, hat aber sich losz gebrochen, und ist darvon gestrichen Olearius persian. reisebeschr. (1696) 121; es hat sich auch wohl ehemahls begeben, dasz solch fremd gesind bey nachtzeit diebe eingelassen, und nachdem sie sich allerseits mit allerley wohl beladen, ... seynd sie mitteiander darvon gestrichen, und haben sich unsichtbar gemacht Hohberg georg. cur. 3, 1 (1715) 84; strich mich in der stille aus dem gefängniss Musäus volksmärchen 1, 66 Hempel; ich strich mich sacht aus der vornehmen gesellschaft, ging, setzte mich in ein cabriolet, und fuhr nach M. Göthe I 19, 103 W.; gestern hatt ichs bald satt und strich mich ders. IV 3, 158 W. häufig in der umgangssprache, bes. mundartlich: sich drücken, sich entfernen stricheⁿ Martin-Lienhart els. ma. 2, 625; er stricht si er macht sich davon Hunziker Aargau 260; sich striche weggehn, d'sitzung het mî gelangwîlt, drum hawwi mi gstriche Schmidt Straszburg 106ᵃ; stryken sich aus dem staube machen, he guͤng stryken Strodtmann Osnabr. (1756) 233; seck striekes donn dünn machen wb. d. Elberf. ma. 158ᵇ; strieken gaan entwischen, davon gehen Stürenburg ostfries. 268ᵇ.
4)
übertragen auf verschiedene, der natürlichen fortbewegung entsprechende vorgänge.
a)
von schiffen:
hie mite strichen die kiele hin
Gottfried v. Straszburg Tristan 11 645 R.;
da irsach er in der vrist
ein schif strîchin herabe
Nicolaus v. Jeroschin kronike v. Pruzinlant 18 788 Strehlke;
wie ein zuschmettert schiff ...
... bald durch die engen klüffte
der scharffen klippen streicht, so handelt uns die noth
Gryphius trauersp. 192 lit. ver.;
brigantin, ist ein ... raubschiff, so geschwind durch die wellen streichen kan zeitungs lust u. nutz d. spaten (1697) 405;
die segel, die so häufig, und so frey,
bald auf, bald ab, durch dein gewässer streichen
Weichmann poesie d. Niedersachsen (1721) 1, 92;
wie streicht dein boot, verwegnes heer!
so sicher auf das weite meer
Gottsched neueste ged. (1750) 90;
das schiff streicht durch die wellen
Böhme volksthüml. lieder d. Deutschen (1895) 544;
er betrachtet die segel wie lungen, durch welche das schiff athmet, um mit rüstiger kraft durch das wasser zu streichen Avé-Lallemant gaunertum 3, 111; die kiele streichen hin; in der einsamen mittagstunde sitzt Isote auf dem verdeck Storm s. w. (1899) 1, 47;
der mond versilbert die tote flut,
drauf stille die gondeln streichen
Isolde Kurz ged. ²84.
b)
vom lauf der himmelskörper:
nû sagt im der heiden
die planêten sîn unterscheiden,
daz ir etzlîche stille stên,
etzlich die rihte vür sich gên,
etzlich strîchen hinder sich
Ulrich v. Eschenbach Alexander 10 131;
dieweil vnd der comet seinen vrsprung von Orient nimpt vnd streicht in nidergang Paracelsus opera 2, 642 Huser;
sag an doch, welches ist das böste von den zeichen,
durch welche sonn und mond in steter ordnung streichen?
Grob dichter. versuchgabe (1678) 73;
streichender stern (sternschnuppe) Noel Chomel öcon.-physic. lex. (1750) 8, 1642.
c)
vom flieszen des wassers (in der anwendung auf den geographischen lauf von flüssen vielleicht z. t. im sinne der längenausdehnung, vgl. A 5 b): zum fünfften musz man auch wol bedencken, die wege oder geng, durch welche das wasser lauffen und streichen musz M. Sommer keiser Karls warmbad (1591) F 2ᵇ; dieser flusz regiert und treibet etzliche mühlen, streicht hinunter auff die stadt Münder Cyriacus Spangenberg chron. (1614) 3;
hundert wasser, aber nicht meh,
so daher strichen inn den see
Wickram w. 8, 196 Bolte;
heut ein bächlein wol beschwetzet
nahm die flucht ausz grünem wald;
an den steinlein sich verletzet,
hett mit jhnen starcken spalt:
dan weils jhm nit wolten weichen
ausz so lützel feuchter strasz,
zornig thät es neben streichen,
murret starck ohn vnderlasz
Spee trutznachtigall 315 ndr.;
der grosze flusz Oby, der durch die Nagaische Tartarey streichet Olearius persian. reisebeschr. (1696) 72. mundartlich von der wellenartigen bewegung des wassers nach allen richtungen beim kochen, sieden: streichen anfangen zu sieden, comminciare da bollire, commencer à bouillir Rädlein (1711) 851ᵇ; vgl. auch Kramer nd.-hochdt. dict. (1719) 1, 377ᵇ; Doornkaat Koolman 3, 337; Schmeller 2, 807; Vilmar Kurhessen 403.
d)
vereinzelt zur bezeichnung nicht optisch wahrnehmbarer erscheinungen; für einen akustischen vorgang, also der fortbewegung des schalles im sinne von 'hertönen, erklingen':
bist du so meiner gunst, so indenck meiner zähren?
so indenck meiner glut, dass auch der nahmen nicht
dir in die sinnen kömmt, ob schon dir im gesicht
Olympe lebend steht? ob die vor süszen worte
schon streichen in dein ohr?
Gryphius trauersp. 313 lit. ver.;
selten strich der schleiereule heiserer ruf herüber J. V. v. Scheffel ges. w. (1907) 1, 198;
wie hohle töne streichen
fernher auf tiefer see
E. M. Arndt w. 5, 153 Rösch-Meisner.
vom aufsteigen und dahinziehen von gerüchen:
dann in den warmen stuben do
stinckt es so sehr, vnd schmackt also, ...
drumb soltu zu der selben stund
den vördern gschmack mit deim (der nassen strümpfe) vertreiben.
so mag eins nicht beim andern bleiben,
vnd wirt der new zur nasen streichen
Scheit Grobianus 4575 ndr.;
ein dufft ... in die nase streichet quelle v. 1722 bei Fischer schwäb. 6, 3231; es strichen eben die düfte der ersten frühlingsblumen über die gärten Storm s. w. (1899) 4, 87.
e)
in bildlicher und übertragener verwendung:
so vant er in ie ebene
in dem gehorsam strichen
und nindert dar uz wichen
bisit eines vuses breit
d. väterbuch 2679 Reissenberger;
wenn einmal die gedanken wieder im bunten wechsel, durch mein gehirne streichen möchten F. M. Klinger neues theater (1790) 1, 148; mir strichen zwar Fingal und Regner Lodbrog ... durch die seele Herder 1, 432 S
rastlos streicht die rache hin und wieder,
sie zerstreuet ihr gefolge
an die enden der bewohnten erde
über der verbrecher schweres haupt
Göthe I 11, 26 W.;
so entzieht sich ... alles historisch-individuelle unter den düstern schwaden, welche durch die dichtung streichen, dem blicke Immermann w. 19, 13 Hempel; zum folgenden vgl. auch A 6 a α: das war wohl die absicht des herrn Jony, und er öffnete darum die thüren des ganzen staatsgebäudes, und liesz die moral durch alle regierungskammern streichen Börne ges. schr. (1829) 7, 2; im übrigen streicht aber ein kühler zug durch das ganze trauerspiel J. Bayer studien (1908) 271. vom herannahen unabwendbarer übel:
wenn die morgenröth herleuchtet
und der schlaff von uns sich wend,
sorg und kummer daher streichet,
müh find sich an allen end
bei Fischer-Tümpel kirchenlied d. 17. jhs. 1, 511.
f)
übertragen auf zeitliche vorstellungen; vom herannahen oder vergehen eines zeitpunktes wie vom fortschreiten der zeit überhaupt (vgl. verstreichen):
er liez et nâher strîchen
sîns êrsten strîtes urhap
Wolfram v. Eschenbach Willehalm 324, 20;
und menniglichen ... sich hoch erfrewet, und preusset, auch wie näher die zeit solchen anstehenden conciliums anher striche Dreyfelder hist. d. hauses Est (1580) 262ᵇ;
die hundstag streichen her mit macht,
drumb hab ich meiner fleissig acht
Petri d. Teutschen weiszh. (1605) Q qq 2ᵇ;
es streichet albereit auf das zwanzigste jahr, seit ich ... am ersten die feder, zu ubersetzung gegenwärtigen werkleins angesetzet S. Faber d. gesunde krankheit (1677) 112ᵇ;
so streicht der vormittag bey fleisz und büchern hin
Schwabe belust. (1741) 1, 128.
hierher gehört sinngemäsz auch: wann ein wunden zur heylung streicht, vnd vnter der wunden stich signum est, das die artzney falsch ist (auf dem [zeitlichen] wege zur heilung begriffen ist) Paracelsus chirurg. bücher (1618) 553ᵃ Huser. sich im stetigen ablauf der zeit befinden, zeitlich seinen weg nehmen im sinne von 'altern':
wenn wir schier streichen zu dem end
Hans Sachs 6, 147 lit. ver.;
approsimarsi la vecchiezza zum alter streichen, alt werden Hulsius (1618) 2, 34; wann der mensch über die 49. jar streicht und in das 50. gehet bei Fischer schwäb. 6, 3231. vgl. auch:
mein gantzes leben streicht dahin
Hoffmannswaldau ged. (1697) 1, 309.
5)
die vorstellung der fortbewegung überträgt sich auf die längenausdehnung einer linie oder einer fläche, die sich in gerader richtung dahinziehen, also gewissermaszen fort- 'laufend' gedacht werden. 'sich erstrecken':
ûf einem berge stuont ein eich,
der hœhe ûf in die lüfte streich
adt. beisp. in: zs. f. d. a. 7, 380 Pfeiffer;
vnden lasz ich die lini ... mitten durch das gelenck der hand streichen Dürer 4 bücher v. menschl. proport. (1520) E 3ᵃ; damit das hertz vnnd die ederlein, so vom ringfinger zum hertzen streichen, gestercket werden Mathesius Sarepta (1578) 42ᵇ; hierzu kommt noch, dasz ... die fichte ... seicht im boden streichende wurzeln hat Rossmaessler d. wald (1863) 247; weil die wurzeln gleich vom stocke aus tief streichen Ratzeburg waldverderbn. (1866) 2, 331; sie (die nordgrenze d. tanne) umschlieszt mit einem nach westen gerichteten bogen die gebiete von Luxemburg, Trier und Bonn und streicht durch das südliche Westfalen Hoops waldb. u. kulturpfl. (1905) 233; wir halten, abweichend von landläufiger auffassung, die über Neckarmündung, Untermain. Werra-Fuldagebiet streichende querlinie des gegensatzes appel/apfel für wichtiger als die wagerechte des gegensatzes ik/ich Frings grundleg. e. gesch. d. dt. spr. (1948) 25. die folgende wendung ist im deutschen ungebräuchlich; hier wohl in anlehnung an die englische vorlage: dis gäszlein streichet in die breite strasze this lane strikes into the broad street Ludwig teutsch-engl. lex. (1716) 1891.
a)
als terminus in der mineralogie und im bergbau, wo die horizontal sich erstreckenden gesteins- oder erzadern (vgl. gang teil 4, 1, 1, sp. 1228) streichen (gegensatz: das fallen des ganges, seine ausdehnung in der von der horizontalen abweichenden richtung):
ich weis das höfflichste bergwerck,
ist fündig überreich ...
alle genge die dadurch streichen
füren die schönste art
(1537) bergreihen 35 ndr.;
da hat es ein sehr grob grembsig gestein, dardurch fallen streichende genge, als sonderlich vena transuersa Thurneysser magna alchymia (1583) 73; es ist nicht minder, dass etlich bergleut viel von den gängen halten, so in die tieffe fallen, vnnd von auffgang der sonnen in nidergang streichen Paracelsus opera (1616) 1, 915ᵃ Huser; der bergkmann aber grebt nicht alle thal, ... es seye dann vnder jhnen ... ein reicher gang von metall, der auss dem gebirgk herab zu dem thal streicht Ph. Bech Agricolas bergwerckb. (1621) 24; ertz streicht zu gang, wenn es beständig fortsetzet Schönberg ausf. berginformation (1693) 2, 26; wenn die gänge (im bergwerk) ihr streichens mit dem gestein haben, so sprechen die bergleute: der gang streicht und fället mit dem gestein in einer artigen gesteinslage Herttwig neues u. vollk. bergb. (1734) 259ᵇ; streichen wird in der marckscheide-kunst von den gängen, flötzen und klüfften gesaget, wenn man darinnen bemercket, wie selbige von einem ort zum andern in dem gebirge nach einer gewissen weltgegend in gerader linie fortsetzen Wolff math. lex. (1747) 1269; so streichen die gänge, so liegen die flötze, so schiebt sich das gestein, so brechen die metalle Herder 22, 235 S.; gedachtes mineral hat sich in einem lettenartigen trumm, welcher durch den gips des rechten ufers der Saale streicht, gefunden Göthe IV 13, 160 W.; das erz streicht in schrägen adern, handbreit durch weiszlichen schiefer Immermann w. 20, 56 Hempel; die granitschichten streichen von w. nach o. Ritter erdk. (1822) teil 1, 910; im allgemeinen streichen die schichten von abend nach morgen und gehen mit einem winkel ... nach süden in die tiefe J. G. Forster s. schr. (1843) 3, 16; gestrecktes feld, auch streichendes feld, längenfeld ein auf eine einzelne, ganz bestimmte lagerstätte beschränktes grubenfeld, welches dem streichen und fallen dieser lagerstätte in einer gesetzlich festgestellten länge und einer durch die vierung bestimmten breite folgt und die ewige teufe besitzt Veith dt. bergwb. (1870) 178.
b)
in der geographie zur bezeichnung der richtung und längenausdehnung von gebirgen oder tälern: es ist ferner bekannt, dasz dieser langgestreckte welttheil (Amerika) ... eine kette von gebürgen hat, die von süden nach norden streicht Herder 13, 239 S.; seine (des tales) länge streicht, wie das gebürg selbst, ... von mitag gegen mitternacht Göthe IV 4, 98 W.; die schönen gebirge von norden gegen süden streichend ders. I 30, 86 W.; in einem gen norden ... streichenden thale Droysen gesch. Alexanders d. Gr. (1833) 284; gegen süden und norden hin strich ein langes, schroffes felsengebirge Jung-Stilling s. schr. (1835) 2, 295; die lange gebirgkette, die den Jura hinab am Genfer see hin bis auf den Var bei Nizza zum Mittelmeer streicht E. M. Arndt schr. f. u. an s. lb. Deutschen (1845) 2, 33; an seiner rechten streicht ein niedriger höhenzug, das mittelgebirge genannt H. Laube ges. schr. (1875) 14, 1; höhenrücken des Wiehengebirges, das am rande des flachlandes gegen westen streicht Wimmer gesch. d. dt. bodens (1905) 264; von den nebenhimmelsgegenden her streichen vier gebirgszüge bis nahe an das Fichtelgebirge Tromnau lehrb. d. schulgeogr. (1909) 2, 3, 121.
c)
in neuerer sprache selten ist streichen für die ausdehnung einer fläche, gewöhnlich in einer bestimmten richtung: devexus, deuexum, decliue das sich herabwertz helt, oder vnderwerts streichet Faber thes. (1587) 204ᵃ;
als nun das fräwlein hett den meeresweg erreichet,
des groszen meers, das da her an Guasconjen streichet
Dietrich v. d. Werder ras. Roland (1636) 1, 105;
herr, deine treu und güte reicht,
so weit des himmels umbfang streicht
bei Fischer-Tümpel kirchenlied d. 17. jhs. 3, 96;
mein garten streicht bis an die stadtmauren il mio giardino etc. regge, scorre, regna, và fin' alle mura della città Kramer t.-ital. 2 (1702) 1001ᵇ; dieser acker streicht bis an den bach ce champ s'étend jusqu'au ruisseau Schwan nouv. dict. (1784) 2, 732ᵃ; ein blick auf die karte läszt uns eine gewisse ähnlichkeit des Mädchenfelsens mit dem weiter nördlich gelegnen Wolfsfelsen erkennen. gleich diesem im hintergrunde einer gebirgsbucht gelegen und die stirn der von süden her streichenden hochfläche bildend Laistner nebelsagen (1879) 109.
6)
in einer reihe von anwendungen verbindet sich das bedeutungsmoment der fortbewegung mehr oder weniger stark mit dem einer streifenden berührung, des streifens an, auf, durch etwas (s. u. B). — der gedanke der fortbewegung beherrscht die auffassung: nun also streicht der harn hindurch gegen der blattern zu, vnnd hat etliche weg von der leberen zu der nieren Paracelsus opera (1616) 1, 57ᵇ Huser; am selben orthe, da sich der strohm zertheilet, und um das eiland ... streichet Olearius persian. reisebeschr. (1696) 75ᵇ; neben meinem hausz lag eines jägers hund an einer kette, eine so bissige bestie, die dir die mädels wie der blitz am rockzipfel hatte, wenn sie sichs versahn, und zu nah dran vorbey strichen Schiller 2, 34 G.; über den sammtrasigen boden hin, ... strichen goldgrün leuchtende schlangen d. jahreszeiten (1811) 2, 86 Fouqué; an der zahl der durch die schwefelsäure streichenden gasblasen erkennt man die geschwindigkeit des luftstromes Muspratt chemie (1888) 4, 1700. — das bedeutungsmoment der berührung beherrscht die vorstellung: sich wie der dünne rock umb jhre beinlein streicht Micraelius Agathander (1633) B 4ᵃ; da schauern die todten und schlüpfen in ihre gräber, dasz man die leichentücher durchs laub streichen hört Eichendorff s. w. (1864) 3, 255. auch der folgende beleg wird, obwohl eine berührung ausdrücklich verneint ist, doch von der idee des an-etwas-hinstreifens getragen: und daher läszt Homer seine götter, wenn er ihnen die allermöglichste schnelligkeit geben will, gar nicht aufsetzen, den boden gar nicht berühren, sondern über den boden dahin streichen; und zwar ohne fortsetzung der füsze Lessing w. 4, 495 Olshausen. im sinne von 'sich reiben, sich anschmiegen' erfaszt streichen, oft in reflexiver konstruktion, die leise, streifende bewegung eines ganzen körpers; meist von der schmeichelnden, katzenartigen bewegung: welche um jren nutz hübschlich strychend wie ein katz um ein bry, ... sind falsch propheten Zwingli dt. schr. (1828) 1, 82;
und mir ists wie dem kätzlein schmächtig,
das an den feuerleitern schleicht,
sich leis dann um die mauern streicht
Göthe I 14, 185 W.;
eine katze ... strich spinnend um die halb geöffnete hausthür Storm s. w. (1899) 1, 102; eine katze, die die stille noch gröszer macht, indem sie die bücherreihen entlang streicht, als wischte sie die namen von den rücken Rilke Malte Laurids Brigge (³1910) 1, 61. als ausdruck der liebkosung; adulari schmeicheln, sich lieblen oder streichen, wie die hund oder auch katzen Corvinus ons lat. (1646) 12:
mein aller liebsts vnd höchster schatz
streicht sich vmb mich, recht als ein katz
liederb. d. Hätzlerin 72 Haltaus;
jhme lieffen die hundt ... enntgegen, liebten und strichen sich an jhme Schaidenreisser Odyssea (1537) 66ᵇ; als saget man auch, dasz eine jede katze (sie möge es so freundlich machen mit streichen, schmeicheln, gnurren etc. wie sie wolle etc.) alle stunde neunmahl gedencken solle einen menschen umzubringen Prätorius philos. colus (1662) 155; um seine (des knechtes) füsze strich spinnend ein groszer schwarzer kater Spielhagen s. w. (1877) 1, 24. bei gedachter eigenbewegung eines an sich leblosen gegenstandes:
oft warnte eine stimme mich in hast: 'dich vorgebückt!
und über meinen nacken
strich sich ein breiter ast mit trägem knacken
A. v. Droste-Hülshoff ges. schr. (1878) 2, 96.
a)
besonders vom luftzug, vom winde und anderen atmosphärischen erscheinungen.
α)
zunächst im sinne der fortbewegung (gemäsz A 4):
daz wol den wolken glichet,
die vor den winden strichet
Heinrich v. Hesler apokalypse 7902 Helm;
gar bald daruff ich basz vernamm,
das djugend wirt dem wind verglicht,
der ietz dahär, denn dörthär stricht
schweiz. schausp. d. 16. jhs. 1, 188 Bächtold;
in diesen strengen tagen
...
der mensch zue eisse wird, vnd Boreas so streicht
Opitz teutsche poemata 186 ndr.;
so schien eine feindselige gärung in dem nebel zu entstehen, der auf einmal aufwärts strich Göthe I 19, 254 W.;
kalt streicht die luft
Kind ged. (1817) 2, 60;
es streicht eine schwarze wolke über den Brüsttobel her Scheffel ges. w. (1907) 2, 157; als ich heut nachmittag ausging, strich ein kalter wind Hebbel tageb. 2, 327 Werner; es war eine finstere nacht und der wind strich hohl aber warm das Loirethal herauf H. Laube (1875) 2, 57; ich war manche nacht, wenn die öde luft durch den himmel strich, traurig über die welt und traurig über alle dinge Stifter s. w. 2 (1908) 169.
β)
häufig aber in der kombinierten vorstellung einer fortbewegung und einer berührung, zumal in der verbindung mit einer präpositional (durch, über) angeschlossenen lokalen umstandsbestimmung:
fühle, wie dem scharfen blasen
Zephirs lauer athem weicht;
wenn ihr ungestümes rasen
über unsre fluren streicht
Gottsched ged. (1751) 1, 281;
er ist es nicht — es war der winde spiel,
die durch der pinie wipfel sausend streichen
Schiller 14, 52 G.;
ein kalter nordwind, der durch seine baufällige hütte streicht ebda 1, 49 G.; der wind ... strich pfeifend durch das ganze haus Eichendorff s. w. (1864) 3, 143; sie bemerkte es nicht, dasz der wind sich wieder erhoben hatte und in scharfem zuge durch das offene fenster über sie weg strich H. Laube ges. schr. (1875) 2, 150;
nächtens entbehrt des thau's das gefilde
und am tag der streichenden kühle
M. Greiff gedichte ⁵103;
rauh streicht der wind über ihre wangen und ihre locken fliegen M. Reich ausgew. w. (1894) 109; hinaus in den wald, wo die luft so köstlich rein und stark um leib und seele streicht Auguste Supper auf alten wegen (1928) 113; die nebelwolken strichen immer noch an den entgegengesetzten bergen Nicolai reise d. Deutschl. u. d. Schweiz (1783) 1, 67; am himmel zogen graue wolken, aber alles so dicht, und dann dampfte der nebel herauf und strich schwer und feucht durch das gesträuch Büchner nachgel. schr. (1850) 201; ganz leise strichen die fallenden schneeflocken an das fenster O. M. Graf unruhe (1948) 417; ein schöner regen strich gegen abend übers land schweiz. id. 11, 1993. in ähnlicher vorstellung: der durchdringende fadenregen strich unbarmherzig hernieder O. M. Graf unruhe (1948) 304. bildlich: sonderbar! nur die seinigen (gefühle), aber nicht Beatens ihre wurden von dieser durchs theater streichenden nordluft erkältet Jean Paul w. 1, 281 Hempel; durch die säle mit den wenigen noch wankenden gestalten strich die langeweile unsichtbar wie ein böser luftzug Eichendorff s. w. (1864) 3, 357.
b)
der gedanke an eine flugähnliche fortbewegung (vgl. oben 1 b γ) läszt den gebrauch von streichen für das fliegen eines geschosses zu:
man sieht die pfeile kaum durch die getheilten lüffte streichen
Gryphius trauersp. 197 lit ver.;
in dem kam ein Berner daher, spannete seinen bogen, liesz solchen dem von Burgenstein auff der zinnen seines schlosses ligende, in sein haupt streichen vnd sprach: auch der were ein guter schmidt gewesen, der diesen pfeil geschmidet hette Zinkgref apophthegmata (1628) 373; so streichet doch die kugel in stracker linien durch die lufft de Boy archelei (1614) 19. häufiger aber verbindet sich mit dieser vorstellung der nebensinn einer gleitenden berührung, vor allem, wenn der schusz in flacher bahn über das vorfeld erfolgt: 'streichender schusz ist einer, darvon die kugel nicht in die höhe, sondern gleich auff der erden hinstreicht und in ihrer erstreckhung vil sprüng thut' bei Fischer schwäb. 5, 1847; rasirendes feuer, streichendes feuer, feu rasant werden die schüsse genennet, welche in der distanz von 3 oder 4 fusz vom horizont parallel mit demselben ins feld gehen Eggers kriegslex. (1757) 2, 554. aus neuester zeit: doch als ich versuche, den kopf hochzunehmen, sehe ich bereits die unmöglichkeit ein. das maschinengewehrfeuer ist derartig gedeckt, dasz ich durchlöchert werde, ehe ich einen sprung tue ... das feuer streicht also ganz niedrig über das terrain Remarque im westen nichts neues (1929) 216. die flache geschoszbahn bietet die treffmöglichkeit aller ziele auf der schuszlinie; streichen bedeutet daher 'von der flanke die gesamte frontlinie des gegners beherrschen'; flanquiren, streichen, auf der seite einbrechen Spanutius dt. lex. (1720) 247; streichendes feuer ... werden ... die schüsse (genannt), welche von den flanquirenden linien parallel mit den facen der bestrichenen werke geschehen Eggers kriegslex. (1757) 2, 554: auff den obersten platz solcher pasteyen oder bollwercks, werden auch etwan zwey etwan drey stück, auch nach der seiten gerichtet, die ringmauren auch zu beschirmen, vnder welchen stücken das ein insonderheit auff die nechsten bollwerck zu streichen Fronsperger kriegsb. 2 (1573) 29ᵃ; die manier ... die form vnd gestalt einer stattmauren zu ordnen ... ist diese, dasz man dem gantzen baw eine solche gestalt zu geben ... wo die heraussen in der belegerung ein anlauff oder sturm gedechten fürzunemmen, dasz kein ort am gantzen baw dermassen vbel versehen, damit der feindt in solchem sturm vnd anlauff, ein mercklichen schaden nemmen musz, durch nidrige wehren, die auff dem grunde nechst dem boden her streichen, vnd solches zum wenigsten von vier wehren, die von mancherley orten zusammen streichen, dann je viel solcher wehren gemacht werden mögen, je besser es zu halten vnd geachtet wirdt Fronsperger kriegsbuch 2 (1573) 27ᵃ; die (mauern) haben vier seiten mit acht türnen oder pasteien, die alle mit gutem geschütz versehen, und stets eine gegen der ander jhr streichende wehr auff der seiten gegen der mauren haben Fr. Alvares beschreib. (1573) 63; die mawren sein allenthalben hoch, und mit guten streichenden thürnen versehen E. v. Meteren hist. beschr. d. niederl. krieges (1614) 378ᵃ. dazu gehört streichende streichlinie als terminus im festungsbau; 'die linie eines bollwerks, welche mit der gegenüber liegenden face in eine linie zusammenläuft. die einlaufende streichlinie aber machet mit der gegenüber stehenden face einen winkel' Jacobsson technol. wb. 4 (1784) 316ᵃ; Campe 4, 703; (vgl. auch streiche 2 und streichlinie 1): die streichende (defenslinie), saget er, ist der bohrenden vorzuziehen, weil die streichende kugel immer ihre kraft behält; wenn sie das erste ziel verfehlet, so kann sie noch das zweyte treffen allg. dt. bibl., anh. z. bd. 25—36, 2180. ebenso: streichender winckel ... wird der winkel genennet, den die flanque oder streiche mit der defenslinie machet Wolff math. lex. (1747) 1, 1269; Jacobsson technol. wb. 4 (1784) 316ᵃ; Campe 4, 703: man soll vor die cortinen gegen den streichenden angulis vber einen halben mond an die contrescarpa machen Wallhausen kriegssmanual (1616) 41. daneben entwickelt sich mit dem aufkommen der sprengwirkung der geschosse und der schnellen schuszfolge einzelner (zumal automatischer) waffen bestreichen, d. h. geschosse in dichter folge auf einem bestimmten geländeabschnitt ausbreiten oder verteilen, ihn 'so unter feuer halten, dasz möglichst kein teil der feuerwirkung entzogen ist' (Alten hdb. f. heer u. fl. [1909] 2, 229ᵃ).
7)
zur bezeichnung einer abwärts gerichteten bewegung 'niedergleiten (machen)', 'niederfallen (lassen)'; im nd. gebräuchlich striken 'fieren' (vgl. Schiller-Lübben 4, 436), doch von da in einzelnen wendungen (die segel, die flagge streichen) über das gesamte dt. sprachgebiet verbreitet; stryken nachgeben, fahren oder streichen lassen, welches nicht allein vom segel streichen gebraucht wird, sondern auch vom niederlassen einer last, die in der winde hänget Richey id. Hamburg. (1755) 295; strieck! ist der aufruf, zuruf der Hamb. arbeiter, in packräumen, auch auf schiffen gebräuchlich, wenn ein waarenpacken in die luke, öfnung gepaszt, herabgelassen, gewunden werden soll: lasz streichen, fahren! Schütze Holstein 4, 212; niederfahren, ablaufen (von einer blockrolle, das ankertau von der welle usw.), laat stricken! lasz fahren oder ablaufen! Stürenburg ostfries. 268ᵇ; die stengen und raaen werden bei heftigem sturme gestrichen Bobrik naut. wb. (1850) 673; abwärts wurden früher die segel gestrichen, indem man als zeichen der unterwerfung, als eingeständnis der niederlage die rahen fallen liesz, so dasz die segel von selbst mit niedergingen Goedel etym. wb. d. dt. seemannsspr. (1902) 469. vgl. noch:
se setten er kors na Jasmun to,
dar quemen se des morgen fro,
de anker leten se dar striken
(1511) hist. volkslieder 3, 49 Liliencron.
a)
die segel einziehen, die flagge niederholen ('dippen'):
allein mein stewrmann musz die segel lassen streichen,
er kan, wie gern er wil, die höhe nicht erreichen
Lundius dt. ged. (1636) 81;
gegen den mittag sahen wir von ferne ein grosz both ..., bald machte es seegel, bald liesz es streichen Olearius persian. reisebeschr. (1696) 207ᵃ;
erblickt er dann das land (der schiffer)
so ruffet er: ich seh ich sehe schon den strand,
streicht segel, anckert ein, wir haben überwunden
Opitz opera (1690) 2, 121;
hoffnungsschwellendes schiff! ein windstosz erhebt sich in widriger richtung und du bist genöthigt, deine rauschenden segel zu streichen Gutzkow ges. w. (1872) 6, 322. bes. als zeichen der ehrerbietung, zum grusze (vgl.: strijken heisset, wenn man entweder ehrenthalben vor einer festung, oder vor einem schiff von höhern rang, oder sonst das grosse mars-segel bis auf die helffte des masts niederlässet Fäsch kriegs-, ingen.-, seelex. [1735] 859ᵃ): zu dem hetten sie jhne, da er nahend herzu kommen, dem brauch nach, gar nicht wöllen grüssen, noch die segel streichen oder fallen lassen Lewenklau neuwe chron. türck. nation (1590) 125; (England) maszt sich das eigenthum der brittannischen meere an, und verlangt deshalb, dasz alle nationen in denenselben bey begegnung englischer schiffe, nebst denen gewöhnlichen ehrenbezeugungen die flagge einziehen und die seegel streichen sollen allg. dt. bibl. (1765) 3, 1, 90; Oliver Cromwell ... nöthigte die holländischen schiffe vor der englischen die flagge zu streichen J. v. Müller s. w. (1810) 3, 128; die brigantine, welche die Schelde herabfuhr, weigerte sich, vor einer dort stationirten fregatte die segel zu streichen Ranke s. w. 31 (1875) 142. als zeichen der kapitulation und übergabe: wir fahren durch die mittelländischen seeräuber und streichen die segel nicht Chr. Weise polit. redner (1677) 72; die armen leute strichen ihr seegel mit groszer furcht Olearius persian. reisebeschr. (1696) 207ᵃ;
streich die segel unverzüglich,
nieder lasz die segel du! —
nein ich streiche nicht die segel
nimmer lasz ich sie herab
Göthe I 3, 214 W.;
hij strijkt de vlag (holl.) Lüpkes seemannsspr. (1900) 53. schon früh auch ohne angabe des objekts: vnde wy en del stryken deden vnde de schipperen enen in vnse holk ouernemen (1463) urk.-buch d. st. Lübeck 10, 404; so schrig man sie sollenn streichen, das ist, sie solten sich gefangen geben Grunau pr. chron. 2, 236 Perlbach; zwei engl. linienschiffe haben gestrichen, konnten aber nicht genommen werden Niebuhr lebensnachr. (1838) 1, 298.
b)
als redensart verbreitet sind die beiden wendungen die segel bzw. die flagge streichen für 'nachgeben, sich überwunden fühlen', auch hier z. t. mit ersparung des objekts: de heillosen papen weren so trotzig ... dat se vor gades wort endlik nicht striken wolden, sundern bleven jummer stiff by eren dingen (16. jh.) Schiller-Lübben 4, 436;
wenn du (eiche) vor grossem sturm must streichen,
vnd dich das wetter schleht zu drümmern,
so lasz ich (rohr) mich des nichtes kümmern
Burkard Waldis Esopus 1, 126 Kurz;
vor jrem (der löwen) grewel müssen (die tiere) streichen
vnd gleich wie in einr fallen kreichen
müssen sich ducken, bucken, schmucken
ebda 2, 267;
wer für götzen segel streicht,
wird mit angst und schrecken sterben
Neukirch ged. (1744) 93;
und ohne meinen zweck im mindsten zu erreichen,
muss ich vor einer frau die stolzen segel streichen
slg. v. schausp. (1764) 8, 71 (der spieler);
dasz du vor meinem witz die segel streichst, will ich diesesmal als ein compliment annehmen Lichtenberg br. (1901) 1, 34; es betrübt mich nur, dasz ich von einem narren überwunden bin, dasz gelehrsamkeit vor thorheit die seegel streichen musz Tieck schr. (1828) 5, 253; dagegen ist die grösste intelligenz machtlos, und selbst ihr witz, mein freund, würde vor so grossartiger stupidität kläglich die flagge streichen müssen W. Raabe schüdderump (1870) 3, 173; ich kann aus dem titel 5, der von den rechten der kammer handelt, nicht die überzeugung entnehmen, ... dasz es unser beruf sei, auf die regierung ein anhaltendes feuer von adressen, von misztrauensvoten zu eröffnen, bis das ministerium die flagge streicht Bismarck reden 1, 86 Kohl.
8)
im nl. begegnet die wendung een vonnis, een oordeel strijken 'ein urteil fällen' (Verwijs-Verdam 7, 2318; wb. d. nl. taal 16, 54), der die bildliche vorstellung von 'fallen lassen' zugrunde liegt; im anschlusz daran vereinzelt auch im dt. (wohl als entlehnung): doch ist dainne gefuirwart, dat man den koch zovoerenz sall laissen komen, ee dat urdel gestrichen wirt (15. jh.) Kölner zunfturk. 2, 15 Loesch.
9)
die ruder durch das wasser ziehen: hiermit (mit den rudern) wissen sie ... so überaus geschwinde zu streichen, und in stillen wassern dermassen fort zu fahren, dasz die schuhten durch das wasser hin zu fliegen scheinen O. Dapper Africa (1671) 468ᵇ. heute in der seemannssprache aber: die riemen oder ruder (über steuer) streichen, rückwärts bewegen; kommando (zum wenden): streich back-, steuerbord! zum deinsen: streich überall! Sanders 2, 2, 1236; Hoyer-Kreuter technol. wb. (1902) 1, 742 u. 743; die riemen streichen rückwärts rojen (rudern), oder den lauf des fahrzeugs hemmen, indem man die ruder in entgegengesetzter richtung im wasser bewegt Bobrik naut. wb. (1850) 673.
B.
über etwas hinfahren, etwas streifend berühren. als bezeichnung einer unter fortlaufender berührung einer oberfläche strichähnlich ausgeführten bewegung vereinigt streichen die beiden bedeutungsmomente der bewegung und der berührung. der gedanke an einen bewegungsvorgang ist zwar überall noch lebendig, tritt jedoch zugunsten der vorstellung der berührung zurück. die doppelseitigkeit jeder berührung läszt die möglichkeit eines austauschs der objekte zu. als (affizierte) objekte zu streichen stehen entweder der körper (gegenstand), mit dem unter anhaltender berührung die bewegung ausgeführt wird, bzw. der die bewegung macht: ich streiche die hand über etwas, ich streiche den bogen über die geige; mit erspartem objekt: ich streiche über etwas, ich streiche über die geige; oder der ruhende körper, der mit einem gegenstand (angeschlossen durch die präposition mit) streichend berührt wird: ich streiche etwas mit der hand, ich streiche die geige mit dem bogen. zur genauen differenzierung des vorgangs auch mit doppelter präpositionaler konstruktion: ich streiche mit der hand über etwas, ich streiche mit dem bogen auf der geige.
1)
in allgemeiner verwendung zur bezeichnung einer gleitenden (im gegensatz zur unterbrochenen, stoszweise oder schlagartig ausgeführten) berührung; besonders mit der hand über etwas streichen 'streifend darüber hinfahren': und nut enwenent das das wor gebet si das man vil gepoppelt mit dem munde uswendig und vil selter und vil vigilien liset und die ringe strichet und das herze har und dar löft Tauler pred. 155 Vetter; da schouwet er den steyn vnd streych mit eynem vinger auff des steynes bruch summert. d. heyl. leben (1472) 38ᵇ; die fraw streich die hand uff ir brust bitz für den bauch hinab J. Frey gartenges. 90 B.; so dasz die zunge ein rauhes aussehen bekommt, wenn man von der wurzel nach der spitze streicht, während sie glatter bleibt bei entgegengesetztem streichen Sömmerring menschl. körper (1839) 5, 592; bewegungen knetender, streichender art, bei der sich die materie wie unter beschwörungen formt Ernst Jünger strahlungen (1950) 521. ohne besondere intensität über das fell von tieren hinstreichen: als wenn man bey der nacht ein katzen mit der hand streicht, da auch ... funcken hernach faren Mathesius Sarepta (1578) 55ᵇ; aber herrn sind katzenart, streicht man sie glatt rucken ab, so recken sie den schwantz, streicht man sie widerporstig hinauff, so funckelen sie Fischart Garg. 338 ndr.; hellscheinende funcken ... gemeiniglich der thiere häute sehen lassen, wan man sie in der finstre streichet Grimmelshausen Simpl. 138 Kögel;
schwarz war's zuerst! es blitzte nur bei nacht,
wie katzen, wenn man sie im dunkeln streicht,
und das nur, wenn's ein hufschlag spaltete
Hebbel s. w. 4, 269 Werner;
kühner knabe, willst du funken,
fange, eh du streichst, die katze
Brentano ges. schr. (1852) 3, 30.
oft als absichtslose, teilweise verlegene gebärde: es ist der brauch deren die mit schaam etwas thuͦnd, dass sy das angesicht oder die stirnen streychend oder reybend, sam sy die schaam also woͤllind hinwaͤg streychen Frisius dict. (1556) 979; dann strich er sich das kinn Lenz ged. 191 Weinh.; Faust ... strich über seine stirne Klinger w. 3 (1815) 120; hernach verdross michs, was er sich den bauch streicht und thut, als wenn er im märz vorausgesehen hätte, dass es sommer werden würde Göthe I 38, 42 W.; ich sezte mich in den weichsten sessel, schlug die beine über einander, und strich mir behaglich den magen Börne ges. schr. (1829) 3, 209; sie atmete tief und schwer auf und strich mit der hand über die bleiche stirn Raabe s. w. II 2, 219; einen moment später strich er mit der hand über das gesicht und sagte für sich Melchior Meyr erz. a. d. Ries (1868) 3, 75; öffnete der kranke die augen, dann strich er mit der mageren hand über die decke, ein- zweimal Polenz Grabenhäger (1898) 1, 389; Hühnchen strich leise mit der hand über den rand der bettstelle H. Seidel Leberecht Hühnchen (1899) 17. in häufiger verbindung den bart streichen (oft reflexiv): Hebelfurck aber, ein alter judenteuffel, stand von fern und strich sein bärtlein Ayrer hist. proc. juris (1600) 484; er ... streicht den knebelbart Zimmermann v. d. nationalstolze (1758) 27; wortkarg streicht er den schnurrbart sich Mörike w. 1, 124 Göschen; und vor ihm stand der vogt, den krausen bart sich streichend Geibel ges. w. (1883) 1, 116. als instinktive handlung selbstgefälliger freude: er ... strich sich froh den bart Pfeffel poet. vers. (1812) 2, 76; der förster lachte, und strich sich den bart Chr. v. Schmid ges. schr. (1856) 1, 94; oder als zeichen selbstbewuszter würde: nach ausgetrunckenen wein strich er den bart, fragende, wer nun was vorzubringen hätte Riemer mediz. maulaffe (1719) 71; je lauter das gelächter wurde, mit desto grösserer selbstgenügsamkeit strich sich Rohrdommel seinen weiszen bart Klopstock gelehrtenrepublik (1774) 133; wie er mit vornehmer zufriedenheit seinen schnauzbart strich Eichendorff s. w. (1864) 2, 246; alle die tausend von einander abhängigen, die sich gegenseitig so erziehen, streichen ihre grauen schnurrbärte und lassen die augen rollen, nicht aus bosheit, sondern aus kindischer eitelkeit G. Keller ges. w. (1889) 3, 134.
2)
mit einer bestimmten intensität und in einer auf wirkung zielenden absicht einen körperteil streichen.
a)
den körper streichen, massieren: crus in uenis manu commoueat id est striche ahd. gl. 4, 414, 26 St.-S.;
si twuogn und strichen schiere
von im sîn amesiere
mit blanken linden henden
Wolfram v. Eschenbach Parzival 167, 5 Lachm.;
im bad soll man die lenden vnd hüfft abwerts ... streichen vnd reiben Sebiz feldbau (1579) 84;
biszweilen bin ich kranck,
da lieg ich auff der banck,
und bete meine sprüche,
doch in dergleichen qual
da denck ich hundertmahl,
ach hätt ich eine frau, die mir im rücken strieche
(1678) Chr. Weise d. grün. jugend überfl. ged. 128 ndr.;
wie die buler jre hosen
satt an die bain aufstreichen losen,
also die zipperlinsgenossen
auch jr füs glatt sanft streichen losen
Fischart w. 3, 25 Hauffen;
(reisebeschreiber) melden sonderlich von den turckischen bädern, dasz sie den ankommenden badgästen die glieder ... mit streichen und gelinden tretten also einrichten, dasz sie sich darauf wol disponirt befinden Hohberg georg. cur. (1682) 1, 167;
der täuscher kniet am pflastergrund, er streicht des rosses heisze flanken
A. v. Droste-Hülshoff ges. schr. (1878) 2, 6.
b)
im glauben an eine magische heilserwirkung eine von krankheit betroffene stelle des körpers streichen (und vielfach gleichzeitig besprechen); 'der gemeine mann nennt gewisse krankheiten anwussen sîn (angewachsen sein) und lässt sich dann von alten weibern streichen d. h. die angespannten theile des körpers mit dem daumen derb drücken und kneten, wobei gewisse worte gesprochen werden' Danneil 214ᵇ:
was ich sehe, nehme zu,
was ich streiche, nehme ab
(häufige segensformel bei geschwülsten u. ä.)
bei Fischer schwäb. 5, 1846;
wann dir ein arm oder fuss weh thut, soltu dieselbige 3 mal streichen ebda 5, 1845; in leisem, murmelndem tone werden sie (zaubersprüche) einmal oder wiederholt gesprochen, währenddem das betroffene glied oder der erkrankte körperteil ... mit beiden händen gedrückt oder auf- und abwärts gestrichen wird Seyfarth aberglaube u. zauberei (1913) 68; andere begleitende handlungen (einer beschwörung) sind: anhauchen, blasen, anspeien, berühren, handauflegen, streichen, kneten, drücken und namentlich bekreuzen hdwb. d. dt. abergl. (1927) 1, 1124.
c)
in md. und obd. mundarten für 'melken' im gedanken an die das euter streichende tätigkeit; Follmann Lothr. 506ᵇ; Schön Saarbr. 204ᵃ; Luxemb. ma. (1906) 430; Gangler Luxemb. (1847) 438; Stalder Schweiz 2, 408; schweiz. id. 11, 1987; Martiny wb. d. milchwirtsch. (1907) 123.
3)
durch streichende berührung in eine gefällige ordnung bringen, glätten. (im mhd. oft konkurrierend mit dem schwachen vb. streichen, s. o.).
a)
den haaren durch streichen (= 'kämmen, bürsten') eine geordnete lage geben, sie glatt streichen:
dâ streich manc ritter wol sîn hâr
Wolfram v. Eschenbach Parzival 776, 6 L.;
wenn jhr (jungfern) kompt ausz der wiegen
so pflegt man euch ein schönes haar zu zeugen,
bisz jhr euch selbsten bürsten könt vnd streichen
Voigtländer oden u. lieder (1642) 31;
lasset mich aber zuvor ein wenig athem schöpffen, den mantel rucken, das maul wischen, die stirn reiben, das haar über sich streichen, und das bärtlein trehen Grimmelshausen traumgeschicht (1660) 9; das haar ist ... von vornen was kraus in die höhe gestrichen Arnold wahrh. beschrb. (1672) 92; seht mir da den stolzen junker Hans, wie er sich jtzt vor dem spiegel brüstet, seinen scheitel streicht Bräker s. schr. (1789) 2, 178; der fremde ... zog eine taschenbürste und strich sich sein röthliches haar Gutzkow ritter v. geiste (1850) 1, 23;
die mädchen streichen an den haaren
und zupfen noch am busentuch
Annette v. Droste-Hülshoff ges. schr. (1878) 2, 81;
er liesz die haare lang wachsen, strich sie hinter die ohren, setzte eine brille von lauterem fensterglas auf und trug ein kleines spitzbärtchen G. Keller ges. w. (1889) 5, 107.
b)
vom zurechtstreichen des gefieders der vögel oder des felles der katze: sat ein hag muzzer sprinzel das sich nach aim regen hat gestrichen bei Schmidt terminol. d. dt. falknerei (1909) 67; raubvögel ... wenn sie nach dem bad die federn mit dem schnabel streichen und zurecht legen Heyden Plinius (1565) 415; wenn sich die katze mit der pfote bisz über die ohren streichet, so sagen sie: die katze putzt sich bisz über die ohren J. G. Schmidt gestrieg. rockenphilos. (1706) 1, 113; das streichen und ordnen des gefieders mit dem schnabel Ernst Jünger strahlungen (1950) 443.
c)
glatt streichen, um falten zu beseitigen (vgl. ausstreichen 3 teil 1, sp. 991).
α)
durch streichen mit der hand; mhd.vielfach mit adverbialpräposition an — allgemein für kleidung anstreichen (vgl. unten streichhose), anlegen, anziehen (ein 'glatt-streichen' dürfte jedoch im beisinn anklingen):
scharlachens hosen rôt man streich
an in dem ellen nie gesweich
Wolfram v. Eschenbach Parzival 168, 6;
wol gestrichen und gekleit
mit der aller besten wât,
die ir ie gelîcher hât
Gottfried v. Straszburg Tristan u. Isolde 10756.
später dagegen nur noch für glatt streichen, zurechtstreichen, um stoffe o. ä. durch beseitigung eines unerwünschten faltenwurfs in eine gefällige ordnung zu bringen: einstreichen, wollenwaaren ordentlich legen, falten und glatt streichen Kinderling reinigk. d. dt. spr. (1795) 376; die alte frau strich sich die falten ihres rockes ... glatt Spielhagen s. w. (1877) 1, 45; dann aber erhob sie sich ..., strich ihr kleid ... zurecht Gottfr. Keller ges. w. (1889) 4, 257; doch schnell ... schlug sie die vorhänge wieder zu und strich die falten glatt W. Hauff s. w. (1890) 1, 118; nachdem er die falten an dem teppiche gleich gestrichen ... hatte Stifter s. w. 2 (1908) 159; am tische hantierte der gastmeister, strich noch einmal und noch einmal über die linnendecke Sperl söhne d. hr. Budiwoj (1927) 86; aufs brautbett darf nicht geschlagen, nur darüber gestrichen werden, sonst bekommt die frau schläge hdwb. d. dt. abergl. (1927) 1, 1185.
β)
heute in der umgangssprache verbreitet für plätten, bügeln, (falten oder knitter) mit dem bügeleisen ausstreichen, s. Adelung 4 (1780) 815; Kramer teutschital. 2 (1702) 1001ᵃ; Ludwig teutsch-engl. (1716) 1891; Krünitz 175, 559; Strodtmann Osnabr. (1756) 233; Schütze Holstein (1800) 4, 211; im oberdt. ungebräuchlich.
d)
die vorstellung des glättens lediglich zur beseitigung unebener stellen tritt zurück; der wortgebrauch zielt auf die auf wirkung berechnete ausgestaltung, 'sich besonders um seine kleidung bemühen, putzen'. im mhd. vornehmlich in anlehnung an (an-)streichen 'kleidung anlegen' (vgl. oben c α), doch der einflusz eines 'mit (übertriebener) sorgfalt glatt streichen' ist auch hier schon früh spürbar:
gegen den unkunden strichen sie ir lîp,
des ie site hêten diu waetlîchen wîp
Nibelungenlied 395, 1 Bartsch;
so koͤmet dorther ein snoͤder schrancz,
gestreichet und gestrichen
minnereden I 1, 77 Matthaei;
die den haluen dach daer mede to bringen, up dat sy sic tziren ... de hoezen stryken, plumen lesen bei Schiller-Lübben 4, 435;
du streichst dein hossn und schwingst dein har
und gost den leuten zu gesicht.
du meynst, es leb keyn schöner nicht
Wickram w. 5, 147 lit. ver.
in neuerer zeit noch in der umgangssprache: gestrich sin geschniegelt und gebügelt sein Follmann Lothr. 506ᵇ. stärker wird die (oft übertriebene) auffälligkeit des anzuges hervorgehoben mit ausstreichen (teil 1, 991), herausstreichen (teil 4, 2, 1047).
4)
liebkosend über etwas hinfahren.
a)
gelegentlich in iterativer bedeutung 'zärtlich streichen' (nur selten statt der sonst allgemein üblichen iterativbildungen ahd. streihhōn, mhd. streichen [s. o.], nhd. streicheln [s. d.]): so sol er ... senfticlich ... mit im vmbgan vnd in mit der hannd streichen, so gewynnt der valck dardurch die hannd lieben (1473) Mynsinger v. d. falken 19 lit. ver.;
wer sie aber streichet und hertzet
dem ist sie willig in den tagen
Hans Sachs 21, 145 lit. ver.;
Beritola dacht an ir kind
und straicht die rechlein (rehlein) senfft und lind
ebda 2, 228;
wo man der katzen streicht, da ist sie gern schöne weise klugreden (1548) 104ᵈ; als sie jn (den hund) nun lang gestrichen vnd geliebelet, da trug sie jhn wider in sein hauss buch d. liebe (1587) 98ᵈ; solche botschafft erweckte bei allen schiffleuten uberaus grosse freude: theils umhälseten, theils küsten, strichen, liebelten ihm Francisci traursaal (1665) 1, 884; denn ich hätte dich dazwischen geküszt und gestrichen A. v. Arnim an Bettine (1808) 203; wie seelig war ich in dem gedanken, ... dasz sein gefieder von Albertinens händen gestrichen werden würde Holtei vierzig jahre (1843) 1, 178.
b)
häufiger 'zärtlich und sanft über etwas hinfahren' als einmalige handlung: caput alicui demulcere einen vber den kopff streichen nomencl. lat.-germ. (1634) 187; du bist gleich einem scorpion, welcher den menschen mit seinem schwantze streichet, bevor er ihn mit dem stachel vergifften will Harsdörffer teutscher secretar. (1656) 2, 217;
da kamen gegangen zwo jungfraun schön,
die thäten mir lieblich winken
die eine, sie strich mein weissen kinn
Herder 25, 209 S.;
er strich mir über die wangen Bettine d. Günderode (1840) 2, 211; freundlich strich der könig mit der flachen hand über den scheitel des jünglings Gaudy s. w. (1844) 13, 102; frau Dora streicht ihr über das haar — leise Hirschfeld d. mütter (1896) 47; über den kopf strich er ihr Kahlenberg Eva Sehring (1901) 70; Johannes lachend, seiner mutter liebevoll über den scheitel streichend G. Hauptmann eins. menschen (1891) 49; die greisin ... strich kosend über das blauschwarze haar ihrer enkelin Sperl d. söhne d. hr. Budiwoj (1927) 437; es ist wie ein schmerzlich liebevolles streichen über das haar, über die wange Th. Mann Faustus (1948) 89; er sah eine verlockung darin, ... mit zärtlicher hand durch sein hellblondes haar zu streichen Hesse Narziss u. Goldm. (1948) 12.
c)
angelehnt an den vorgang der liebkosung (im mhd. daher das schwache verbum) erscheint streichen im sinne von 'schmeicheln', sich bei jmd. in gunst zu setzen suchen, tendiert aber gleichzeitig nach bedeutung A 6, indem, zumal in älterer zeit, die vorstellung einer fortbewegung unter streifender berührung, eines sich-anschmiegens in schmeichelnder absicht, leise anklingt (vgl. hierzu schmeichen teil 9, 988, schmeicheln teil 9, 980 und streicheln o. sp. 1181). in neuerer sprache ungebräuchlich, von schmeicheln abgelöst: er belib do. wie wol er vor hin frech was. dannocht liesz er sich thaidem erwaichen. wann sie kund streichen und smaichen (1486) Neidhart Eunuchus 110 lit. ver.;
schmeichlen, strichen mir wol gfalt,
do mit ich manchen bösen bhalt
und manchen frommen undertruck
fastnachtsp. 1047 lit. ver.;
hie nimmt der arme Jost solch honigsüsses streichen
für güte gülden an
(1664) Rachel satyr. gedichte 21 ndr.
abgelöst von der sinnlichen vorstellung einer bewegung oder berührung, nur noch auf die schmeichelnde rede bezogen, 'schöne worte machen':
die wörtlein könt jhr streichen
und reden selten war
(hier vielleicht 'herausputzen', vgl. B 3)
(1582) Ambraser liederb. 69 lit. ver.;
der schalck kondt mit solchen glatten worten strychen, das mann meynet, es were glatt geschliffen Wickram w. 2, 44 lit. ver.; ohrnwischer und fuchsschwäntzer, die nichts mehrers und nichts wenigers reden und jhren herrn für die ohrn streichen, allein was sie wol wissen, das denen gefällig und angenem Guarinonius grewel d. verwüstung (1610) 79;
weil das, nach hofmanier, der allerbeste mann,
der auff das glatteste den könig streichen kan
J. Cats sinnreiche wercke (1710) 1, 2, 8;
einem um den bart streichen mit anspielungen, andeutungen etwas von einem zu erlangen suchen schweiz. id. 11, 1986. streichen in der bedeutung 'schmeicheln' häufig in (heute ungebräuchlichen) sprichwörtlichen redensarten.
α)
den falben hengst streichen schöne, weise klugreden (1548) 7ᵃ; Faber thes. (1587) 996ᵇ; Eyering prov. copia (1601) 1, 382; Fischer schwäb. 5, 1845; der falbe hengst galt als feuriges pferd, mit dem man freundlich umgehen musz und das, um sanftmütig zu bleiben, mit dem striche seines felles gestreichelt werden soll (vgl. teil 3, 1267 und 4, 2, 986); der sprichwörtliche sinn ist 'groszen herrn nach dem munde reden, um sie nicht zu reizen und in ihrer gunst zu bleiben': dann ich greiflich oft greif, wie die histori den groszen herrn heuchlen, das helmlin durchs maul zichen, und mit dem fuchsschwanz den falben hengst streichen Franck Germ. chron. (1538) aa 6ᵃ;
min red lasz ich so artlich schlychen,
den falben hengst kan ich wol strychen,
kann kryden strychen, oren rummen
schweiz. schauspiele d. 16. jhs. 2, 138 Bächtold;
wer streichen kan das vale pferd,
der ist zu hoff lieb und werth
Petri d. Teutschen weiszheit (1605) Kkk 3ᵇ;
allen tag hatt er gastereyen gehalten unnd gar losze buben zum theil an sich gehenckt, die im den falben hengst wol hand können streichen Wickram w. 2, 110 Bolte.
β)
in ähnlicher bedeutung mit verschiedenen anderen tieren; den falken streichen:
mit listen ist nit irs gleichen,
die so wol kan den falcken streichen.
so bald sie auff die erden sicht,
so hat ein auszred sie erdicht
Hans Sachs 17, 27 lit. ver.;
den falken können sie streichen,
dieweil wir bei in sein
liederb. a. d. 16. jh. 39 Goedecke-T.;
den kauzen streichen schöne weise klugr. (1548) 7ᵃ; Fischer schwäb. 5, 1845; (s. teil 5, 369):
mancher durch lyegen würt eyn herr
dann er den kutzen strichen kan
und mit dem falben hengst umb gan
Brant narrenschiff 96 Z.;
der mensch ist von natur gern, da man jm liebkoset, zartlet, kitzelt unnd den kautzen streicht Franck sprichw. (1541) 2, 171ᵇ;
drum last euch ungekrauet, und streicht den kautzen nicht,
dann solches gar nicht bauet, sondern viel mehr zerbricht
all regiment auff erden
Morhof unterr. v. d. dt. spr. (1682) 392.
wohl altertümelnd aufgenommen von Arnim: der, wie alle bediente, klug genug war, ... seinem herren den kutzen zu streichen, aus welchem ihm schon manches trinkgeld gefallen s. w. (1853) 1, 74. den fuchs streichen Corvinus fons lat. (1646) 616; Fischer schwäb. 5, 1845; (s. teil 4, 1, 337): andere können sich den eltern vnd schulmeistern treflich zumachen, vnd den fuchss streichen Guarinonius grewel d. verwüstung (1610) 71; wenn ich was lob, hab ich den fuchs gestrichen Voigtländer oden u. lieder (1642) 1, 4; die fürsten ... strichen ihnen durch tausend lobsprüche gewaltig den fuchs Lohenstein Arminius (1689) 1, 45ᵃ;
aller weichen zärtelei
pflegen wir den fuchs zu streichen
Logau s. sinnged. 682 lit. ver.
γ)
mit dem fuchsschwanz streichen Körte sprichw. 123; jmd. mit dem weichen fuchsschwanz durch streichen eine angenehme empfindung verursachen (s. teil 4, 1, 1, 352 und Borchardt-Wustmann-Schoppe-Schirmer sprichwörtl. redensarten [⁷1954] 159); der sprichwörtliche sinn ist 'schön tun, zu gefallen reden':
also ein weib noch mehr und viel
sich schmeichlen und liebkosen kan,
wenn sie was bgert von irem mann,
das er ir etwas kauffen sol,
kans mit dem fuchsschwantz streichen wol,
kan in eim gleisznerischen schein
dem mann wol falsch und freundlich sein
Hans Sachs 9, 303 lit. ver.;
der vatter darff ihnen (den verzärtelten kindern) keinen streich geben, vnnd die praeceptores müssen sie mit dem fuchsschwantz streichen Albertinus hirnschleiffer (1664) 379; der wein hat ihnen mit dem fuchsschwanz über die augen gestrichen Bettine d. buch gehört d. könig (1843) 1, 237. auch ohne präposition mit bloszem akk. den fuchsschwanz streichen Lehmann floril. pol. (1662) 2, 537; Belemnon bauernlex. (1728) 80; Fischer schwäb. 5, 1845:
denn wer sich itzund wil bereichn,
der musz warlich den fuchsswantz streichn
(1605) Hollonius somnium vitae hum. 43 ndr.;
die den fuxschwantz streichen können, den ist man allenthalben hold Guarinonius grewel d. verwüstung (1610) 1197; denn sie weiz, daz man ihr gewiz sagen werde: sie möge sich ankleiden wie sie wolle, so stehe ihr alles unvergleichlich. so gar ihre magd mus hierinnen den fuchsschwantz streichen d. vernünft. tadl. (1725) 2, 364; nun ihr hört, dasz der gnädige herr hier mich für den mann hält, den ihr nicht in mir sehen konntet, so kommt ihr, mir den fuchsschwanz zu streichen Klinger w. (1809) 3, 71. dazu vereinzelt: kriecht, schmeichelt, macht den krummpuckel, streicht den katzenschwanz, das empfiehlt seinen mann Schiller 14, 195 G.
δ)
in anderen wendungen und redensarten für 'schmeicheln'; pflaumen streichen zu pflaum (flaum), eigtl. flaumen streifend absuchen (vgl. federlesen), s. teil 7, 1729; plumen striken Schiller-Lübben 3, 354ᵃ ('vornehmen herren und damen angeflogene federn vom gewand abzulesen und sich durch solche dienste bei ihnen beliebt zu machen, wird schon spätmhd. ... als kriecherische schmeichelei gebrandmarkt' Borchardt-Wustmann-Schoppe-Schirmer d. sprichtwörtl. redensarten [⁷1954] 134):
(wer) kan pflaumen streichen, federen klauben:
den kleidt man jetzt mit mardern schauben
und wirdt gesetzet oben an
Burkard Waldis Esopus 2, 187;
derhalben nit lang pflaumen streicht
noch vmb den brey von ferne schleicht
Ringwaldt lauter warheit (1609) 280;
wer artig pflaumen streicht und angibt, wen er kan,
den zeucht man fürsten vor
Gryphius trauersp. 20 lit. ver.
ähnlich: die blumen streichen Tappius adagiorum centuriae septem (1545) C 2ᵃ; schöne, weise klugreden (1548) 7ᵃ; Eyering proverb. copia (1601) 1, 315.
5)
mit den füszen schleifen.
a)
bei einer verbeugung (mit dem fusz nach hinten ausstreichen, vgl. ausstreichen 6 teil 1, 993):
mein leibs geberd seind mancherley,
....
das bas le man und händle küssen,
knieh beugen, streichen mit den füssen
Spangenberg griech. dramen 2, 9 lit. ver.;
wat wer im dat vör lust,
wan dar ein cavalier to mi herkamen must
und mi mit reverenz und complementschen streken
als einen groten hern mit sülke wort anspreken
Lauremberg scherzged. 10 lit. ver.;
unterdesz erwarteten sie den frembden herrn, in einem ieden winckel stund einer und exercirte sich mit einem scharrfusz, die mensur zu finden, wie tieff der kopff zur erden, und hinten naus der fusz streichen solte Riemer polit. maulaffe (1679) 265; jedoch ich hätte bald das wichtigste vergessen, weshalb demselben meine wenigkeit einen tieffen bückling streichen musz Schultes wohlmein. erinnerungen (1730) 49; grüszete er ihn ..., neigete sich ganz tief und strich mit seinen füszen Herder 15, 139 S. beim tanze; eins streichen (ein menuett o. ä.) Campe 4, 704: stellet euch zwei tänzer vor: der eine tanzt ein hüpfendes ballett; und eine majestätische menuett streicht der andere Bürger s. w. 140ᵃ Bohtz; nach erfolgter reverenz führte der tänzer seine tänzerin mit gebogenen, gestrichenen und hüpfenden pas in einem oval oder im viereck herum Böhme gesch. d. tanzes (1886) 127.
b)
nur spärlich bezeugt als gangfehler, indem sich beim gehen füsze oder knie berühren: und so der Saturnus gefunden wurd, das er theilhafftig wäre mit dem Joue, so bedeuts, das der geborne werde haben ... hindergebogne füsz, sich streichend am gang Pegius geburtsstundenb. (1570) Ji 1ᵃ; der gang ... musz geradeaus und sicher sein; die knöchel und kniee dürfen dabei nicht an einander streichen Fr. L. Jahn w. 2, 1 (1885) 23. als fachausdruck häufiger bei pferden; in der tierheilkunde ein gangfehler des pferdes, gegenschlagen des fuszes der einen an den der anderen seite gr. Brockhaus (1928) 18, 256; vgl. Noel Chomel öcon.-physic. lex. (1750) 3, 786; Alten hdb. f. heer u. fl. (1909) 2, 298; dat peerd strikt sik Schütze Holstein 4, 212.
c)
vereinzelte verwendungen; scharren (bei pferden): da strichen die rosse die hufen auf dem pflaster und schlugen die langen schweife in die höhe Gutzkow ritter v. geiste (1850) 1, 150. für das gleiten beim eislauf: der nachgezogene fusz musz ... nicht weit von dem streichenden gehalten werden Vieth encycl. d. leibesüb. (1793) 2, 338.
6)
mit einem gegenstand die oberfläche eines anderen streifend berühren: de bose geist droch ein venenabulum in der hand, und wo vake he an ein dor streik van des engels geheite, so mannich mensche starf dar na ut dem hus (Magdeburg, ca. 1360) städtechron. 7, 20; mit dem schwanz streicht er (der fuchs) über den boden, um jede gebliebene spur zu tilgen J. Grimm Reinhart fuchs (1834) vorr. 41. mit einem gegenstand über einen mit heil erfüllten körper hinfahren, um eine heilsübertragung zu erwirken: und warend wiber, die ir paternoster an haggen und schnuͦerlinen über die schranken zu dem gebain wurfend und also daran strichend, damit si etwas gwichtz hettend J. v. Watt dt. hist. schr. (1875) 3, 214 G.; einen rosenkrantz ... an ein heiligthum streichen toccar' un rosario ... con qualche reliquia Kramer t.-ital. 2 (1702) 1001ᵃ; die pilgri ... von ihnen kaufften edelgestein und paternoster, ringlein und creutzlein unnd ander geschefft, das sie denn wolten heym tragen ihren gutten freunden und an die heiligen stette streichen (1484) bei Fischer schwäb. 5, 1846; demnach ... fuorent wir zuo Sant Helena inn ein klein inseli, da ist ein hüpsches klösterli ... lies man uns ir lib sechen, daran wir unser paternoster streichen und andere kleinot schweiz. id. 11, 1985. die meisten der zu dieser bedeutung zählenden belege zeigen streichen als terminus verschiedener verrichtungen im bereiche des menschlichen lebens, wobei der vorgang des streichens mit zum teil eigens dafür konstruierten geräten ausgeführt wird.
a)
schon früh bezeugt für das spielen der streichinstrumente. eigtl. über die saiten des instrumentes den bogen ziehen: auf schafesdarm strîchet mit eines pferdes zagel bei Moser gesch. d. violinspiels (1923) 12;
aber sprich, wer kann dir gleichen,
so geschickt die seyten streichen,
so genau die noten sehn,
so gewisz den wirbel drehn?
Gottsched ged. (1751) 1, 236;
will man den ton in der stärke wachsen lassen, so kann man, in währendem streichen, den bogen fester aufdrücken, und etwas näher zum stege führen, wodurch der ton stärker und schneidender wird Quantz anweis. d. flöte zu spielen (1789) 202; ist dieses nicht noch ärger als rasend, wenn man den halben tag und die ganze nacht hindurch, immer unter den erschröcklichsten gebärden, bey dem geheule einiger gestrichener schafdärmer wie ein unbezäumtes pferd herumspringt, und mit hand und füszen ausschlagt? Hafner ges. lustsp. (1812) 3, 139; wie eine saite immer denselben ton angiebt, ... sie mag mit dem finger gerissen, oder mit dem bogen langsam oder schnell gestrichen werden Schubert verm. schr. (1823) 4, 166; die mit dem bogen gestrichene ... saite Trendelenburg nat. grundl. d. kunst d. streichinstr. spiels (1925) 254. in präziser beschreibung des vorganges erscheint der geigenbogen als subjekt: die angriffskraft des streichenden bogens auf die saite Eberhardt Paganinis geigenhaltg. (1921) 55; die hand musz dabei nach vorne geführt werden, damit der bogen auch gegen die spitze hin im rechten winkel über die saiten streicht Heim was d. violinsp. wissen musz (1922) 31; die haare des bogens streichen wischend auf den saiten Kluge zaubergeige (1940) 66. die sinnliche vorstellung des berührens tritt schon mhd. zurück, indem als objekt zu streichen das jeweilige musikstück oder die bezeichnung der streicherstimme steht:
dâ was werder knappen vil,
wol gelêrt ûf seitspil.
irn keines kunst was doch so ganz,
sine müesten strîchen alten tanz
Wolfram v. Eschenbach Parzival 639, 10;
als er eine kleine discant geyge hervorzog ... und eins daher striche Grimmelshausen 2, 20 Keller;
der schloszwirt nimmt die geigen
und streicht ein deo gloria
Mörike w. 1, 74 Göschen;
die zweite violine strich er (Händel) nur in den ersten monaten seines hierseins Chrysander G. Fr. Händel (1858) 1, 128; leb wohl, die griechische nationalhymne wird bereits von der badegeige gestrichen (2. 9. 1871) Bismarck br. a. s. braut u. gattin 584 Bism.; doch strichen sie alle nur alte tänze Böhme gesch. d. tanzes (1886) 30. in absolutem gebrauche, streichen für 'spielen, musizieren':
sehzic tiutscher spilman,
die hôrte man dâ strîchen
Stricker Daniel 8153 Rosenh.;
auff ihr musicanten auff,
streichet bisz die quinte reiszt
Chr. Weise d. grün. jugend überfl. ged. 52 ndr.;
damit so ging nun die music an, o sapperment! wie kunten die kerl streichen (1696) Chr. Reuter Schelmuffsky 29 ndr.; ich ... zog voller freude meine geige aus der tasche und strich, dasz die vögel im walde aufwachten Eichendorff s. w. (1864) 3, 37. im sinne von 'erklingen', sobald das streichinstrument als subjekt auftritt:
uhren schlagen durch die nacht,
drein verschlafne geigen streichen
Eichendorff s. w. (1864) 1, 389;
wenn die geigen so weinerlich lockend strichen, behauptete er, nicht widerstehen zu können Gutzkow ritter v. geiste (1850) 9, 330; die pfeifen und groszen geigen flöteten und strichen so süsz Alexis Roland (1840) 1, 316. nhd. tritt mit aufkommen und verbreitung der orchestermusik das moment der streichenden berührung vielfach wieder stärker hervor; streichen als terminus für das spielen von streichinstrumenten im gegensatz zum spielen von z. b. blasinstrumenten: wie die orgel keinen klang von sich giebet, wenn sie nicht geschlagen wird, noch eine viol-gambe, wenn sie nicht gestrichen wird; wann aber jene geschlagen, und diese gestrichen wird, müssen sie beyde erklingen Sperling Nicodemus 1 (1718) 19; dazu sang ich und strich die geige Göthe I 45, 233 W.;
der eine pfeift, der andre bläst,
der dritte streicht den dumpfen brummbasz
H. Heine s. w. 1, 181 E.;
es ist klar, dasz sie während des singens nicht blasen, sondern nur streichen konnten Moser gesch. d. violinspiels (1923) 14; es kann jemand allein in seinem bett liegen und in seinen gedanken eine melodie aus der zauberflöte oder aus der matthäuspassion erwecken, ohne dasz ein einziger mensch in eine flöte bläst oder eine geige streicht Hesse steppenwolf (1928) 164; dies buch gehört den freunden gestrichener musik. vor allen denen, die selber streichen Aulich-Heimeran d. stillvergnügte streichquartett (1936) 5. den bogen streichen (über das instrument): alsdann brauchen sie die finger der linken hand, wie auf dem greiffbrett der violinen, und streichen den bogen mit der rechten hand Stranitzky ollapatrida 75 ndr.; so strich sein mitgesell den fiedelbogen Drollinger ged. (1743) 157. in präpositionaler wendung auf dem instrument streichen: ich streich auf der violen Simon Dach 717 lit. ver.; er ... könne besser auff der viol streichen und musiciren Schupp schr. (1663) 44;
und strich auf seiner fiedel
wol manche fürchterliche weis
Schiller 1, 351 G.;
übrigens bin ich nicht etwa der meinung, dasz man auf dem cello so zart streichen solle wie auf der geige Trendelenburg nat. grundl. d. kunst d. streichinstr. spiels (1925) 251. selten belegt für das spielen der leier oder harfe, die hier als bezeichnungen für frühformen gesangs- oder sprechvortrag begleitender streichinstrumente stehen:
o du meine leyr im gleichen,
auch du deinen thon erheb:
thut man dan die seyten streichen,
du nach selben ehren streb
Spee trutznachtigall 324 ndr.
er spielt aufs neu (die harfe), strich laut und klar,
und Adler sang darein
Herder 25, 241 S.
b)
vom krempeln, kratzen oder zeiseln der streichwolle (s. d.), um sie zu lockern und für weitere bearbeitung (spinnen) vorzubereiten; carmino ich kamm, carminarius der da kemt oder streicht Alberus (1540) Dd 1ᵇ; carminâre raͤmlen, haͤchelen, die wull streychen, zerzeisslen Frisius dict. (1556) 193ᵇ: ob dem kindt sein mundt ... zerschrunden wirdt ... nimb baumwollen gestrichen oder gezeiszt, lege die in ... wegerichsafft ... vnd salb dem kindt den mundt ... mit der baumwoll Ruoff hebammenbuch (1580) 228; sy wolten zu spinen zu streichen item armen meisteren zu weben geben (1587) bei Schmoller Straszb. tucherzunft (1879) 227; streichen der wolle, mit den feinen kniestreichen die schon geschrobelte wolle fertig streichen. bey dieser arbeit wird die eine kniestreiche nicht auf dem rosz bevestiget, sondern auf das linke knie gelegt, und die schon aus dem groben gestrichene wolle fertig zu flieden gestrichen. dieses streichen musz sehr gleichmäszig geschehen, damit die wolle gute seide zum spinnen erhalte Jacobsson technol. wb. 4 (1784) 316ᵃ; da das einmalige streichen der wolle nicht zureicht, letzterer den erforderlichen grad von reinheit und ihren haaren diejenige parallele lage zu geben, die für die weitere bearbeitung erfordert wird, so verrichtet man das streichen zweimal Krünitz oecon. encycl. 240 (1857) 62; dann aber besorgten ... die wollschläger das zupfen, streichen und kämmen ... der wolle Doren Florentiner wolltuchind. (1901) 43; vgl. Calepinus (1598) 204ᵃ; Wander sprichw.-lex. (1867) 1, 541; Prechtl techn. encycl. (1830) 8, 528; 19, 1.
c)
das fell oder das leder streichen; 'die weiszgärber streichen die gewalkten felle, wenn sie den kalk mit dem streicheisen heraus streichen, dagegen das streichen der lohgärber die haare wegnimmt' Adelung 4 (1780) 815; Jacobsson technol. wb. 4 (1784) 316ᵃ; Prechtl techn. encycl. (1830) 1, 513: ouch ist verboten lederstrichen, by wem sy daz gestrichen finden, der sol dem rat an dy stat ein halp phunt haller geben (14. jh.) Zwickauer rechtsbuch I 7, 2 Planitz-Ullrich; item es sullen die gerwer das leder ... nicht mer strichen, waz sie hie verkofent d. rote buch d. st. Ulm (1905) 119.
d)
tuch streichen messen, mit einer maszschnur über zum verkauf bestimmtes tuch hinfahren; ein amt, das nur ein vereidigter streicher (s. d.) ausüben durfte; nach dem 16. jh. nicht mehr bezeugt: quivis loquatur in suo consilio ... super mensura pannorum, hoc est ... de lakene to strikende (1368) bei Schiller-Lübben 4, 436; ghene lakene sal kopen offt doen kopen in gheenre stede, he en sulle se doen striken, er he se vntfange (1375) urk. buch d. st. Lübeck 4, 285; und sal auch ire keiner die duche strichen, daran er underkeuffer gewest ist Frankf. amtsurk. (1406) 212; vort so en sall niemant, hei si inwendich of uiswendig, binnen Coelne einiche doiche strichen und messen, iemantz daemit zo lieveren anders dan die gesworen stricher (ca. 1400—1445) Kölner zunfturk. 2, 204 Loesch; nemlich so sollent die tuch, so in ganzen stücken verkauft werden, durch die underkeufer mit der schnur gestrichen und sechs und dryssig elen für ein ganz tuch, achtzehen elen für ein halbtuch gelüfert werden ... und soll man sie strichen, wie die ordnung der welschen tuch usweist (1529) bei Schmoller Straszb. tucher- u. weberzunft (1879) 139.
e)
metalle zur prüfung an den probierstein (kieselschieferplatte) streichen, um an der farbe des abgeriebenen pulvers das mineral zu bestimmen, bzw. bei edelmetallen mit einem vergleichsstrich der probiernadel den gehalt zu ermitteln: das gold aber, das silber hat, oder das silber das gold helt, sol erstmal auff dem goldstein gestrichen sein, darnach sol auch ein gold oder silber nadel dem gleich drauff gestrichen werden, mit welcher gestalt man ausz den gestrichenen linien erfart, wie viel silbers im gold seye Ph. Bech Agricolas bergwerckbuch (1621) 202; aurum caticula explorare goldstreichen nomenclator lat.-germ. (1634) 351; die menschen erkennen wol das gold wann sie es auff den stein lidio streichen, welches das beste ist Lehmann floril. pol. (1662) 3, 10; vgl. auch Rädlein (1711) 851ᵃ; bergm. wb. (1778) 536; Jacobsson technol. wb. 4 (1784) 315ᵇ; Bucher kunstgewerbe (1884) 389ᵃ. verbreitet in bildlichem gebrauche, prüfen, um die güte festzustellen:
swaz wir dâmit erziugen
frumes und gewin,
den wir füeren von hin,
den strîchen an unsern stein
Ottokar reimchronik 25 418;
an disen goldstein, Christum, strych aller menschen ansehen, ratschlag und urteil Zwingli dt. schr. (1828) 1, 178; denn disz buch ist ein probierstein, daran sich andere bücher müssen streichen lassen Mathesius erkl. d. epist. a. d. Corinthier (1591) 1, 6ᵃ; neben dem aber haben wir noch etwas, das dem gold gleich streichet, nemlich ein frommes u. vernünfftiges weib H. Creidius nuptialia 1 (1655) 278; dieses (die liebe) ist der probierstein, daran man die prälaten in examine streichen vnd probiren soll Albertinus hirnschleiffer (1664) 277; die anfechtung ... ist der probstein, an welchem die rechtschaffenen christen gestrichen und erkennet werden Butschky Pathmos (1677) 108; wohl dem, welcher seine klugheit in dem sarge suchet, und das gold seines verstandes auff den probierstein der sterbligkeit streichet Ziegler asiat. Banise (1689) 132; ach lasz (Jesus) mich alles an dein wort, als den probierstein streichen Schmolck s. trost- u. geistr. schr. (1740) 1, 532. in abgewandeltem bilde (vgl. das folgende) für eine übertriebene ausdeutung von sprache und dichtung: streiche ich jedes wort (des Horaz) an den wetzstein und finde energien, wo keine sind, ... wo bleibt alsdann ... nur ein möglicher blick ... auf das ganze der ode Herder 5, 305 S.
f)
ein schneidendes werkzeug (messer, sense) streichend schärfen, schleifen, wetzen (vgl. abstreichen teil 1, 133) uerbum conducere diuerse accipitur. significat enim: strichen unde dicitur nouacula conducta id est gestriechen ahd. gl. (13. jh.) 3, 375, 37 St.-S.;
nû lac dâ bî in ein
harte guot wetzestein:
dâ begunde erz (das messer) ane strîchen
Hartmann v. Aue armer Heinrich 1219;
gleich als ein balbirer tzuvor die hende netzet, messer streicht Luther tischr. 2, 628 W.; ich wils (das stumpfe federmesser) auff der banck streichen reddam acutiorem scamno,coticula Orsäus nomencl. meth. (1623) 298; ein grassmeder mit dem stein gerade die sense streichet oder wetzet Aitinger jagd- u. weidb. (1681) 213; denn man hat wohl ehemahls erfahren, dasz wenn ein barbierer sein scheermesser auff einer unreinen lederfajle oder streichriemen gestrichen, er hernach wohl den, welchen er damit barbiret oder geschoren hat, ein grindicht gesicht gemacht hat Schmidt gestrieg. rockenphilos. (1706) 2, 215; oben in der muschel steckt ... ein stahl, die messer zu streichen Heppe aufr. lehrprinz (1751) 260; auch streicht er nicht (beim rasieren) wie mehrere thun, sein scheermesser in der flachen hand ab Göthe I 25, 1, 173 W. noch häufig in der umgangssprache, vgl. Mensing schlesw.-holst. 882; Fromme-Alpers Hohenbostel 81; Woeste westf. 258ᵇ; Stürenburg ostfr. 268ᵇ; Fischer schwäb. 5, 1846; schweiz. id. 11, 1986.
g)
etwas zum magnetisieren an oder mit einem magneten streichen: die erforscher der natur haben in acht genommen, dasz die magnetnadel im seecompasz jezuweilen ... gantz matt und krafftlosz werde, wenn man sie aber an den magnet streiche, so empfangen sie dadurch eine krafft, und werden gleichsam in ihrer krafft gestärcket Sperling Nicodemus quaerens 2 (1719) 934; das blosze streichen macht das eisen schon magnetisch Hegel w. (1832) 7, 1, 254; was beim magnetisiren das streichen ist Schopenhauer s. w. 3, 309 Gr. ähnlich: (ihm) war es bei diesen worten, als würde irgendwo im zimmer mit elektrischen stäben gestrichen, so zuckten ihm die nerven Gutzkow ges. w. (1872) 5, 318.
h)
ein streichholz (zündholz) an einer fläche streichen und zum brennen bringen: der alte graf ... strich ein phosphorholz an der sohle seines lackstiefels und zündete sich eine ... havanna an Fontane ges. w. (1905) I 5, 28; streiche mal einen! entzünde mal ein streichholz Gerhard Siegerl. bergm. spr. 165; schweiz. id. 11, 1985.
i)
als jagd- und fischereiterminus. das objekt, mit dem die streichende berührung erfolgt oder das streichend berührt wird, ist unterdrückt; an seiner stelle steht die sache (das zu fangende tier), um deretwillen das streichen ausgeführt wird. α) vom vogelfang, laufvögel, bodenvögel mit einem über den boden gezogenen netz fangen; streichen, die lerchen, nennt man es, wenn man lerchen bei nacht unter deckgarnen fängt Hartig lex. f. jäger (1861) 506; mit der leine die lerchen zusammentreiben Kehrein waidmannsspr. (1871) 286: wenn ihm ein sohn gebohren worden; so haben es die hirsche und geyer schlimm gehabt. ist es eine tochter gewesen, so hat er rebhüner und lerchen gestrichen Gottsched dt. schaub. 4 (1748) 165;
der morgen graut; der herbst steigt von den bergen
und wandert nach dem vogelheerd,
zum drosselfang — o, strich er nur nicht lerchen,
beim Pan! er wär mir doppelt werth
Kind gedichte (1817) 3, 24.
β) ein gewässer ausfischen, indem ein streichnetz über den grund gezogen wird: uf der insiln voet man di rotin perlin mit eyme kessir, als man czu uns di mutirlosin strichit, di do bessir sint wen di wizen md. Marco Polo 50 Tscharner; (die fischer) gehen also mit dem netz gegen einander über, wider zum ufer, und streichen mit dem untern theil desz netzes auf die erde fischbüchlein (ca. 1660) 22; den 18. junj ist Detlef Stegelman ... übers wasser gefahren, um krabben zu streichen Bremer chronicon Kiliense 292 Stern; den teich oder bach im herbst ausfischen de bek strieken Hardenberg d. fachspr. d. berg. eisen- u. stahlwarenind. 160; he begript er so väl van ass d'ole mutt' van't gannat-strîken (garneelenfang) Lüpkes seemannsspr. (1900) 9.
7)
schlagen, hauen, prügeln; zugrunde liegt die vorstellung einer heftigen, über den körper sich dahinziehenden berührung, ursprünglich wohl mit rute oder peitsche, vgl. concidere uirgis mit ruten hauwen oder streychen Frisius dict. (1556) 277ᵃ; caedere aliquem virgis einen mit ruten streichen nomencl. lat.-germ. (1634) 469; caedere aliquem usque ad sanguinis effusionem einen streichen das es blutet ebda 282; caedere verberibus, flagellis, loris, ferulâ stösse geben, peitschen, ein haut abkehren, streichen Corvinus fons lat. (1646) 124. (ob neben der vorstellung der berührung auch in anlehnung an C 1 a der gedanke eines 'bemalens mit striemen' [s. ausstreichen 4 teil 1, sp. 993] zugrunde gelegt werden kann, scheint fraglich.)
a)
schlagen, geiszeln, prügeln (meist mit hilfe eines instruments wie rute, geiszel, gerte, stock u. dgl.):
ir reinen lib zu strichene
mit gerten bitterliche
leben d. hl. Elisabeth 2898 Rieger;
doch sanc er in biz an diu knie
ze allen ziten in daz mos,
er straich an ez, biz im daz ros
ward uz dem giel vallen
Johann v. Würzburg Wilhelm v. Österreich 11 792 Regel;
und losz vorbasz din klaffen,
dasz ich dich nicht basz darff dreffen
adder mit eim knittel streichen,
dasz dir das blut hir nach thu weichen
Alsfelder passionsspiel 7612 Grein;
vil strichen sie mit gerten Seb. Franck Germ. chron. (1538) 131ᵃ;
zeuch in ab, streich in allenthalb
mit einer geschmeissigen ruten
Hans Sachs 21, 113 lit. ver.;
do fasset er mich gar woll, leit mich über ein stuͦll und streich mich gar uͤbell Th. Platter 15 Boos; fürwar die sind wirdig, dass sie mit geisseln gestriechen werden engl. comedien u. trag. (1624) Dd 5ᵇ; nun aber hat eine ruthe nicht ein reisz, sondern viele, welche alle im streichen durchschmeissen und schmertzen machen Scriver seelenschatz (1737) 4, 47ᵃ; soll ich dich nicht ... mit ruthen streichen lassen? A. v. Arnim s. w. (1853) 6, 82; wir sollten einander also nicht wie kinder behandeln, die man mit der rute streicht und wieder laufen läszt H. Hesse glasperlensp. 2 (1946) 338.
α)
in besonderen verwendungen. prügeln, züchtigen, bes. bei kindern als mittel der erziehung:
wîlent wâren schûoler bleich:
dô man si lêrte und vaste streich
Hugo v. Trimberg d. renner 17412 Ehrism.;
ich will im (dem schulmeister) sein auch ingedenck:
er hat mich oft umb unschuld gstrichen
Hans Sachs 12, 234 lit. ver.;
als ich wurde ein mal vor mittag 15 mal gestrichen on alle schult, denn ich solt declinirn vnd conjugirn vnd hett es nicht gelernet Luther tischr. 5, 254 W.; ich habe meinen sohn klein mein leben keine maulschel geben, ich habe ihn aber so braff mitt der ruhte gestrichen dasz er sichs noch erinert (1710) Elisabeth Charlotte v. Orleans br. 150 lit. ver.; ey nimm den bengel in die kammer, und streich ihm seinen hindern voll Gottsched beytr. z. crit. hist. (1732) 1, 678. geiszeln, stäupen, auspeitschen, als strafe für gesetzwidrige vergehen: der jude, der Walich, ... der umbe daz münster gestrichen wart (1387) städtechron. 9, 1022 (Straszburg);
von dem richter ist uns erleubet,
mer soln en strichen, dasz he teubet
Alsfelder passionsspiel 4259 Grein;
ein ander loser student, der ... öffentlich mit ruthen durchn hencker gestrichen ward Prätorius bericht v. Katzenveite (1665) J 8ᵃ; Johann le Clerc ... schlug einen brief wider den ablasz 1523 an, und erklärte den pabst für den antichrist, ward aber mit ruthen gestrichen, und an der stirn gebrandmarket v. Einem Mosheims vollst. kirchengesch. 5 (1773) 249. in religiöser vorstellung als form der busze für begangene sünden, 'kasteien': meyster Conradt sanct Elisabet beychtuatter ... der die heylig fraw gelert hab bey der nacht von yrem eelichen man auff zcusteen, vnd lange gebette zcusprechen, vnd den leyb mit ruethen zcustreychen J. Strausz beychtpüchl. (1523) B 2ᵇ; da setzte jm der bischoff zur busse ... dasz er drey tage nach einander mit entblösseten schultern vnd rücken, für jm vnd dem capittel ... sich stellen, vnd mit ruten streichen lassen, vnd also busz ... empfangen solte Binhardus Thüring. chron. (1613) 177.
β)
in bildlichen verwendungen. mehrdeutig sind die beiden folgenden stellen, in denen streichen auf zugleich als 'gegen jemdn. anrennen' (s. A 1 a β) verstanden werden kann; vgl. ferner streichen vom wind (unter A 6 a):
swaz uf mich nu strichet
uwerre valschen worte wint,
der kraft ist kranc unde blint
min hus mir zu vellene
passional 177 Köpke;
vier wind sind in der welt, die den menschen zerbrechen: vier, das sind die vier elementen, die streichen all auff jhn, damit sie jhm sein gesundtheit brechen Paracelsus opera (1616) 1, 638ᵇ. in wort oder schrift gegen jmd. aggressiv vorgehen: so werden jr finden daz Theophrastus noch der gröst physicus ist, der in d' physic euch all noch mit ruthen streichen wirt Paracelsus opera (1616) 1, 239ᶜ;
wenn unrecht wil gelobet sein,
der warheit nicht wil weichen
vnd gott ins angesicht hinein
mit schmehwort noch thut streichen
Wackernagel dt. kirchenlied (1864) 3, 202;
dasz der glückselige rezensent ihn auf demselben druckbogen so lange gratis wieder stäupen und streichen kann, als er will Jean Paul s. w. (1826) 43, 57 R. im sinne von 'jmd. bedrücken': viel edle gemüther zu finden seynd, die lieber die unterthanen ... bereichen als streichen Abraham a s. Clara etwas f. alle (1699) 1, 478; wir binden ... selbst die ruthen, wormit uns gott pflegt zu streichen ebda 1, 701.
b)
selten 'mit der hand ins gesicht schlagen, einen backenstreich geben, ohrfeigen': ir vertraget, so euch jemand zu knechte machet, so euch jemand schindet, so euch jemand nimpt, so jemand euch trotzet, so euch jemand in das angesichte streicht 2. Cor. 11, 20; ssondern sso dich yemand auff den rechten backen streycht, dem hallt auch den andern dar Luther 11, 248 W.;
vnd manchem eine wachtel streicht
Ringwaldt lauter warheit (1609) 119
(vgl. wachtel teil 13, 176);
im wortspiel:
diese aber wehrt sich ... und streicht ihr so zärtlich über die purpurrothen wangen, dasz man beinahe der meinung wurde, sie hätte die finger darauf liegen lassen. so kämpfen sie beide, liebe und verzweiflung in der brust
Glaszbrenner Berlin wie es ist u. trinkt (1845) 3, 42.
c)
mit einer hiebwaffe zuschlagen, einen streich führen; in dieser verwendung, die wohl in anlehnung an a entstanden ist, verbindet sich mit streichen die bewegungsvorstellung eines weit ausholenden, schwungvollen hauens (im gegensatz zu stoszen oder stechen):
dâ streich der alte Heimrîch
mit swerten den wiserîch,
der im dicke was gewerbet
Wolfram v. Eschenbach Willehalm 383, 19 Lachm.;
an den ward er do strichen
mit scharpfes swertes sniden
Johann v. Würzburg Wilhelm v. Österreich 8166 Regel;
newer allein mit swertes slegen
hat der auzderbelte degen
vil mangen ser gestrichen
Suchenwirt 8, 221 Primisser;
nun streich auff mich! thust du mein felen,
so wil ich dir gar dapffer strelen
mit meinem eysern flederwisch
Hans Sachs 8, 228 lit. ver.;
blötzlich der tod mich hinderschlich,
gwaltiger hieb zwen nach mir strich
ebda 1, 427;
de beiden kemper treden vpn strant ... so ginck de Dene ersten den Wendt an, vnd sloch gichtich vp den Wend; de Wend was auerst nicht vull, vnd streck wedder tho em jn, vnd thoklouede dem Denen den khop midden enttwey (16. jh.) Thomas Kantzow chron. v. Pommern 7 Böhmer; wenn der (fechtmeister) seine schüler wol abrichten und probiren wil, nimpt er derselben einen für, stelt sich gegen jhm zur wer, hebet gegen jhm auff, und streicht mit allen krefften auff jhn Pomarius grosze postilla (1590) 1, 325ᵃ;
reckt auss seins schwertes scharffe kling,
vnd strich, vnd stach zu Petzen ein
Rollenhagen froschmeuseler (1595) K 8b;
da aber solches des Cuntzen geselle ... vermerckt, soll er das schwert auff den fürsten gezogen, und auff jhn gestrichen haben M. Dreszer sächs. chron. (1596) 447;
und wo er sicht die meisten,
hertringen vor dem feind, er so gewaltig streicht,
das jederman dafür, als für dem tod entweicht
Hohberg d. Habspurg. Ottobert (1664) F 7a.
in fester wendung zum streichen kommen 'zur schlacht, zum kämpfen kommen, handgemein werden', vgl. die parallele substantivische formel zu streichen kommen, sp. 1158; ad manus uenire zuͦ schlahen, zuͦ streichen, oder zuͦ fächten kommen Frisius dict. (1556) 28ᵇ: ob zwen in unwillen oder krieg sich gegeneinander aufwurfen, vom wort zum streichen kämmen öster. weist. 7, 109; sie giengen also unverzüglich auf die Thebaner los und kamen gleich mit ihnen zum streichen Heilmann Thukydides' gesch. d. pellop. krieges (1760) 175. die wendung in die luft streichen bezeichnet die wirkungslosigkeit einer tätigkeit:
jetzt trugt ihr steine zu und woltet ihn entleben,
ietzt stürzen von dem fels, ietzt in die bande geben.
doch stricht ihr in die luft
Fleming dt. gedichte 1, 19 lit. ver.;
(windleute sind) nichtig oder vergeblich arbeitende, so in die luft streichen Prätorius anthrop. Plut. (1666) 2, 15; ein gottesgelehrter, der ... immer am unrechten ort uneigentliche redensarten gebraucht und seine gedanken in eitel wolken von metaphern und hyperbeln einhüllet, der streicht in die luft, wenn er gleich den guten vorsatz hat, die wahrheit zu verfechten allg. dt. bibl. (1765) 2, 56.
C.
in strichförmiger bewegung einen gegenstand berühren und dabei eine mehr oder weniger flüssige masse ausbreiten, etwas auftragen, schmieren, etwas mit einer flüssigkeit, salbe oder breiartigen masse bestreichen; linio stricho ahd. gl. 3, 502, 52 St.-S. auch hier mit wechselndem äuszeren objekt: farbe streichen (an die wand) — die wand streichen (mit farbe); butter (auf das brot) streichen — das brot (mit butter) streichen.
1)
eine flüssigkeit oder eine breiartige masse auf der oberfläche eines festen körpers so ausdehnen, dasz sie am festen haften bleibt; schmieren: libuit (für linuit, vgl. Wissmann zum abrogans, in: fragen u. forsch., festgabe für Frings [1956] 104) supernix (für superunxit ebda) streich, uparsalpo:ta ahd. gl. 1, 201, 12 St.-S.;
ir nemet des lambes bluͦt,
ir strichet ez iewedir halp der ture
unde oben an daz ubirture
genesis u. exodus 152, 32 D.;
do hette ein artzat sine vergift an einen wintrübel gestrichen do er an der rebe hing (Straszburg 13. jh.) städtechron. 8, 147; und mach ein salbe darausz ... und wan du fischen wilt, so streichs an die hende, so wirst du grosz wunder erfaren (1498) Erfurter fischbüchl. 7 Zaunick; ein frow die eyn kind wil entwenen von der milch, so stricht sy senff an die brust Geiler v. Keisersberg bilgersch. (1512) 24ᵈ;
ich streich im an seyn hossen dreck
und leit im heimlich steyn an wegk
(1512) Murner schelmenzunft 18 ndr.;
vor ihrer stirne haben sie drey oder vier schnitte ... welche sie ... aufschwellen lassen und farbe darein streichen Dapper Africa (1670) 470ᵃ; ohrenschmaltz an die degenspitze gestrichen, wenn man duelliren will, das löset des andern festigkeit auff J. G. Schmidt gestrieg. rockenphil. (1706) 1, 274; wenn man ein brett mit einem theile der medusa hysocella streicht, so erhält die bestrichene stelle ihr licht wieder, wenn man sie mit dem trockenen finger reibt A. v. Humboldt ansichten d. natur (1808) 1, 223; o honig, den man um das giftglas streicht Cl. Brentano ges. schr. (1852) 6, 241; de kette strieken, wenn sie nicht glatt genug ist, mit leimwasser wb. d. Elberf. ma. 158ᵇ.
a)
mit farbe versehen, d. i. farbe über einen festen körper ausbreiten.
α)
mit natürlicher (haut-)farbe versehen sein oder werden:
got hât ir wengel hôhen flîz,
er streich sô tiure varwe dar,
sô reine rôt, sô reine wîz
di natur an der stiren zoch
zwo slechte pra, di sint praun,
geleich hoch gestrichen als ein carbun
Heinrich v. Neustadt Apollonius 15 045 Singer;
der wein ... streicht ein färblin an Fischart Garg. 145 ndr.
β)
schminken (zum mhd. gebrauch in dieser bedeutung vgl. Heyne dt. hausaltertümer 3, 88):
ob iender de kain valscher strich (schminke)
durch valsche varwe wurde dar
gestrichen? — niht! si warent gar
mit angeborner varwe clar
Rudolf v. Ems Willehalm v. Orlens 13 268 Junk;
vnd het ainen rotten rock von scharlach an gethon vnd ain grosse nasen vnnd etlich farb an gestrichen (1509) Fortunatus 123 ndr.; etliche frawen streichen sich im angesichte, und wollen den jünglingen gefallen W. Bütner epitome histor. (1596) 273ᵃ; sie streichet sich, sie schmincket sich she paints Ludwig teutschengl. (1716) 1891.
γ)
mit farbe malen:
der maler dacht' in seinem sinn:
du eitle närrin! nahm karmin,
und strich ihr (der rose) roth die blätter all
Blumauer ged. (1782) 31;
ich mahle zu und streiche zu,
und sehe kaum mehr was ich thu
Göthe I 16, 151 W.;
als müsste der maler, der sie conterfeite, um ihren kopf einen goldenen schein streichen Alexis Roland (1840) 1, 415; für die 'visitenstube' musz ich aber doch zunächst eine landschaft streichen, weil neben dem ofen ein stück weisze mauer ist, die verdeckt werden musz (1875) G. Keller br. u. tageb. 3, 140 Erm.
δ)
farbe auftragen, anstreichen: ich nahm die dritte der oben gemeldeten grauen mischungen und strich sie dick auf den fuszboden meines zimmers Göthe II 2, 260 W.; es war ein kleines geweisztes zimmer, die möbel mit rother ölfarbe gestrichen G. Freytag ges. w. (1886) 5, 25; das streichen der fuszböden war noch ungebräuchlich ebda 1, 64; gestohlen am 20sten d. m. Weberstrasze no. 31 vom hofe ein graubraun gestrichener kleiner handwagen mit eisernen achsen und buchsen Berliner intelligenzbl. 31. aug. 1870; der kies war sauber geharkt, ... die prellsteine mit kalkfarbe gestrichen Polenz Grabenhäger (1898) 1, 2; dann saszen sie sich gegenüber auf den schmalen, weisz gestrichenen bänkchen und lächelten sich zu Kahlenberg Eva Sehring (1901) 23; auff derselben stelle ... standen ... die grün gestrichenen ... tische ... herum Fontane ges. w. (1905) I 1, 375.
ε)
bildlich; seinen taten oder eigenschaften einen anderen anstrich geben, sie beschönigen, d. i. sich anders geben als man ist: solden sie billich ire irtumb bekennen, vnd nicht alszo ein farb daran streichen Luther br. 8, 472 W.;
die schönheit ist der grund, ein angebohrnes wesen,
darauff die freundligkeit gesalbte schmincke streicht
Hoffmannswaldau ged. (1697) 4, 186;
nur dasz er soviel auf der akademie gelernt haben musz, ihren unbesonnenen anmuthungen von weitem zuvorzukommen, und so einen firnisz über seine dienstbarkeit zu streichen Lenz ges. schr. 1, 16 Tieck.
b)
butter, käse o. ä. auf das brot streichen: sein urähne hätte vor alters dergleichen, auff weisse semeln gestrichen ... essen sehen Grimmelshausen 2, 511 Keller; warum soll man aber nicht ... butter auf's brod streichen Hippel lebensläufe (1778) 1, 440;
der käs ist zwar voll maden
sie werden mir nicht schaden,
ich streiche sie aufs brot
Rückert ges. poet. w. (1867) 1, 215;
noch kein mensch ist in unsern gegenden von einer spinne vergiftet worden: giebt es nicht hie und da leute, die sie aufs brot streichen Hebel w. 2, 66 Behaghel; wir nahmen alle von dem merkwürdigen gericht, strichen es auf semmelscheiben H. Seidel Leberecht Hühnchen (1899) 144. mit austausch des objekts das brot (mit butter) streichen (eigtl. bestreichen): dem armen Werther kam der sand in die zähne, wenn er die süszen zettelchen seiner butterbrot streichenden Lotte küszte Bauernfeld ges. schr. 2 (1871) 221; soll ich dir'n schnittchen streichen inzwischen G. Hauptmann einsame menschen (1891) 42; sie strich ihm ein butterbrötchen Clara Viebig d. schlafende heer (1904) 2, 256. auch bildlich in verschiedener bedeutung: welches wir hiemit der päpstischen clerisey auffs brod gestrichen haben wollen (nachdrücklich an etwas erinnern) Dannhawer catechism.-milch (1657) 1, 497; die vorwürfe deines gewissens sind ein ganz gesundes brot für dich, und daran sollst du dein lebenlang kauen, ohne dasz ich dir die butter der verzeihung darauf streiche Gottfr. Keller ges. w. (1889) 2, 67. redensartlich: einem ebbs uff's brod striche ihm zu gefallen reden Schmidt Straszb. 106ᵃ; Martin-Lienhart els. ma. 2, 625.
c)
als medizinischer terminus, vor allem in älterer sprache, ein heilmittel (salbe oder pflaster) streichen. auftragen:
dâ hiez sî sî strîchen an (mit salbe)
Hartmann v. Aue Iwein 3445 Benecke;
oel unde crisimen streich er dar
Barlaam und Josaphat 172, 20 Köpke;
unde strîch die erzenîe umbe diu ougen: dir wirt inner zwein tagen baz zwei dtsche arzneibücher 12. u. 13. jh. 26 Pfeiffer; si autem orfime diruptae non fuerint, tunc idem kalp cum succo suo desuper striche, et illud etiam super eas pone, et pannum desuper liga, et virswindet st. Hildegardis (hs. d. 15. jhs.) bei Migne patrologia 197, 1199;
des gleichen auch für alter ein salben,
die wolt ich streichen allenthalben
Agricola 750 teutsche sprichw. (1534) 0 3a;
eisenrost an die biller oder zanfleysch gestrichen ... befestigt sie Ryff spiegel u. regim. d. gesundth. (1544) 100ᵇ; diapasma ein gemengt pulffer von guͤtem geschmack vnd trochner natur, das man auff den leyb streycht den schweysz zeuertreyben Frisius dict. (1556) 408ᵇ; schabet die wurtzel von wallwurtz oder beinwellen, die noch grün ist, und erst aus der erd gegraben: streichet die abschabet auff ein lümplin wie ein pflaster Sebiz feldbau (1579) 91; wenn das haupt wund ist, so musz man die salb nicht auff die füsz streichen Lehmann floril. polit. (1662) 2, 584; er strich und schmierte pflaster Spanutius teutsch-orthogr. lex. (1720) 96; wieder den schwindel wird das storchen- gemsen- und schlangen-fett, an die schläfe gestrichen, gerühmet Fleming vollk. teut. soldat (1726) 330; sie ... strich mich mit einer salbe und legte mir ein grosses pflaster auf den rücken Leipziger avanturieur (1756) 1, 44. entsprechend von flüssigkeiten, die man in geringer menge (mit dem finger) aufträgt: warumb manz (das öl) an in strîchet Ottokar reimchronik 300;
diu juncvrau straich ie mit der hant
ir rosen wazzer umm den munt
Johann v. Würzburg Wilhelm v. Österreich 9232 Regel;
für solichen gestank ist gar nütz essich inn die nassen gestrichen (1486) bei Röhricht pilgerreisen (1880) 150; da streich graff Albrechts gemahl und die ertzte jhm (Luther) den puls mit allerley sterckwassern in: Luther 54, 492 W.; wann man eym siechen den safft (von lattichkraut) an die stirn streicht, so bringet es jhm den schlaff M. Herr d. feldbau (1551) 146ᵃ;
doch hat sie auch ein fläschchen balsam-feuers,
...
wovon sie wohl einmal, von lieb und treu erweicht,
um die verlechzten lippen ihres ungeheuers
ein tröpfchen mit der fingerspitze streicht
Göthe I 2, 91 W.;
ich hatte wohl bemerkt, dasz Natalie während des essens einige male aufstand und ihren arm mit kölnischem wasser strich Holtei erz. schr. (1861) 2, 31.
d)
sprichwörtliche verbindungen; im sinne von 'statt der wahrheit schöne worte sagen': das süsze ums maul streichen Franck sprichw. (1541) 1, 26ᵇ; Eyering prov. cop. (1601) 1, 315; vnd streicht dem keyser in einer epistel gar subtil das süsz umb das maul Seb. Franck chron. Germ. (1538) 58ᵃ; os sublinire den honig vmbs maul striechen, verfüren, betriegen Apherdianus tyrocinium (1581) 17; du streichst mir honig umb das maul, vnd streichst mir dreck drein Seb. Franck sprichw. (1541) 2, 11ᵇ; Körte sprichw. (1837) 215; aber sie streichen dir nit das honig oder süsz gifft vmb das maul der eignen wolgfellikeyt, alsz jene müntzmünch Eberlin v. Günzburg s. schr. 3, 11 ndr.; (noch heute gebräuchlich). das hälmlein durchs (ums) maul streichen (ziehen), ebenfalls für 'schmeicheln, schöne worte sagen'; wahrscheinlich ausgehend von der vorstellung eines in honig, süszen brei u. dgl. getauchten halmes (vgl. teil 4, 2, sp. 241 und Borchardt-Wustmann-Schoppe-Schirmer d. sprichwörtl. redensarten [⁷1954] 198; ferner Schmeller-Fr. bayer. 1, 1094; Fischer schwäb. 5, 1845): und ist unser frintlich bit an uch, ir wollen uch nit lossen das helmle durch das mul strichen (1523) polit. corresp. d. st. Straszburg 1, 119; vnd (er) streich inen wol das helmlin durch das maul Pauli schimpf u. ernst 112 Öst.; ferner: Tappius adag. cent. septem (1545) B 6ᵃ; Binder sprichw. 83; (vgl. älteres
beide nuͦ und zu aller stuͦnt
zühet si uns den halm durch den munt
mhd. minnereden I 6, 532 Matthaei,
s. dazu S. Singer sprichw. d. mittelalters [1944] 1, 101); eiⁿᵉm flädle stricheⁿ jem. durch süsze worte locken Martin-Lienhart els. ma. 2, 625. für 'leicht, deutlich, begreiflich machen': a wäs ums mäul streichen ihm etwas in den mund legen (dass er es sage) Jakob Wien 185ᵇ; i' hab' ihm's um's maul gestrichen, was er sag'n soll (d. h. es ihm deutlich gemacht) Hügel Wien (1873) 158; einem etwas in's maul streichen suggerieren Fischer schwäb. 5, 1846; (die komische operette,) diese dramatische misgeburt, die keinen wert hat, als dasz sie manche gute melodie dem pöbel in den mund streicht Schubart leben u. gesinnungen 2 (1793) 110. im sinne von 'ausplaudern': jedoch behalt es der herr bei sich, und streichs nicht jederman an die zähn, dann die welt will heutiges tags nur betrogen sein frantzös. Simpl. (1683) 2, 147; was gute freund ... vertreulich reden, solle keiner ... offenlich oder andern an die zähne streichen Stölzlin tischzucht bei Fischer schwäb. 5, 1845.
2)
über diese verwendungen entwickelt sich streichen zu einer bezeichnung für die bearbeitung breiartiger, zähflüssiger massen (meist mit einem entsprechenden gerät).
a)
durcheinandermischen, verstreichen:
wer nit schmieren kan eyn fall,
mit hunig streichen gifft und gall,
saur mit siesz vermischen kan
Murner schelmenzunft ²41 ndr.;
weisz gilgenöl, süsz mandelöl, vnnd hünerschmaltz vnter einander vermischt ... es dienet auch wol, vnd ist gut dar zu, ein dotter oder das weisz von einem ey, dareyn gestrichen Ruoff hebammenb. (1580) 53;
so böser thau, als meine mutter je
von faulem moor mit rabenfedern strich,
fall' auf euch zwey
Shakespeare 3 (1798) 30.
b)
durch ein tuch (anstelle eines siebes) streichen: niem ainen kalbsfuesz oder mê und süd dy, bis das bain davon fallend, mit ainer brüge und niem den essich als vil der brüge und stosz die füsz, so die bain davon komend in ainem morser und strîch es denn als samend also heiss durch ain tuoch (15. jh.) Germania 25, 351; auss den pflaumen eyn muss zumachen, du solt die pflaumen ... sieden ... darnach durch eyn beuteltuch streichen Sebiz feldbau (1579) 383.
D.
etwas streichend von der stelle bewegen, die lage eines gegenstandes in gleitender bewegung verändern.
1)
etwas durch streichende bewegung entfernen, abwischen (s. abstreichen teil 1, 133, wegstreichen teil 13, 3045):
dô streich er von dem munde 'z pluot
und kuste sînes herzen trût
Wolfram v. Eschenbach Parzival 270, 6;
swaz er sweizes ûf dem orse vant,
den kund er drabe wol strîchen
ders. Willehalm 59, 15;
dû muost mit dînem hâre
strîchen stoup von schamelen und von benken
Kudrun 1019, 4;
vnd gott streycht ab einen ieglichen treher von iren augen erste dtsche bibel 2, 489 K.;
unden und oben gar peflissen
streicht er das kot von seiner hawt
Hans Sachs 17, 367 lit. ver.;
sein weibgen wird ihm nun den schweisz von augen streichen
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. (1727) 1, 100;
indem er das blut von seinen zerkratzten armen streicht maler Müller w. (1811) 1, 136; ich sitze in der laube, lese Pfisters geschichte der Deutschen und streiche eine thräne aus meinen augen Börne ges. schr. (1829) 8, 116; sie war schon einigemal wie mechanisch mit der flachen hand über den tisch gefahren, und das hatte den schneider jederzeit nicht wenig beunruhigt. jetzt strich sie ... den ganzen mann herab, scheinbar so unabsichtlich wie einen lappen tuch, den man wohl in gedanken vom tische streicht ohne gewahr zu werden, was man thut Ludwig ges. schr. (1891) 2, 20.
a)
durch streichende handbewegung beiseite schieben: also strich sie den fürhang ... auff die seite Lohenstein Arminius (1689) 1, 393ᵇ. capillos retroagere hinder sich strychen Frisius dict. (1556) 1158ᵇ: da sprang ich auf, warf mich in den neuen panzer, strich die ungelockten haare unter den helm Lessing 2, 357 L.-M.; er strich sich die haar aus dem gesicht Bettine d. buch gehört d. könig (1843) 2, 499; der pate ... strich seinem schützlinge das haar aus der erhitzten stirne Gottfr. Keller ges. w. (1889) 6, 22; die ... hand strich mehrmals ein büschel nasser haare zur seite, das immer von neuem in die ... stirn fiel G. Hauptmann bahnwärter Thiel (1892) 20.
b)
falten, furchen von der stirn streichen u. ä., wendungen, die zugleich den nebensinn des glättens (B 3) enthalten:
schlaf! liebes kind, du streichst mit linden händen
die furchen sonst von stirn und angesicht
Tieck schr. (1828) 1, 304;
er strich mit der hand die runzeln von der stirn Alexis Roland (1840) 1, 76;
dann steht er, streicht mit flacher hand
die falten von der stirne rand
A. v. Droste-Hülshoff ges. schr. (1878) 2, 56.
bildlich:
vergebens suchet sie (die freude) ...
des unmuths runzeln ihm von seiner stirn zu streichen
J. A. Schlegel verm. ged. (1787) 2, 102.
c)
ähnlich in bildlichen anwendungen: erwach, und streich dir doch die schuppen vom gesichte A. U. v. Braunschweig Octavia (1677) 2, 555;
so kehrt sie nacht in tag, und leid in fröligkeit,
und streicht die blasse furcht von meinen todten wangen
Hoffmannswaldau ged. (1697) 2, 22;
wer nicht aus blinder lust dem ersten liebreiz weicht,
erst der verstellung flor vom angesichte streicht
Gottsched ged. (1751) 1, 383;
so bald ein wort des treuen gatten
die schläfrigkeit vom auge streicht
J. E. Schlegel w. (1761) 4, 281;
mir gleichsam die strahlen der abendröthe, die schief hereinkamen, aus dem gesichte streichend Stifter s. w. (1904) 3, 197.
2)
'wegstreichen, einstreichen' (s. einstreichen teil 3, 315), bes. geld in die hand oder in den beutel:
ich zalt im di pfenninge dar.
...
er streich si gar in sin hant
und nam urloup zehant
mhd. erz. III 56, 125 Rosenhagen;
und was sü ouch pfenninge empfohent, die söllent sü in angesiht der, die sü gebent, in die kiste strichen (1446) Eheberg Straszburg (1899) 1, 143; er strich das geld in seinen sack he whipt up the money into his pocket Ludwig teutsch-engl. lex. (1716) 1891; die postmeister haben alle und alle tag einen hut voll thaler vom tisch gestrichen Rosegger d. zugrunde gegangene dorf (1905) 16. die ursprünglich ganz sinnliche bedeutung 'mit einer handbewegung einstreichen' erweitert sich später und bezeichnet das (geld-) ansichnehmen überhaupt: die beamten zu Kanton wuszten kein besseres mittel zu ersinnen ..., als dasz sie der kaiserlichen schatzkammer die gewöhnliche summe ablieferten ... und den überschusz in ihre eigene kasse strichen G. Forster s. schr. (1843) 4, 92; ging hinunter in die gesindestube. strich die heller ein für die bänder und schuhe und scheeren A. Sperl söhne d. hr. Budiwoj (1927) 15.
3)
aequare, hostire, unebenheiten abstreichen, sie beseitigen: hostio ich streich, i mach gleich Alberus (1540) o 3ᵇ.
a)
im bereiche des handwerks, bes. der holzverarbeitung: hostire streychin, hostimentum est equalitas etc. eyn houel bank Diefenbach nov. gl. 206ᵃ; streichen an einander, wenn pfähle, pfosten, bretter so glatt und gerade an den seiten, womit sie zusammen passen sollen, abgehobelt werden, dasz sie allenthalben dichte an einander schlieszen Jacobsson technol. wb. 4 (1784) 316ᵃ; bis heute in der fachsprache der tischler und zimmerleute 'die schmalseiten eines brettes abhobeln', s. Sass spr. d. nd. zimmermanns (1927) 52. dazu 'eine ebene fläche aus brettern herstellen, den boden dielen': item 61⁄2 m. 4 scot, eyn soller mit delen of dem nuwen spicher zu strichen (1402) Marienb. tresslerb. 210 Joachim. länger erhält sich diese bedeutung in der seemannssprache: ein deck streichen, holl. een dek strijken die deckplanken und scheerstöcke eines decks legen und auf die deckbalken festspickern Bobrik seewb. (1850) 673ᵇ.
b)
ziegel streichen, d. i. die die ränder der form übersteigende masse mit dem streichholze entfernen (vgl. Muspratt chemie 8 [1905] 628ff.): item 4 m. an 1 firdung dren furmannen, yo dem wayne mit 5 houpten 2550 breyt zu furen ken Konigisberg zu flachem dachzigil zu strychen (1400) Marienb. tresslerb. (1896) 58; vnd sprachen vnternander, wolauff, lasst vns ziegel streichen vnd brennen, vnd namen ziegel zu stein, vnd thon zu kalck 1. Mos. 11, 3; lateres ducere ziegel streichen nomencl. lat.-germ. (1634) 57; wenn man aber kleine (mauersteine) streichet wie die holländischen klinckers, ... können sie wohl ausdauren Sturm fangschläussen (1715) D 2ᵇ; man baut jetzt hier zum teil mit kleinen ziegeln, welche die armen leute selbst zu streichen scheinen Novalis schr. 2, 59 Minor; und sie strichen die ziegel und brannten den thon Geibel ges. w. (1883) 3, 29; das streichen der biberschwänze (dachziegel) wird ... auf wechselnde art ausgeübt Muspratt chemie (1888) 8, 818;
entreisse dich, mein geist! der schnöden eitelkeit,
...
willt du im sündendienst noch länger ziegel streichen
(symbolisch für sklaverei)
Triller poet. betracht. (1750) 1, 119.
c)
mehl, getreide, früchte o. ä. messen, d. i. die angehäufte überschüssige menge vom hohlmasz abstreichen (vgl.wurde der fruchtzins nicht mit dem halm u. garbenweise empfangen, sondern gemessen, so pflegte korn und weizen auf dem masz gestrichen zu werden J. Grimm dt. rechtsalterth. ⁴ 1, 497); mensuram hostorio aequare die masz streichen nomencl. lat.-germ. (1634) 316: auch ist zu wissen, dasz man albeg masz des melbs ie fünf gestrichne firtail für ain sümer (Nürnberg 15. jh.) städtechron. 2, 306; nemblichen das resch getraid als waiz und korn gestrichen, den habern und hiersch aber gupft ... auch nit getruckt sonder gleich gestrichen voll beschaidenlich und unverdechtig einnemen (1572) österr. weist. 10, 197; wer traid hingibt oder kauft, sol man das schwer traid den metzen streichen und das ring traid kaufen (16. jh.) ebda 7, 9; um des ... vortheils willen, so bishero mit den gehauften massen gebraucht worden, wöllen und setzen wir bey schwerer straff, dasz hinfüro alle kohlmasz gestrichen, und keines mehr gehauffet werde (1694) Lori slg. d. baier. bergrechts (1764) 575; wenn einer sein korn mahlen lässt, so streichen ihm die müllermeister die metze mit dem streichbret, wie's den herren, denen die mühlen sind, gefällt Alexis Roland (1840) 2, 94. bildlich:
zu fräden darf mich nyemant zelen,
ich hab die liebsten mein verloren,
sy miszt mir triu mit halber elen
vnd gibt mir spewr für das koren.
was ich ir hauff, das streicht sy mir,
sy muͦsz ain anders närrlin hân
liederbuch d. Hätzlerin 75 Haltaus;
die hand ... die uns unbarmherzig von dem vollen scheffel streicht W. Raabe s. w. I 6, 151. davon (unter verlust des begriffes einer festen maszeinheit) gestrichen voll, voll bis zum rand: alle gefäss waren gestrichen vol mit butter vnd käsen Schaidenreisser Odyssea (1537) 37ᵃ;
biss er den hafen durch die menning
aussfüllt mit den ersparten pfenning,
pis er würd grad gestrichen vol
Hans Sachs 17, 402 lit. ver.;
nam also ein gefesz voll wasser bisz zum öbersten bord gantz gestrichen vol Rivius Vitruv (1575) 567; bringt derselbe dann das geschirr gestrichen voll nach hause, wie mans bei dem brunnen hat eingeschenckt Valvasor hertzogth. Crain (1689) 1, 602; nichts geringeres als dieser hut, von gold gestrichen voll, kann sein dank seyn Schiller 3, 99 G.; da stehen sechs töpfe gestrichen voll gold Cl. Brentano ges. schr. (1852) 7, 319.
E.
einen strich ziehen, lineam ducere.
1)
linienartig über eine fläche oder einen körper hinfahren: daz czeichin des heilgen cruczis, das eme der prister hat ... gestrichen vf sinen schulderen Dietrich v. Gotha bei F. Türk wortsch. 117;
sie streichet vorn und hinden
ein dreymal doppelt kreutz
(1664) Rachel satyr. ged. 56 ndr.
besonders mit dem pinsel (stift, feder u. dgl.) linienartig über eine fläche hinfahren und dabei eine flüssigkeit (farbe, tinte o. ä.) auftragen (vgl. oben C 1 a), eine linie ziehen, malen, zeichnen, schreiben (wobei die vorstellung der fortlaufenden erstreckung, der längenausdehnung einflusz auf den wortinhalt gewinnt, vgl. oben A 5 sowie etwa den folgenden beleg: dise schnecken lini mag man eng über eynander zihen oder rösch in die höch streychen lassen A. Dürer underweysung d. messung [1538] B 1ᵃ): ein iegliches het er (gott) in der ewigen ordenunge also geordent und fürsehen, daz der moler niemer so versiht in sime sinne wie er einen ieglichen strich gestriche an dem bilde Tauler pred. 18 Vetter;
ey strich ein r mer of dat blat
mhd. minnereden II 31, 717 Thiele;
dasz sie etwas von der sache discurriren kunten, und irgend etliche linien auf das papier streichen Chr. Weise drey klügsten leute (1675) 70. bildlich: daz er die namen alle uf sin herz mit götlicher begirde striche und si ir denn wider gebe Seuse dt. schr. 394 B.; Albine ... in deren gesicht die zeit manche lebenstöne dreimal gestrichen hatte Jean Paul s. w. (1826) 22, 229 Reimer. in heutiger sprache ist die bedeutung verengt zu 'mit stift oder feder einen dünnen, geraden strich ziehen' (vor allem in zusammensetzungen ausstreichen, unterstreichen, durchstreichen üblich, vgl. Adelung 4 [1780] 815).
2)
als part. adj. gestrichen 'mit einem strich versehen'.
a)
gestrichene noten, bes. eingestrichene (zweigestrichene) oktave zur unterscheidung gleichnamiger töne in den verschiedenen, durch oktaven bestimmten höhenlagen des gesamttongebietes: sie kunte ... bisz in das neunzehende gestrichene c hinauff singen Chr. Reuter Schelmuffsky 67 ndr.; es kan also derjenige ... den generalbasz zu erlernen anfangen, welcher ... auf seinem clavier die 7. musicalischen claves ... die vier, theils gestrichene theils ungestrichene octaven ... zu unterscheiden weisz Heinichen generalbasz (1728) 96; teutsche tabulatur. in dieser werden die buchstaben in 7 grosze ... in sieben kleine oder ungestrichene ... ferner in 7 einmahl gestrichene ... und in sieben zweymahl gestrichene ... worzu noch das dreygestrichene [[undefined:cthreemacr]] kommt, eingetheilet Walther music. lex. (1732) 592; eine sängerin ... die ... eine arie ... bis ins zwanzigmal gestrichene ypsilon hineingesungen Cl. Brentano ges. schr. (1852) 5, 347; man konnte also das drei-gestrichene f auf ihr erreichen, ohne die dritte lage zu überschreiten Wasielewski d. violine u. ihre meister (1927) 71.
b)
gestrichene buchstaben in phonetischer schreibweise: die durchführung des gestrichenen đ (dh) und der j vor vokalen haben wir schon bei der anzeige des probeheftes gemisbilligt J. Grimm kl. schr. (1864) 5, 96.
3)
durch einen strich etwas ungültig machen (aus-, durch-, wegstreichen): auf das, was ich in den gedichten gestrichen und durchstrichen, braucht keine rücksicht genommen zu werden Schiller br. 4, 276 Jonas; ich bat bei einer anderen gelegenheit die censoren, ja keine zeile zu streichen H. Steffens was ich erlebte (1841) 4, 256; z. 7 v. u. ist das wörtchen zu zu streichen br. d. br. Grimm an Benecke 44 Müller.
a)
davon in fester redensart etwas streichen 'tilgen, ungültig machen'.
α)
eine verpflichtung (schuld) oder forderung (rechnung) annullieren, aufheben, tilgen: ich liess diese vier gläubiger kommen, und nachdem ich ihnen ihre rechnungen wacker gestrichen hatte, bezahlte ich ihnen dreytausend thaler slg. v. schausp. (1764) 3, 14; stirbt der sklave, streicht der herr den sold indess, und seine wittwe darbt Herder 18, 211 S.;
sich! so tief
bin ich gesunken — bin so arm geworden,
dasz ich an unsre frühen kinderszenen
dich mahnen musz, dasz ich dich bitten musz,
die längst gestrichne schulden heimzuzahlen,
die du noch in der ammenstube machtest
Schiller 5, 23 G.;
dasz bey dem zweyten punckte 2 louisd'or gestrichen ... worden Göthe IV 30, 162 W.; da Dietrich bereit war, nicht nur ein guthaben ... von beiläufig 1500 thlr. zu streichen Müllner dram. w. (1828) 8, 128; sie schalten darüber, dasz der könig ... ihnen oder doch ihren freunden ihre pensionen gestrichen Ranke s. w. 27 (1874) 20; sie sind mir nichts ... schuldig und die 52 th. werden gestrichen Pocci lust. komödienb. (1877) 220; wenn es sich darum handeln wird, jede entbehrliche ausgabe dem lande zu ersparen, so wird man die eliteschulen einschränken, die fonds zur erhaltung und vermehrung der bibliotheken und sammlungen kürzen und schlieszlich streichen H. Hesse glasperlenspiel 2 (1946) 118.
β)
teile eines textes entfernen, tilgen, weglassen, um ihn zu kürzen: der organist erlies ein grosses danksagungsschreiben an mich, und bat höchlich sichs dagegen aus, die stellen in seiner abdankung zu streichen, worinn er mir zu nahe gekommen Hippel lebensläufe (1778) 3, 1, 249; das streichen (war) eine seiner (des direktors) angenehmsten beschäftigungen, wodurch er ein jedes stück auf das gehörige zeitmasz herunter zu setzen wuszte Göthe I 21, 250 W.; alle deutschen regieen, directionen, intendanzen und theatercensuren haben sich das recht angemaszt, nach ihren verhältnissen und convenienzen aus den schauspielen manches wegzulassen, und dieses recht so lebhaft ausgeübt, dasz das wort streichen sogar ein kunstterminus geworden ist ders., IV 16, 46 W.; von den belegen (in der grammatik) denke ich die meisten zu streichen (1819) J. Grimm in: briefw. 1, 22 Leitzm.; da hat denn Iffland gestrichen, und es stand beim 2ten mal auf dem zettel, dass es um neun uhr geendigt seyn würde (1799) Caroline br. 1, 243 Waitz; gestrichen (in der judenbuche) hat man mir nur einmal ein paar zeilen, nämlich das zweite verhör ein wenig abgekürzt (1842) A. v. Droste-Hülshoff br. 2, 37 Schulte-K.; im 'Hamlet' werden gerade diejenigen szenen gestrichen, welche seine unentschlossenheit, tatlosigkeit, kurz den eigentlichen angelpunkt des stückes am deutlichsten darstellen (1850) G. Keller br. u. tageb. 2, 229 Ermat.; mein redacteur ist ein ungerechter mensch. er streicht zu viel und bezahlt zu wenig G. Freytag ges. w. 3 (1887) 99. bes. um bestimmte textstellen zu unterdrücken, so als handlung der zensur: ich meine keinen staat, wo mir die zensur meine ansichten streichen kann Bettine dies buch geh. d. könig (1843) 2, 454;
auch die zensur ist nicht mehr streng,
Hoffmann wird älter und milder.
er streicht nicht mehr mit jugendzorn
dir deine reisebilder
H. Heine s. w. 2, 486 Elster;
um dem censor nicht die lust des streichens zu gönnen, ergriff ich selbst dies amt Gutzkow ges. w. (1872) 9, 272. aber auch allgemein: erst vor wenig wochen war ja der könig gekrönt, und er hatte es doch über sein herz nicht zu bringen vermocht, dasz aus seinem krönungseide die worte gestrichen würden, welche ihn zur ausrottung der ketzer verpflichteten Dahlmann gesch. d. frz. revolution (1845) 48; dasz, wenn ich irgend nach dem beifall meiner zeitgenossen getrachtet hätte, ich zwanzig stellen hätte streichen müssen, welche allen ansichten derselben ... widersprechen Schopenhauer s. w. 1, 20 Gr.; dass in der proklamation der verbündeten an das französische volk nach den worten 'l'Europe veut la paix' das bedenkliche 'et rien que la paix' gestrichen wurde Treitschke hist. u. polit. aufsätze (1886) 1, 173. zuweilen verbunden mit dem nebensinn 'berichtigen, bessern':
betrachte, wie ...
...
der gelehrte merkt und streicht,
und erst den gusz recht überfeilet
Drollinger ged. (1743) 317;
römische briefe. angefangen zu streichen Göthe III 5, 156 W.; das streichen und feilen musz aber erst nach vollendung des ganzen geschehen, während der arbeit macht es mutlos und unterbricht auch die poetische stimmung zu sehr A. v. Droste-Hülshoff br. 1, 554 Schulte-K.; das zumessen und wegschneiden, das zudichten, ausfüllen und das streichen sind nur zwei momente eines und desselben in geist und hand des künstlers thätigen ... gesetzes Vischer ästhet. (1846) 3, 25; da liesz es sich prächtig im stübchen weilen, handschriften ordnend, kleine härten streichend Holtei erz. schr. (1861) 24, 242; in der nationalzeitung finde ich bereits einen theil des tagebuchs (kaiser Friedrichs) von 70 abgedruckt, es ist von der kaiserin bearbeitet, nicht nur gestrichen, sondern, wie ich annehme, auch mit kleinen zusätzen versehen (1888) G. Freytag br. an s. gattin (1912) 267.
γ)
ausgehend von der vorstellung einer liste bildet sich jemanden streichen, d. i. aus einer bestimmten gruppe oder gemeinschaft ausnehmen oder ausschlieszen, wobei ebenfalls die konkrete vorstellung des durchstreichens jeweils mehr oder minder stark geschwunden ist: man entschlösse sich Minerven aus der zahl zu streichen Stoppe Parnasz (1735) 16; wogegen ... jede ... gemeinde aus der reihe der bundesglieder gestrichen ward Mommsen röm. gesch. 1 (1856) 320; es hiesz, er habe befehl gegeben, ihn aus der reihe der kapellisten zu streichen O. Jahn Mozart (1856) 2, 33; wie bitter beklagen sich die lutherischen bürger von Gmünden, dasz man sie aus der matrikel der bürgerstube gestrichen habe Ranke s. w. (1867) 38, 89; das recht blieb verschoben, die münzen waren in verwirrung, kurz Polen war für die dauer von zwei jahren aus der reihe der staaten gestrichen Moltke ges. schr. u. denkw. (1892) 2, 90; wenn ich nicht dabei wäre, so spielten sie mir übel mit und setzten ihren kopf, mich von der liste der candidaten zu streichen, doch noch durch Ruge briefw. u. tageb. 2, 43 Nerrlich; es scheint, man will einfach einen ganzen jahrgang streichen, die sämmtlichen bataillone auf zwei drittel ihrer stärke herabsetzen Moltke ges. schr. u. denkw. (1892) 7, 129; die lage des ... nahezu aus der reihe der staaten gestrichenen vaterlandes Fontane ges. w. (1905) I 1, 31; du entfernst dich immer schneller von den lebenden: bald werden sie dich aus ihren listen streichen Nietzsche w. (1895) 5, 203. ähnlich von der annullierung innerer beziehungen zwischen einzelnen menschen: sie sahen nur ihn! sie haben mich aus ihrem herzen gestrichen Iffland theatr. w. (1827) 6, 36; ihre ekstatischen zustände dauerten fort, aber ihn selbst schien sie aus ihrem leben gestrichen zu haben Gutzkow zauberer v. Rom (1858) 7, 103.
b)
übertragen, eine sache (ein vorhaben, einen gedanken u. dgl.) aufgeben, darauf verzichten, ihre gültigkeit aufheben: er hatte aber dem ausdrucke der briefe nach nichts weniger als das vor augen, was alle welt längst aus dem reiche der möglichkeit gestrichen hatte Laube ges. schr. (1875) 3, 179; erbunterthänigkeit, gutspflichtigkeit und persönliche dienste wurden aus der reihe der bäuerlichen lasten gestrichen Jahn w. (1884) 2, 354; mein konservatismus ist auf diesem felde so reactionär, dasz er bis in die tage der salischen ... kaiser zurückgreift, und alles zwischen diesen und uns liegende gestrichen wissen will Lagarde dt. schr. (1886) 11; nachdem man ebenso wie den Brühl auch noch das rathaus ohne bedenken gestrichen hatte (für den geplanten besichtigungsspaziergang) Fontane ges. w. (1905) I 4, 274; nördlich vom Comersee ... hat ... jene denkwürdige zusammenkunft stattgefunden, die manche forscher immer wieder aus den annalen der geschichte streichen wollen, weil sich in der dürftigen, unmittelbar gleichzeitigen chronistik kein beleg dafür findet Hampe dt. kaisergesch. (⁹1945) 185;
die ewig unentwegten und naiven
ertragen freilich unsre zweifel nicht.
flach sei die welt, erklären sie uns schlicht,
und faselei die sage von den tiefen.
denn sollt's wirklich andre dimensionen
als die zwei guten altvertrauten geben,
wie könnte da ein mensch noch sicher wohnen, ...
um also einen frieden zu erreichen,
so laszt uns eine dimension denn streichen
H. Hesse glasperlenspiel 2 (1946) 218.
F.
an streich 'schlag, handschlag beim abschlusz eines kaufes' schlieszt sich in süddt. maa. an: streichen auf etwas (das an den meistbietenden aufgeworfen wird), darauf bieten, darauf schlagen Schmeller 2, 807; streichen ersteigern, ich habe das gestrichen für 'erstanden' Crecelius oberhess. wb. 817; streichen, erstreichen, verstreichen in der auction bieten, ersteigern oder kaufen, versteigern oder verkaufen Sartorius Würzburg (1862) 119; beim auf- oder abstreich ein angebot machen, darauf bieten, schlagen, vom meistbietenden Fischer schwäb. 5, 1848:
der bauer ist jetzt abgeführt,
im verkauffen man es spürt,
mit rosz, viech vnd dergleichen
kan er auff den kauff streichen
in: Alemannia 18, 42.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 8 (1957), Bd. X,III (1957), Sp. 1183, Z. 8.

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Zitationshilfe
„gestrichen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gestrichen>.

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