Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

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getreibe, n.

getreibe, n.,
verbalsubstantiv zu treiben (s. d.), eine jüngere bildung, die erst mit dem ende des 17. jahrh. auftaucht und bei Schottel (635) erstmals erwähnt wird. das mittelhochdeutsche getrîp (vgl. mhd. wb. 3, 89ᵃ. Lexer 1, 948) entspricht zwar einem neuhochdeutschen getreib, das in bildungen wie dem bairischen getraib (getraib daʒ sint smalz, chaes, hüner, ayer etc. Münchener verordnungen des 14. jahrh. bei Suttner) Schmeller 1², 640 und wol auch in getreibs (s. d.) dargeboten wird. der bedeutung nach knüpft unser heutiges getriebe (s. d.) am sichtbarsten an dieses ältere mittelhochdeutsche wort an, während die ersten litterarischen belege für getreibe dessen entstehung in die sphäre der nach analogie neugebildeten verbalsubstantiva weisen.
1)
der verbalcharakter des substantivs kommt deutlich zur geltung:
a)
den kräftigsten und nachhaltigsten ausdruck findet dieser in den wörterbüchern: getreibe, an urging or pressing Arnold deutsch-engl. wb. (1761) 1, 178; getreibe, das treiben als handlung oder thätigkeit gedacht, d. h. in einem sammelbegriff. Kehrein onomat. wb. (1847) 266.
b)
in der litteratur wird dieser charakter gelegentlich durch verbindung mit anderen verbalsubstantiven hervorgehoben: und wenn man denn da in so ein haus kömmt, und alle die groszen kisten sieht, und die ungeheuren ballen mit waaren, und das gerenne und getreibe der leute, und die frachtwagen, die ab- und die aufgeladen werden, und das ganze volle dutzend pferde davor — ach herr doctor! es wandelt einen eine ehrfurcht an, ein respect. Engel herr Lorenz Stark (1806) 261; der geburtstag des sohnes kam heran. ich hatte einige geschenke besorgt, kleidungsstücke, wie er sie liebte, einiges, was ich ihm selbst genäht und gearbeitet hatte, stickereien, wie auch männer sie tragen. mein mann hatte ein getreibe und geschicke, dasz ich wohl sah, es sollte etwas bedeutendes werden, er wollte es mir aber nicht sagen, womit er unsern Heinrich zu überraschen gedachte. Tieck (weihnachtsabend) ges. nov. 5², 158; alles ist in dem lebhaftesten kampf, jeder will gewinnen und genieszen, den andern zuvorkommen und vor den andern glänzen. mit dem gedränge und getreibe eines jahrmarkts könnte man diese zweyte gattung der poesie, welche nach dem beyfall der gesellschaft hascht, und dem geiste der mode dienstbar ist, am schicklichsten vergleichen, sey es nun, dasz sie die menge persönlich vor ihrer bühne versammelt, oder blosz für die lektüre bestimmt, die müszigen stunden der einzelnen genieszenden ausfüllt. F. Schlegel (über nordische dichtkunst 1812) 10, 66; hernach war er aber doch müd vom marktlaufen u. s. w., und hat sich schlafen gelegt und da haben wir gesellen mehl eingethan, gefeuert und gebacken, wie's recht gewesen ist, und wie das brod fertig war, hat er's nicht mehr zu mehl machen können .. das macht einem die augen hell, wenn man so in das gewusel und getreibe hineinsieht. Auerbach schatzkästlein 2, 272.
2)
die abstufungen des verbalsubstantivs bis zum einfachen sammelbegriff gehen hand in hand mit der verflüchtiguug der sinnlichen bedeutung.
a)
in anknüpfung an sinnlich wahrnehmbare situationen hält sich die grundbedeutung fest:
entfliehe dem entstandnen
in der gebilde losgebundne räume;
ergötze dich am längst nicht mehr vorhandnen;
wie wolkenzüge schlingt sich das getreibe.
den schlüssel schwinge, halte sie vom leibe.
Göthe (Faust 6279) 41, 76;
ihr kind, ein kleines mädchen von 6 jahren, stand am kleinen fenster, und erfreute sich des scheines, den es seitwärts von der aufleuchtenden Breitenstrasze her beobachten konnte, denn das eckhaus stand diesem schauplatz der weihnachtsfestlichkeit nahe genug, dasz man hier, selbst in dieser höhe, noch das getreibe wie ein summen oder verhallendes getöse, vernehmen konnte. Tieck (weihnachtsabend) ges. novell. 5², 144; und während das bunte getreibe eines maskenballes sie umwirbelte, und während der glanz, die lust, die sich bewegenden phantastischen gestalten ihre sinne aufregten und verwirrten, kam ihr urplötzlich der gedanke, dem schicksal abzutrotzen, was der jugendliche leichtsinn ihres vaters ihr entzogen hatte — unabhängigkeit und den genusz des lebens. F. Lewald wandlungen 2, 2. cap.; die leute des wirthshauses, bewohner aus dem dorfe, die fackelträger vom schlosse drängten sich neugierig um den wagen, um die neue herrin des schlosses zu sehen. die staatsräthin hatte sich in die kissen zurückgelehnt; Katharine dagegen blickte mit ihren groszen glänzenden augen freundlich überrascht auf das seltsame getreibe. F. W. Hackländer Eugen Stillfried 3, 268.
b)
die übertragungen streben der verflüchtigung der grundbedeutung zu, wie diese auch in der verbindung thun und treiben erreicht ist.
α)
seit vierzehn jahren predigt er nicht mehr, sondern verwaltet das amt des alten seniors, der seit einer reihe von jahren völlige, wie sie sagen, gelehrte ruhe genieszt. das ist alles ein reichsstädtischer zuschnitt, von dem wir bei unserem getreibe keinen begrif haben. Herder erinnerungen aus seinem leben, brief aus Nürnberg 19. aug. 1789.
β)
vereinzelt nur und der poetischen ausdrucksweise angehörend ist die beziehung auf eine einzelne person; hier steht in der gewöhnlichen sprache der substantivierte infinitiv ohne concurrenz: ich bin ein sohn der erde, lebe von ihr, und mein getreibe ist mit ihren rohen söhnen. Klinger theater (Damokles) 2, 347;
jetzt ist er toll und weisz nicht, was er thut,
der mond, der abnimmt, bringt ihn ganz von sinnen.
ich kenne sein getreib', ich hab's erprobt,
weh jedem, der ihm nah' ist wenn er tobt!
Gries Bojardo 2, 12, 45.
γ)
dagegen tritt das verbalsubstantiv gerne als sammelbegriff für lebensäuszerungen ganzer berufsklassen, ganzer schichten der gesellschaft u. s. w. ein: jetzt fängt sich das studium der alten wieder an zu heben; man glaubt nun da erlösung zu finden, und den beobachtungsgeist und wahre natur wieder emporzubringen. einigen wenigen mag das freilich helfen; aber gewisz ist in diesem getreibe sehr viel mode, und des eigentlich wahren und mit menschlicher natur und vernunft zusammenhängenden nur wenig. Lichtenberg vermischte schriften 1, 94 (1844); die idee, eine illuminatengesellschaft zu errichten, zu verstehen, musz man wissen, welches arge getreibe seit 30 jahren mit geheimen gesellschaften vorgegangen ist. Fr. Nicolai im leben desselben von Göckingk 122; wer lange auf einer universität lebte, und das getreibe der wissenschaften mit ansah, oder auch selbst näheren theil daran nahm, musz auf unangenehme betrachtungen gerathen, wenn er bemerkt, wie selten die vorzüglichsten köpfe dadurch in die rechten wege gewiesen wurden. Göthe (Winckelmann) 37, 86; und man war übereingekommen, in dem alten garten sei alles todt, doch besann man sich schnell, dasz man diese sonst gefeierten stimmen doch eigentlich immer für verbrannte gestirne gehalten. während allem diesem getreibe brachte der alte garten nach ewigen gesetzen jährlich den verheiszenen segen der früchte. Clem. Brentano ges. schriften 4, 387;
wir haben, was auch eine sage schreibe,
den funken des Prometheus nicht gepachtet:
so tief wir unter uns das weib geachtet,
die reinste flamme wohnt in seinem leibe.
und wer dem selbstisch frostigen getreibe,
das ihm des herzens liebste kinder schlachtet,
wer dieser kälte zu entrinnen trachtet,
wo flöh' er hin, als zu dem treuen weibe.
Herwegh gedichte eines lebendigen 26.
δ)
von hier aus bereiten sich die verbindungen mit abstracten nominibus vor, die theils in der loseren form des subjectiven genetivs, noch häufiger jedoch in der engen form der composition antreten:
an seinem (Clemens v. Droste) denkmal sasz ich, das getreibe
des lebens schwoll und wogt in den alleen.
Droste-Hülshoff lyr. ged. 102;
hier tauchte mir der 'fliegende Holländer' wieder auf: an meiner eigenen lage gewann er seelenkraft; an den stürmen, den wasserwogen, dem nordischen felsenstrande und dem schiffgetreibe, physiognomie und farbe. Paris verwischte mir jedoch zunächst wieder diese gestalt. — es ist unnöthig, die eindrücke näher zu schildern, die Paris mit seinem kunstwesen und kunstgetreibe auf einen menschen in meiner lage machen muszte. Richard Wagner (eine mittheilung an meine freunde) 4², 260.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 12 (1897), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4450, Z. 18.

getreiben, verb.

getreiben, verb.,
verstärktes treiben; schon althochdeutsch über die mehr syntactischen functionen hinausgreifend (gitripe, adigat vgl. Graff 5, 438), reicht die zusammengesetzte form des verbums noch bis in das 16. jahrh. herein; vgl. mhd. wb. 3, 88ᵃ. Lexer 1, 948:
daʒ begunde ir schar durchbrechen
ze beiden sîten in dem her,
und brâhte s' ouch daʒ ûʒ ir wer,
daʒ die zwô cumpanîe
'schevelier Parmenîe!'
sô vil geriefen unde getriben.
Gottfr. v. Straszburg Tristan 5603;
swie sie gewurben in der vrist,
swaʒ man gesprach oder getreib,
Lucia von in stete bleib,
wand si gevestent was an got,
des wart der andern kunst ein spot.
pass. 29, 69 Köpke;
so man ie fron mettin ze dem tuome gisanc, so gie er ubir ein waʒʒir, ubir einen hohen stec zu siner amien. so er daʒ guͦt wile getribet, seht wa eines nahtes so er kumet mitten uf den stec, do was der stec gifrorn und beslifet im der fuͦʒ, unt vellet in daʒ waʒʒir unt ertrinket. predigten des 13. jahrh. fundgruben 1, 92; do sy es lang also getrib, sprach sy. G. v. Keisersberg spinnerin a 6ᵃ; wenn du es (das spinnen) ain weil getreibst, so wirt doch ettwan guͦt garen darausz. a 5ᶜ;
als er solche wort lang getrieb
auf das ich nit verlür sein lieb,
so thet ich mein gfatern gewern,
wie wol ichs endlich thet nit gern.
H. Sachs (die zwen rauffenden gfattern) litt. ver. 195, 233;
und als er nun das lang getrieb,
mit seim gesprech die hantwerck schmecht
nun war die bursch vast wol bezecht
und fiengen darob an zu grollen.
(fatzwerck auff etliche handwerck) litt. ver. 181, 238.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 12 (1897), Bd. IV,I,II (1897), Sp. 4452, Z. 15.

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Zitationshilfe
„getreiben“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/getreiben>.

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