Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

mancherlei

mancherlei,
diversus, varius, vielerlei, multiplex. Frisch 1, 638ᵇ; über die bildung vgl. auch lei, oben sp. 580.
1)
mhd. maneger leie, manger leije als zwei wörter im genitiv, und in der bedeutung von mehrerer verschiedenen art:
diu nahtigal diu singet uns die besten (weisen) wol ze prîse,
ze lobe dem meien al die naht.
manger leie ist ir gedâht,
ie lûter, danne lîse.
Neidhard 31, 21;
die spätere sprache kennt nur noch die zusammenrückung, ohne dasz lei in lebendiger bedeutung mehr gefühlt wird (vgl. unten 9), und strebt das wort aus seiner adverbialen geltung heraus in die adjective und substantive zu heben, wie das schon mhd. angebahnt wird (nr. 8): mancherley, adverbium, multifarie, inde multis modis. mancherley, varietas, diversus. voc. inc. theut. n 4ᵃ; doch zeigt sich die alte verwendung bis heute in einer reihe resten.
2)
mancherlei tritt unflectiert hinter ein substantiv, wie mhd.:
schœne bluomen maniger leie
bringet uns dîn liehter schîn.
minnes. 2, 68ᵇ Hagen;
schône dringent dur daʒ gras
bluomen manger leien.
154ᵇ;
nhd. schaw, ob es nicht die schwindtsucht sei,
die kumbt ausz ursach mancherlei.
H. Sachs fastn. sp. 2, 54, 150;
sie (die wolken) wechseln farben mancherlei:
so bunt ist auch der weiber treu.
Arndt ged. (1840) 293.
3)
gewöhnlicher aber vor ein substantiv, verschiedene art und verschiedenes auftreten des substantivbegriffes zu bezeichnen (gegensatz einerlei th. 3, 166, nr. 2). das substantiv steht hierbei im singular: mancherlei gewicht und mas, ist beides grewel dem herrn. spr. Sal. 20, 10; gleich wie alle menschen aus der erden, und Adam aus dem staube geschaffen ist, und doch der herr sie unterschieden hat, ... und mancherlei weise unter jnen geordent. Sir. 33, 11; der schlug ganz Egypten mit mancherlei plage. Judith 5, 9; und sie brachten zu jm allerlei kranken mit mancherlei seuchen und qual behaft. Matth. 4, 24; der da gottesdienst thut, allein mit speise und trank, und mancherlei taufe und euszerlicher heiligkeit. Hebr. 9, 10; nun hatte meine neugier mancherlei nahrung. Göthe 19, 274; (ein mann) den seine geburt, seine fähigkeiten zu mancherlei anspruch berechtigen. 54, 98;
brauch alle köstlichkeit dabei (beim bankett)
mit mancherlei getrank und speisz!
H. Sachs fastn. sp. 1, 111, 348;
da werden knecht und die roszbuben
mit uns mancherlei spiel anfahen.
124, 5;
weil ir hapt an der arbeit scheuch,
wont mancherlei krankheit pei euch.
2, 36, 294;
im plural: und wenn einer des nachts auf seinem bette rugen und schlafen sol, fallen jm mancherlei gedanken für. Sir. 40, 5; fiengen an die schriftgelerten ... jm mit mancherlei fragen den mund zu stopfen. Luc. 12, 53; die jr jtzt .. trawrig seid in mancherlei anfechtungen. 1 Petr. 1, 6; als die guten haushalter der mancherlei gnaden gottes. 4, 10; lasset euch nicht mit mancherlei und frembden leren umbtreiben. Hebr. 13, 9; es sind mancherlei gaben, aber es ist ein geist. und es sind mancherlei empter, aber es ist ein herr. und es sind mancherlei kreften, aber es ist ein gott, der da wirket alles in allem. 1 Cor. 12, 4—6; gott wil aufs höhest die einigkeit haben, und nicht mancherlei secten. Luther 8, 21ᵃ; mancherlei nammen, wenn ein ding unglyche nammen hat, ambitus nominum. Maaler 282ᶜ; brief von mancherlei dingen geschriben, multijuges epistolae. 282ᵈ;
ich bin es, die von den menschen
... mit mancherlei namen begabt wird.
jetzo nennt man mich tugend, jetzt wahrheit.
Wieland 2. suppt.-bd. s. 361;
in modaler stellung, wo heute eine präposition nicht fehlen dürfte: mancherlei farb, discolor (verstanden von mancherlei farbe). mancherlei form, multiformis. mancherlei gestalt, multigena, multiformis, diversificatus. voc. inc. theut. n 4ᵃ; nachdem vor zeiten gott manchmal, und mancherlei weise geredt hat zu den vetern durch die propheten. Hebr. 1, 1.
4)
in solcher stellung (nr. 3) rührt mancherlei der bedeutung nach auch öfters an bloszes manch, indem nicht mehr vereinzelung nach der art, sondern nur nach der zahl damit hervorgehoben wird: wie der gülden zeug schimmert, und wie sie mancherlei harnisch hatten. 2 Macc. 5, 3; ir künig ist ein heid, hat mancherlei weiber. Frank weltb. 226ᵃ; solch untüchtig arznei werden von mancherlei arzt gebrauchet. aber zum vollkommen ende kompt jhrer keiner. Paracelsus chir. schriften 367 B.
5)
stellung von mancherlei zwischen artikel und substantiv, erst in der neueren sprache beobachtet: von dem mancherlei gefühle der menschlichen seele. Kant 1, 71 (von 1764); wenn ich es nur vermöchte, dir die mancherlei schlangengänge ihrer empfindungen zu schildern. Thümmel 4, 187; das mancherlei frische grün (schien ihm) doch gar zu bunt. Göthe 22, 128; ah, dasz ich stünde am thor der verdammnis, hinunterschauen dürfte mein aug auf die mancherlei folterschrauben der sinnreichen hölle. Schiller Fiesko 5, 13.
6)
mancherlei, von mancher art, in prädicativer stellung: item Mahmet spricht in dem gesetze, das alle menschen sind einerlei gewest, und einerlei glaubens, aber gott habe sie mancherlei gemacht, da er mancherlei propheten gesand hat. Luther 8, 21ᵃ; die bekleidung oder bedeckung des hauptes ist mancherlei. Winkelmann 3, 97; ihre (der menschen) gestalt ist mancherlei. Klinger Otto 12, 19; nun aber sind die assoziationen äuszerst willkührlich, unendlich zufällig und mancherlei. Schiller hist.-krit. ausg. 1, 89; weisz ich, wie mancherlei seine wege sind? Göthe 56, 212;
mancherlei, mein vater, ist des lebens wonn
und weh!
33, 260;
und in adverbialer: erinnert sie, wie unser vater Abraham mancherlei versucht ist, und ist gottes freund worden, nach dem er durch mancherlei anfechtung bewerd ist. Judith 8, 19.
7)
selten hat mancherlei adjectivische flexion erhalten: wir sind mancherleien und tödlichen krankheiten und fellen unterworfen. Luther tischr. 351ᵇ; es ist die luft, gewitter und landesart, wegen der vielen mancherleien und weit von einander gelegenen provincien, nicht einerlei. pers. reisebeschr. 3, 2.
8)
substantive ausgestaltung des wortes, als neutrum, beginnt schon mhd.:
willekomen sî uns der meige,
der uns bringet maneger hande bluot,
bluomen unde maneger leige
daʒ dien kleinen vogelen sanfte tuot.
G. v. Neifen 31, 29;
nhd. das mancherlei, die verschiedene, mannigfache art, die verschiedenheit:
jetzt ists
der meinungen verhasztes mancherlei,
die menge, die es uns verbittert.
Schiller hist.-krit. ausg. 6, 153;
doch selig, theilt ein menschenherz,
verständig, gut und treu,
voll mitgefühls in freud und schmerz,
des lebens mancherlei.
Voss 4, 129;
was will dies flimmern und schimmern?
dies bunte mancherlei?
Arndt ged. (1840) 443;
gewöhnlicher ohne artikel, zur bezeichnung einer verschiedenartigen anzahl oder menge, mit genetiv: eine stad ... da mancherlei volks innen wonet. 2 Macc. 12, 13; kurz, der gesinnungen waren, wie es in solchen fällen zu gehen pflegt, mancherlei. Wieland 8, 322;
der götter vil und mancherlei
sie eren thun mit vilerlei.
Schade sat. u. pasqu. 1, 120, 349;
wenn unglücks ist so mancherlei.
H. Sachs fastn. sp. 1, 7, 229;
dafür fügung mit der präpos. von:
von blättern sah ich mancherlei ergrünen,
da waren rosen, auch vergiszmeinnicht.
Göthe 4, 98;
ohne beigesetzten genetiv: du solt deinen weinberg nicht mit mancherlei beseen. 5 Mos. 22, 9; wo du dir mancherlei fürnimpst, wirstu nicht viel dran gewinnen. Sir. 11, 10; und er redet zu jnen mancherlei, durch gleichnisse. Matth. 13, 3; und er fraget jn mancherlei. Luc. 23, 9;
des (darum) hab ich mencherlei angfangen.
N. Manuel 56, 627 Bächtold;
ich hör ihm gerne zu,
denn mancherlei doch denkt sich bei den worten.
Schiller Piccol. 2, 1;
komm mit spielen und küssen,
und träumen der nacht,
die mancherlei wissen,
was der tag nicht gedacht.
Arndt ged. (1840) 316;
zwar harr ich stets auf mancherlei,
doch alles geht an mir vorbei.
Platen 28;
auch giebts von Cypern mancherlei zu fragen,
von frauentracht und andern seltsamkeiten.
Uhland ged. 438.
9)
durch das verblassen des begriffes von lei geschieht es (wie in allerlei th. 1, 224, keinerlei th. 5, 493 nr. 3; vgl. auch oben sp. 580), dasz substantive wie art oder weise zu mancherlei treten: mancherlei weise, adverbium, multifarie multisque modis. voc. inc. theut. n 4ᵃ; mancherlei art der pflanzen. weish. Sal. 7, 20; zwar ist mancherlei art der stimme in der welt. 1 Cor. 14, 10; auf mancherlei art, aliter atque aliter. Steinbach 2, 19.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 8 (1881), Bd. VI (1885), Sp. 1531, Z. 27.

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Zitationshilfe
„mancherlei“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/mancherlei>.

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