Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

tollhaus, n.

tollhaus, n.
narren-, irrenhaus. seit Stieler (domus mente captorum, gyrgathus 800) in den wörterbüchern angeführt. Rädlein 1 (1711), 880ᵇ. Ludwig deutsch-engl. lex. (1716) 1991. Kramer hochnider-deutsch. dict. (1719) 213ᶜ. deutsch-ital. dict. 2 (1724), 1099ᶜ u. s. w.: tollhaus ist ein gebäude, darinn gemeiniglich tolle und rasende arme aufgenommen werden, die entweder nicht so viel im vermögen haben, dasz sie auf eine andere art verpfleget werden können, oder auch keine so nahe anverwandten haben, die sich ihrer annehmen können, dergleichen sonderlich in groszen städten zum gemeinen dienst gestifftet zu seyn pflegen. Zedler universallex. 44 (1745), 1140. Krünitz 185, 594. schweiz. idiot. 2, 1733. Martin-Lienhart wb. der elsäss. mundarten 1, 384ᵇ. tollenhaus Weismann lex. bipartit. 2, 377ᵃ, nd. dullhûs Danneil 42ᵇ, dollhaus Frischbier 1, 142ᵇ:
du konntest ohne scheu
erweisen, dasz die welt ein rechtes tollhaus sei.
Rist 169 Gödeke;
doch ist es eine schande, dasz sich mancher stellt, als wäre er ausz dem tollhause entlauffen. Weise erzn. 174 neudr.; ich soll dir die narrheit im tollhause belohnen lassen. politischer redner (ausg. von 1691) 345 (complimentier-comödie);
weil in der meisten sinn die weisheit sich verlohren,
so scheinet mir die welt ein tollhaus vieler thoren,
in dem der eine mehr, der andre wen'ger gilt.
Hagedorn (1729) 56 neudr.;
(der thor,) der sich sein tollhaus fürstlich baut.
poet. werke 4, 88;
endlich versammlete sich (um den pietisten) doch allerhand pöbel, der schrie und lärmte und vom tollhause zu reden anfieng. Nicolai Sebaldus 2, 27; wie wenn er (ein kritikaster) parodirt:
haho! haho! ha hop hop hop!
der unsinn reitet im galopp.
bald wird das tollhaus volle:
wie dichten die dichter so tolle!
Bürger an Boie 1773 (Strodtmann 1, 150);
deine fröhlichkeit gehört ins tollhaus. Lessing 2, 531; bin ich denn aus dem tollhause entlaufen, um so etwas zu sagen? 10, 149; ganz Hamburg hielt ihn, als ich da war, für einen würdigen kandidaten des tollhauses. 12, 86; nun bin ich mit dem groszen tollhause, in welchem wir alle ... leben, zu wohl bekannt, als dasz es mich besonders schmerzen sollte, wenn die tollhäusler der mehrern zahl mich gern in ein eignes tollhäuschen sperren möchten. 11, 536; gestehen sie, mein herr, dasz das mehr als genug gewesen wäre, eins unsrer heurigen vergiszmeinnicht-seelchen ... zum kandidaten der kette oder des tollhauses zu machen. J. G. Müller kom. romane 1², 466; einrichtung, welche im tollhause in Frankfurth am Mayn herrscht. Knigge umg.³ 1, 195;
mit narren leben wird dir gar nicht schwer,
erhalte nur ein tollhaus um dich her.
Göthe 2, 235 Weim.;
die welt ist so voller schwachköpfe und narren, dasz man nicht nöthig hat, sie im tollhause zu suchen. gespr. 1280 (7, 268) Biedermann; aus welchem tollhause sie das vortreffliche fragment mögen aufgegriffen haben, weisz ich nicht, aber nur ein verrückter kann so schreiben. Schiller an Göthe 77 (1⁴, 60); überdies hörten sie auch nicht, dasz man jene philosophen von obrigkeitswegen in die tollhäuser gebracht. Fichte sämmtl. werke 8, 44; blitz und hagel! bin ich denn in ein tollhaus gekommen? Kotzebue sämmtl. dramat. werke 8, 217;
einer von uns beiden musz
verrückt sein; bist du's nicht, ich könnt' es werden.
die unze mutterwitz, die dich vom tollhaus
errettet, musz, es kann nicht anders, mich
ins tollhaus führen.
H. v. Kleist 1, 98 Muncker (familie Schroffenstein 1, 2);
ins tollhaus weis' ich den, der sagen kann,
dasz er von dieser sache was begreift.
2, 31 (Amphitryon 2, 1);
allein, mit verlaub, tollhaus und tollhaus sind zweierlei, wie schule und schule. eine hohe schule nennt man eine universität, und ein hohes tollhaus eine irrenanstalt. Baggesen poet. werke in deutscher sprache 3, 54;
die eine läszt sich trauen einem greise
mit grauem bart und haar, ein schlottrig scheusal;
voll launen, abgeschmackt, zum tollhaus reif.
Grillparzer 6, 187 Sauer (ein treuer diener seines herrn 2);
und fratzenbilder nur und sieche schatten
seh' ich auf dieser erde und ich weisz nicht,
ist sie ein tollhaus oder krankenhaus.
H. Heine buch der lieder 132 neudr.;
es brauszt und pfeift und prasselt und heult
wie ein tollhaus von tönen.
169.
die bewohner eines tollhauses: antwortet die hölle oder das tollhaus? Schiller 3, 161 (Fiesko 5, 17).
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 4 (1913), Bd. XI,I,I (1935), Sp. 640, Z. 36.

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Zitationshilfe
„tollhaus“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/tollhaus>.

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