Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

tour, f.

tour, f.,

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reise, spaziergang; wendung; reihe. am ende des 17. jh.s mit geschlechtswechsel aus frz. tour, m., übernommen, das seinerseits über mittellat. tornum (acc. sg.) auf griech. τόρνος 'zirkelähnliches werkzeug' zurückgeht. der begriff der rundung, der zum ausgangspunkt zurückkehrenden wendung blieb der gesamten wortgruppe im grunde erhalten. in der nähe des frz. erhält sich das masc.: vgl. Elis.-Charl. v. O. br. 2, 546 Holl.; 286; 622; Riesbeck br. 1, 401; chr. d. ges. d. mahler 74 Vetter; sonst nur Wieland gesch. d. gel. 48 H.; ebenso in den westlichen grenzdialecten Aachen, Luxemb., Elsasz (s. u.); ein neutr. in der bedeutung 'mal' dastur, distur u. s. w. im elsäss. für das vordringen des worts und zahlreicher ableitungen im 19. jh. ist engl. tour mit dem allmählichen aufkommen der 'reise, wanderung' in der bes. englischen ausprägung des begriffes maszgebend geworden (vgl. auch tourist). in dem seit den 80er jahren des 19. jh.s einsetzenden kampf gegen tour und seine gruppe wurde das wort mehr und mehr durch ausflug, wanderung, in neuerer zeit in der jugendbewegung durch fahrt ersetzt. nur in zusammensetzungen sportlichen inhalts konnte sich tour, tourist in gewissen, social höherstehenden schichten länger halten. der fremdwortcharakter verblieb dem wort in der frz. schreibung tour, neben der nur gelegentlich tur vorkommt Laukhard leb. 2, 353; Dusch verm. w. 140. der plur. wird durchweg deutsch gebildet: touren, die fremde form ist selten: tours chron. d. ges. d. mahler 10; 71 Vetter; Eggers 2, 1135; U. Bräker lebensgesch. 78 Perthes; Herder 4, 394 S.; toures Trichter ritterlex. 2222. — für die maa. des gesamten westens ist tour (tur) reichlichst verzeichnet, vgl. z. b. Doornkaat-K. ostfr. 3, 448; Jensen Wiedingh. 647; Müller-Weitz Aachen 247; Hönig Köln 181; Leihener Cronenb. 126; Hofmann ndhess. 240; wb. d. lux. ma. 445; Follmann lothr. 113; Mart.-Lienh. elsäss. 2, 709; Friedli Bärndütsch 3, 365; 5, 619; Seiler Basler ma. 92; Autenrieth pfälz. 38; Fischer schwäb. 2, 476 ('wohl überall nur halbmundartlich'). deminutivbildung im elsäss. tirli, türel; hoordirel Ch. Schmidt Straszb. 30; lothr. tirchen; im Aarg. türli Hunziker 65; in Basel dürli Seiler 92; Köln töörche, pl. töörcher Hönig; Barmen türken Leithäuser 162; Elberfeld Buchrucker 166; Frankfurt tourche Askenasy 105. nach osten hin wird die bezeugung immer spärlicher Mi meckl. 95; Danneil altmärk. 229; H. Meyer Berliner ⁹178; Müller-Fraureuth obers. 1, 234; Blumer Brüx 33; Schöpf tir. 777; Hintner Defregg. 38; Jakob Wien. 194, der bedeutungsumfang geringer, der anschlusz an die liter. form enger.
A.
reise, strecke, anstrengung; rundgang, spaziergang, ausflug.
1)
im sinne von frz. tour 'gröszere oder kleinere reise'. seit ende des 17. jh.s: tour 'eine reise' rec. d. mots (1709) 47; Apinus (1728) 533; Moritz (1800) 4, 148.
a)
reise allgemein: er hat unlängst eine t. durch die welt gethan Chr. Weise d. drei kl. leute (1675) 25; meist zu lande: es wäre wohl eine würdige t. durch die Niederlanden und Braband zu thun Ettner chymicus 415; den freytag gehe ich nach München ... ich weisz noch nicht, wie ich meine weitere t. einrichte Eva König an Lessing 19, 374 L.-M.; Göthe IV 19, 354 W.; I 31, 176 u. ö., doch auch zu wasser: mit welchem (schiff) er eine neue t. auf die barbarischen küsten zu thun gesonnen (war) Schnabel Felsenb. 15 lit. denkm.; die t. von Linz nach Wien Hackländer reise i. d. orient 1, 2. bildlich: lord B. ist sehr übel und wird wohl, wenn es nicht bald sich giebt, die grosze t. nach dem himmel antreten müssen Lichtenberg br. 1, 216 L.-Sch.; ders. Hogarth 2, 103. speciell für die 'kavaliersreise' im 17./18. jh. zur vervollkommnung der bildung junger adliger, später auch bürgerlicher in begleitung des hofmeisters insbes. nach Frankreich, Italien, in die Niederlande und nach England, mit den unterscheidenden adj. grosze t. und kleine t.: in meiner kleinen t., so ich bisher etliche monat im reich herum gethan habe Thomasius monatsgespr. 1, 8; der churprintz von Saxsen ... soll einen groszen t. thun, gantz Franckreich zu sehen Elis-. Charl. v. O. 2, 546 Holland; vom (fürsten) J. ... wurde in den jüngeren jahren die grosze t. oder reise um die schöne und grosze welt gemacht Jean Paul 7, 37 H. gesunken in die kreise der handwerksburschen: die sogenannte weite t. zu machen Holtei schneider (1854) 2, 179; 40 jahre 1, 223; fürst Pückler br. 3, 6. in den kreisen der preuszischen werbeoffiziere und ihres anhangs hatte tour anscheinend den sinn 'unternehmung in fremde hoheitsgebiete zum zwecke der rekrutenwerbung': blieben ... nur kurze zeit zu Rothweil, giengen wieder nach dem lieben Schaffhausen zurück, und machten dann von zeit zu zeit kleine tours auf Diessenhofen Bräker lebensgesch. 78 Perthes; (ein preuszischer werber) unternahm manchmal turen, wobei er grosse gefahr lief Laukhard leben 2, 353. fachlicher gebrauch liegt in tour für 'kunst-, vortragsreise': auf ihrer ersten amerikanischen 'tour' begriffen Liliencron 5, 113, für 'geschäftsreise' des kaufmanns: er erzählte ..., welche kunstgriffe er auf seinen geschäftsreisen anwende ... so habe er auf einer t. dem jungen mann eines konkurrenten alle aufträge vorweggenommen P. Ernst weg z. glück (1926) 128. gern in der festen fügung auf (die) t. gehen (belege bei Schirmer wb. d. dtsch. kaufmannsspr. 191).
b)
im hinblick auf den 'reiseweg': Stieler ztgs-lust (1695) 669; wir machten die t. über ... Bückeburg S. v. Bandemer zerstr. bl. 260; ick heff alln god tur mackt einen beträchtlichen weg zurückgelegt Danneil altm. 229. besonders von einer bestimmten, festgelegten oder üblichen 'strecke': sich ... zu binden an einen gewissen weeg oder t. Gruber kriegsdiszipl. (1697) 2, 127; ... postmeister ..., der ... die t. von Riga nach Mitau ... in 58 minuten machen wollte Holtei erz. schr. 1, 106; Fontane I 1, 315, so im wettlauf: eine gewisse t. im schnellsten laufe zurücklegte Neresheimer kom. 68; spec. reiseweg eines geschäftsreisenden: der ort liegt nicht auf meiner t. Sanders wb. 3, 1340; 'der lauf eines schiffes oder der weg, den dasselbe mit seiner aufhabenden ladung an den bestimmten ort zu nehmen hat' Zedler 44, 1688; für eine fahrt mit der droschke: (die fahrt quer durch Berlin) sind zwei touren Faucher culturb. (1877) 9; angesichts der 'tour', die dem armen tier (droschkenpferd) bevorstand Fontane I 5, 277. hierher auch, heute veraltet, tour und retour 'hin- und rückfahrt', vgl. Seiler lehnw. 3, 188; amtsblatt d. reichspostverw. (1875) 271; vgl. auch gleichbedeutendes rücktour (Holtei eselsfresser 2, 208); tourbillet 'einfache fahrkarte' und entsprechend retourbillet bei Sanders wb. 3, 1340; Saalfeld fremdwb. (1911) 959. die vorstellung der ununterbrochenen reise-, wegstrecke liegt zugrunde in der weit verbreiteten redensart in einer tour 'ohne unterbrechung': (die handwerksburschen werden) in einer t. mit der eisenbahn z. b. von Hamburg absausen, um in Wien zu arbeiten Holtei schneider (1854) 3, 5; so rannte sie in einer t. immer westwärts H. Seidel Leber. Hühnchen (1899) 201. der umgangssprache sehr geläufig, meist in der übertragung auf eine zeitstrecke, zeitdauer: lauft sie in einer t. mit der Schlager Mizi herum, ist das eine gesellschaft für ein anständiges junges mädel? Schnitzler liebelei (1896) 81; ebenso in den mundarten: im lux.; in Handschuhsheim (Lenz 51ᵇ); nordfries. Wiedingh.; meckl.; Eilsdorf bei Halberstadt (vgl. nd. jb. 34, 99); obers.; westböhm. (Brüx); Wien; s. oben a. a. o. ähnlich: ' n düchtige tur slaopen: eine ziemlich lange zeit schlafen Danneil altm. 229; H. Meyer Berliner ⁹178; Mart.-Lienh. elsäss. 2, 709; dat is aln hêlen tûr her, dat he bi mi was Doornkaat-K. 3, 448.
c)
weiter gilt tour schon im ausgehenden 18. jh. im sinn einer reise, eines theilstückes einer reise, auch einer bestimmten strecke, die für zugthiere und reisende mit besonderer anstrengung verbunden ist:
ein stück geröstet brodt und ein krug bier wären nicht übel nach der t.
Fr. H. Bothe Footes dram. w. (1796) 1, 295;
gern mit verstärkendem adj.:
am gesundesten sind die reisen zu fusz ... nur wenn man ... zu starke touren macht, ist das fahren rathsam
Hufeland (1797) 578;
ihren pferden will ich die starke t. (von Weimar nach Jena) nicht zumuthen, an einem tage hin und her zu gehen
Schiller br. 6, 200;
eine harte t. ... über die höchsten spitzen des gebirgs (Fichtelgebirge)
Immermann 20, 54 Boxb.;
v. Gaudy 5, 26; br. a. u. v. Herwegh 347;
heute früh um vier uhr ausgefahren, vor zehn uhr kommen wir nicht nach hause, und zwölf meilen in einem tage will auch etwas sagen für die pferde. es ist, was wir vom sport eine forcierte t. nennen!
Holtei schneider 2, 106;
so auch mundartlich Seiler Basler ma. 92; B. P. Möller Sylt 279ᵃ, was dann weiterhin bes. mundartlich zu 'anstrengung' an sich, 'schwere mühe' und dergl. führt: 'etwas groszes, langer weg, schwere arbeit' Hintner Defregg. 38; Schöpf tir. 777; dat woar en hatte tuur ein schweres stück arbeit Leithäuser Barmen 162; Jensen Wiedingh. 647; Hofmann ndhess. 240; last, qual, plage Blumer Brüx 33; J. Jacob Wien 194.
2)
rundgang, umgang, im sinne des frz. tour 'mouvement en rond' dict. de l'ac.⁷ 2, 865.
a)
eigentlich, in präciser verwendung selten und auszer in wbb. fast nur unter unmittelbarem einflusz des frz.: Ludwig teutsch-engl. (1716) 1994; Sperander 745ᵇ; Kinderling 150; ich spatzirte und that nur 3 oder 4 t. in dem parterre vor meiner kammer Elis.-Charl. v. O. 2, 570 Holl.; in dem lesesaal der kaiserlichen bibliothek macht ich einigemal einen t. um den tisch herum, um den geschmack der vielen leser kennen zu lernen Riesbeck br. (1783) 1, 401. mundartl. wb. d. lux. ma. 445; nach C 2 hinüberweisend: zweimol in der wuche macht der husarzt si tuur Friedli Bärndütsch 5, 619; rundfahrt: e tur uf der trill (karussell) Follmann lothr. 113; im boot eine t. um die gantze insul herum zu thun (to make a tour round the island) Robinson Crusoe (1720) 1, 192. meist nach frz. fügungen wie tour de promenade (dict. d. l'ac. ⁷2, 865), tour du propriétaire 'rundgang um den besitz (am abend)' in der bedeutung des geruhsam-beschaulichen 'spazierganges', schon seit dem frühen 18. jh.: Hübner naturlex. (1712); t. um die stadt Lünig theatrum ceremoniale (1720) 2, 1444ᵃ; eine t. um einen groszen theil des walles (von Hannover) gemacht Lichtenberg br. 1, 21 (a. d. j. 1772); zu einer kleinen t. nach den Tuillerien Fr. H. Bothe Footes dram. w. 1, 75; die grosze t. um die promenaden (von Karlsbad) Göthe IV 20, 130 W.; wir wollen ihretwegen nicht um unsern spaziergang kommen. wir wollen eine kleine t. vor dem frühstücke machen, eine etwas gröszere vor tische, und auf den abend die grand tour, wie ich es nenne Fr. L. Schröder dram. w. 1, 17; auch mundartl. elsäss., Basel, lux., lothr., Aachen; ausgiehtourn Müller-Fraureuth 1, 235; op tur joe bummeln Rovenhagen Aachen 149. erweitert einmal in bezug auf die wegstrecke, zu 'ausflug', 'wanderung' (meist zu fusz), neben partie, anscheinend erst am ende des 18. jh.s: ihre (der studenten von Halle) ewigen touren auf Leipzig Laukhard leben 1, 115; ebda 2, 114; in ... gesellschaft stellte ich (von Frankfurt aus) manche wanderungen nach dem gebirge (Taunus) an, ... so besuchten .. wir .. Homburg ... Wiesbaden ... Biberich ... diese ganze tour ... Göthe 27, 19 W. (vgl. von einer weiten berg- und waldtour 32, 129); W. Heine reise um die erde (1856) 2, 215; P. Keller waldwinter 246, ebenso mundartl. schwäb., Barmen, nordfries. (Jensen Wiedingh. 647), bes. in der deminutivform, s. o., sodann in hinsicht auf die leistung 'gröszere wanderung, marsch': (er hatte) am nachmittag seine wanderschaft anzutreten und noch drei meilen bis zur nächsten stadt auf seiner t. zurückzulegen Moritz Anton Reiser 334 lit.-denkm.; auf meinen touren durch Frankreich (märsche während der gefangenschaft) Laukhard leben 3, 513; legte alle diese fatiguanten touren ... zu fusz zurück Pückler Semilasso 1, 86; he hed'n dugtigen tur makt Doornkaat-K. 3, 448; Martin-Lienh. 2, 709, schlieszlich gesteigert zu der spec. verwendung für 'alpine bergbesteigung', hochgebirgstour, in der 2. hälfte des 19. jh.s seit der erschlieszung der Alpen um 1870 für früheres reise, 'bergreise' (Chr. A. Fischer 1804. 1805) oder 'berg- und gletscherfahrten' (G. L. Studer 1859) durchgedrungen, neuerdings daneben wieder bergfahrt: die merkwürdige t. durch die bernischen glätscher ist geendigt Göthe IV 4, 78 W.; I 19, 266; J. Meurer bergsteiger (1892) 36 u. ö.; pläne für touren, die er (von Lausanne) machen wollte Neresheimer kom. (1899) 66; H. Hök berge u. bergsteigen (1920) 39; auf einer gröszeren t. unterwegs Federer Regina Lob (1925) 301.
b)
übertragen auf die 'umsetzung oder einfassung eines weiberrocks mit seidenen, gold- oder silbernen spitzen', die rund herum gehen Schmotther schreiber (1755) 633: tour 'ein umhang von spitzen' ztgs-lex. (1703) 867; Sperander (1727) 745; verz. d. gebr. w. (1748) 178, vereinzelt fast im sinne einer maszbezeichnung: lassen vor die frau gemahlin aus Braband eine t. spitzen kommen Podagra apothekertod (1721) 93, sowie auf die spitze selbst angewandt: melline ist eine breite von gold oder silber gewebte spitze, die das frauenzimmer um den unterrock zusetzen pflegt und sonst auch eine t. genennet wird Zedler 20, 535.
B.
in der engeren bedeutung des frz. tour im sinne der 'drehung, wendung', in reicher anwendung vornehmlich im 18. jh.
1)
in eigentlicher verwendung.
a)
fachsprachlich: milit. 'wendung, schwenkung' Fäsch kriegslex. (1735) 914; 998. ebenso in der reitkunst: toures werden die figuren, runden volten, durchschnitte, wendungen und alle schulen genennet, so auf der reitschule vorkommen Trichter ritterlex. (1742) 2222, und so noch heute. auch mehr passivisch, bei dingen, die gedreht werden bezw. sich drehen. medicin.: t. heiszt bei den bandagen die umwendung der binde Zedler 44, 1689; und so noch heute Guttmann med. term. (1930) 1147; technisch: für die umdrehung einer maschine, spec. einer welle u. s. w.: der motor macht so u. soviel touren, vgl. tourenzahl.
b)
im allgemeinen gebrauch beim tanz: zunächst für die eigentliche 'kehr, wendung', die zusammengefaszt heute mit 'figur' bezeichnet wird: tour die figur im tantzen Wächtler manual (1709) 312; meist im plur. täntze (sind) in vielerley schritte oder pas und allerhand touren abgetheilt Amaranthes frauenzimmerlex. (1715) 1960; Göthe 19, 33 W.; einen gut getanzten und aus vielen verwickelten touren componierten englischen tanz Schiller br. 3, 285; G. Stephanie s. singsp. (1792) 50; Jean Paul 16, 233 Hempel; hübsche touren (im cotillon) J. G. Kohl Petersburg 2, 98; in graziöser gelassenheit die touren des alten tanzes aufführte Storm 1, 65; vgl.tanztour z. b. Bürger 95ᵃ Bohtz. daneben für den einzelnen, in sich abgeschlossenen tanz selbst: die touren bei den bällen Hauff 2, 116; forderte ... Bodmer ... sie auf, eine t. mit ihm zu probieren G. Keller 6, 187; 1 (¹³1894) 235; Storm 1, 63; auch mundartl. z. b. Friedli Bärndütsch 5, 376. 'tanzsprung': ... erzählte italienische comödien und machte die touren des harlekins, pantalons und scaramuz Brentano ges. schr. 5, 297.
2)
übertragen.
a)
abstrahiert und specialisiert auf die geschickte wendung, bedeutet, im sinne des frz. tour 'action qui exige de l'adresse, de la finesse' (vgl. fins tours) La Curne 10, 65, einer sache ihre (eine) tour geben 'eine geschickte manier haben, dieselbe zu verrichten' Sperander (1727) 745, zunächst neutral, ja in lobender anerkennung Hübner ztgslex. (1703) 867; rem adposite exsequi et agere, ordinem decusque rei observare Apinus (1728) 534; bedienten sich die päpste eines sehr politischen tours, um alles, was ihrem interesse hätte abbruch thun können, zu hintertreiben Wieland gesch. d. gel. 48 Hirzel (a. d. j. 1757). in noch weiter geführter abstrahierung, wie frz. tour (dict. de l'ac. ⁷2, 866ᵇ), im literarisch-ästhetischen bereich: abbé Hortance hat mir alle seine vers geschickt, die lateinische hat man hir vor gut, aber die frantzoschen haben den rechten t. nicht Elis.-Charl. v. O. 2, 622 Holl. (a. d. j. 1715); dieses thema (heirat) einen artigen t. bekäme, wenn es in einer conversation mit einem frauenzimmer tractirt wurde (1721/22) chr. d. ges. d. mahler 74 Vetter; die begebenheit, welche mich veranlassete, meiner satyre die t. zu geben, die ich ihr gegeben habe Liscow s. sat. u. ernsth. schr. (1739) 31, hier auch in der bes. ausprägung der gewandten redewendung: in ansehung der verschiedenheit und specialität der materien, der tours, der authorum ... chr. d. ges. d. mahler 71 Vetter; dasz man die folge seiner gedanken, die richtigkeit seiner schlüsse, die abänderungen seiner tours genau bemerke ebda 10; dasz ... würde ein andrer so schlechtweg erzählt haben. man bewundere aber die t. (geschraubte, überladene redeweise) des hrn. prof. Gottsched Mendelssohn ges. schr. 4, 1, 265; spricht und lieset mit geschmack für die schönheiten und tours der sprache Herder 4, 394 S.; tur, neue tur der worte nova facies, quam verba aliter instructa conciliant Serz idiot. (1797) 159. ähnlich in der musik = 'figur': keinen tact in ihren musicalischen compositionen ohne erkünstelte touren ... zu lassen Riedel theorie (1767) 81. — ferner seit der ersten hälfte des 18. jh.s nach frz. jouer un (mauvais) tour à quelqu'un dict. d. l'ac. ⁷2, 866 auch in pejorativer bedeutung bezeugt als 'schabernack, listiger streich, schelmenstück': einem eine t. spielen in fraudem allicere Apinus 534; Schmotther schreiber (1755) 633; Kinderling 150; soll jemandem eine t. gespielt werden? Iffland theatr. w. (1859) 5, 187. mundartlich ebenso für das lux. bezeugt, wb. d. lux. ma. 445.
b)
objectiviert, auf das gedrehte ding selbst nach frz. tour de cheveux, eine reihe falscher gekräuselter haarlocken, die um die stirn gebunden wurden, haaraufsatz, perücke: tour ... ein umhang der haare Stieler ztgs-lust (1695) 669; ztgslex. (1703) 867; u. s. w., im 18. und in der ersten hälfte des 19. jh.s häufig, vgl. Krünitz 186, 486 ff:
nein, der verstellte staat der touren und perücken
Zachariä poet. schr. 1, 200;
kein mensch ist auf der welt,
dem locke, tour, toppé so an die stirne fällt
Hagedorn versuch 57 lit. dkm.;
falsche touren Jean Paul 8, 250 Hempel; die locken und die touren Immermann 5, 21 Boxb.; wenn ich diese t. aufsetz Nestroy 2, 78. auch mundartlich bezeugt, z. b. im elsäss., lux., Aachen, vgl. haartour.
C.
reihe im anschlusz an frz. tour 'rang successif, alternatif' dict. de l'ac. 2, 866ᵇ.
1)
im sinne einer bestimmten reihenfolge: dasz er ... mit dem faͤhndrich alternirte, denn auf diesen fall käme die visitirung der paraden ... demjenigen zu, an dem die t. ist H. v. Fleming soldat (1726) 152; die t. ist nun an euch, auch wieder uns zu besuchen Schiller br. 7, 137, so und in ähnlichen fügungen auch mundartlich im lux., lothr., elsäss., Aachen, westböhm. (Brüx) s. o.: ward ich dem regiment als obristwachtmeister vorgestellt ... auszer der tour, wie sie es nennen ... sonst avanzirten wir alle nach der anciennetät Fr. H. Bothe Footes dram. w. (1796) 1, 200; Sturz schr. 2, 377. die hervorkehrung des in dieser anwendung meist eingeschlossenen begriffs des wechsels ergibt die bed. 'anfall, laune': die gnädige hat wieder ihre t. Viebig in d. Berl. ill. ztg. (1930) 2, 47, mundartlich in Barmen Leithäuser 162; Cronenberg Leihener 126 und bei Reuter (C. Fr. Müller z. spr. u. poet. Fr. R. 1, 10), vgl. di tüür wechselfieber B. P. Möller Sylt. 280; tur um tur Doornkaat-K. 3, 448; 'wechselweis, eins um das andere, einer nach dem andern' Campe wb. z. erkl. (1801) 645. mit hinwendung auf den zeitbegriff: 't regend bi tûren Doornkaat-K. 3, 448, vgl. turenwies zeitweise Buchrucker Elberf. 166 und sonst, auch in der bedeutung 'mal': alle tur jedesmal, distur, dastur u. s. w. Martin-Lienhart elsäss. 2, 709; Autenrieth pfälz. 38. — vereinzelt: was (dem kriegssecretario) von dem zahlmeister ... an geld zugestellt wird, müssen sie ... verwahren, darüber t. und richtige rechnung führen (etwa in richtiger reihenfolge aufschreiben) H. v. Fleming soldat (1726) 172.
2)
der ursprünglichen bedeutung entsprechend mit dem begriff der runde: jeder nahm ein groszes glas und nippte auf die gesundheit eines jeden in der gesellschaft, so lange bis die t. rund war, und denn wurden keine gesundheiten weiter getrunken Nugent reisen 1, 174; madame Stael habe ich noch nicht zu ende lesen können ... um aber die andern freunde nicht warten zu lassen, sende ichs ihnen ... sie theilen mir die schrift dann wohl wieder mit, wenn sie die t. gemacht hat Schiller br. 5, 134. spec. im kartenspiel: eine t. spielen S. v. Laroche frl. v. Sternh. (1771) 1, 154; noch e dur mache Follmann lothr. 113, vgl. runde th. 8, 1509. das jedesmalige herumstricken mit den 4 stricknadeln Gangler lux. 451; Martin-Lienhart elsäss. 2, 709.
D.
zusammensetzungen mit tour
1)
als erstem glied:
aus älterer zeit nicht nachgewiesen, tauchen sie vereinzelt am anfang des 19. jh.s auf:
touren-macher
tourenverfertiger
tourenfabrikant
Krünitz 186, 498;
tourentanz
Böhme gesch. d. tanzes (1886) 204.
erst am ende des 19. jh.s, bes. vor und nach der jahrhundertwende werden die zss. zahlreicher im bereich der technik, des verkehrs, bestimmter sportarten und von da auch in der allg. umgangssprache; seitdem besteht die möglichkeit zu immer neuen bildungen.
zu B 1 a
tourenzahl
einer walze, eines motors Muspratt chemie 2 (1888) 80; 5 (1896) 693; v. Alten hdb. 1 (1909) 209; hdb. d. naturw. 9 (1913) 1268. neuerdings dafür auch drehzahl dtsche allg. ztg. 1931 nr. 235;
tourenmesser
hdb. d. naturw. a. a. o., dasselbe wie
tourenzähler
Muspratt chemie 5 (1896) 1571 =
tourenzeiger
ebenda.
vor allem zu A 1 b, 'festgelegte, bestimmte strecke': z. b.
touren-buch
radfahrer-t. (titel) 1903;
tourendampfer
fahrplanmäsziger t. tgl. rdschau 1904 nr. 405 u. ö;
tourenfahrer
im kraftwagensport ebda 1901, nr. 298;
tourenfahrt
die t. Paris — Wien eines kraftfahrers tgl. rdschau 1902 nr. 282;
tourenrennen
eines radrennfahrers Speyer kampf d. tertia (1928) 180;
tourenruderer
tgl. rdschau 1902, nr. 378;
tourensegler
ebenda 1902, nr. 131;
tourenwagen
kraftwagenart tgl. rdschau 1907 nr. 288,
2)
als zweitem glied, seit ende des 18. jh.s, häufiger erst seit dem ende des 19., gehören überwiegend mit immer neuen bildungsmöglichkeiten zu tour 'wanderung, marsch', wobei die neuere bedeutungsgeschichte von tourist im einzelfall entscheidend einwirkt: z. b. zu A 2 a fuszt. (d. n. passagier (1847³) 2, 6), tagest. (F. Lewald seehof (1860) 122), schneeschuht. (P. Keller waldwinter (1902) 234), ferient. (Hesse diesseits (1907) 177), gebirgst. (A. Lewald Schweiz (1839) 17), bergt. (Meurer bergsteiger (1892) 17), hocht., wintert. (ebda), klettert. (Ittlinger alpin. (1913) 43). — die übrigen bedeutungen von tour haben nur wenige zss. hervorgerufen, die z. th. das grundwort verdeutlichend ablösen und, bei beschränkter verbreitung, die aufgabe des fachworts übernehmen, z. b. vergnügungstour (zu A 1 a Laukhard leben (1792) 1, 375; Fliesz miasmen (1893) 123), fürstent. (W. H. Riehl lebensrätsel (1888) 161), dagegen als modewort vom ausgang des 18. bis ende des 19. jh.s vielfach belegt ist haart. (zu B 2 b α, s. th. 4, 2, 39; modenmagaz. (1794) 2, 311; Fichte Nicolai 8, 52; Holtei eselsfresser 2, 146; Rhode trotzkopf (1885) 169), tanzt. (zu B 1 b der einzelne tanz, den man bei vergebung der tänze mit dem namen der tänzerin aufschreibt; bildlich Bürger 95ᵃ Bohtz), extrat. (= tanz auszer der reihe der angenommenen tänzer; auch übertr.) oder der ungebundeneren umgangssprache eigen und daher nur selten belegt spritzt. (nach A 1 a, s. th. 10, 2, 139). ochsent. (zu A 1 b, 'von vorn herein festgelegte laufbahn des beamten' i. j. 1893 Bismarck bei Klemm was sagt Bismarck dazu? 2, 94; Dombrowski system (1925) 4, 306).
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 6 (1931), Bd. XI,I,I (1935), Sp. 916, Z. 45.

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Zitationshilfe
„tourenwagen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/tourenwagen>.

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