Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

wüste, f.

wüste, f.

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ableitung zu ²wüst, adj. (s. d.). ahd. wuostî und wuostinna, mhd. wüeste, as. wôsti, afries. wôste, ae. wéste (bis ca. 1200). in nhd. wüste sind zwei getrennte bildungen aufgegangen, das ahd. adjektivabstrakt wuostî und das mit einem suffix -innjô, -unnjô gebildete ahd. *wuostin(na), g. sg. wuostinna, des Tatian und des Otfrid (bei letzterem neben wuasti II 12, 64), s. dazu Braune ahd. gr. § 211 anm. 3; Schatz ahd. gr. § 337; Gutmacher in: PBB 39, 259 f.; zur letztgenannten bildung stellen sich as. wôstin(nia), -stun(nia), afries. wôstene, wêstene, ae. wésten. sie läszt sich bis tief ins nhd. durchverfolgen: mhd. frühnhd. wüestinne, wüstene (wozu die ableitungen wüstenei [s. d.] und wüstenung [s. d.]) neben mhd. frühnhd. wüestin, wüstin, wüsten. da im nhd. ein wüsten im n. sg. nur selten und nur bis ins frühe 18. jh., in den obliquen kasus dagegen häufig und noch bis zu hundert jahren später belegt ist, liegt es nahe, diese letzteren, im 16. und 17. jh. plötzlich stark vordringenden formen, mindestens in den jüngeren fällen, nicht mehr als fortsetzung des ahd. wuostin(na), sondern als ein schw. flektiertes wüste aufzufassen. Luther bevorzugt in allen kasus wüsten, wusten bei weitem, kennt aber auch wüste, z. b. 3. Mose 16, 10; Jes. 43, 19; Jer. 2, 31; wust w. 10, 1, 1, 551 W.; d. sg. wüsten noch Lessing 1, 136 L.-M. (jüngere var.: wüste); Schiller 12, 36 G.; Göthe (ca. 1800) I 44, 11 W.; (1816) IV 27, 235; (1819) III 7, 40 (doch überwiegen bei Göthe die wüste-formen); Rückert ges. ged. 3 (1837) 363; a. sg. wüsten (1797) Göthe IV 12, 86 W.formen ohne umlautsbezeichnung im mhd. und bis ins 16. jh. nicht selten, undiphthongiertes wuste, woste bes. md. und nd.; mit verbreiterung des stammauslauts: wuͤschtin d. heyl. leben summerteil (1472) L 3ᶜ, mit nasalierung: wünste (ca. 1520) bei Röhricht pilgerreisen (1880) 369, mit gutturalisierung: wuchste märterbuch 14 344 Gierach (hs. österr. anf. 15. jh.); 18 743; wuchst 14 454; wüchste 21 773; wüegst Seifrits Alexander 7612 Gereke (hs. bair. 15. jh.); wuechste bei Schmeller-Fr. bayer. 2, 842; wuͦchst legend. d. heil. vaters Francisci (1512) G 5ᵇ; s. auch o. sp. 2418.
A.
in eigentlichem gebrauch für örtlichkeiten, landstriche, räume verschiedenster art und variabler eigenschaften, deren gemeinsames merkmal die unbewohntheit und die unbebautheit, keineswegs aber notwendig auch die vegetationslosigkeit ist; zu ²wüst, adj. (s. d. A). in ältester verwendung bibelsprachlich (s. u. 4); in frühen bibelglossen für desertum: in desertis in uuastim (8. jh.) ahd. gl. 1, 730, 3 St.-S.; in deserto in uuosti (Pa) 1, 190, 10; deserta uuosti siue aodi (R) 1, 105, 37; für solitudo: uaste (l. vasta) solitudine dero uuitun uuuasti (8./9. jh.) 1, 363, 36; für vastitas: vuoᵃsti (11. jh.) 1, 467, 24. in späteren glossaren für desertum Diefenbach gl. 176ᵃ, heremus ebda 275ᶜ; n. gl. 202ᵃ, vastitas gl. 607ᶜ, anachoresis ebda 32ᶜ, solitudo ebda 541ᵇ; n. gl. 342ᵇ.
1)
in der anwendung auf bestimmte konkrete landschaftsformen, die freilich mit dem wort wüste nur charakterisiert, nicht prägnant benannt werden. vor allem in älterer sprache, und hier der durch die heimischen gegebenheiten geprägten vorstellung gemäsz.
a)
besonders für den wald (urwald), s. auch die Otfrid- stellen unter 4 c:
nu si zem walde kamen hin, ...
Brangæne wolte erbeizet sin.
nu vuorten si si baz hin in
in die wüeste und in die wilde.
nu si von dem gevilde
verre hin in kamen
Gottfried v. Straszburg Tristan 12 769 R.;
do ensah noh enhort er nieman in dem vinstern walde, denn den morder im na gende. do gedaht er: ... schrigst du denn, daz hoͤret nieman in diser wuͤsti Seuse dt. schr. 79 Bihlm.; wie wird ewer leip vnd hertze erleyden mugen, sich alleine jn der wustinne zuͦ finden lassen (einem dichten wald) (1527) Warbeck Magelone 43, 33 Bolte. vereinzelt prägnanter anwendung nahe: der Schweitzer wüstine mit dem Bregentinischen waldt, seind yetz der erst theyl des Schwartzwalds Seb. Franck weltb. (1542) 31ᵇ; vgl. 28ᵃ; einzelne teile dieses urwaldes werden in ihren damaligen benennungen speziell hervorgehoben: der Schwarzwald als Marciana silva, die 'Bojerwüste' nördlich vom Bodensee, die 'helvetische wüste', wahrscheinlich nichts anderes als die bewaldeten höhen im nördlichen Württemberg Wimmer gesch. d. dt. bodens (1905) 5. älter in stehender, wohl synonymer verbindung wald und wüste: (die insel) nun eytel walt und wüste ist und vol alter gemeüer Arigo decameron 91 lit. ver.; vgl. 93; Livius achtet Germanien für ein gantzen wald vnnd wüste Stumpf Schweizerchron. (1606) 55ᵇ. die alliterierende verbindung ist langlebig, scheint aber in jüngerem gebrauch wüste, etwa im sinne von 2 b α, von wald durchaus zu unterscheiden: (Orpheus) habe die vnbendigen thiere sampt bergen, wüsten vnd wäldern mit seinem gesang beweget Opitz teutsche poemata 6 ndr.; wie er (Bonifatius) durch wald und wüste zieht, ... und nichts erblickt als ungeheure bäume und ödes gefild Scherer lit.-gesch. ⁷45.
b)
seltener für andere konkret bestimmbare landschaftsformen, denen die für 2 a und b typischen eigenschaften zukommen:
in (den jungen Hagen) und die juncvrouwen muote daz harte sêre,
daz si in der wüeste solten belîben immer mêre (auf einer unbewohnten insel)
Kudrun 106, 4 M.; vgl. 167, 1;
bey eine schwartze höhl, vnd zwischen felsz vnd stein ...
als sie sich nun allein, in dieser wüste, schawet
Dietrich v. d. Werder ras. Roland (1636) 8. ges., 38. str.;
gar oft kein gebahnter weg, man fuhr (in der kutsche) bald hüben, bald drüben ... heidegebüsch und gesträuche, wurzelstumpfen, sand, moor und binsen ... hier aber in dieser wüste ... Göthe I 33, 246 W.
2)
meist in umriszloserer, von wechselnden merkmalen bestimmter vorstellung.
a)
unter dem vorherrschenden gesichtspunkt des unbewohnten und unbesiedelten, bis in jungen gebrauch möglich, aber ohne scharfe grenze zu b.
α)
allgemein jede menschenleere, einsame, öde gegend: wenn man spricht ein wüste, solt du nit verston ein wuͦst oder ein vnrein ort, du solt verston ein ort, da nieman in wont, oder ein stat die verlassen ist, einöd Keisersberg brösaml. (1517) 2, 89ᵃ;
schau, wie das wenigste der erden
und engste pflegt bewohnt zu werden,
wie in den flecken, wo ihr seyd,
so grosze wüsten eingestreut (vastas solitudines interiectas)
Triller poet. betracht. (1750) 1, 462.
im vergleich: (der psalmist) vergleicht sich den eynsamen vogeln ... darumb, das er verlassen wird und verachtet ... darumb so ist sein leben gleich wie eine wuͦsten und eine nacht Luther 18, 510 W. hier oft synonym mit (ein)öde: wüste oder einöde desertum, eremus, solitudo Maaler teutsch spraach (1561) 506ᵇ; (die rinder in Mähren) nit füglicher können geweidet werden, dann in einoden oder wüsten Rätel Curaei chron. (1607) 4. teil, )( 4ᵇ; Hawai, welche inseln zu jener zeit eine ungeheure öde und wüste ... waren Ratzel völkerk. (1885) 2, 316. eine gelegentliche scheidung beider begriffe dürfte zu keiner zeit mehr als theoretische geltung gehabt haben, vgl. Eberhard synonymik (1795) 2, 103: die länder sind entweder bewohnt, oder nicht. ist letzteres, so heiszen sie wüsten. doch musz dieses wort mit einschränkung gebraucht werden. denn einige gegenden ... sind aus bloszer willkür der menschen, ohne dasz sie die natur dazu bestimmt hat, unbewohnt. in diesem falle heiszen solche gegenden richtiger einöden ... wüsten sind eigentlich örter, die von der natur dazu bestimmt ... scheinen, dasz die menschen nicht darin wohnen können Kant I 9, 234 akad.
β)
in stehenden verbalverbindungen wie in die wüste gehen, fliehen u. ä. 'sich (aus den verschiedensten gründen) in die einsamkeit zurückziehen, die menschliche gesellschaft fliehen'; z. t. wohl auch unter dem einflusz von γ: du darffst nit in die wüsten und von den leuten lauffen, bleybe bey und unter den leuten, in deinem beruffe Veit Dietrich in: Luther 52, 623 W.; in der wüste gehen andare, ritirarsi al deserto Kramer t.-ital. 2 (1702) 1411ᶜ; unsere anfänger (im praktischen musizieren) gehen, aus eigener löblicher gesinnung niemand lästig sein zu wollen, freiwillig ... in die wüste, und beeifern sich, abgesondert, um das verdienst, der bewohnten welt näher treten zu dürfen Göthe I 24, 236 W.; vgl. IV 30, 196;
gramvoll beweinend ihre schuld verbarg
sie in der wüste sich
Mörike ges. schr. (1905) 3, 119; vgl. 94.
oft in flieszendem übergang zum übertragenen gebrauch B 2 a:
wähntest du etwa,
ich sollte das leben hassen,
in wüsten fliehen,
weil nicht alle
blüthenträume reiften?
Göthe I 2, 77 W.; vgl. IV 11, 61;
wenn Jenny (eine verschämte arme, die näharbeit sucht, dabei aber um verschweigung ihres namens bittet) anstatt so per ambages in die wüste zu gehn ... es machte wie madame Bruchhausen und die doktorin Gräver, die doch deshalb niemand mit gemeinen nähterinnen verwechselt, so würde sie wahrscheinlich ihr gutes brot haben A. v. Droste-Hülshoff br. 1, 455 Schulte-K.
γ)
als wüste wird seit alters der schauplatz des frühchristlichen anachoretentums, dem sachlich z. t. übrigens die wüste im engeren sinne von sand- oder steinwüste (s. 3) zugrunde lag, und des büszer- und eremitentums überhaupt bezeichnet; die maszgebende vorstellung ist die der einsamkeit, wie sie von dem biblischen gebrauch 4 c her als vorbild gegeben ist:
er gerte in sînem muote
daz in got der guote
sande in eine wüeste,
dâ er inne müeste
büezen unz an sînen tôt
Hartmann v. Aue Gregorius 2759 Paul;
sanctus Anthonius in der wüste Keisersberg brösaml. (1517) 1, 67ᵃ;
in der wüsten ein heiliger mann
zu seinem erstaunen thät treffen an
einen ziegenfüszigen faun
Göthe I 2, 202 W.;
die einsiedler der thebaischen wüste Dehio gesch. d. dt. kunst 3 (1926) 65. ähnliche verbalverbindungen wie unter β bezeichnen hier prägnant die tatsache, dasz jemand büszer, eremit, auch mönch wird:
(viel fromme,) die weltlîch guot verswuoren
und in die wüeste vuoren.
genuoge müncheten sich
Rudolf v. Ems Barlaam 6, 12;
ach Melusina, sol ich dich verlieren, so wil ich doch durch die wüste fahren, vnnd mich gantz vnd gar von der welt thun, vnd ein einsiedel oder münch werden buch d. liebe (1587) 273ᵈ; du weiszt, dasz er, um sich von allem irdischen zu entfernen, um seine seele ganz dem göttlichen zuzuwenden, in die wüste zog E. T. A. Hoffmann s. w. 2, 25 Gr.
b)
im vordergrund steht mehr das merkmal des unbebauten, unkultivierten; auch so bis in junge sprache hinein möglich.
α)
allgemein unbebautes land, wilder, noch nicht oder nicht mehr bearbeiteter oder überhaupt nicht bearbeitungsfähiger boden. früh vereinzelt für die erde vor ihrer kultivierung durch den menschen, s. dazu unten B 2 a α:
alsô hiez got sînen chneht
den wuochir bringen
(daz chom von alten dingen),
bouwen dise wuostîn
vom rechte 403 Waag;
(Friedrich, der) städte weites umfangs mit dichten palästen erfüllte,
meilenlange wüsten mit saaten und heerden und hütten
Ramler lyr. ged. (1772) 168;
sey sie (eine gegend der erde) der schauplatz eines culturvolkes oder eine wüste Ritter erdkunde (1822) 1, 21. hierher die verbindung wüste und wildnis: colere deserta in der wüste oder wilde wonen Frisius dict. (1556) 397ᵇ; (ein gefangenes tier, das aus der gefangenschaft ausbricht) und in eine unbekannte welt von mauern und volksgewühl statt in die stille wüste und wildnis seiner heimat stürzt W. Raabe s. w. I 5, 32 Klemm. auch von durchaus kulturfähigem, sogar fruchtbarem boden, sofern er unbebaut ist: eine weite ebene des fruchtbarsten bodens, aber ohne allen anbau, ohne wohnungen, eine völlige wüste Moltke ges. schr. (1892) 5, 33.
β)
in mnd. und älternhd. flursprache soviel wie häufigeres wüstung (s. d. 2), auch wüstenung (s. d. 1 b), für ein stück ungenutzten bodens innerhalb bebauten landes oder für eine verödete siedlung; in landschaftlich obd. und md. verstreuten zeugnissen: die güter zu Betzingen u. Schafhusen liegen in den gewannen Nursental, Huͦtstal, in der Wuͤstin, zu Stein, an Worban (z. jahre 1379) veröffentl. a. d. archiv v. Freiburg i. Br. 1, 227 Poinsignon; (das fürstentum Wohlau wird verkauft) mit ... teichten, felden, welden, wassern, wusten, wiltpanen, vogelpannen (1518) lehns- u. besitzurk. Schles. 1, 291 Grünh.-M.; dieweil im waldgedingsbezirk vil rauer klingen und wüstinen (1603) bei Fischer schwäb. 6, 1012. hierher: da werden denn die lemmer sich weiden an jener stat, vnd frembdlinge werden sich neeren in der wüsten der fetten (wofür heute revidiert: in den wüstungen) Jes. 5, 17.
γ)
wüste ist das durch krieg, unwetter u. dgl. unbewohnbar oder nicht mehr nutzbar gewordene: das lant von Claudas rych was geheiszen wúste, wann es allein gewústet was von Uterpandragone Lancelot 1, 1, 15 Kluge; wüsten lagen da, wo sonst tausend frohe und fleiszige menschen wimmelten Schiller 8, 361 G.; in dem kleinen wäldchen am flusz hatte das wüsten der artillerie deutliche spuren hinterlassen. auf groszen flächen und abhängen ragten stellenweise statt der bäume baumstümpfe aus der erde, und diese wüste war von schützengräben zerfurcht Grete Reiner Hašek, abent. d. soldat. Schwejk (1960) 2, 277. meist in festen verbalbindungen:
vnd (sie) bringent dir die lant vil gar zv wuste
jüng. Titurel 4562 Hahn;
dasz Rom die welt zu sclaven,
und unser land, aus dem Rom allen weitzen kriegt,
zur wüsten machen sol
Lohenstein Sophonisbe (1680) 45;
eine wüste wird die erde (durch ein unwetter)
R. Z. Becker mildheim. liederb. (1799) 9.
gelegentlich auch in der beziehung auf verwüstete orte, gebäude, trümmer u. ä., wie sie bei wüstenei (s. d. 1 c γ) häufiger ist: diese stadt (Alexandria) hat ausserhalb ein schön ansehen, aber so man nahe hinzu vnd gar hinein kompt, siehet man anders nichts als ein wüsten vnnd einöden, dann man find wenig gantzer häuser darin, sondern sie seyn durchausz alle fast zerstöret Schweygger reyszbeschr. (1619) 251.
c)
in mehr affektbestimmter vorstellung; abwertende attribute stehen im vordergrund, von wechselnden sachlichen aspekten her: so wolt ich lieber in ein finster höle oder in der wilden wüsten ... wohnen Pape bettel- vnd garteteuffel (1586) Q 8ᵃ;
wir irrten gantz allein in unbekandten wüsten,
in weichen grimme bär und rauhe tyger nüsten
Gryphius trauersp. 111 Palm;
vergebens
irrst du in diesen rauhen wüsten hin und her
Göthe I 17, 40 W.;
keinem einzigen ist mutter erde hold —
rings graut nur unendliche wüste
mod. dichtercharakt. 1 Arent-C.-H.
von poetisch-sentimentalischer sicht her kann wüste jedoch, das unberührte einer landschaft kennzeichnend, in älterem gebrauch auch positiv gewertet werden:
Cupido führet mich in eine grüne wüsten,
da der poeten volck weit von begierd vnd lüsten,
vor zeiten hat gewohnt, wie noch die erste welt
nichts von den stätten wust, vnd wohnet in dem feldt
Opitz teutsche poemata 127 ndr.
3)
als spezifische bezeichnung der auszereuropäischen weiträumigen sand- und steinwüsten, deren notwendige merkmale auszer den unter 1 und 2 gegebenen eigenschaften namentlich dürre, vegetationslosigkeit und ganz bestimmte bodenformen sind. seit dem späten 18. jh. der vorherrschende, heute der eigentliche, prägnant verwendete gebrauch des wortes, neben dem die anderen anwendungen aber fortbestehen.
a)
die sache selbst bereits bibelsprachlich (s. 4 a) und seit dem mhd. auch sonst (s. 2 a γ), aber ohne gefühlten unterschied zu den übrigen gebrauchsweisen: da (vor dem paradies) lit ein groze wuͦsten, die ist vol untiere. da von mac nieman da durch comen. da nach lit ein lant aller nahest, daz heizet India Lucidarius 10, 10 Heidlauf; (die Inder) haben grosse sandecht weyte, wüsten vnd enödi an sich stossen Boner Herodot (1535) 48ᵃ;
wüsten Libyens, wo man in heissem sande
der Syrten ungeheur um Ammons tempel fande
A. U. v. Braunschweig Octavia (1677) 685;
und käme Xerxes mit den heeren
die, ströme trinkend auszuleeren,
der durst in dürren wüsten zwang
Gottsched neueste ged. (1750) 35.
b)
seit dem späten 18. jh. häufig, und nun auch prägnant, obwohl die geographisch-geologische fachsprache noch etwa bei A. v. Humboldt ansichten d. natur (1808) nicht immer morphologisch verwandte bodenformen wie steppe oder heide eindeutig von wüste unterscheidet und Adelung vers. 5 (1786) 316 den spezifisch eingeschränkten gebrauch noch nicht verzeichnet, Campe 5 (1811) 801ᵇ ihn unter hinweis auf die sandwüsten Afrikas nur streift.
α)
in der benennung bestimmter wüsten, bes. Nordafrikas und Vorderasiens: einer arabischen wüste ..., wo der wandrer viele parasangen reisen kann, ehe er nur ein blühmchen seine augen zu erquicken, nur eine staude, seinen gaumen zu erfrischen, antrifft Gerstenberg recensionen 3 lit.-denkm.; (ich) habe an den schönen ufern des Ganges und des Ohio geweilt, die wüsten Afrikas und die steppen Sibiriens besucht A. W. Schlegel in: Athenäum (1798) 1, 18; rechnet man ab die im sandmeere neuentdeckten gruppen quellenreicher inseln (d. i. oasen) ... so ist der übrige theil der afrikanischen wüste als dem menschen unbewohnbar zu betrachten A. v. Humboldt ansicht. d. natur (1808) 1, 6; der kampf um das dasein bleibt überall derselbe, im brasilianischen urwalde wie in der wüste Gobi W. Raabe s. w. I 5, 15 Klemm.
β)
begriffsbestimmend oder in prägnanter, eine eindeutige vorstellung des phänomens voraussetzender verwendung: der natürlichen beschaffenheit nach, nimmt es (das afrikanische flachland) zweierlei oberflächen an; die der pflanzenleeren räume, oder der wüsten, und die der weitgedehnten fluren mit graswuchs und strauchbedeckung Ritter erdkunde (1822) 1, 958; wüste, eine grosze, unfruchtbare, meist mit sand bedeckte, gewöhnlich in den heiszen erdstrichen der groszen continente liegende ebene Krünitz oecon. encycl. 240 (1857) 160; es giebt steppen, welche sich kaum von wüsten unterscheiden Nehring tundren (1890) 46; unüberwindlich wäre das land gewesen, wenn es der Libanon, der Jordan, das meer und die wüste wohlverwahrt umschlossen hätten (1783) Herder 12, 141 S.; obwohl das meer und die wüste die stadt (Carthago) hinreichend schützten Mommsen röm. gesch. (1856) 1, 461.
γ)
mit den charakteristischen merkmalen der wüste in diesem engeren sinne: er wandelt durch ungebahnte sandigte wüsten Schiller 2, 150 G.; vgl. 3, 435;
will mich unter hirten mischen,
an oasen mich erfrischen ...
jeden pfad will ich betreten
von der wüste zu den städten
Göthe I 6, 6 W.; vgl. 25, 180;
dasz das schiff, oder das kameel (das schiff der wüste) es möglich machen, über diese herrenlosen gegenden sich einander zu nähern Kant w. (1838) 5, 432 Hart.; in der wüste den wüstenkönig und im Harze die hexen Fontane ges. w. (1905) I 4, 263. von diesen verschiedenartigen merkmalen her gern in ausdrücklichem vergleich: wie der sand in der wüste seit jahrtausenden vom winde zerrieben, in seinen einzelnen particeln alle unterscheidbarkeit verloren ... so sind die bewohner dieser länder Görres ges. schr. (1854) 2, 301; der katalog ist wie eine wüste, in welcher man sich nach quellen umsieht Hebbel br. 1, 64 Werner;
so leer wie ich war keine wüste leer
Werfel geschw. v. Neapel (1931) 65.
4)
vielseitige verwendung finden sache und wort im biblischen bereich, in dem sich der älteste deutsche wortgebrauch bewegt.
a)
überaus häufig vom schauplatz des 40 jährigen zuges der Israeliten von Ägypten nach Kanaan, und nur hier auf sand- und steinwüsten im sinne von 3 bezogen, wie sie Kanaan fehlen, aber im peträischen Arabien mit der Sinaihalbinsel gegeben sind; besonders hier entsprechend hebr. hamidbār, als die wüste schlechthin:
so Moyses ju zi thiu gifiang,    thaz er thia natarun irhiang
in theru wuasti thuruh not, so druhtin selbo gibot
Otfrid II 12, 64;
in der wüeste gap er (gott) in (den Israeliten) daz brôt
der Stricker Karl d. gr. 6812 Bartsch;
von Elim zogen sie, vnd kam die gantze gemeine der kinder Israel in die wüsten Sin, die da ligt zwisschen Elim vnd Sinai 2. Mose 16, 1; er (hat) sein volck ... durch die rauhe, sandichte, ungebahnte ... wüsten ins gelobte land ... geführt Dannhawer cat.-milch (1657) 7, 22; wenn meine mutter von gott und den heiligen dingen sprach, so fuhr sie fort, vorzüglich im alten testamente zu verweilen, bei der geschichte der kinder Israels in der wüste G. Keller ges. w. (1889) 1, 57. im biblischen urteil wird dieser wüstenaufenthalt oft als heilsgeschichtlich bedeutsames ereignis gewertet, sowohl als zeichen göttlicher führung und bewahrung wie als zeit der prüfung und inneren bewährung des volkes: vnd gedenckest alle des wegs, durch den dich der herr dein gott geleitet hat, diese vierzig jar in der wüsten, auff das er dich demütigte, vnd versüchte, das kund würde, was in deinem hertzen were, ob du sein gebot halten würdest oder nicht 5. Mose 8, 2; vgl. 29, 4 f.; Jos. 5, 6; Jer. 2, 6; Am. 2, 10 u. o. von da her für gewisse übertragene anwendungen des wortes bedeutsam (s. bes. B 2 a α); aber auch in unmittelbarer, den vergleich spürbar lassender übertragung geistlicher und weltlicher art: (gott) furet sie (seine schüler) am ersten aus Aegipto in die wusten bei Luther tischr. 2, 218 W.; und so sind weiber zwar noch im diensthause Egyptens und in der wüste Hippel üb. d. ehe (1792) 220; wir sind mit unserm leben aus dem Egypten der revolution ausgezogen, und ziehen in der wüste umher Görres ges. br. (1858) 3, 430.
b)
im übrigen bezeichnet wüste im biblischen gebrauch meist steppenartiges oder steinig-felsiges, menschenleeres gelände, wie es für eine reihe palästinensischer landschaften charakteristisch ist: warumb bistu erab komen? vnd warumb hastu die wenige schafe dort in der wüsten verlassen? 1. Sam. 17, 28. im gleichnis Christi: verlúret er (der hirt) eins (seiner schafe), lat er nút denne die nún und núntzig in der wuͤste und suͦchet daz eine das er verlorn het? Tauler pred. 131, 15 V. (und so öfter); vgl. Lk. 15, 4. von da her: wollet das verlorne schaf nicht in der wusten ... so jämmerlich verderben lassen bei Luther br. 8, 266 W.;
als ihr weintet in der wüste,
heimzuführen die verirrten,
sandt er seinen eingebornen,
ihn, den groszen völkerhirten
Fr. W. Weber Dreizehnlinden (1907) 62.
c)
besonders im sinne von b ist die wüste der bevorzugte schauplatz religiösen erlebens, innerer versenkung und körperlicher zuchtübung, s. dazu auch ob. 2 a γ und als beispiel für die vielfalt in der geistlichen deutung und umdeutung der biblischen wüstenvorgänge Wackernagel altdt. pred. 586 f. (14. jh.). bedeutsam für das auftreten und wirken Johannes d. täufers und Christi: uuas giuuortan gotes uuort ubar Johannem Zachariases sun in thero vvuostinnu (in deserto) Tatian 13, 1. bei Otfrid hier wüste mehrfach mit heimischem kolorit als waldwildnis vorgestellt, entspr. ob. 1 a:
stimma ruafentes in wuastinnu waldes
I 23, 19
(vgl. wuastweldi ebda 9; g. sg. wuastwaldes 27, 41 [dazu Franck afränk. gr. 20 ] und in ähnlicher beziehung as. sinuueldi Heliand 1121); die aber anders leren (als Johannes d. täufer), die schmeychlen und sind ynn der konige heuszer, nitt ynn der wusten, sie sind reych und fur den leutten angesehen Luther 10, 1, 2, 164 W.; (Johannes d. täufer) hab da in der wüsten gelegen, und hab heuschrecken und wild-honig gefressen Schupp freund in d. not 31 ndr.; lange hatte er (Joannes) sich damit begnügen müssen, seine stimme fern aus der wüste erschallen zu lassen Feuchtwanger d. falsche Nero (1947) 346. auf Christus bezogen: in der uuosta bigaginet imo der bichorare Notker 3, 364, 26 P.; in synem heiligen leben hat er (Christus) nit schlecht wöllen vasten, sunder er ist in die wüste gangen, do er kein menschlichen trost het, nun mit den türen (tieren) wont, do er den gantzen tag bettet St. Fridolin dt. pred. 105 Schmidt; wer weder hülff noch rath weisz, der ist mit Christo in der wüsten Lehmann floril. polit. (1662) 2, 850;
bleib nicht allein, denn in der wüste trat
der satansengel selbst zum herrn des himmels
Schiller 13, 177 G.
d)
die bis heute festen redensartlichen wendungen vom prediger in der wüste u. ä. beruhen auf falscher übersetzung von Jes. 40, 3 im griechischen (LXX; Mtth. 3, 3; Mk. 1, 3; Lk. 3, 4; Joh. 1, 23), in der vulgata und bei Luther (das in deserto wurde auf das vorangehende clamantis statt auf das folgende parate bezogen): es ist eine stimme eines predigers in der wüsten, bereitet dem herrn den weg, macht auff dem gefilde ein ebene ban vnserm gott Jes. 40, 3;
weil vns dann mangelt nicht an lehrern,
so laszts nicht fehlen an vns zuhörern,
vnd folget, weil jhr doch seyt christen
der ruͦffenden stimm in der wüsten
(1571) in: euphorion (1908), 7. erg.-heft 187.
die erheblich jüngere verallgemeinerte anwendung schwankt, zielt aber unter verkennung des biblischen tatbestandes vornehmlich auf die vorstellung eines vergeblich wirkenden, unbeachtet bleibenden, ins leere redenden mahners: eine solche stimme würde entweder völlig in der wüste verhallt sein; oder ... die gemüter nur auf die höhen der begeisterung erhoben haben H. v. Kleist w. 4, 81 E. Schmidt; Rohde zu Potsdam wird als stimme in der wüste kaum wohl vernommen Göthe IV 32, 133 W. komplexer: nun stand er in einer ganz andern welt (bei den bewohnern der öden, unfruchtbaren Ostseeküste), ein kandidat des predigerthums in der wüste W. Raabe s. w. I 1, 588 Klemm. anders, als zuspruch in der einsamkeit: du wirst oft auf seine worte horchen, ... und er wird euch eine stimme der wüste sein, wenn ihr fern von der heimath in der einsamkeit leben müsset Stifter s. w. 1 (1904) 246. noch anders, ein weltfremdes, erfahrungsarmes reden kennzeichnend: wenn Falk in der Gimpelinsel (1804) das deutsche politische wesen verspottet, so predigt freilich ein Johannes in der wüste, denn man merkt der ganzen flachen komposition an, dasz der verfasser von welt und politik nicht viel mehr weisz, als man eben in der wüste erfährt Gervinus gesch. d. dt. dicht. (1853) 5, 610.
e)
sonstiges. als element der alttestamentl. bildersprache. es ist für die auch biblisch weitgespannte, unter den verschiedensten aspekten gesehene vorstellung von wüste bezeichnend, dasz trotz der sachlichen beziehung unter a der sand weder eigentlich noch bildlich als charakteristikum der wüste, sondern nur als solches des meeres und strandes erscheint; die häufigste parallelisierung erfolgt mit dem worte einöde, vgl. 5. Mose 32, 10; Hiob 24, 5; ps. 78, 40; Jes. 35, 1 u. ö.: Judeorum flumina uuanta er in uuûosti, daz chît in druccheni Notker 2, 463, 27 P. (ps. 106, 34); so wird denn die wüsten zum acker werden, vnd der acker fur einen wald gerechnet werden. vnd das recht wird in der wüsten wonen, vnd gerechtigkeit auff dem acker hausen Jes. 32, 15 f. auch 2 b γ entsprechend: die stedte deines heiligthums sind zur wüsten worden, Zion ist zur wusten worden, Jerusalem ligt zurstöret Jes. 64, 10; vgl. 14, 17. als ort der dämonen: cuͦmet der bose wint darzv qui sufflat a solitudine, der da weht von der wuͦstene, da got niht gemeines hat, daz ist der vbil tuͦvil (14. jh.) dt. pred. d. 13. u. 14. jhs. 77, 8 Leyser. hierher der am groszen versöhnungstag praktizierte ritus des in die wüste geschickten sündenbocks: aber den bock, auf welchen das los des ledigen fellet, sol er lebendig fur den herrn stellen, das er jn versüne, vnd lasse den ledigen bock in die wüste 3. Mose 16, 10. in jüngerer redensart verallgemeinert (vgl. auch sündenbock 3): der arme Napoleon ... wird als der grosze und feiste sündenbock für alle in die wüste gejagt E. M. Arndt d. wort v. 1814 (1815) 6; der preuszische handelsminister v. Camphausen ... folgte ihm (dem entlassenen Delbrück) später in die wüste nach Bebel a. m. leben (1946) 2, 303.
5)
ganz vereinzelt älter im sinne einer abstrakten eigenschaftsbezeichnung, wofür sonst wüstheit; auf wüste räume im sinne von 1 und 2 bezogen: das die wüste vnd öde des landts mehr des hinlessigen vnachtparen volcks schuld ist gewesen, dann des lands S. Franck chron. d. Teutschen (o. j.) 3ᵃ; von der wüste vnd gähe, auch vnwegsame des gebirgs (der Alpen) Xylander Polybius (1574) 150.
B.
bildlicher und übertragener gebrauch; s. ansätze dazu ob. A 2 a β; 4 a; d; e. nur an einzelnen stellen bereits in älterer sprache, sonst seit der mitte des 18. und im 19. jh.
1)
in jüngerer übertragung auf räume und örtlichkeiten ganz anderen gepräges, denen aber bestimmte der für 1—4 gültigen eigenschaften zukommen; den vergleich voraussetzend und kaum zu prägnanter benennung vordringend.
a)
am häufigsten vom meer, in poetischer sprache:
drauf höret man von seiner (des Beltes) stimme tönen
der meere öde wüste drönen
(1740) Pyra u. Lange 73 lit.-denkm.;
und (Odysseus) durchschaute mit thränen die grosze wüste des meeres
(πόντον ἐπ' ἀτρύγετον δερκέσκετο δάκρυα λείβων)
J. H. Voss Odyssee 5, 158 Bernays;
meer, unsichres, vielbewegtes,
ohne grund und ohne schranken!
wohl auf deiner regen wüste
mag die irre sehnsucht schwanken
Uhland ged. (1898) 1, 202.
b)
vereinzeltes, hier auch im anschlusz an den neueren spezialgebrauch A 3: sie blickte mit einer wahnsinnigen unruhe im leeren himmel herum. plötzlich entbrannte in seiner stillen wüste ein stern Jean Paul w. 3, 53 Hempel; dann bestieg ich im groll die zinne des tempels ... ich starrte hinaus in die unermeszliche wüste der luft, und stürzte mich hinab Kretschmann s. w. (1784) 5, 226; (Napoleon, der 1813) aus dem kampfe mit den elementen, aus den wüsten des starren eises und gefrornen blutes, hervorgetreten war, wie ein halbgott Holtei vierzig jahre (1843) 1, 282. gelegentlich halb prägnant: lasz nur den winter herankommen ... und sieh dann, wie die einzeln rauchigen wohnungen in der pfadlosen wüste liegen Fouqué zauberring (1812) 1, 101.
c)
unter dem gesichtspunkt absoluter leere und leblosigkeit kann jeder auch kleine raum zur wüste werden: die schönsten ballkleider seh ich einpacken, die hüte nebenbey, und in wenig tagen ist die belobte (!) terrasse (in Marienbad) zur vollkommnen wüste geworden (1823) Göthe IV 37, 163 W.; dasz die mit ihm zu gleicher zeit lesenden professoren eine andere stundeneintheilung verlangten, weil er ihnen den hörsaal zur wüste machte Hebbel w. 12, 45 Werner; werden tischlers auch einen spaziergang riskiren? ... gehen sie aus, dann bleibt mir nichts mehr zu beobachten, als die graue katze ... der hof wird zur wüste Holtei erz. schr. (1861) 1, 11.
2)
gegebenheiten vielfältiger art, lebensverhältnisse, innere zustände, geistige tatbestände werden, durchweg in abwertendem sinne, als wüste bezeichnet, meist in genitivischer, präpositionaler oder adjektivischer zuordnung zu diesem wort. die anknüpfungspunkte an den eigentlichen gebrauch sind, soweit überhaupt erkennbar, z. t. komplex; oft wurzeln sie im biblischen gebrauch des wortes.
a)
von orten oder doch räumlich vorstellbaren gegebenheiten, die gewisse den merkmalen der eigentlichen wüste vergleichbare eigenschaften besitzen, wie die der einsamkeit, der leere, der unfruchtbarkeit usw.
α)
am ältesten der meist deutlich an den biblischen wüstenzug (A 4 a) anknüpfende geistliche topos vom irren in der wüste, von der wüste dieser welt oder von dieser wüste; doch vgl. schon den beleg aus vom rechte ob. A 2 b α und das kompositum werltwuostunge Ezzolied 142 Waag:
gelæite des weislosen hers
daz inder wste irre vert
vnd sich nicht wan ir (Marias) genaden nert
d. jüdel in: ged. d. 12. u. 13. jhs. 129, 13 Hahn;
hie bi ist bezaichent (mit der feuersäule auf dem wüstenzug) daz únser herre ains ieglichen rehten mentschen laiter ist und behuͤter ist in der wuͤsti dirre ellenden welt St. Georgener pred. 186, 14 R.; wenn wyr aber bekert werden, empfehet eyn iglicher ... denselbigen gott, den der ander, und wirt hie das hymelbrott gleych auszteylet yn diszer wusten Luther 10, 1, 2, 82 W.;
vielleicht bricht bald der abend ein,
da ich aus dieser öden wüste,
im himmel werde bey dir seyn
Henrici ernst-, scherzh. u. sat. ged. (1727) 1, 168.
mit anderem biblischem ausgang, vgl. hohel. 8, 5: dise welt, ... daz ist dy bösz wüste, die bösz welt, von deren Maria vff ist gefaren, vnd heiszt wol ein wüste vnd ein einöde, wann ein wüste verlaszt man Keisersberg brösaml. (1517) 2, 89ᵃ. mit A 4 d gekoppelt: sie würden sich auf der welt ganz allein glauben ..., wenn leidenschaftliche und melancholische werke ihnen nicht eine stimme in der wüste des lebens hören lieszen, und in ihre einsamkeit einige strahlen des glücks brächten Göthe I 40, 240 W. säkularisiert:
eine wüste ist
die erde, wüste, wüste ist die welt, denn
mein bruder ist nicht mehr
Grabbe w. 1, 51 Blumenthal.
β)
von konkreten orten, an die jmd. verbannt ist oder an denen er sich einsam, unverstanden fühlt: geben ynn der wusten (auf der Wartburg) am tage sanct Elisabeth 1521 Luther 10, 1, 1, 8 W.; vgl. 8, 484; ich bitte um baldige antwort; denn ihre briefe sind mir in dieser wüste (Linz) auch immer ein trost Stifter briefw. 2 (1918) 211. auch so, dasz ein ort etwas bestimmtes nicht hat: er (Körner) ist dort (in Dresden) in einer wüste der geister Schiller br. 2, 169 Jonas; Kassel ist eine ordentliche wüste, wenn es auf neue bücher ankommt J. G. Forster s. schr. (1843) 7, 178.
γ)
in moderner übertragung auf grosze städte (s. auch steinwüste) komplexer, wohl von der vorstellung des leeren und unfruchtbaren her, wie sie für wüste A 2 a und b charakteristisch ist, zugleich mit dem gefühlston von β: die schienen der straszenbahn ... liefen hinaus in die steinerne wüste der vorstadt W. Schäfer d. 13 bücher d. dt. seele (1925) 525; es gab (in Berlin) eine wüste von häusern und bahnen und straszen A. Seghers d. toten bl. jung (1950) 59.
b)
von örtlicher vorstellung gelöst, im übrigen unter ähnlichen gesichtspunkten wie bei a.
α)
vom menschlichen leben. älter im anschlusz an A 4 a: fúrbaz ze komen dur die wuͤsti eins vihlichen unbekanten lebens, hin in daz geheissen land eins lutren ruͤwigen herzen Seuse dt. schr. 156, 10 Bihlm. später A 3 entsprechend: das gnädige fräulein hatte seit jenem tage ... aus ihrem leben eine wüste gemacht, unübersehbar nach allen vier himmelsgegenden hin W. Raabe schüdderump (1870) 2, 74; ohne gebet wäre unser leben ... eine wüste ohne oase Fontane ges. w. (1905) I 6, 207.
β)
von inneren zuständen, seelischer verfassung: in die wilden wuͤsti eins grundlosen herzleides Seuse dt. schr. 211, 7 Bihlm.;
warum bebt er (der blick)? schreckt ihn vielleicht die zierlose wyste
einer nicht wohl gewarteten seel, unfruchtbar, verwachsen
Wieland ges. schr. I 2, 15 akad.;
ist irgend ein geschäft,
ein mühen, eine sorge, eine qual,
dasz ich bevölkre meines innern wüste?
Grillparzer s. w. I 6, 57 Sauer;
dasz ihr herz zur wüste werde und der sand alle brunnen der empfindung verschütte Börne ges. schr. (1829) 13, 117. mit poss. pron. sogar prägnant für einen inneren zustand: da er den angelstern seines lebens (seine geliebte) als eine sternschnuppe in seine todtenstille wüste (sein nun verödetes leben) hatte fallen sehen Jean Paul Titan (1800) 3, 132; vgl. derselbe, Hesp. (1795) 3, 42. hierher, und nicht als übertragung zu A 5: von der höchsten süszesten fülle der schwärmerei bis zu den fürchterlichen wüsten der ohnmacht, der leerheit, der vernichtung und verzweiflung Göthe I 23, 267 W.; vgl. 48, 213.
γ)
in der antithese zu ebenfalls übertragen gebrauchtem paradies, prägnant für jeden lebensstand der äuszeren oder inneren leere, verlassenheit, verzweiflung:
wem nicht durch unlusts-gifft des geistes kräffte schwinden,
der wird sein paradiesz auch in der wüsten finden
Hoffmannswaldau u. a. Deutschen ged. (1697) 1, 391;
nun war das paradies ... (durch die abreise der frauen) für die freunde zur völligen wüste gewandelt Göthe I 24, 374 W.
δ)
darüber hinaus in anderen, mehr gelegentlichen beziehungen: fruchtbarkeit der dürren ontologischen wüsten Kant w. (1838) 3, 364 Hart.; o, und dann den blick über die leere wüste von langweiligen wochen hinaus! Tieck schr. (1828) 7, 198; die wüste der neuesten deutschen poesie Grillparzer s. w. 9, 206 Sauer; sie haben mir ... eine goldene brücke gebaut, um aus der wüste meines schweigens wieder auf das verkehrssträszlein gelangen zu können G. Keller br. u. tageb. 3, 123 Ermatinger.
3)
zur bildhaftigkeit belebt als bestimmendes glied einer mit konkreten einzelzügen ausgestatteten bildrede, die im zusammenhang der gesamten aussage auf ähnliche beziehungen auszudeuten ist, wie sie unter 2 ausdrücklich benannt werden; namentlich im anschlusz an den jüngeren gebrauch A 3: der nur falle so jung, der in eine traurige, öde wüste hinaussieht; in künftige tage, leer an freundschaft und tugend, leer an groszen entwürfen zur unsterblichkeit Lessing 1, 205 L.-M.; wohl ... dem lieben nun seeligen geschöpf, dem die welt nie freude gab — das 'der grosze geist aber nur führte durch wüste und brennenden sand dahin, wo seine kinder in frühlingsschatten genieszen' (an L. Gotter zum tod ihres kindes) Caroline 1, 23 Waitz;
drum stöszt er uns zum raubthier in die wüste
Schiller 12, 72 G.;
er hatte in einer wüste, einer wildnis gelebt, und nicht geahnet, dasz es blumen gebe in der welt ... nun hatte eine wunderhand aus fremdem lande in die wildnis und wüste ein grün zweiglein getragen (das mädchen Else) W. Raabe s. w. I 6, 218 Klemm.
4)
für sich zu nehmen ist der hier nicht in ganzer breite aufzuzeigende sprachgebrauch der mystiker. er wurzelt vor allem in allegorischer ausdeutung von bibelstellen wie 2. Mose 3, 1; Hosea 2, 14; ps. 64, 13; 1. kön. 19, 3 ff.; apokal. 12, 5, aber auch in allgemein bildlichem gebrauch des wortes, vgl. auch wüstenung 2, wüstung 3 b. namentlich wüste der gottheit, neben begriffen wie bloszheit, düsterkeit, abgrund, nichts, zur umschreibung des weder durch eigenschaften, noch durch handlungen sich offenbarenden göttlichen urgrundes, s. dazu A. Nicklas d. terminol. d. mystikers Seuse (diss. Königsberg 1914) 143; Gr. Lüers d. spr. d. dt. mystik (1926) 293 ff.: ez (das seelenfünklein) wil in den einveltigen grunt, in die stillen wüeste, dâ nie underscheit în geluogete weder vater noch sun noch heiligeist; ... want dirre grunt ist ein einveltic stille, diu in ir selber unbewegelich ist meister Eckhart in: dt. mystiker 2, 194 Pf.; in diser wuͤsti (des göttlichen abgrundes) do ist also wuͤst das nie gedank in die in kan ... wan es enhat weder zit noch stat. es ist einvaltig und sunder underscheit Tauler pred. 331, 22 V.; vgl. 55, 4. im blick auf die mystische vereinigung oder die mystische grundhaltung:
die woͤstin hat zwoͤlf ding:
du solt minnen das niht,
du solt vliehen das iht,
du solt alleine stan
und solt zuͦ nieman gan ...
so wonest du in der waren wústenunge
Mechthild v. Magdeburg 17 Gall Morel;
won in der stillen wuesti der gotheit do ist ünser wesen ein ewig istikeit mit siner vngewordnen gotheit (14. jh.) bei Wackernagel altdt. pred. 587;
wo ist mein auffenthalt? wo ich und du nicht stehen:
wo ist mein letztes end in welches ich sol gehen?
da wo man keines findt. wo sol ich dann nun hin?
ich musz noch über gott in eine wüste ziehn
Angelus Silesius cherub. wandersm. 14 ndr.
in ethischer richtung: dú schoͤni der wuͤsti sol wiss werden ... dú wuͤsti ist daz hertze, daz sol sin wuͤst und itel aller laster und aller súnden (zu ps. 64, 13) St. Georgener pred. 83, 32 R.
C.
nur vereinzelt scheinen andere bedeutungen des adj. ²wüst oder auch des subst. ²wust sich durchzusetzen oder doch einzuwirken.
1)
zu ²wüst B 'schmutzig, häszlich' in älteren glossierungen, vgl. squalor wuste (Hagenau 1516) Diefenbach gl. 549ᵇ; obscenitas wuͤst vel groͤbe (Straszburg 1590) ebda 389ᵃ; ferner Calepinus undecim ling. (1579) 593ᶜ s. v. foeditas und 1021ᵃ s. v. obscoenitas. literarisch vereinzelt, hier eher zu ²wust (s. d. B 1): alsdann so reits (das pferd) und so es erwarmet, so gehet der dampf und die wüstin von dem pferd und wird gesund Seutter roszartzney (1599) 19; vgl. dazu noch Höfler krankheitsnamenb. 836ᵃ. noch mundartlich, s. Seiler Basel 319; Martin-Lienhart elsäss. 2, 877ᵇ; Schmeller-Fr. bayer. 2, 1045. im schwäb. auch ²wüst C 4 entsprechend: pl. wüsten häszliche reden Fischer 6, 3449; hier sogar, wohl von ²wüst B 2 her, in der bezeichnung einer person: was ist der herr eⁱⁿᵉ aelte und eⁱⁿᵉ wüste wordeⁿ ebda 1012. aber wohl kaum hierher ein mhd. wuest für 'schmutz' in übertragenem sinne:
ob der grosz unczimlich todt
von natur geschehen müst
oder von der sunden wuest
2)
nur vereinzelt zur kennzeichnung des durcheinanders, der regellosen unordnung, entspr. ²wüst C 2 und wie häufigeres wüstenei 3 a: eine wüste von steinhaufen und erdgräben mit öden grasplätzen, auf denen es von arbeitern wimmelte J. Schaffner Konrad Pilater (1929) 67. vielleicht aber schon hierher, wenn nicht zu B 1 b:
der du der wolcken wüst gar hoch kanst übersehn,
und sitzest mit im raht, wann blitz und donner gehn
Olearius in: Mandelslo morgenländ. reisebeschr. (1696) 174 Olearius.
3)
ganz singulär für die handlung des wüst machens, vielleicht auch, ²wüst C entsprechend, die haltung der wüstheit, vgl. vastatio ein wüste oder verwüstung Bas. Faber thes. (1587) 906ᵇ:
darnach da kamen si (die feindlichen soldaten) gen Diest
mit groszer ungestimer wüest
(1307) hist. volkslieder 3, 19 Liliencron.
4)
für eine vom 13. jh. bis etwa 1600 in westlichen sprachgebieten bezeugte bedeutung 'rippenweiche, seitenweiche, teil zwischen unterem brustkorb und hüfte' (anatomisch-fachsprachlich hypochondrium) ist ein spezifischer ansatzpunkt bei ²wüst, adj. zwar schwer zu erkennen, doch deutet die (jüngere?) analoge benennung öde für den gleichen körperteil darauf hin, dasz für beide bezeichnungen wohl von der durch den entsprechenden griech. terminus ὁ κενεών, τὰ κενεῶνα nahegelegten, für wüst wie für öde in einem sehr allgemeinen sinne geltenden vorstellung des leeren auszugehen ist, s. Hyrtl kunstw. d. anatomie (1884) 119; 169:
er stach dem schateliure
die lanzen în zer wüeste
Konrad v. Würzburg troj. krieg 33 401;
vgl. Lancelot 1, 193, 25 Kluge;
dit bilde der reinen kuscheid vort
ist mit einer gulden snur gegort
mitten in der woͤsten
benider den zwen iren bruͤsten
Joh. Rothe lob d. keuschh. 2879 Neumann;
ir (der geliebten) seyten lang, ir wüst vil nahen
gantz zu um greiffen mit zwein henden
ir schultern hüfft und auch ir lenden
fastnachtsp. 1298 Keller;
anterior pars sub nothis costis, vmbilico proxima, nominatur κενεὸν à vacuitate, die wüste Matth. Dresser de part. corp. human. (1581) 9; sol man jhme (dem pferd) zway oder drey sail stossen zwischen der schultern vnd der wüstin seuberlich vnd fürsichtiglich Seutter roszartzney (1599) 214. im mnd. als wostunghe in gleicher bedeutung (s. wüstung 4 c; dazu vielleicht: do stak Hermen Tole sinen broder in't woste lif, dat he des anderen dages starf [16. jh.] hamburg. chron. 180 Lappenberg, s. ²wüst A 3 δ). ob ein erst im späten 18. und im 19. jh. für die sprache des fleischergewerbes bezeugtes wüste 'lendenstück eines rindes, nierenstück eines hammels' (s. z. b. Jacobsson technol. wb. 4 [1784] 676ᵇ; Krünitz oecon. encycl. 240 [1857] 162, dazu wüste ein roastbeef Hertel Thüringen 261) noch auf dieser linie liegt oder gar nicht hierher gehört, bleibt zweifelhaft angesichts der unsicherheit eines vereinzelten älteren beleges, der zwar in den gleichen sachbereich gehört, aber in der wortbedeutung doch abweicht: es sollen von allen kalbsskopffen die oren geschniten und die mitsampt den krosen, wüsten und fussen nach notturfft gesäubert und gereinigt werden (15. jh.) Nürnb. polizeiordn. 228 Baader (vielleicht nicht zu wüste, sondern bair. lautvariante von wanst, vgl. auch: kalbskross mitsambt dem wennst ebda 229; bair. wöst, west 'gekröse' bei Adelung vers. 2 [1775] 515; Schmeller-Fr. bayer. 2, 1044; Fischer schwäb. 6, 3355; hierher wohl auch wust Lexer Kärnten 261ᵃ, dort als 'wuchs' zu got. wahstus gestellt). fraglicher noch ist der zusammenhang mit einer erst im 18. jh. und nun ausschlieszlich in östlichen teilen des sprachgebietes auftretenden gruppe mundartlicher zeugnisse, in denen ein wüste, wiste, auch wêst, wieste u. ä. teils, wie in wiast Schacherl Böhmerwald 42, wöist Neubauer Egerland 107 'rippenweiche, taille', teils, wie in preusz. sehr verbreitetem wüste Bock id. pruss. (1760) 80, wiste, wüste (lit. wystė) Nesselmann thes. ling. pruss. (1873) 222, wist, wiste, wêst Frischbier preusz. 2, 476 'schnürleib' bedeutet, schlieszlich aber, wie in obersächs. wist Müller-Fraureuth 2, 660, Zipser wist Schmeller-Fr. 2, 1044 beide bedeutungen vereinigt. versuche, diese zeugnisse mit weste oder auch mit engl. waist 'taille' in verbindung zu bringen, überzeugen, sei es von der bedeutung, sei es vom lautlichen her, nicht. literarische bezeugung ist selten: man träget bey uns die steifen wüsten und die andern kleider oben so weit ausgeschnitten, dasz die ermel lange nicht an die schultern reichen (Dr[esden?] 1726) d. vernünft. tadlerinnen (1725) 2, 167 Gottsched; Alute, ... auf deren wiste eine goldene brosche strahlte Sudermann rom. u. nov. (1920) 6, 67; vgl. 213; 215.
D.
zusammensetzungen mit wüste als erstem wortglied seit dem 16. jh. vereinzelt und unsicher (s. wüstensalz), von der mitte des 17. bis zur mitte des 18. jhs. deutlicher, aber immer noch spärlich und meist an die biblischgeistliche verwendung des wortes anknüpfend. die hauptmasse der bildungen ist jung und entsteht nahezu ausschlieszlich im bereich wüste A 3 'sandwüste'. — durchweg mit -n- in der kompositionsfuge; ausnahmen sehr selten: wüsteinwärts Brentano ges. schr. (1852) 1, 386 (im vers); bei angenommener syntaktischer beziehung zwischen grund- und bestimmungswort: wüstegleich Herder 29, 337 S.; wüstebewohner Görres heldenb. v. Iran (1820) 2, 429.
kompositionstypen.
1)
auszerhalb des jüngeren spezifischen gebrauchs wüste A 3 von geringer typenbildender kraft, aber hier in den frühesten bildungen.
a)
zum biblischen vorstellungsbereich wüste A 4:
wüstenbock
(sündenbock) Jean Paul w. 7/10, 250 Hempel,
wüstengang
(des volkes Israel) Hippel kreuz- u. querz. (1793) 1, 330,
wüstenmist
(verächtlich von Johannes d. täufer) K. R. v. Greiffenberg zwölf andächt. betracht. (1678) 979,
wüstenprediger
(s. an alph. stelle),
wüstenreise
(Israels) (anders unten 2 i) Besser schr. (1732) 2, 829,
wüstenrufer
Rosegger I. N. R. I. (1904) 236,
wüstenspeise
Ritter erdkunde (1822) 14, 679,
wüstenwanderung
(Israels) (anders unten 2 i) D. Fr. Strausz ges. schr. (1876) 4, 98,
wüstenweg
(Israels) (anders unten 2 i) Jean Paul w. 27/29, 407 Hempel.
b)
zu wüste A 2 a γ als dem schauplatz des eremiten- und büszerlebens, meist in personalen benennungen:
wüsteneinsiedler
D. Fr. Strausz ges. schr. (1876) 3, 238,
wüsteneremit
Herder 28, 486 S.,
wüstenheiliger
Gaudy s. w. (1844) 21, 14,
wüstensucht
Dannhawer cat.-milch (1657) 6, 555,
wüstenvater
Scheffel ges. w. (1907) 1, 135; P. Dörfler Peter Farde (1929) 66.
c)
nur vereinzelt in der beziehung auf wüste A 2 in der allgemeinen bedeutung 'unbewohnte oder unbebaute gegend':
wüstenöde
wüsten öd Spee trutznachtigall (1649) 31,
wüstenplan
Hamerling ges. w. (1911) 3, 159 Rabenl.,
wüstenwohner
(anders unten 2 f) Tröster Dacia (1666) 10.
2)
die weitaus meisten bildungen gehören zu wüste A 3 'sand- oder steinwüste' und machen deutlich, wie sehr dieser seit dem späten 18. jh. vordringende spezifische gebrauch das jüngere leben des wortes bestimmt. in gröszerer zahl erst seit dem ersten drittel des 19. jhs.
a)
in begrifflichen bildungen, die das phänomen des spezifisch wüstenhaften benennen:
wüstenähnlich
Ratzel völkerkunde (1885) 2, 11,
wüstenartig
Brehm tierl. 1, 448 P.-L.,
wüstencharakter
Ritter erdkunde (1822) 13, 634,
wüstenmäszig
Zöllner br. üb. Schlesien (1792) 1, 367.
b)
in morphologisch-struktureller bestimmung:
wüstenboden
Muspratt chemie 5 (1896) 951,
wüstengebirge
Schubert reise in d. Morgenland 2 (1839) 156,
wüstenhöhe
Ritter erdkunde (1822) 1, 628,
wüstenquelle
Strachwitz ged. (1850) 312,
wüstensteppe
Brehm tierl. 1, 424 P.-L.,
wüstental
wüstenthal B. Goltz e. kleinstädter in Ägypten (1877) 254.
c)
mit ort- und raumbestimmenden grundwörtern verbunden, oft soviel wie einfaches wüste:
wüstengebiet
Ratzel völkerkunde (1885) 3, 323,
wüstengürtel
Peschel völkerkunde (1874) 507,
wüstenland
Grillparzer s. w. I 7, 104 Sauer,
wüstenlandschaft
Ritter erdkunde (1822) 2, 363,
wüstenrand
Ritter erdkunde (1822) 1, 1017,
wüstensaum
Mommsen röm. gesch. (1856) 1, 652,
wüstenstreifen
Sven Hedin abent. in Tibet (1920) 157.
d)
für atmosphärische, meteorologische und klimatische erscheinungen, die für die wüste charakteristisch sind:
wüstendürre
Jean Paul w. 20/23, 413 Hempel,
wüstenglut
wüstengluth Brentano ges. schr. (1852) 2, 194,
wüstenhauch
Ruge s. w. (1847) 10, 156,
wüstenhimmel
Stifter briefw. 6 (1931) 239,
wüstenklima
Ratzel völkerkunde (1885) 3, 265,
wüstenlicht
G. Keller ges. w. (1889) 10, 73,
wüstenluft
Ritter erdkunde (1822) 16, 41,
wüstennatur
(anders unten k) Ritter erdkunde (1822) 3, 356,
wüstensonne
Eichendorff s. w. (1864) 3, 507,
wüstenstaub
Stifter s. w. 14 (1901) 125,
wüstenwind
Rückert ges. poet. w. (1867) 6, 43; Sven Hedin abent. in Tibet (1920) 127.
e)
in bezeichnungen für von menschenhand geschaffene, die fläche der wüste markierende örtlichkeiten:
wüstenbrunnen
Ritter erdkunde (1822) 6, 1022,
wüstendorf
Ritter erdkunde (1822) 6, 937,
wüstenfort n.:
OK W-bericht v. 16. Juni 1942,
wüstenstadt
Stifter s. w. 1 (1904) 60.
f)
benennungen für die menschlichen oder auch dämonischen bewohner der wüste, in individueller und kollektiver anwendung:
wüstendämon
Schack ges. w. (1897) 3, 295,
wüstenfürst
Ritter erdkunde (1822) 12, 541,
wüstengeist
Freiligrath ges. dicht. (1870) 1, 26,
wüstengespenst
P. Dörfler Peter Farde (1929) 130,
wüstenkind
C. F. Meyer d. heilige (1891) 35,
wüstenscheich
Dahn ged. (1908) 191,
wüstenstamm
Peschel völkerkunde (1874) 330,
wüstenvolk
Stifter s. w. 14 (1901) 124,
wüstenwohner
(anders ob. 1 c) Herder 8, 537 S.
g)
in botanischen benennungen sowohl allgemeiner wie spezifischer art:
wüstenaloe
Stifter s. w. 3 (1911) 106,
wüstenbaum
Mohr ged. (1846) 81,
wüstenbusch
Ritter erdkunde (1822) 12, 543,
wüstendorn
Ratzel völkerkunde (1885) 3, 69,
wüstengras
B. Goltz e. kleinstädter in Ägypten (1877) 269,
wüstenpflanze
Brehm tierl. 3, 144 P.-L.,
wüstenstrauch
Ritter erdkunde (1822) 1, 1026,
wüstenziest
(eremostachys) Marzell wb. d. dt. pflanzenn. 2, 269.
h)
häufiger in tiernamen, auch hier klassifizierend, meist aber spezifizierend:
wüstenameise
forsch. u. fortschr. 9 (1933) 97,
wüsteneidechse
Oken allg. naturgesch. (1839) 6, 596,
wüstenfuchs
Brehm tierl. 2, 202 P.-L.,
wüstengeier
Freiligrath ges. dicht. (1870) 1, 148,
wüstenhuhn
Schubert reise in d. Morgenland 2 (1839) 414,
wüstenkamel
wüstencameel Ritter erdkunde (1822) 1, 458,
wüstenläufer
Naumann vögel (1822) 7, 77,
wüstenmaus
Brehm tierl. 2, 383 P.-L.,
wüstenpferd
Ritter erdkunde (1822) 17, 1629,
wüstenrosz
Immermann w. 18, 193 Hempel,
wüstentier
wüstenthier Eichendorff s. w. (1864) 3, 563; wüstentier Ratzel völkerkunde (1885) 3, 67.
i)
in bildungen, die es mit der durchquerung und erforschung der wüste zu tun haben:
wüstenkarawane
Ratzel völkerkunde (1885) 3, 169,
wüstenmarsch
Ritter erdkunde (1822) 9, 888,
wüstenpfad
Ratzel völkerkunde (1885) 3, 165,
wüstenpilger
Alexis ruhe (1852) 5, 178,
wüstenreise
(anders ob. 1 a) Ritter erdkunde (1822) 1, 328,
wüstenritt
Treitschke histor. u. polit. aufs. (1886) 3, 150,
wüstenstrasze
Mommsen röm. gesch. 5 (1885) 424,
wüstenwanderer
W. Raabe s. w. I 2, 131 Klemm; Fontane ges. w. (1920) II 3, 310,
wüstenwanderung
(anders ob. 1 a) Fedor Sommer d. Schwenckfelder (1911) 37,
wüstenweg
(anders ob. 1 a) Freiligrath ges. dicht. (1870) 1, 95.
k)
eine weitere gruppe umfaszt bildungen, hier auch adjektivische, in denen merkmale der wüste bezeichnet werden, die das empfindungsleben berühren, aber auch körperliche oder seelische eigenheiten betreffen, die vom leben in der wüste geprägt wurden:
wüstenauge
Langgässer d. unauslöschl. siegel (1946) 512,
wüsteneinsam
Rosegger schr. (1895) II 6, 212,
wüstenfeurig
B. Goltz e. kleinstädter in Ägypten (1877) 262,
wüstenfreiheit
Ratzel völkerkunde (1885) 3, 150,
wüstengesicht
Laube ges. schr. (1875) 8, 325,
wüstengraus
Kinkel ged. 2 (1868) 299,
wüstenleere
Lenau s. w. 61 Barthel,
wüstennatur
(des kamels) (anders ob. d) Bodenstedt erinner. (1888) 1, 262,
wüstenrauh
Th. Mann dr. Faustus (1948) 497,
wüstenstill
Sven Hedin Bagdad, Babylon, Ninive (1918) 93.
l)
schlieszlich für beziehungen zwischen der wüste und den in ihr lebenden menschen oder tieren überhaupt:
wüstenheimat
wüstenheimath Ritter erdkunde (1822) 13, 750,
wüstenleben
A. v. Humboldt kosmos (1845) 2, 49,
wüstenlied
L. v. Gall in: br. v. L. Schücking u. L. v. Gall 99 Muschler,
wüstenreligion
B. Goltz e. kleinstädter in Ägypten (1877) 244,
wüstentraum
Brentano ges. schr. (1852) 2, 194.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 16 (1960), Bd. XIV,II (1960), Sp. 2440, Z. 34.

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Zitationshilfe
„wuste“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/w%C3%BCste>.

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