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Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

weltgebäude, n.

weltgebäude, n.,
komposition des 17. jhs., die im 18. jh. gegenüber konkurrierendem weltgebäu (vom 17.-19. jh. nachweisbar: Saubert currus Simeonis [1627] 450; Klopstock Messias [1780] 9; Rückert ges. poet. w. 8 [1882] 406) als form der modernen hochsprache durchdringt, während sich im ndl. wereldgebouw einbürgert; im übrigen germ. entsprechen bildungen wie dän. verdensbygning und schwed. världsbyggnad. die auffassung der welt als gebäude ist relativ alt; sie kommt schon in Notkers komposition werltzimber (1, 839, 24 Piper) zum ausdruck, mehrfach dann bei schriftstellern des reformationszeitalters, deren umschreibungen bereits das wachsen des kompositums weltgebäu(de) erkennen lassen (vgl. etwa: wann gott hat aller welt gebew auff lon der waren tugent gruͤndt Schwarzenberg Cicero [1535] 157ᶜ); auch das sinnverwandte weltbau kommt um diese zeit auf (das er an dem so wunderlichen werld baw den menschen erckleret hat seine almechtikeit Risch paraphrasis Erasmi üb. d. ev. Joannis [1524] B 1 ᶜ).
1)
'alle himmelskörper zusammengenommen und als ein künstliches gebäude betrachtet, der weltbau' (Adelung 5 [1786] 162), so vor allem als ausdruck religiöser weltbetrachtung: dasz nemlich dieses grosse weltgebewde sechs tausent jahr lang stehen wird Joachim Pollio geistlich todtenseigerlein der kinder gottes (1614) 363;
wenn ich nur dich, o starcker held,
behalt in meinem leide,
so acht ichs nicht, wenn gleich zerfällt
das grosze weltgebäude
Paul Gerhardt in: ev. kirchenl. 3, 365 Fischer-Tümpel;
o prächtig weltgebäude,
das gott so schön gebauet
Triller poet. betr. (1750) 4, 441;
der gott, der in der natur alles nach maas, zahl und gewicht geordnet ..., so dasz vom groszen weltgebäude bis zum staubkorn, von der kraft, die erden und sonnen hält, bis zum faden eines spinnegewebes nur eine weisheit, güte und macht herrschet ... Herder 13, 7 S.;
unendlicher! du warst! und du wirst seyn!
im weltgebäud', im chaos, fern und nah!
bist du, herr! unser gott!
Baggesen poet. w. (1836) 2, 7;
aber auch sonst überall da üblich, wo man strebt, das universum als sinnvoll geordnetes, kosmisches gefüge zu bezeichnen: habe dank, dasz du ... uns ... die vortreffliche ordnung des weltgebäudes entdecket hast Gottsched gedächtnisr. auf Copernicus (1743) 39; die grenzen ihrer erdkunde hielten sie (die Griechen) für die grenzen des bewohnten landes nicht nur, sondern der erde selbst und des weltgebäudes; weiterhin war chaos und ewige nacht J. H. Voss krit. bll. (1828) 2, 130; diese gegenseitige anziehung ist das grosse triebrad, wodurch ... die bewegung der weltkoͤrper und die ordnung im weltgebaͤude erhalten wird Fr. Th. v. Schubert verm. schr. (1823) 2, 34; kein fernrohr leitete den blick zu der unendlichen ausdehnung des weltgebäudes v. Baer reden (1864) 1, 80; über die entstehung des weltgebäudes haben Kant und Laplace eine hypothese aufgestellt Meyers konv.-lex. 20 (1908) 522.
2)
seltener bezeugte anwendungen besonderer art.
a)
der uns sichtbare teil des universums: wenn wir unsere augen in dem grossen welt-gebaͤude herum spatzieren lassen ..., so muͤssen wir bekennen, dasz an allen ecken ein rechter liebes-schauplatz aufgerichtet ist Chr. Weise polit. redner (1679) 37; als er (der mensch) die augen auf das weltgebaͤude warf, ... so konte er nicht unterlassen, die stimme zu erheben Ramler einleitg. 3 (1757) 32; es koͤnnte ein wesen geben, dem das uns sichtbare weltgebaͤude wie ein gluͤhender sandhaufen vorkaͤme Lichtenberg verm. schr. (1800) 1, 152; insonderheit himmel und erde: weltgebäude ... bezeichnet ... himmel und erde zusammengenommen Voigt hdwb. f. d. geschäftsf. (1807) 2, 561; oder das himmelsgewölbe: ich ward zu meinem unglücke gebohren, und es gefiel dem himmel, ehe ich noch das licht dieses runden weltgebäudes genau betrachten konnte, meine wiege zu einem elenden grabmale meines lebens zu machen Lessing 3, 308 L.-M.; er konnte am frischesten alle weltreize in einen morgen zusammendrängen, wenn er seinen eintritt aus der erde hinauf in das hohe weltgebäude beschrieb Jean Paul w. 1, 222 Hempel.
b)
(system von) weltkörper(n): sonnen werden erloschen und weltgebäude zertrümmert seyn, aber ich (der Christ) werde noch leben Wieland ges. schr. I 2, 347 akad.; und eben dieser eifer führt seine (Mylius') entbundene seele nunmehr von einem planeten auf den andern, aus einem weltgebäude in das andre Lessing 6, 395 L.-M.; dasz endlich die fixsterne, als eben so viel sonnen, mittelpuncte von ähnlichen systemen sind, in welchen alles eben so grosz und eben so ordentlich, als in dem unsrigen eingerichtet sein mag, und dasz der unendliche weltraum von weltgebäuden wimmele Kant w. 8 (1838) 250 H.
c)
'systema mundi ... die ordnung, in welcher die grossen weltcoͤrper sich neben einander befinden' (Chr. Wolff math. lex. [1747] 1403): alles philosophische, was sie (die abbildung) noch hat, ist die vorstellung des copernicanischen weltgebäudes, wo die sonne im mittel ist, die planetischen kreise aber um dieselbe abgezeichnet sind anmuth. gelehrs. (1751) 25 Gottsched; dasz dieses copernikanische weltgebäude der christlichen glaubenslehre nachtheilig werden könne, hatten vielleicht nur der papst und sein consistorium geahnet Jung-Stilling s. schr. (1835) 6, 373; was das weltgebäude betrifft, so erklärte Gassendi das kopernikanische und das ptolemäische für die hauptsysteme Lange materialismus (1866) 122.
3)
metaphorisch, auf bereiche verschiedener art übertragen:
lassen sie (Philipp v. Spanien),
groszmüthig wie der starke, menschenglück
aus ihrem füllhorn strömen — geister reifen
in ihrem weltgebäude!
Schiller 5, 2, 314 G.;
einsam versenkte ich mich in dieses, mitten in seiner erschaffung, fern von der vollendung schon erstarrte weltgebäude (Kölner dom) Göthe I 28, 285 W.; die zweite verwechslung (des klassischen), nämlich mit rhetorischer regelmäszigkeit, läszt im literarischen weltgebäude nur die monde stehen und tilgt die sonnen; Shakespeare wäre dann nicht klassisch, aber Addison Jean Paul w. 49-51, 367 Hempel; was ist denn kunst und wissenschaft? wenn es nicht die tiefen anlagen sind eines geistigen weltgebäudes Bettine Günderode (1840) 2, 268; dasz alles bestehende durch ihn und seine bundesbrüder sinken müsse in asche und blut, damit sie dann auf den rauchenden ruinen ihr neues weltgebäude aufführen könnten Holtei erz. schr. 17 (1862) 96; wenn ein weltgebäude, wie es das der weltanschauung des späten mittelalters, der renaissance und reformation war, zusammenstürzt, müssen ruinen entstehen Dvořák kunstgesch. als geistesgesch. (1928) 270; auch meinen eltern blieb nicht erspart, zum erstenmal eine lüge an uns zu erleben und damit die herkömmliche erschütterung ihres weltgebäudes Wiechert wälder u. menschen (1936) 83.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 10 (1954), Bd. XIV,I,I (1955), Sp. 1576, Z. 72.

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Zitationshilfe
„weltgebäude“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/weltgeb%C3%A4ude>.

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