Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

weltverständig, adj.

weltverständig, adj.
1)
im sinne von 'lebenserfahren', 'verständig in der beurteilung der daseinsfragen', dass. wie weltklug 3: bei dem allen war er welt verstaͤndig, gastfrei ohn hoffart sondern demuͤtig J. Letzner Dasselische chron. (1596) 1, 183ᵃ; von weltverständigen friedliebenden leuten Londorp (1622) 2, 1286ᵃ; es that mir leid, einen so weltverstaͤndigen, biedern und gelehrten mann auszer seinem vaterland dienen zu sehen J. G. Scheffner leben (1821) 252; oder glaubte der verfasser einem solchen doch vermuthlich höchst weltverständigen publicum .. diesen süszen tand von menschlicher vollkommenheit vorhalten zu müssen? Solger nachgel. schr. (1826) 2, 564; was nun die Schnyderschen poesieen betrifft, so zeugen sie von einem stets gebildeten, heiteren, weltverständigen, sprach- und formgewandten geiste (1869) G. Keller nachgel. schr. (1893) 25; sie (die förstersfrau) war ganz die praktische hauswirthin, und jetzt war es ihr kaum anzusehen, dasz sie so tiefgemüthvolle und in ihrer art weltverständige briefe schreiben konnte; ruhig und ernst, so war sie auch als junges mädchen schon gewesen Rosegger schr. (1895) II 6, 124; auch mit dem beisinn 'seine kenntnis der daseinsverhältnisse geschickt zu seinem vorteil ausnutzend': der weltverständige Engländer, der glänzende Franzose ... jeder fordert in der reihe der nationen mit recht seine stelle P. A. Pfizer briefw. zweier Deutschen (1831) 256; in ironischer anwendung: wir haben von harmlosen dingen zu berichten, und den 99 klugen weltverständigen kann man doch nimmer begreiflich machen, wie und in welcher weise auch die kindergeschichten zu den weltgeschichten gehören, die wieder hervorgeholten theorieen von freiheit und gleichheit aber nur seifenblasen und ein groszes kinderspiel sind Goltz buch d. kindh. (1847) 356.
2)
besondere anwendungen im frühen nhd.
a)
verständig in bezug auf irdisch-weltliche dinge.
α)
dass. wie weltklug 1: (der herr spricht:) wolan, es werden ja noch leut allhie vnnd da gefunden, die mein wort hertzlich nemen an, ob wol der welt verstendig man sich doran stoͤst vnd ergert B. Ringwaldt evangelia (1581) J 7ᵇ; und man wil sagen, an statt dasz er (der narr) nicht weltverstendig, sey er gottfürchtig, sehr andächtig und fromm gewesen Kirchhof wendunmuth 2, 253 Ö.; schon früh substantiviert: aber das vorstehe ich nit, wie man mit hundert gulden mag des iarisz erwerben zwentzig, ia ein guld den andern, vnd das allis, nit ausz der erden, odder von dem fihe ... ich befilh das den weltvorstendigen, ich als ein theologus, hab nit mehr dran zustraffen, den das bosze ergerlich ansehen Luther adel 77 ndr.
β)
mitunter die bedeutung von weltweise, adj., 1 annehmend: dann es were nerrisch, die wort des propheten auff philosophische weltverstendige weise auszlegen J. Calvin institutio christianae religionis (1572) 122; substantiviert dass. wie weltweise, m., 1: damit es aber nit ... das ansehen ... gewinnen moͤchte, als wolte ich mit diser meiner vergleichnisz andern studijs unnd buͤchern, welche ... von den philosophis und weltverstaͤndigen erfunden und beschriben worden, jr lob, ansehen und wirden verkleinern, ... so wil ich gleich anfenglich allhie protestiert ... haben Heinr. Müller türck. hist. (1563) 1ᵃ; denn kinder muͤssen wir werden, wollen wir ins himmelreich eingehen, nicht kluge und weise weltverstaͤndige Jac. Böhme s. w. 4, 74 Schiebler.
b)
staatsklug, dass. wie weltklug 2: vnd dieweil jhr beede (die als regenten eingesetzten söhne) nun langer vbunge (in regierungsgeschäften) wegen weltverstendig und in sachen erfahren, auch wissen, wie die vnderthanen geschaffen ... bevahle er (der verstorbene fürst in seinem testament) euch recht vnd gerechtigkait zuhandhaben T. Dreyfelder historien d. hauses Est (1580) 283ᵃ; substantiviert im 17. jh. in der bedeutung 'staatsmann, politiker': daher welt- und kriegsverstendige befahreten, es duͤrffte leicht eine hildesheimische belagerung darausz werden Chemnitz schwed. krieg 2 (1653) 550; nichts schaͤdlicher ist, als viel halbgelehrte stuͤmpler, wie auch die politici und welt-verstaͤndige dafuͤr halten Dannhawer catech. 3 (1661) 377; die politici und weltverstaͤndige bilden ihnen ein, es seye keiner zu dem regiment geschickt genug, er wisse dann wol und genau zu disputiren, ob der regierungsstand, da einer alleine im regiment sitzet, vorzuziehen seye deme, wann die vornehmst- und verstaͤndige regieren? Schupp schr. (1663) 534; gleich wie auch durch die zeitungen ihrer viel gute statisten ('staatsmänner, politiker', s. statist 1 teil 10, 2, 1, 949) und weltverstaͤndige worden sind, die sonst auser denselben duͤrre legisten blieben waͤren zeitungs lust u. nutz (1695) 9.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 11 (1955), Bd. XIV,I,I (1955), Sp. 1721, Z. 40.

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Zitationshilfe
„weltverständig“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/weltverst%C3%A4ndig>.

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