Geist
m.
‘Hauch, Atem, menschliches Denk- und Erkenntnisvermögen, Esprit, idealistisches schöpferisches Prinzip, Gespenst’,
ahd.
geist
(8. Jh.;
nur in der Übersetzung für
lat.
spīritus),
mhd.
geist,
asächs.
mnd.
gēst,
mnl.
gheest,
nl.
geest,
afries.
gāst,
aengl.
gāst,
engl.
ghost
(westgerm.
*gaista-)
sind Bildungen mit Dentalsuffix zu einer
s-Erweiterung
ie.
*g̑heis-
‘aufgebracht, bestürzt, erschreckt (sein)’.
Germ. Verwandte sind
aengl.
gǣstan
‘in Schrecken versetzen’,
engl.
ghastly
‘gräßlich, entsetzlich, furchtbar’
und
(ohne Dentalsuffix)
got.
usgeisnan
‘erschrecken’
(intransitiv),
usgaisjan
‘erschrecken’
(transitiv)
sowie vielleicht
anord.
geiskafullr
‘voll Schrecken’,
geiski
‘Schrecken’;
außergerm. sind
aind.
hīḍ-
‘zürnen’,
hḗḍa-,
hḗḍas-
‘(Götter)zorn’
und
(ohne Dental)
awest.
zaēša-
‘schauderhaft’
vergleichbar.
Im
Germ. bedeutet
Geist
danach ursprünglich soviel wie
‘Ekstase’
und
(wenn auch nur noch
aengl.,
nicht aber
ahd. und
asächs. bezeugt)
‘Gespenst, Geist, übersinnliches Wesen’
(in dieser Verwendung erst wieder
mhd.).
Als Übersetzung von
lat.
spīritus
‘Hauch, Atem, Geist, Seele’,
das seinerseits von
griech.
pné͞uma
(
πνεῦμα)
‘Hauch, Atem, Leben, Geist’
beeinflußt ist,
wird
ahd.
geist
mit christlichen Vorstellungen erfüllt
und durch die angelsächsische Mission von Fulda
aus in der
dt. Kirchensprache verbreitet,
vgl.
aengl.
sē hālga gāst
(
engl.
the Holy Ghost),
danach
ahd.
(
frk.)
ther heilago geist
(9. Jh.),
nhd.
der Heilige Geist,
für
lat.
spīritus sānctus,
griech.
hágion pné͞uma
(
ἅγιον πνεῦμα)
der Kirchensprache.
Die auf
obd. Gebiet
durch die gotische Mission entstandene Übersetzung
ahd.
ther wīho ātum
vermag sich nicht durchzusetzen.
Erst im 18. Jh. wird
Geist
unter dem Einfluß von
frz.
esprit
zum Ausdruck einer besonderen Fähigkeit,
der Gewandtheit, Leichtigkeit des Denkens,
des Scharfsinns, des Einfallsreichtums
und bezeichnet schließlich das denkende,
erkennende Bewußtsein des Menschen.
Nach dem Vorbild von
lat.
spīritus
und
frz.
esprit
wird
Geist
auch im Sinne von
‘flüchtige Essenz, Alkohol’
gebraucht
(18. Jh.).
geistern
Vb.
‘als Geist, wie ein Geist herumgehen, spuken’
(19. Jh.),
älter
‘begeistern’
(17. Jh.).
geistig
Adj.
‘auf das Denkvermögen, die Verstandeskräfte bezogen, Verstand besitzend, klug’.
Vereinzeltes
spätmhd.
geistec
‘von Geist beseelt’
wird bald von
geistlich
(s. unten)
verdrängt.
Erst im 17. Jh. ist
geistig
wieder bezeugt im Sinne von
‘witzig, erfinderisch, geistreich’,
steht dann im Gegensatz zu
körperlich,
stofflich
und nimmt im 18. Jh. die oben genannte Bedeutung an;
daneben auch
‘alkoholisch’
(ebenfalls 18. Jh.).
durchgeistigt
Part.adj.
‘geistvoll, von Geist durchdrungen’
(19. Jh.).
geistlich
Adj.
‘religiöse Dinge betreffend’,
ahd.
geistlīh,
Übersetzung von
lat.
spīrituālis
(8. Jh.),
mhd.
geistlich,
auch
‘fromm’,
asächs.
gēstlīk,
nl.
geestelijk,
aengl.
gāstlic,
engl.
ghostly
(auch
‘geisterhaft’).
Ursprünglich vereint dieses Adjektiv
sowohl die Bedeutung des erst im 18. Jh. geläufigen
geistig
(s. oben)
‘den Geist betreffend, immateriell’
(im Gegensatz zu
natürlich,
körperlich,
stofflich)
als auch die des heutigen
geistlich
‘die Religion betreffend’
(Gegensatz zu
weltlich);
vgl.
geistliche und weltliche Lieder,
geistlicher Stand
‘Priesterschaft’
(15. Jh.)
sowie
Geistlicher
m.
‘Kleriker, Priester’
(15. Jh.),
mhd. meist noch
geistlīche liute.
Eine deutliche Scheidung zwischen beiden
Wörtern vollzieht sich erst nach dem 18. Jh.
Geistlichkeit
f.
‘Klerus, Priesterschaft’
(15. Jh.),
spätmhd.
geistlīcheit
‘die Immaterialität mystischen Versenkens’,
auch Gegensatz zu
Weltlichkeit;
in den Vokabularen des 15. Jhs. Übersetzungswort für
lat.
religio.
geisterhaft
Adj.
‘gespenstisch’
(18. Jh.).
geistesabwesend
Part.adj.
‘zerstreut, mit den Gedanken nicht bei der Sache’
(19. Jh.),
Rückbildung aus dem Substantiv
Geistesabwesenheit
f.
‘Zerstreutheit’
(19. Jh.),
Übersetzung von
frz.
absence d’esprit;
Gegensatz
Geistesgegenwart
f.
‘schnelle Reaktionsfähigkeit, Schlagfertigkeit’
(18. Jh.),
nach
frz.
présence d’esprit;
geistesgegenwärtig
Adj.
(19. Jh.).
geisteskrank
Adj.
‘geistigseelisch krank, verwirrt’
(19. Jh.).
Geisteswissenschaften
Plur.
sich mit
Kultur und dem geistigen Leben befassende
Wissenschaften (19. Jh.).
geistlos
Adj.
‘geistig anspruchslos, dumm’
(18. Jh.);
vgl.
mhd.
geist(e)lōs
‘leblos’.
geistreich
Adj.
‘gescheit, spritzig, niveauvoll’
(16. Jh.),
spätmhd.
geist(e)rīch
(14. Jh.,
Mystiker)
‘vom heiligen Geist erfüllt’
(noch bei
Luther).
Der heutige Gebrauch verbreitet sich
seit dem 17. Jh. unter Einfluß von
frz.
spirituel.
entgeistern
Vb.
‘des Lebens berauben’
(17. Jh.),
meist
entgeistert
Part.adj.
‘fassungslos, überrascht’
(17. Jh.).