Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

nüchtern

Grammatik Adjektiv
Aussprache 
Worttrennung nüch-tern
formal verwandt mitausnüchtern
Wortbildung  mit ›nüchtern‹ als Erstglied: Nüchternblutzucker · Nüchternheit  ·  mit ›nüchtern‹ als Letztglied: stocknüchtern  ·  mit ›nüchtern‹ als Grundform: ernüchtern
eWDG

Bedeutungen

1.
mit leerem Magen, ohne (am Morgen) gegessen zu haben
Beispiele:
nüchtern, mit nüchternem Magen zum Arzt kommen
die Arznei muss morgens nüchtern eingenommen werden
ich bin heute früh noch nüchtern
es ist schädlich, auf nüchternen Magen zu rauchen
umgangssprachlich, scherzhaft, bildlich
Beispiel:
das ist ein Schreck auf nüchternen Magen! (= das fehlte gerade noch!)
2.
durch Alkoholgenuss nicht beeinträchtigt
Beispiele:
er war noch, völlig, nicht ganz nüchtern
er bleibt stets nüchtern
man sah ihn selten in nüchternem Zustand
nüchtern am Steuer sitzen
Er trieb sich nicht mehr in den Krügen herum und kam selbst vom Wochenmarkt nüchtern nach Hause [ Suderm.6,70]
3.
nur das Wesentliche berücksichtigend, sachlich
a)
nicht vom Gefühl beeinflusst
Beispiele:
etw., die Dinge nüchtern betrachten
eine Sache nüchtern und sachlich prüfen, einschätzen
die Lage nüchtern beurteilen
ein nüchtern denkender Mensch
eine nüchterne Überlegung, Selbsteinschätzung, Feststellung
eine nüchterne Darstellung der Ereignisse
er gab einen nüchternen Bericht
etw. mit nüchternen Worten sagen
ein nüchterner Stil
er ist ein nüchterner Rechner, Beobachter, Geschäftsmann
ihn leitet nur der nüchterne Verstand
die nüchterne (Arbeits)atmosphäre der Konferenz
die nüchternen (= bloßen, nackten) Tatsachen
auf dem Boden der nüchternen Wirklichkeit bleiben
b)
im Wesen phantasielos, trocken, schwunglos, zu sachlich
Beispiele:
ein nüchterner Pedant
Er war ein durch und durch nüchterner, phantasieloser, ausschließlich auf Naturalismus eingestellter Routinier [ WintersteinLeben2,41]
c)
wenig Behaglichkeit, wenig Gemütlichkeit verbreitend, etwas kalt
Beispiele:
eine nüchterne Wohnungseinrichtung
ein nüchterner Raum
die Wand wirkt ohne das bunte Bild zu nüchtern
nüchterne Farben
ein nüchternes Licht
4.
würzlos im Geschmack, fade
Beispiele:
eine nüchterne Suppe, Mahlzeit
das Getränk schmeckt nüchtern
als sie noch einen Schuß Salz und eine Prise Pfeffer an den Salat getan hatte, weil er sonst zu nüchtern war [ G. HermannGebert270]
Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)

Etymologie

nüchtern · Nüchternheit · ausnüchtern · Ausnüchterung · ernüchtern · Ernüchterung
nüchtern Adj. ‘nicht gegessen und getrunken habend, mit leerem Magen, nicht betrunken’, übertragen ‘besonnen, leidenschaftslos, phantasielos’, ahd. nuohturn (10./11. Jh.; dazu die Weiterbildung nuohturnīn, um 1000, z. B. in nuohturnīn sīn ‘sich einer Sache enthalten’), mhd. nüehtern, auch schon ‘nicht betrunken’, mnd. nöchteren, mnl. nuchteren, nuchterne, nl. nuchter sind entlehnt aus lat. nocturnus ‘nächtlich’ (zu lat. nox, Genitiv noctis, s. Nacht). Die vom Lat. abweichende Vokallänge erklärt sich durch Angleichung an die einheimischen Bezeichnungen für ‘Morgenfrühe, Dämmerung’ ahd. uohta (um 1000), mhd. uohte, uhte, nhd. (landschaftlich) Ucht, asächs. ūhta, mnd. uchte (verwandt mit Nacht). Es handelt sich wohl um ein in den Klöstern entstandenes Wort mit der Bedeutung ‘in der Morgendämmerung bestehend, frühmorgendlich, im Zustand des frühen Morgens befindlich’, d. h. ‘noch nichts gegessen und getrunken habend’, und zwar in der Zeit des der Nachtruhe folgenden Morgengottesdienstes vor Einnahme der Morgenmahlzeit. – Nüchternheit f. (Anfang 15. Jh.). ausnüchtern Vb. ‘sich vom Zustand der Trunkenheit erholen’ (17. Jh.); Ausnüchterung f. (Mitte 19. Jh.). ernüchtern Vb. ‘sich nach reichlichem Essen, von einem Rausch erholen’, mhd. ernüchtern, ‘jmdn. aus einer gesteigerten Stimmung herausreißen’ (18. Jh.); Ernüchterung f. (2. Hälfte 19. Jh.).

Thesaurus

Synonymgruppe
amusisch · fantasielos · phantasielos · prosaisch · steif · trocken · uninspiriert  ●  dröge  norddeutsch · nüchtern  Hauptform
Assoziationen
Synonymgruppe
auf nüchternen Magen · mit leerem Magen · nüchtern · ohne etwas gegessen oder getrunken zu haben  ●  ungefrühstückt  scherzhaft
Synonymgruppe
klar · kühl · machbarkeitsorientiert · nüchtern · ohne schmückendes Beiwerk · pragmatisch · ruhig · sachbetont · sachlich · schmucklos · schnörkellos · trocken · vernünftig · zweckmäßig
Assoziationen
Synonymgruppe
keinen Alkohol getrunken haben(d) · nicht betrunken · nüchtern
Assoziationen
Antonyme
Synonymgruppe
auf Zweckmäßigkeit getrimmt · auf die Funktion reduziert · funktional · kahl · klinisch · kühl · nüchtern · schmucklos · steril · ungemütlich · unpersönlich · unwohnlich · zweckbetont
Assoziationen
Synonymgruppe
(aussehen) als hätte man einen Besenstiel verschluckt · alles (viel zu) ernst nehmen · ernst · ernsthaft · humorfrei · humorlos · keinen Spaß verstehen · keinen Spaß vertragen · nüchtern · trocken  ●  (einen) Stock im Arsch (haben)  derb · keinen Sinn für Humor haben  ugs. · zum Lachen in den Keller gehen  ugs., ironisierend
Unterbegriffe
Assoziationen
Synonymgruppe
karg · nüchtern · schlicht · schmucklos  ●  anregungsarm  fachspr., psychologisch · ohne Schnickschnack  ugs., positiv
Assoziationen
Synonymgruppe
nüchtern · prosaisch · trocken
Assoziationen
Antonyme

Typische Verbindungen zu ›nüchtern‹ (berechnet)

Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›nüchtern‹.

Verwendungsbeispiele für ›nüchtern‹

maschinell ausgesucht aus den DWDS-Korpora

Die Situation macht mich bloß nüchtern genug für diese wenig hilfreiche Erkenntnis. [Braun, Marcus: Hochzeitsvorbereitungen, Berlin: Berlin Verlag 2003, S. 102]
Auf jeden Fall war es immer besser, nüchtern zu bleiben. [Regener, Sven: Herr Lehmann, Frankfurt am Main: Eichborn AG 2006 [2001], S. 94]
War er von der nüchternen Straße in einen Palast geraten? [Braun, Lily: Memoiren einer Sozialistin. In: Lehmstedt, Mark (Hg.) Deutsche Literatur von Frauen, Berlin: Directmedia Publ. 2001 [1911], S. 1941]
Trotz allem nahm er eine sehr nüchterne Stellung gegenüber seinen Werken ein. [Slonimsky, Nicolas: Ives. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Berlin: Directmedia Publ. 2001 [1957], S. 33841]
Sie waren prädisponiert: schon eine Generation später urteilte man ziemlich nüchtern darüber. [Tucholsky, Kurt: Paganini. In: Kurt Tucholsky, Werke – Briefe – Materialien, Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1914]]
Zitationshilfe
„nüchtern“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/n%C3%BCchtern>.

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