Sünde
f.
(im Sinne des Christentums)
‘Verstoß gegen ein göttliches Gebot’,
(allgemein)
‘Übertretung des Sittengesetzes, Verstoß gegen Verhaltensnormen, Verfehlung, Irrtum’,
ahd.
sunta
(8. Jh.),
mhd.
sünde,
sünte,
sunte,
asächs.
sundia,
mnd.
sünde,
mnl.
sonde,
sunde,
nl.
zonde,
afries.
sende,
sinde,
aengl.
syn(n),
engl.
sin;
aus dem
Mnd. stammen wohl
anord.
schwed.
synd.
Die Herleitung des Wortes bereitet Schwierigkeiten.
Schröder
in: Zs. f. vgl. Sprachforsch.
56 (1928) 106 ff.
versucht,
eine Verbindung von
Sünde
mit dem alten unter
↗
Schande
(s. d.)
behandelten rechtssprachlichen Ausdruck herzustellen.
Er erschließt
germ.
*skṃtjō
‘Scham’
und ein zugehöriges
(mit Übergang von
m
zu
n
vor Dental)
*skantō
‘Schande’,
das nach (sonst kaum belegtem)
Ausfall von
k
schwundstufiges
germ.
*sundjō
ergeben habe.
Andere sehen in den
germ. Formen
frühe Entlehnungen in die Kirchensprache aus
lat.
sōns
(Genitiv
sontis)
Adj.
‘schädlich, sträflich, straffällig, schuldig’,
Subst.
‘Schuldiger, Missetäter’
(Ausdruck der römischen Rechtssprache;
zur Etymologie von
sōns
s. unten);
vgl.
de Vries
Nl.
869,
ebenso
Walter
Lehngut im Altwestnord.
(1976) 87,
der als Ausgangsform für das
Germ.
vlat.
*sontia
vermutet,
eine als Fem. Sing. aufgefaßte Substantivierung des Adjektivs.
Doch nach
Frings
in: PBB (H)
81 (1959) 427
und vor allem nach
Seebold
in: Die Sprache
15 (1969) 14 ff.
ist
germ.
*sundjō
bzw.
(mit Aufgabe des Dentals)
*sunjō
im Sinne von
‘Schuld für eine strafwürdige Tat’
als alter
germ. Rechtsausdruck aufzufassen,
der in die Kirchensprache zur Wiedergabe von
lat.
peccātum
‘Sünde (gegen Gott)’
aufgenommen wird,
vgl.
ahd.
sunta,
suntea,
asächs.
sundia,
afries.
sende,
sonde
und
aengl.
syn(n)
‘Schuld, Vergehen, Sünde’.
Als verwandte Bildungen stehen daneben
ahd.
sunna
(9. Jh.),
asächs.
sunnia
‘wahrer Zustand, gesetzlich anerkannter Hinderungsgrund, Entschuldigung, Notwendigkeit’,
anord.
syn
‘Wahrheitsbekräftigung’,
auch
‘Einspruch, Leugnung’,
nauðsyn
‘gesetzlich anerkannter Hinderungsgrund, Notwendigkeit, Zwang’
und
got.
sunja
(aus
*sundj-)
‘Wahrheit’
(vgl. auch
got.
bisunjanē
Genitiv Plur.
‘der ringsum Seienden, der Herumwohnenden’).
Sie sind mit
anord.
sannr,
saðr
‘wahr, schuldig’,
asächs.
sōð
‘wahr, Wahrheit’,
aengl.
sōþ-
‘wahr’
(
germ.
*sanþ-,
*sund-
‘wahr’),
außergerm. mit
lat.
sōns
(s. o.),
griech.
ónt-
(
ὄντ-)
‘seiend’,
aind.
satyáḥ
‘wahr, wirklich’
zu
*sṇtió-,
vgl.
aind.
sánt-
‘seiend, gut, wahr’,
Part. Präs. zu
ásti
‘ist’,
zusammenzustellen und auf die unter
↗
sein1
(s. d.)
angegebene Wurzel
ie.
*es-,
schwundstufig
*s-
‘sein’
bzw. auf das zugehörige Part. Präs.
ie.
*sont-,
*sṇt-
zurückzuführen.
Dabei ist für die den Begriff
‘Sünde’
wiedergebenden Ausdrücke
eine Bedeutungsentwicklung von
‘das Seiende, Wahre, die Wahrheit’
über
‘festgestellte Schuld, (richtige) Sachverhältnisse, die den gegnerischen Aussagen entgegengestellt werden, Widerspruch, Verneinung’
zu (im christlich-kirchlichen Sinne)
‘Vergehen gegen Gottes Gebot, Böses’
anzunehmen.
Sünder
m.
‘wer eine Sünde begeht’,
ahd.
suntāri
(11. Jh.),
mhd.
sündære,
sünder.
sündhaft
Adj.
‘einer Sünde entsprechend, mit Sünde behaftet, sündig’,
steigernd im Sinne von
‘sehr’
(vgl.
sündhaft dumm,
sündhaft teuer,
19. Jh.,
doch wohl älter
und bereits Ende 17. Jh. sich anbahnend),
ahd.
sunt(i)haft
(8. Jh.),
mhd.
sündehaft.
sündig
Adj.
‘mit Sünde behaftet, gegen Gottes Gebot, gegen Sitte und Moral gerichtet’,
ahd.
suntīg
(8. Jh.),
mhd.
sündec,
sündic;
dazu
(oder als Weiterbildung von
mhd.
sünden
Vb.)
sündigen
Vb.
‘eine Sünde begehen’,
mhd.
sündigen;
versündigen
Vb.
‘schuldig werden’,
meist reflexiv
‘sich in Schuld verstricken, sich gegen Gott vergehen, Fehler machen’,
mhd.
versündigen
‘(sich) in Sünden stürzen, durch Sünden verderben’.
Sündenbock
m.
‘Mensch, dem unberechtigt alle Schuld zugeschoben wird, ohne daß er wirklich schuldig ist’
(Ende 18. Jh.),
eigentlich
‘der Bock, der (nach 3. Mos. 16) die Sünde des Volkes stellvertretend in die Wüste trägt’
(seit dem 17. Jh. belegt),
daher auch
‘schlimmer Sünder’
(17. Jh.).
Sündenfall
m.
‘(schwere) Versündigung’,
mhd.
sündenval,
besonders
(nach christlichem Glauben)
‘das Sündigwerden des Menschen’,
eingeleitet (nach der Bibel 1. Mos. 3) durch den
‘Abfall von Gott’
des ersten Menschenpaares Adam und Eva
(seit 17. Jh.).