Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

tradieren

Grammatik Verb · tradiert, tradierte, hat tradiert
Aussprache  [tʀaˈdiːʀən]
Worttrennung tra-die-ren
Wortbildung  mit ›tradieren‹ als Erstglied: Tradierung
Herkunft aus trāderelat ‘(von Hand zu Hand, mündlich oder schriftlich) weitergeben, übereignen, überliefern, aufzeichnen, berichten, mitteilen, vortragen, lehren’, eigentlich ‘übergeben’
ZDL-Vollartikel

Bedeutungen

1.
jmd. tradiert etw.Wissen, Kenntnisse, Sprachformen, religiöse Vorstellungen, kulturelle Inhalte   in mündlicher oder schriftlicher Form an jüngere Personen, spätere Generationen überliefern, weitergeben (1)
Synonym zu überliefern (1)
Beispiele:
Dieser rund 250.000 Personen umfassenden Gruppe [der evangelikalen Freikirchen] gelingt es gut, die eigenen christlichen Werte an den Nachwuchs zu tradieren. [Neue Zürcher Zeitung, 24.12.2016]
Es gibt auch Fälle, dass Irrtümer der antiken Naturforscher über Redensarten in die modernen europäischen Sprachen tradiert wurden. [Landshuter Zeitung, 13.11.2021]
Was aus der Ära [der Bundeskanzlerin Angela] Merkel lohnt, tradiert zu werden? [Der Tagesspiegel, 22.10.2021]
Solange Troia vor allem als Gründungsmythos der griechischen und der römischen Geschichte tradiert wurde, bedeutete im Orient der Bezug auf Troia immer auch eine Hinwendung zum Westen. [Berliner Zeitung, 17.03.2001]
Ich habe [als Verleger] die Aufgabe, das Werk dieser [längst vergessenen] Autoren zu tradieren. [Der Spiegel, 26.05.1997]
[…] Welche pädagogischen Bedingungen müssen erfüllt werden, um die politischen Errungenschaften der europäischen Aufklärung zu tradieren? [Die Zeit, 21.07.1978]
Andererseits entwickelte sich in dem Land, in dem Kunst, ganz im Sinne eines Handwerks, noch nicht an Schulen und Akademien gelehrt, sondern im Rahmen der Familie eingeübt und tradiert wurde, eine breite, bunte Volkskunst und naive Malerei. [Die Zeit, 07.11.1975]
2.
jmd. tradiert etw.nicht mehr dem ursprünglichen Zweck entsprechende, überkommene, überholte soziale Muster, Geschlechterrollen, Wertvorstellungen, Umgangsformen beibehalten und weitergeben
Beispiele:
[…] Negativ wird eine Sexualmoral dort, wo sie Einschränkungen tradiert und nicht im Dialog mit der Erfahrung der Menschen steht. [Luzerner Zeitung, 06.05.2011]
Das alte Wissen, früher vom Vater auf den Sohn tradiert […], ist heute teils nicht mehr brauchbar. [Fränkischer Tag, 26.10.2021]
Man stellt sich […] ein Stück weit gegen ein bestimmtes Männerbild, das noch immer tradiert wird[…]. [Kieler Nachrichten, 13.10.2021]
Das Bild von einer Mutter oder einem Vater entspricht oft einem historisch tradierten. [Neue Zürcher Zeitung, 30.06.2016]
Insbesondere wird [in der Geschlechterforschung und den Gay and Lesbian Studies] danach gefragt, auf welche Weise und zu welchem Zweck bestimmte Vorstellungen von Geschlechterrollen tradiert […] werden […] [Losert, Kerstin: Überschreitung der Geschlechtergrenzen? [o. O.]: Lang 2008, S. 20]
Wir alle tradieren unbewusst Bilder und Vorstellungen über das andere Geschlecht aus früherer Zeit. [Luzerner Zeitung, 06.01.2005]
Ihre [der Frauen in der Schweiz um 1900] Aufgabe bestand darin, als Mütter die katholischen Wertvorstellungen weiter zu tradieren und gegen aussen abzuschirmen. [Damit trugen sie entscheidend dazu bei, dass die katholische Identität erhalten blieb.] [Künzler, Mirjam: Sexualmoral in katholischen Frauen- und Familienzeitschriften 1945–1990. Fribourg: Academic Press Fribourg 2003, S. 12]
Eine sinnvolle Ergänzung der Polizeiarbeit durch Bürgerbeteilung [sic!] ist sicher dort möglich, wo tradierte Formen der Sozialkontrolle weggefallen sind und ohnehin nicht durch die Polizei ersetzt werden können. [Berliner Zeitung, 31.12.1996]
[Er gab das Gefühl der Sicherheit, er gab das Geleit hinaus in die Welt und verhieß zugleich Schutz vor ihr.] Kann ein Vater von heute noch die Rolle ausfüllen, die hier tradiert wird? [Die Zeit, 22.10.1965]

letzte Änderung:

Etymologisches Wörterbuch (Wolfgang Pfeifer)

Etymologie

Tradition · tradieren · traditionell
Tradition f. ‘Überlieferung, Herkommen, Gewohnheit, Brauch, Gepflogenheit’, entlehnt (1. Hälfte 16. Jh.) aus lat. trāditio (Genitiv traditiōnis) ‘Vortrag, Lehre, Satzung, überkommene, weitergegebene Meinung, Überlieferung’, eigentlich ‘Auslieferung, Übergabe’, zu lat. trādere (s. unten tradieren). Zunächst Schlagwort der Reformationszeit zur Bezeichnung der Lehren, Satzungen und Institutionen der jüdischen und christlichen Religion, die nicht unmittelbar aus der Bibel, sondern aus der Überlieferung stammen, darauf (2. Hälfte 16. Jh.) juristischer Fachausdruck für bestimmte Formen der Eigentumsübertragung, -übereignung, -übergabe, dann (Anfang 17. Jh.) in der Bedeutung ‘Prozeß, Akt, Handlung des Überlieferns, der Weitergabe von Glauben, Wissen, Verhaltensweisen’, ferner ‘von alters her mündlich oder schriftlich überlieferte Kunde von Begebenheiten der Vergangenheit’ (als Sage, Mythos, Erzählung), schließlich (2. Hälfte 18. Jh.) in der (heute vorherrschenden) Bedeutung ‘im Laufe der Zeit, der Geschichte innerhalb einer bestimmten Gruppe von Menschen Entwickeltes und Weitergegebenes, das üblich, zur Sitte, Gepflogenheit geworden ist’. – tradieren Vb. ‘(Kenntnisse, Erfahrungen, kulturelle Werte der Nachwelt mündlich oder schriftlich) überliefern, Überliefertes weiterführen, weitergeben’, entlehnt (2. Hälfte 15. Jh.) aus lat. trādere ‘(von Hand zu Hand) weitergeben, überreichen, anvertrauen, überlassen, abtreten, übereignen, mündlich oder schriftlich weitergeben, überliefern, aufzeichnen, berichten, mitteilen, vortragen, lehren’, eigentlich ‘übergeben’, aus lat. trāns- ‘durch-, hin-, über-, hinüber-, über … hin(aus)-’ (s. trans-) und dare ‘geben’; im Dt. zuerst vereinzelt in der Bedeutung ‘geben, unterweisen, berichten, ausliefern, verraten’ (16. Jh.), dann (entsprechend der juristischen Bedeutung von Tradition, s. oben) ‘übergeben, übereignen’ (2. Hälfte 16. Jh. bis Anfang 19. Jh.), schließlich in der oben angeführten Bedeutung (Mitte 16. Jh. bis 19. Jh. selten, in neuerer Zeit häufiger). traditionell Adj. ‘der Tradition entsprechend, auf Tradition beruhend, althergebracht, herkömmlich, überliefert, übernommen’ (1. Hälfte 19. Jh.), nach gleichbed. frz. traditionnel (18. Jh.).

Thesaurus

Synonymgruppe

Typische Verbindungen zu ›tradieren‹ (berechnet)

Detailliertere Informationen bietet das DWDS-Wortprofil zu ›tradieren‹.

Zitationshilfe
„tradieren“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/tradieren>.

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