kehren1
Vb.
‘etw. in eine bestimmte, namentlich die entgegengesetzte Richtung drehen, wenden’,
seit Beginn der Überlieferung außerdem in reflexivem
und
(wohl durch Ersparung eines Akkusativobjekts entstandenem,
heute unüblichem)
intransitivem Gebrauch
‘die Gegenrichtung einschlagen, sich umwenden’,
ahd.
kēren
(9. Jh.),
gikēren
(8./9. Jh.),
mhd.
(ge)kēren
‘(um)wenden, eine Richtung geben, sich wenden’
(
mhd. und
frühnhd. auch allgemeiner
‘eine Richtung einschlagen, sich begeben’)
hat nur im
Kontinentalwestgerm. sichere Verwandte,
vgl.
asächs.
kērian,
mnd.
(ge)kēren,
aostnfrk.
kēron,
mnl.
kēren,
nl.
keren,
afries.
kēra
‘kehren, wenden’.
Bei Annahme eines grammatischen Wechsels
germ.
*kaisjan,
*kaizjan
lassen sich diese Formen mit
anord.
keisa
‘biegen, zusammenfalten’,
isl.
keisa
‘in die Höhe ragen, hochtragen’,
schwed.
kesa
‘durchgehen, fliehen’
verbinden,
die auf einen Ansatz
ie.
*geis-
zurückgeführt werden,
der zu der nur in verschiedenen Erweiterungen nachzuweisenden Wurzel
ie.
*gei-
‘drehen, biegen’
(s. auch
keifen)
gehört;
vgl.
Pokorny 1, 354 f.
Dieser fragliche Zusammenhang muß jedoch aufgegeben werden,
wenn man für
ahd.
kēren
von
germ.
*kairjan
ausgeht und dieses
(wie
Petersson
in: PBB
44 (1920) 178 f.)
mit
armen.
cir
‘Kreis’,
osset.
zilyn
(
зuлын)
‘herumdrehen’
vergleicht.
Ebenso ist
aengl.
cerran
(
westsächs.
cierran,
cyrran)
trotz semantischer Übereinstimmung
von den anderen
westgerm. Bildungen zu trennen,
da es eine auch im Vokalismus abweichende Form
germ.
*karrjan
oder
*karzjan
voraussetzt.
Substantivische Ableitung vom Verb ist
Kehre
f.
‘scharfe Wegbiegung’,
seit
Jahn
(1816)
auch Fachwort des Turnens
‘Sprung oder Abschwung, bei dem der Rücken zum Gerät gewandt ist’,
ahd.
kēra
‘Wendung, Beugung, Krümmung’
(11. Jh.),
mhd.
mnd.
kēr(e)
‘Richtung, Wendung’
(die einsilbige Form noch in
Einkehr,
Umkehr,
s. unten,
Heimkehr,
s. d.);
daneben steht in älterer Zeit ein Maskulinum
ahd.
(um 1000),
mhd.
mnd.
kēr,
frühnhd.
Kehr,
mnl.
nl.
keer
(s.
Verkehr).
–
kehrtmachen
Vb.
‘eine halbe Drehung vollführen, die Gegenrichtung einschlagen’,
im 20. Jh. zusammengewachsen aus der Fügung
kehrt machen
(substantiviert auch
Kehrt machen,
Anfang 19. Jh.),
enthält als ersten Bestandteil den Imperativ und militärischen Befehl
kehrt!
(vielleicht verkürzt aus
kehrt euch!).
Kehrreim
m.
‘regelmäßig am Schluß jeder Liedstrophe sich wiederholender Textteil’.
Das von
Bürger
(1793)
eingeführte Ersatzwort für
Refrain
(s. d.)
ist eine Zusammensetzung mit
Reim
(s. d.)
in dessen früher geläufiger Bedeutung
‘Verszeile’.
Kehrseite
f.
‘Rückseite’,
metaphorisch auch
‘das einer zunächst günstig erscheinenden Sache anhaftende Unangenehme’,
in der 2. Hälfte des 18. Jhs. aufkommende
und trotz
Adelungs
Kritik sich durchsetzende Verdeutschung von
Revers
‘Rückseite einer Münze’
(s. d.),
nach gleichbed.
nl.
keerzijde
(dieses 1729 erstmals nachweisbar).
einkehren
Vb.
‘in einer Gaststätte Rast machen’,
ursprünglich überhaupt
‘sich (als Gast) hineinbegeben’,
mhd.
īnkēren
‘hineingehen, umkehren’,
in der Sprache der Mystik auch
spätmhd.
īnkēren,
frühnhd.
einkehren,
mnd.
inkēren
‘in sich gehen, sich versenken’;
dazu
Einkehr
f.
‘Selbstbesinnung’,
älter auch
‘Rast, Herberge’,
mhd.
īnkēr(e)
f.
‘Einzug, Insichgehen’;
vgl.
spätmhd.
īnkēr
m.,
mnd.
inkēr
m.
‘Insichgehen’.
umkehren
Vb.
‘umwenden, umdrehen, in die entgegengesetzte Lage bringen’,
intransitiv
‘sich umwenden, den Rückweg antreten, anderen Sinnes werden’,
ahd.
umbikēren
(9. Jh.),
mhd.
umbekēren,
mnd.
ummekēren;
seit dem
Frühnhd. findet sich das Part. Prät.
umgekehrt
in adjektivischer Verwendung
‘gegenteilig, entgegengesetzt’;
Umkehr
f.
‘das Umkehren, Zurückgehen’,
übertragen
‘Sinneswandel’,
mhd.
umbekēr(e)
f.
‘Umkehr, Umwendung’;
vgl.
ahd.
umbikēr
m.
‘Umkehrung, Umtauschung’
(um 1000),
mnd.
ummekār
‘Umkehr, Wendung’;
Umkehrung
f.
‘Veränderung ins Gegenteil’
(15. Jh.,
frühnhd. daneben
‘Zerstörung’).
S. auch
bekehren,
verkehren.