meist emotional, abwertend
a)
besonders in der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus nicht zu einem Volk gehörend oder passend
Kollokationen:
als Adjektivattribut: volksfremde Elemente
Beispiele:
»›Volk‹ wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie
Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk: Volksfest,
Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnah,
volksfremd, volksentstammt …« So notiert es
[Victor] Klemperer 1933[…]. Dem sprachsensiblen
Literaturwissenschaftler war sofort klar, wie wichtig die Schaffung und
Besetzung von Begriffen ist, um nicht nur eine physische, sondern auch
eine mentale totalitäre Herrschaft zu errichten. [Die Zeit, 07.10.2017]
[Die Nationalsozialisten] waren
besessen vom Rassenwahn. Die »nordische Rasse«, die ihnen als
wertvollste und als »das Blutsband aller deutschen Stämme« galt, wähnten
sie von Überalterung, Erbkrankheiten und dem Eindringen
»volksfremden Blutes« bedroht. [Neue Zürcher Zeitung, 16.06.2014]
Juden dürfen keine Kleingärtner werden (März 1938), Juden dürfen
nach 8 Uhr abends ihre Wohnungen nicht verlassen (September 1939), Juden
dürfen keine Haustiere halten (Mai 1942). Die Ausgrenzung und
Entrechtung der »volksfremden Elemente« geschah
nicht über Nacht, sie wurde in kleinen Schritten organisiert, gezielt,
planvoll und mit großer Freude am Detail. [Der Spiegel, 01.09.2003]
Dagegen [gegenüber der Ansiedlung von Deutschen in den eroberten Ostgebieten] ist die »Ausschaltung« von
»volksfremden Bevölkerungsteilen«, wie die
Deportation und Vernichtung von Polen und Juden genannt wurde, von den
NS‑Behörden seit dem Oktober 1939 rigoros und konsequent betrieben
worden; mehrere Hunderttausend der in den »Ostgebieten« ansässigen
Bewohner hat man auf diese Weise »ausgesiedelt«. [die tageszeitung, 27.11.1989]
Sie [die Polizei im Nationalsozialismus] wurde zum »Erzieher« des Volkes,
zum allmächtigen Säuberungskommissar, der die Nation von allen
unliebsamen Ideen befreite. Aufgabe der Polizei sollte es
[…] sein, »die Aktivität der im Volke ruhenden
Kräfte durch Gleichrichtung nach einheitlichen Gedanken bis zum letzten
zu steigern … dabei aber unter konsequenter Durchführung des völkischen
Gedankens alle volksfremden und daher destruktiv
wirkenden Energien auszuschalten«. [Der Spiegel, 14.11.1966]
b)
allgemeiner dem eigenen Volk als nicht zugehörig, seiner Kultur als nicht angemessen empfundenDWDS
Synonym zu fremd (4)
Beispiele:
Laut [einer] […]Studie […] wird der Anteil der Katholiken in Österreich im Jahr 2031 von 74 auf 50 Prozent sinken. Das erzeugt zum Teil rührende Gegenbewegungen. Der volkstümliche Sänger Andreas Gabalier z. B. möchte den Weihnachtsmann mit seiner volksfremden amerikanisierten Herkunft wieder durch das heimische »Christkind« ersetzt wissen. [Der Standard, 08.12.2014]
Schon Anfang des Jahres 1967 habe die [Rock-]Gruppe [Rolling Stones] erstmals bei den sowjetischen Behörden um eine Konzert‑Erlaubnis in Moskau angefragt, sagte Mick Jagger vor Journalisten in der russischen Hauptstadt. Doch im Kreml herrschte Angst und Zittern vor zuviel volksfremdem Rock ’n’ Roll. [die tageszeitung, 12.08.1998]
Ob Bach‑, Goethe‑ oder Beethoven‑Jahr, immer ging es [in der DDR] um Einheit und Nationalbewußtsein kontra »Boogie‑Woogie‑Kultur« und »volksfremde, dekadente Musik«. Die »Pflege des klassischen kulturellen Erbes und der Volkskunst, besonders des Volksliedes und der Volksmusik« »gegen die Entartung der Tanzmusik« erklärte das ZK der SED (= Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands) daher 1951 zu einer kulturellen Hauptaufgabe. [konkret, 2000 [1994]]
So vieles, was im Westen Kunst genannt wurde, galt jetzt [in den 1950er Jahren] in der DDR als staatsfeindlich. Nichts und niemand kam ungeschoren davon. Den Malern warf man vor, sie zeigten die Welt grau in grau und die Schöpfer moderner Musik kritisierte man, weil sie wie Paul Dessau oder Hanns Eisler »auf Geigen verzichteten«, was als volksfremd gerügt wurde. [Berliner Zeitung, 13.01.1994]
Im »ethnischen Alptraum« Kaukasus […], wo an die hundert Völkerschaften einander seit Jahrhunderten an die Kehle gehen, sind [nach dem Zerfall der Sowjetunion jetzt] Krieger aus den Bergen dabei, wann immer in den Tälern Beute zu machen ist. Kosaken‑Hundertschaften eilen derweil an den Dnjestr, um Russen und Ukrainern dabei zu helfen, deren »heilige Erde« gegen volksfremde Moldawier zu verteidigen. [Der Spiegel, 18.01.1993]
c)
seltener dem Volk entfremdet, seine Interessen, Belange nicht erkennend, nicht vertretend
Beispiele:
Offensichtlich ist einer Mehrheit der Bürger das Versprechen von
Sicherheit und Ordnung gerade wichtiger als Rechtsstaatlichkeit und
Bürgerrechte. Das ist die Tragödie der philippinischen Liberalen: Sie
sind in die Isolation geraten, der Präsident und seine Verbündeten haben
es geschafft, sie als abgehobene, volksfremde
Elite darzustellen. [Die Zeit, 24.11.2016]
Früher ließen sich Politiker im Wahlkampf gern mit bedeutenden
Intellektuellen fotografieren. Heute würde ihnen das den Vorwurf
einbringen, abgehoben und volksfremd zu sein.
Deshalb suchen sie lieber die Nähe zu Fußballstars und
Filmschauspielern. [Welt am Sonntag, 16.06.2013]
Er [der Biograph des Alt-Bundeskanzlers Helmut Kohl] macht sich über die
volksfremden Intellektuellen lustig, die Kohl
allzu lange unterschätzten und, von Utopien benebelt, die Politik der
kleinen Schritte verachten mußten. [konkret, 2000 [1998]]
Der dekadente bürgerliche Künstler, so wird [von den Kulturfunktionären der DDR] behauptet, zeige
[im Formalismus] die Inhaltsleere der
kapitalistischen Gesellschaft, ohne ihre Ursachen kenntlich zu machen.
Durch im Einzelfall durchaus gelungene Formgestaltung bei gleichzeitig
fehlendem Realismus verschleiere er die Wirklichkeit. Dadurch werde
Kunst nicht nur esoterische Liebhaberei einer kleinen
volksfremden Schicht, sondern zerstöre sich
selbst; denn ihre enthüllende, ihre Erkenntnisfunktion werde mißachtet.
Solche Kunst diene der Sache der Reaktion und nicht der des
Fortschritts. [Zimmermann, Hartmut (Hg.): DDR-Handbuch. Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1985], S. 2383]
Er [Lenin] wollte das Volk durch die
Räte unmittelbar an der Verwaltung beteiligen, damit kein besonderer
Verwaltungsapparat mehr notwendig sei. Im Ergebnis entstand eben dieser
Apparat, die Sowjetbürokratie. Sie blieb einer bestimmten Schicht
vorbehalten, und der sowjetische Verwaltungsapparat war umfangreicher
und volksfremder als im bürgerlichen
Staat. [Der Spiegel, 26.10.1970]